Leitsatz (amtlich)
Bei der Berechnung von Unterhaltsgeld sind rückwirkende tarifliche Einkommensverbesserungen nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
AFG § 112 Abs. 2 Fassung: 1969-06-25, § 44 Abs. 2
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Mai 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, obe eine rückwirkende tarifliche Gehaltserhöhung bei der Bemessung von Unterhaltsgeld zu berücksichtigen ist.
Der Kläger nahm ab 1. April 1974 an einer Fortbildungsmaßnahme zum Maschinenbautechniker teil. Das Arbeitsamt K bewilligte dem Kläger für diese Maßnahme Unterhaltsgeld (Bescheide vom 13. Mai 1974, 11. Juni 1974, 5. November 1974 und 17. Januar 1975). Gegen die Bescheide vom 13. Mai 1974 und 11. Juni 1974 legte der Kläger Widerspruch ein mit dem Antrag, eine am 3. April 1974 rückwirkend ab 1. Januar 1974 abgeschlossene tarifliche Gehaltserhöhung bei der Berechnung des Unterhaltsgeldes zu berücksichtigen. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 1974).
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg (Urteil vom 5. Mai 1975). Das Gericht hat die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger unter Berücksichtigung der tariflichen Gehaltserhöhung ein höheres Unterhaltsgeld zu gewähren.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Mai 1976). Zur Begründung hat es ausgeführt, schon der Gesetzeswortlaut des hier anzuwendenden § 112 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zeige, daß der Gesetzgeber bewußt und gewollt auf den Zeitpunkt der letzten Abrechnung vor Beginn der Maßnahme abgestellt habe und deshalb rückwirkende tarifliche Lohnerhöhungen nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Dies entspreche auch einem allgemeinen in der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung geltenden Grundsatz, daß bei der Beitrags- und Leistungsberechnung von klaren Verhältnissen ausgegangen werden müsse. Auch die Härteregelung des § 112 Abs. 7 AFG könne nicht angewandt werden. Eine unbillige Härte liege schon deswegen nicht vor, weil dieser Erfolg vom Gesetz bezweckt sei.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß zu dem "erzielten" Arbeitsentgelt im Sinne von § 112 Abs. 2 AFG auch eine rückwirkende tarifliche Lohnerhöhung zu rechnen sei, da die Gegenleistung hierfür bereits im Abrechnungszeitraum erbracht worden sei. Auf den tatsächlich abgerechneten Betrag könne schon deshalb nicht abgestellt werden, weil dann auch Arbeitsentgelt unberücksichtigt bleiben müsse, das aufgrund einer fehlerhaften Abrechnung nicht in der Abrechnung ausgewiesen sei. Außerdem sei bei einer solchen Auslegung keine Rechtfertigung mehr vorhanden, von der Nachzahlung aufgrund tariflicher Erhöhung Beiträge zu erheben. Die Nichtberücksichtigung von Tariferhöhungen sei nicht damit zu rechtfertigen, daß die Sozialversicherung mit klaren Verhältnissen arbeiten müsse. Das Schweben von Tarifverhandlungen sei regelmäßig bekannt. Die sich hieraus ergebende Ungewißheit sei für die Verwaltung von wesentlich geringerer Bedeutung als die Verringerung des Unterhaltsgeldes für den Kläger.
Der Kläger beantragt dem Sinne nach,
das Urteil des LSG aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie stützt sich im wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß für die Berechnung des dem Kläger zustehenden Unterhaltsgeldes nach § 44 Abs. 2 AFG in der bis 31. Dezember 1975 geltenden Fassung iVm § 112 AFG rückwirkende tarifliche Lohnerhöhungen, die erst nach Ablauf des letzten abgerechneten Lohnzahlungszeitraumes vereinbart werden, nicht zu berücksichtigen sind. Nach § 112 Abs. 2 und 3 AFG, der auch im Rahmen des § 44 Abs. 2 anzuwenden ist, ist das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das in den letzten am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Lohnabrechnungszeiträumen, die mindestens 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassen müssen, erzielt wurde. Hierbei ist nur das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das dem Kläger nach dem vor seinem Ausscheiden bestehenden Gehaltsanspruch zu zahlen war. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wird auf die "abgerechneten" Lohnabrechnungszeiträume abgestellt. Der Berechnung kann daher nur dasjenige Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werden, das überhaupt abgerechnet werden konnte. Der Einwand des Klägers, daß sich dann auch ein Berechnungsfehler negativ für den Arbeitnehmer auswirken würde, vermag diese Auslegung nicht zu beeinflussen, weil auch das fehlerhaft berechnete Arbeitsentgelt jedenfalls bis zum Ende des Abrechnungszeitraums verdient war und abgerechnet werden konnte. Dies ist bei Tariflohnerhöhungen, die erst nach Ablauf des Abrechnungszeitraums rückwirkend vereinbart werden, nicht der Fall.
Eine solche Auslegung widerspricht entgegen der Auffassung des Klägers nicht Sinn und Zweck der Vorschrift. Durch die Regelung des § 112 AFG soll ersichtlich von den vor Beginn der Maßnahme oder der Arbeitslosigkeit bestehenden Einkommensverhältnissen ausgegangen werden und die Beibehaltung des bisherigen Lebensstandards in einem gewissen näher bestimmten Umfang gesichert werden. Hierbei ist Einkommen unbeachtlich, das in dieser Zeit tatsächlich noch nicht zur Verfügung stehen konnte. Mit Recht hat das LSG außerdem darauf hingewiesen, daß die Gesetzesfassung dazu dienen soll, klare Verhältnisse für die Berechnung der Leistungen zu sichern, damit eine raschere Feststellung der zu gewährenden Leistungen ermöglicht wird. Dies ergibt sich auch aus den Motiven, die der Eingrenzung auf "abgerechnete" Lohnabrechnungszeiträume durch das 7. Änderungsgesetz zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 10. März 1967 (BGBl I 266) zugrunde lagen (BT-Drucks. zu Drs V/1420, II, 1, g, S. 3). Im übrigen entspricht es einem feststehenden Grundsatz auch des Sozialversicherungsrechts, daß aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Zügigkeit der Abwicklung von Ansprüchen rückwirkende Lohnveränderungen frühestens von dem Zeitpunkt an berücksichtigt werden können, in dem sie vereinbart worden sind. Das gilt nicht nur für das Beitragsrecht (BSGE 22, 162; 24, 262), sondern auch für das Leistungsrecht sowohl im Bereich der Krankenversicherung (BSGE 36, 59) als auch für die Gewährung von Kurzarbeitergeld (BSGE 28, 231) und die Gewährung von Arbeitslosengeld (RVA AN 1930, 48; EuM 20, 432; BSGE 12, 55; BSG SozR Nr. 3 zu § 90 AVAVG). Die Geltung dieses Grundsatzes auch im Rahmen des § 112 AFG hat der Senat in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 31. August 1976 - 12/7 RAr 57/74 - noch einmal für den Bereich der Berechnung von Arbeitslosengeld bestätigt. Es besteht keine Veranlassung, für die Berechnung von Unterhaltsgeld hiervon abzuweichen.
Zutreffend hat das LSG ferner entschieden, daß für die Anwendung von § 112 Abs. 7 AFG kein Raum ist. Von einer unbilligen Härte kann nur dann die Rede sein, wenn bei der Regelberechnung wegen besonders ungünstiger Umstände ein Lohn zugrunde gelegt werden müßte, der die bisherigen Einkommensverhältnisse nicht richtig widerspiegelt. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Schließlich kann der Umstand, daß von dem rückwirkend gezahlten Arbeitsentgelt Beiträge zu zahlen sind, zu keiner anderen Beurteilung führen. Die Sozialversicherung und die Arbeitslosenversicherung sind nicht streng nach Leistung und Gegenleistung organisiert. Sie orientieren sich vielmehr an der solidarischen Vorsorge für die jeweils versicherten Risiken des Arbeitslebens. Es kann deshalb auch nicht der Grundsatz gelten, daß bei der Leistungsberechnung stets das gesamte Arbeitsentgelt zu berücksichtigen ist, das der Beitragsberechnung zugrunde lag.
Verfassungsrechtliche Bedenken sind, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nicht ersichtlich. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie die Sozialversicherung enthält und wie sie insbesondere im Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung von Fragen der Versicherungspflicht notwendig ist, sind typisierende Regelungen auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Grundsatz als zulässig angesehen worden (vgl. zB BVerfG 9, 20, 32; 11, 50, 60; 11, 245, 253; 17, 1, 23; 23, 135, 146; 24, 220, 235). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des BVerfG hat der erkennende Senat (Urteil vom 22. April 1970 - Az.: 12 RJ 546/65 - SozR HwVG vom 8. September 1960 § 1 Nr. 6) entschieden, es müsse bei der in der Sozialversicherung zulässigen generalisierenden Betrachtungsweise zwangsläufig unberücksichtigt bleiben, ob im Einzelfall ein Vor- oder Nachteil mit der Regelung einer für einen umfangreichen Personenkreis bestimmten Versicherungspflicht verbunden ist.
Der vorliegende Fall bietet keine Besonderheiten, die es rechtfertigen, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen