Leitsatz (amtlich)
Die Katasterzivilanwärterdienstzeit in der Preußischen Katasterverwaltung ist keine Ausfallzeit nach AVG § 36 Abs 1 Nr 4 (= RVO § 1259 Abs 1 Nr 4).
Normenkette
AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. a Fassung: 1965-06-09; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. a Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. August 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger bezieht von der Beklagten seit dem 1. April 1973 Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965). Die Beteiligten streiten darüber, ob die Zeit seiner Ausbildung bei der Preußischen Katasterverwaltung als Katasterzivilanwärter vom 1. November 1928 bis 30. September 1930 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) als Ausfallzeit rentensteigernd anzurechnen ist.
Der am 31. März 1910 geborene Kläger ist Ingenieur für Vermessungstechnik. Nach dem Besuch des Gymnasiums in J. begann er am 1. November 1928 die Ausbildung für die Obersekretärlaufbahn in der Preußischen Katasterverwaltung (Regierungsbezirk Aurich). Bis zum 30. September 1930 war er Katasterzivilanwärter beim Katasteramt in W. Es handelte sich hierbei um den ersten Ausbildungsabschnitt für die Obersekretärlaufbahn. Nach den Bestimmungen über die Annahme, Ausbildung und Prüfung der Anwärter für die Obersekretarlaufbahn in der Preußischen Katasterverwaltung vom 27. Februar 1925 wurde die Zivilanwärterzeit, die als Probedienstzeit bezeichnet wurde, mit einer Probearbeit zum Nachweis der Fertigkeit im Zeichnen abgeschlossen. Nach erfolgreicher Ableistung dieser Arbeit wurde der Kläger vom Regierungspräsidenten in Aurich gemäß § 5 der genannten Bestimmungen in der Fassung vom 1. Juli 1930 mit Wirkung vom 1. Oktober 1930 zum Katastersupernumerar berufen. Es handelte sich hierbei um den zweiten Ausbildungsabschnitt für die Obersekretärlaufbahn. Der Kläger befand sich in diesem Ausbildungsabschnitt bis zum 31. März 1934. Er war Beamter auf Widerruf. Die Katasterobersekretärprüfung am Ende des zweiten Ausbildungsabschnittes, die mündlich und schriftlich abzulegen war, wurde vom Kläger nicht vollständig durchgeführt. Aus finanziellen Gründen und wegen eines schweren Sprachfehlers gab er die Beamtenlaufbahn auf.
Ab 1. April 1934 wurde er als Katasterhilfstechniker übernommen und beim Katasteramt in Wittmund weiterbeschäftigt. Ab 1. November 1935 war er Katastertechniker. Die Katastertechnikerlaufbahn bestand ebenfalls aus zwei Ausbildungsabschnitten, wovon der erste Ausbildungsabschnitt eine Lehrzeit war, die nach dem Runderlaß des Finanzministers vom 3. August 1929, betreffend Annahme und Ausbildung von Lehrlingen und Angestellten für die Laufbahn der Katastertechniker, drei Jahre betrug. Die vom Kläger als Katasterzivilanwärter und als Katastersupernumerar zurückgelegten Zeiten wurden auf die Ausbildung als Katastertechniker angerechnet. Der Preußische Finanzminister hatte sich mit Erlaß vom 22. März 1934 mit der Übernahme des Klägers als Katasterhilfstechniker einverstanden erklärt; mit Rücksicht darauf, daß der Kläger während seiner Ausbildung als Katastersupernumerar den Nachweis für die Fertigkeit im Zeichnen usw. durch Anfertigung einer für ausreichend befundenen Probearbeit erbracht habe, sei die Bedingung unter Abschnitt 1 c des § 1 der Vorschriften für die Katastertechnikerprüfung vom 15. Mai 1924 als erfüllt anzusehen; zur Prüfung selbst könne der Kläger jedoch erst nach einer 7-jährigen Gesamtbeschäftigungszeit in der Katasterverwaltung zugelassen werden. Mit einem weiteren Erlaß vom 7. Juni 1935 hatte sich der Preußische Finanzminister auf einen entsprechenden Antrag des Klägers, in dem dieser auf seine "abgeschlossene" Ausbildungszeit als Katastersupernumerar hingewiesen hatte, ausnahmsweise damit einverstanden erklärt, daß der Kläger bereits zum Herbsttermin 1935 zur Katastertechnikerprüfung zugelassen wurde.
Ab April 1934 wurden für den Kläger Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet (Versicherungskarte Nr. 1). Für die Zeiten vom 1. November 1930 bis zum 31. Oktober 1932 und vom 1. Februar 1933 bis zum 31. März 1934, während der Unterhaltszuschuß gewährt worden war, wurde die Nachversicherung nach § 99 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) durchgeführt.
In ihrem Bescheid vom 14. März 1973 berücksichtigte die Beklagte lediglich eine pauschale Ausfallzeit nach Art. 2 § 14 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) mit insgesamt 48 Monaten. Da sie die Zeit der Ausbildung als Katasterzivilanwärter nicht als Ausfallzeit anerkannte, war die pauschale Ausfallzeit höher als die sonst nachgewiesene Ausfallzeit des Schulbesuchs nach Vollendung des 16. Lebensjahres.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger rechtzeitig Klage. Er vertrat die Ansicht, daß die von ihm als Katasterzivilanwärter zurückgelegte Ausbildungszeit vom 1. November 1928 bis zum 30. September 1930 als weitere Ausfallzeit anzurechnen sei; diese Zeit stehe einer Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG gleich. Die am Ende der Zivilanwärterzeit erfolgreich abgelegte Probearbeit sei einer Lehrabschlußprüfung gleichzusetzen, zumal ihm diese Zeit später als Lehrzeit für die Katastertechnikerlaufbahn von der Verwaltung angerechnet worden sei.
