Leitsatz (amtlich)
Dem in § 46 Abs 1 S 1 AFG als Voraussetzung eines Anspruchs auf Unterhaltsgeld genannten Bezug von Arbeitslosengeld steht es gleich, wenn der nach § 117 Abs 4 S 1 AFG bestehende Anspruch rechtswidrig nicht erfüllt wurde.
Normenkette
AFG § 46 Abs 1 S 1 Fassung: 1975-12-18, § 117 Abs 4 S 1 Fassung: 1982-11-04
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 26.05.1987; Aktenzeichen L 8 Al 206/86) |
SG München (Entscheidung vom 05.03.1986; Aktenzeichen S 40 Al 487/84) |
Tatbestand
Streitig ist, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) dem Kläger Unterhaltsgeld (Uhg) für eine Maßnahme der beruflichen Bildung aufgrund der vorausgegangenen Beschäftigungsdauer oder eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) für 156 Tage zu gewähren hat.
Der 1954 geborene Kläger nahm vom 19. September 1983 bis zum 2. August 1985 mit einer Unterbrechung aus familiären Gründen vom 7. bis zum 11. Dezember 1983 an einer von der beklagten BA durch Übernahme der Fahrkosten geförderten Maßnahme der beruflichen Bildung teil. Er war in der Zeit vom 19. September 1980 bis zum 18. September 1983 an 624 Tagen beschäftigt. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Uhg ab, da der Kläger innerhalb der letzten drei Jahre vor Beginn der Maßnahme nicht mindestens zwei Jahre lang eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt und auch nicht Alg bezogen habe (Bescheid vom 15. Februar 1984; Widerspruchsbescheid vom 4. April 1984).
Die Klage und die vom Sozialgericht (SG) zugelassene Berufung blieben erfolglos (Urteil des SG vom 5. März 1986; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 26. Mai 1987).
Mit der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 46 Abs 1 Satz 1 zweite Alternative des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Mai 1987 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 5. März 1986 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, Uhg für die Dauer der Teilnahme am Schulungslehrgang ab dem 19. September 1983 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hatte im Sinne einer Rückverweisung Erfolg.
Nach § 46 Abs 1 Satz 1 AFG wird ua Uhg nach § 44 Abs 2 und 2a Antragstellern gewährt, "die innerhalb der letzten drei Jahre vor Beginn der Maßnahme mindestens zwei Jahre lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt oder Alg aufgrund eines Anspruchs von einer Dauer von mindestens 156 Tagen oder im Anschluß daran Arbeitslosenhilfe bezogen haben". Die Vorschrift ist durch das Haushaltsstrukturgesetz-AFG (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I S 3113) in das AFG eingefügt worden. Ihre Änderung durch das 7. AFG-ÄndG vom 20. Dezember 1985 (BGBl I S 2484) mit Wirkung ab 1. Januar 1986 ist hier schon nach dem zeitlichen Geltungsbereich, aber auch nach ihrem Inhalt, der Einbeziehung des hier nicht betroffenen Teil-Uhg iS des § 44 Abs 2b AFG, ohne Bedeutung.
Der Kläger weist die in der ersten Alternative geforderte Beschäftigungszeit nicht auf. Er war nach der Feststellung des LSG innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist lediglich an 624 - statt 730 - Tagen beschäftigt. Eine solche Fristunterschreitung kann jedenfalls nicht generell als geringfügig außer acht bleiben.
Dem in der zweiten Alternative des § 46 Abs 1 Satz 1 AFG geforderten Bezug von Alg aufgrund eines Anspruchs von einer Dauer von mindestens 156 Tagen steht es nicht gleich, daß der Kläger aufgrund der Vorbeschäftigung von 624 Tagen im Falle der Arbeitslosigkeit bei Beginn der Maßnahme Alg erhalten hätte, wobei die Anspruchsdauer nach § 106 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I S 1857) 156 Tage betragen hätte. Die damit unmittelbar vor dem Beginn der Maßnahme bestehende Anwartschaft, im Falle einer Arbeitslosigkeit verbunden mit einer Arbeitslosmeldung und einem Leistungsantrag, Alg für die Dauer von 156 Tagen zu erhalten, kann dem tatsächlichen Bezug der Leistung nicht gleichgestellt werden. Würde die für eine Anspruchsdauer von mindestens 156 Tagen genügende beitragspflichtige Beschäftigung von mindestens 540 Kalendertagen (§ 106 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG idF des Haushaltsstrukturgesetzes 1983) in den letzten vier Jahren ausreichen, um nach der zweiten Alternative des § 46 Abs 1 Satz 1 AFG einen Anspruch auf Uhg zu begründen, so bliebe für die erste Alternative dieser Vorschrift, die eine Beschäftigungszeit von zwei Jahren innerhalb der letzten drei Jahre fordert, kein Anwendungsbereich. Die zweite Alternative setzt danach zur Abgrenzung von der ersten Alternative zumindest zusätzlich voraus, daß der Antragsteller innerhalb der Rahmenfrist arbeitslos war, sich arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hatte.
Das LSG hat sich mit der Feststellung begnügt, daß der Kläger tatsächlich weder Alg noch Alhi bezogen habe. Der Kläger hat nach seinen Angaben im Verwaltungsverfahren allerdings bereits am 24. August 1983 Alg beantragt, nachdem er am 8. August zum 9. August 1983 gekündigt worden war. Nachdem er in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 4. November 1983 mit dem Arbeitgeber vereinbart hatte, daß sein Arbeitsverhältnis zum 19. September 1983 (dem Beginn der Umschulung) ende, lehnte die Beklagte den Alg-Antrag mit der Begründung ab, daß vor Beginn der Bildungsmaßnahme keine Arbeitslosigkeit bestanden habe. Zu diesem Vorbringen enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Damit war das LSG ersichtlich der Auffassung, daß auch ein solcher Tatbestand dem in § 46 Abs 1 Satz 1 zweite Alternative AFG geforderten tatsächlichen Bezug von Alg nicht gleichstehe. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen. Wird ein solcher Sachverhalt unterstellt, so hatte der Kläger bei Beginn der Bildungsmaßnahme im Hinblick auf § 117 Abs 4 AFG Anspruch auf Alg für die Zeit vom 24. August bis zum 18. September 1983. Ein solcher Anspruch begründet wie der tatsächliche Bezug der Leistung den Anspruch auf Uhg.
Der Kläger war bei Zugrundelegung des angeführten Sachverhalts aufgrund der zum 9. August 1983 ausgesprochenen Kündigung seines Arbeitgebers arbeitslos, obgleich die Kündigung unwirksam war und das Arbeitsverhältnis gemäß dem gerichtlichen Vergleich erst zum 19. September 1983 beendet wurde. Das Beschäftigungsverhältnis iS des § 101 Abs 1 AFG endet nach ständiger Rechtsprechung, wenn der Arbeitgeber seine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer nicht mehr beansprucht, so daß ein Arbeitnehmer regelmäßig von dem Zeitpunkt an arbeitslos ist, zu dem der Arbeitgeber aufgrund einer von ihm ausgesprochenen Kündigung das Arbeitsverhältnis als beendet ansieht, auch wenn dieses rechtlich weiterbesteht (BSGE 60, 168, 170 = SozR 4100 § 117 Nr 16). Diese Rechtsprechung sichert in derartigen Fällen die alsbaldige Zahlung von Alg (oder Alhi) an den plötzlich ohne Arbeitseinkommen dastehenden Arbeitnehmer und ist durch die Regelung des § 117 AFG geboten (BSGE SozR 4100 § 117 Nrn 18 und 20).
Der damit durch Arbeitslosmeldung und Antragstellung begründete Anspruch auf Alg ruht allerdings nach § 117 Abs 1 AFG in der Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt zu beanspruchen hat. Das Alg wird jedoch nach § 117 Abs 4 Satz 1 AFG in der ab dem 1. Juli 1983 geltenden Fassung durch das Gesetz vom 4. November 1982 (BGBl S 1450) auch in der Zeit gewährt, in der der Anspruch auf Alg ruht, soweit der Arbeitslose die in Abs 1 bis 2 genannten Leistungen tatsächlich nicht erhält. Die BA hat ihre ursprünglich geäußerte Vermutung, der Kläger habe durch vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben, so daß eine Sperrzeit eingetreten sei, nach dem Abschluß des arbeitsgerichtlichen Vergleichs über die Unwirksamkeit der Kündigung nicht mehr aufrechterhalten, so daß hierauf nicht mehr einzugehen ist.
Hätte die Beklagte bis zum Beginn der Maßnahme den Anspruch auf Alg erfüllt, so hätte der Kläger nach § 46 Abs 1 Satz 1 zweite Alternative AFG Anspruch auf Uhg für die Dauer der Maßnahme gehabt. Alg-Bezug iS dieser Vorschrift ist auch der "GleichwohlBezug". Dieser ist rechtmäßiger Alg-Bezug und bleibt das auch bei späterer Nachzahlung des Entgelts (BSGE 60, 168, 172 = SozR 4100 § 117 Nr 18). Er hat allgemein die Folgen einer Alg-Zahlung, etwa für die Bestimmung der Rahmenfrist, des maßgebenden Bemessungsentgelts (SozR 4100 § 117 Nr 19) sowie der Bezugsdauer (SozR 4100 § 117 Nr 20). Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber später das Arbeitsentgelt an die BA oder an den Arbeitnehmer zahlt; eine solche Zahlung bewirkt lediglich, daß der erfolgte "Gleichwohl-Bezug" aus Billigkeitsgründen nicht auf die Bezugsdauer angerechnet wird (SozR 4100 § 117 Nr 20 S 108, BSG Urteil vom 29. November 1988 - 11/7 RAr 79/87 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Der für den Fall der Entgeltzahlung an den Arbeitslosen der BA in § 117 Abs 4 Satz 2 AFG in der seit dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz - AFKG - vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1497) eingeräumte Anspruch auf Erstattung des Alg hat seinen Grund darin, daß in diesen Fällen nicht eigentlich Alg erstattet, sondern in Wirklichkeit das Arbeitsentgelt in Höhe des Alg an die BA als Inhaber des übergegangenen Entgeltsanspruches gezahlt wird; dementsprechend setzt der Erstattungsanspruch die Aufhebung des Bewilligungsbescheides nach ständiger Rechtsprechung nicht voraus (BSGE 60, 168, 172 = SozR 4100 § 117 Nr 16; aaO Nrn 18, 19 und 20).
Rechtlich unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der nach Abschluß des arbeitsgerichtlichen Vergleichs ergangene Bescheid der Beklagten über die Ablehnung des beantragten Alg bindend geworden ist. Hatte der Kläger bei Bescheiderteilung das Arbeitsentgelt für die Zeit bis zum Beginn der Bildungsmaßnahme bereits erhalten, so schloß das im Zeitpunkt der Erteilung des Ablehnungsbescheides einen Anspruch auf Zahlung von Alg aus. Die Zahlung des Arbeitsentgelts an den Arbeitnehmer beseitigt einen im Zeitpunkt der Zahlung noch nicht erfüllten Anspruch auf Gleichwohl-Gewährung (BSG SozR 4100 § 117 Nr 21 S 117). Die Beklagte hat daher nach der Zahlung des Arbeitsentgelts zu Recht Alg abgelehnt. Sie hat damit aber nicht bindend entschieden, daß dem Kläger auch vor der Nachzahlung des Arbeitsentgelts aufgrund des arbeitsgerichtlichen Vergleichs kein Alg zugestanden habe. Die Beklagte hat allerdings den Ablehnungsbescheid nach dem vom LSG als rechtsunerheblich angesehenen Vorbringen - unrichtigerweise - damit begründet, daß vor Beginn der Umschulung keine Arbeitslosigkeit bestanden habe. Eine solche Begründung wird jedoch selbst nicht bindend (vgl zur Alg-Ablehnung wegen Ruhens des Anspruchs BSG SozR 4100 § 117 Nr 21 S 112).
Die Beklagte ist schon unter dem Gesichtspunkt des von der Rechtsprechung entwickelten Herstellungsanspruchs verpflichtet, den Kläger hinsichtlich des Anspruchs auf Uhg so zu stellen, als ob sie das Alg rechtzeitig, jedenfalls vor der Entgeltzahlung im November 1983, bewilligt und gewährt hätte. Dem steht die Zielsetzung des § 46 Abs 1 Satz 1 AFG nicht entgegen. Diese Vorschrift soll ausschließen, daß auch Antragsteller Leistungen erhalten, die entweder überhaupt nicht oder nur kurzfristig oder in lang zurückliegender Zeit Beiträge zur BA entrichtet haben (BT-Drucks 7/4127 S 51). Hierfür kommt es auf die Beitragsentrichtung und den Anspruch auf Alg, nicht aber darauf an, ob die Beklagte ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, insbesondere im Hinblick auf die vom Gesetzgeber erstrebte Gleichbehandlung der Beitragszahler (BT-Drucks 7/4243 S 9). Das rechtfertigt es, in entsprechender Anwendung der Vorschrift auch unabhängig von einem Herstellungsanspruch anstelle des geforderten Alg-Bezuges einen entsprechenden Alg-Anspruch genügen zu lassen; ob auch ein ruhender Alg-Anspruch ausreicht (verneinend Knigge/Ketelsen ua, AFG, § 46 Anm 6; GK-AFG § 46 RdNr 13), kann hier offenbleiben.
Der streitige Anspruch auf Uhg scheitert auch nicht daran, daß der Zeitraum, für den der Kläger Alg beanspruchen konnte, weder allein noch bei Zusammenrechnung mit der Beschäftigungszeit zwei Jahre beträgt, da der Bezug von Alg auch für nur einen Tag ausreicht (BSG SozR 4100 § 46 Nr 6; zustimmend Berlinger AuB 1986, 331; Hennig/Kühl/Heuer, AFG, § 46 Anm 4). Das gilt auch für den Gleichwohl-Bezug, obgleich hier das beitragspflichtige Beschäftigungsverhältnis fortbesteht (BSGE 59, 183, 186 = SozR 4100 § 168 Nr 19). Das Ergebnis, daß für den Leistungsempfänger unter diesen Umständen eine Zeit der Arbeitslosigkeit günstiger als eine gleichlange Beschäftigungszeit ist, kann nicht als sinnwidrig und deshalb nicht gewollt angesehen werden, da die Förderung der beruflichen Bildung vornehmlich den Arbeitslosen und den von Arbeitslosigkeit Bedrohten angeboten wird (vgl § 44 Abs 2 Satz 2 Nrn 1 und 2 AFG). Daher verbleibt der Senat bei seiner Auffassung, daß Wortlaut und Sinn der Regelung eine andere Auslegung nicht zulassen (BSG SozR 4100 § 46 Nr 6).
Der Rechtsstreit war deshalb an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.
Fundstellen