Mit Urteil vom 12. September 1974 gab das Sozialgericht (SG) Aurich der Klage statt. Es verurteilt die Beklagte in Abänderung ihres Bescheides vom 14. März 1973, das Altersruhegeld des Klägers unter Berücksichtigung der Zeit vom 1. November 1928 bis 30. September 1930 als Ausfallzeit neu zu berechnen. Es war der Auffassung, die Ausbildungszeit als Zivilanwärter bzw. Supernumerar für die Obersekretärlaufbahn in der Preußischen Katasterverwaltung stehe einer Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG gleich.
Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen das angefochtene Urteil auf und wies die Klage ab. Es vertrat die Ansicht, bei der streitigen Ausbildung habe es sich nicht um eine Lehrzeit gehandelt, sondern um einen Vorbereitungsdienst für eine Beamtenlaufbahn.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 12. September 1974 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil sind von keiner Seite angegriffen worden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - letzter Halbsatz). Werden sie zugrunde gelegt, so ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden.
Nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG idF des AnVNG vom 23. Februar 1957 waren als Ausfallzeiten anrechenbare Ausbildungszeiten nur "Zeiten einer nach Vollendung des 15. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung sowie einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung", wenn im Anschluß daran innerhalb bestimmter Fristen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden war. Durch das RVÄndG ist § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG wesentlich geändert worden. Nunmehr sind grundsätzlich, falls bestimmte weitere Voraussetzungen erfüllt sind, als Ausfallzeiten anrechenbare Ausbildungszeiten "Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden
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a) |
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abgeschlossenen nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Lehrzeit, |
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einer weiteren Schulausbildung oder einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung". |
Schon diese, vom LSG im einzelnen zutreffend wiedergegebene Entstehungsgeschichte zeigt, daß nicht jede Ausbildungszeit Ausfallzeit sein soll. Einmal kommen nur erfolgreich abgeschlossene Ausbildungszeiten in Betracht und sodann nur solche ganz bestimmter Art und diese schließlich nur innerhalb gewisser Höchstgrenzen (Schul- oder Fachschulausbildung nur bis zur Höchstdauer von vier Jahren und eine Hochschulausbildung nur bis zur Höchstdauer von fünf Jahren). Das Bundessozialgericht (BSG) hat deshalb bereits mit Urteil vom 8. Juli 1970 (11 RA 164/67, SozR § 1259 RVO Nr. 30) entschieden, daß eine Referendarzeit keine Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG ist, weil Referendare nicht die Stellung von Lehrlingen haben. Auch hier ist zur Begründung eingehend auf die Entstehungsgeschichte der maßgebenden Vorschrift hingewiesen worden. Ferner hat das BSG mit Urteil vom 21. Oktober 1971 (11 RA 59/71, SozR § 1259 RVO Nr. 40) entschieden, daß eine Praktikantenzeit keine Lehrzeit im Sinne der genannten Vorschrift ist. Schließlich ist im Urteil vom 25. Mai 1972 (11 RA 26/72, SozR § 1259 RVO Nr. 46) allgemein ausgeführt, daß § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG auf andere als die dort bezeichneten Ausbildungszeiten nicht entsprechend anwendbar ist. Die hieran zum Teil geübte Kritik (vgl. z. B. Schild in Die Sozialgerichtsbarkeit 1973, 143) vermag nicht zu überzeugen. Eine möglichst lückenlose Erfassung aller Ausbildungszeiten als Ausfallzeiten war vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Die eindeutig gefaßten Vorschriften lassen deshalb die vom Kläger erstrebte extensive Auslegung, daß Ausbildungszeiten stets den Charakter von Ausfallzeiten haben müßten, nicht zu. Im übrigen ließen sich bei einer entsprechenden Anwendung auch kaum einleuchtende Grenzen für die dann noch zu berücksichtigenden Ausbildungszeiten finden (Urteil vom 25. Mai 1972 aaO).
Nach den Feststellungen des LSG handelte es sich bei der streitigen Zeit um einen Vorbereitungsdienst für eine Beamtenlaufbahn. Dabei ist zu beachten, daß es entsprechende Probedienste und Vorbereitungsdienste von jeher im Beamtenrecht gegeben hat und auch heute noch gibt. Derartige Ausbildungsabschnitte sind somit beamtenrechtlicher Natur.
Die streitige Zeit war deshalb keine Lehrzeit. Der Kläger hat insbesondere keine Gesellenprüfung ablegen wollen und auch nicht abgelegt. Seine Probedienstzeit wurde auch nicht dadurch Lehrzeit, daß er später die Katastertechnikerlaufbahn ergriff, die nach dem Runderlaß des Preußischen Finanzministers vom 3. August 1929 eine 3-jährige Lehrzeit erforderte, und daß diese Lehrzeit ihm erlassen wurde, weil er bereits eine 2-jährige Katasterzivilanwärterdienstzeit zurückgelegt hatte. Einmal konnte diese dadurch ohnehin nicht nachträglich den Charakter einer Lehrzeit erwerben. Außerdem war es nicht allein diese Zeit, die zum Verzicht auf die Lehrzeit führte, sondern auch die anschließende Katastersupernumerardienstzeit, mit der schließlich die für die Prüfung zum Katastertechniker vorgeschriebene 7-jährige Ausbildungszeit als erfüllt angesehen wurde.
Somit hat das LSG die streitige Zeit zu Recht nicht als Ausfallzeit angesehen. Die Ausführungen in der Revisionsbegründung vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Das LSG hat nicht den Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AVG unangemessen eingeschränkt, sondern es hat sich mit zutreffenden Erwägungen zu Recht an das Gesetz und die dazu ergangene Rechtsprechung des BSG gehalten.
Nach alledem ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen