Entscheidungsstichwort (Thema)
Senatsbesetzung im Verfahren vor dem Landessozialgericht
Orientierungssatz
Die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern in einem Senat eines LSG - unabhängig davon, ob es sich um einen ordentlichen oder einen sogenannten Zeitsenat handelt - ist vorschriftswidrig und bildet einen wesentlichen Verfahrensmangel iS von § 160 SGG.
Normenkette
SGG §§ 30, 33-34, 210, 160 Nr. 3
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 21.04.1959) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 21. April 1959 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin beansprucht die Gewährung einer Rente aus der Rentenversicherung der Angestellten wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte den hierauf gerichteten Antrag ab, weil die Klägerin nach dem Ergebnis einer fachärztlichen Untersuchung noch nicht berufsunfähig sei (Bescheid vom 17.1.1956). Das Sozialgericht und das Landessozialgericht bestätigten die Entscheidung der Beklagten. Das Urteil des Landessozialgerichts erging in der Besetzung des Senats mit einem Senatspräsidenten als Vorsitzendem, zwei Sozialgerichtsräten als weiteren Berufsrichtern und zwei Landessozialrichtern als ehrenamtlichen Beisitzern. In den Gründen des Urteils ist u.a. ausgeführt, der Senat habe geprüft, ob er vorschriftsmäßig besetzt sei, wenn ihm zwei Sozialgerichtsräte als Hilfsrichter angehörten; er habe dies bejaht, nach seiner Auffassung genüge die Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern allein nicht für die Annahme einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Spruchkörpers. Im Hinblick auf das entgegenstehende Urteil des 10. Senats des Bundessozialgerichts vom 4. Februar 1959 (BSG. 9 S. 137) ließ das Landessozialgericht die Revision zu (Urteil vom 21.4.1959).
Die Klägerin legte gegen das ihr am 27. Mai 1959 zugestellte Urteil am 27. Juni 1959 Revision ein mit dem Antrag, unter Aufhebung der Urteile des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts ihr die Rente vom 1. September 1954 an zuzusprechen. Sie begründete die Revision (nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 27.8.1959) am 14. August 1959. Sie rügte als wesentlichen Mangel des Verfahrens eine Verletzung der Vorschriften in den §§ 30, 33 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); der Senat des Landessozialgerichts sei insofern nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, als die beiden beisitzenden Berufsrichter nicht Landessozialgerichtsräte, d.h. ständige Mitglieder des Landessozialgerichts, sondern Hilfsrichter gewesen seien. In der Sache selbst habe das Landessozialgericht die Vorschriften in § 23 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) n.F. und in § 27 AVG a.F. unrichtig angewandt.
Die Beklagte beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet.
Der Senat eines Landessozialgerichts muß mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei Landessozialrichtern als ehrenamtlichen Beisitzern besetzt sein (§§ 33, 34 210 SGG). An der angefochtenen Entscheidung haben als weitere Berufsrichter zwei Sozialgerichtsräte, die damals Hilfsrichter beim Landessozialgericht waren, mitgewirkt. Das war nicht zulässig. Die Rechtsordnung sieht zur Durchsetzung von Ansprüchen aus der Sozialversicherung drei Instanzen vor (§§ 2, 87, 143, 160 SGG). Die Spruchkörper jedes Gerichts in jeder Instanz müssen - abgesehen von den ehrenamtlichen Beisitzern - in der Regel aus den ordentlichen Mitgliedern dieses Gerichts gebildet werden. Die Mitwirkung von Hilfsrichtern in den Kammern und Senaten soll eine Ausnahme sein; das folgt aus dem Wortlaut des Gesetzes (§ 11 Abs. 3 SGG in Verbindung mit § 10 Abs. 2 GVG), aus der grundsätzlichen Unversetzbarkeit der Richter (Art. 97 des Grundgesetzes - GG -) und ergibt sich besonders deutlich daraus, daß die Mitwirkung von Hilfsrichtern bereits in der zweiten Instanz auf Richter, die bei einem anderen Gericht auf Lebenszeit ernannt sind, beschränkt und für die dritte Instanz überhaupt nicht vorgesehen ist (§§ 32, 40, 210 SGG). Der Rechtsuchende kann erwarten, daß in den Kammern und Senaten des für ihn zuständigen Gerichts jeweils möglichst nur Richter dieses Gerichts mitwirken und daß insbesondere beim Instanzgericht grundsätzlich Richter entscheiden, die planmäßig zu dieser Instanz gehören. Das Bundessozialgericht legt deshalb die Vorschriften, nach denen bei Entscheidungen ausnahmsweise Hilfsrichter mit tätig werden dürfen, eng aus und hat bereits mehrfach entschieden, daß die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern in einem Senat eines Landessozialgerichts - unabhängig davon, ob es sich um einen ordentlichen oder einen sogenannten Zeitsenat handelt - vorschriftswidrig ist (BSG. 9 S. 137; SozR. § 210 SGG Bl. Da 1 Nr. 4, ferner Urteil vom 25.2.1960 - 7 RAr 34/57 - und Beschluß vom 15.9.1959 - 8 RV 301/59 -). Es ist dabei mit von der Erwägung ausgegangen, daß die gleichzeitige Verwendung von zwei Hilfsrichtern mit den strengen Vorschriften der Gerichtsordnungen über die Besetzung der Spruchkörper nicht zu vereinbaren sei und daß dadurch leicht das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Rechtsprechung beeinträchtigt werden könnte. Von der gleichen Vorstellung über die Besetzung der Spruchkörper geht auch der Gesetzgeber aus; dies ergibt sich z.B. aus § 18 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960 (BGBl. S. 17), wonach in den Kammern und Senaten der Verwaltungsgerichte jeweils nicht mehr als ein Hilfsrichter mitwirken darf. Der erkennende Senat schließt sich - nach eigener Prüfung der Rechtslage - im Ergebnis dieser Auffassung an. Auch bei Würdigung der im angefochtenen Urteil für die Gegenmeinung angeführten Gründe und der teilweise abweichenden Rechtsprechung anderer Gerichte kommt er - wie die erwähnten Entscheidungen - zu dem Ergebnis, daß im vorliegenden Falle das Verfahren dadurch, daß der Senat des Landessozialgerichts mit zwei Hilfsrichtern besetzt war, mit einem wesentlichen Mangel behaftet ist. Ob es, wie das Landessozialgericht meint, Gründe geben kann, die die gleichzeitige Mitwirkung von zwei Hilfsrichtern in einem Spruchkörper gestatten, braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil solche Gründe im angefochtenen Urteil nicht angeführt und auch sonst nicht ersichtlich sind.
Weil bei dem angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts zwei Hilfsrichter mitgewirkt haben, muß es auf die Revision der Klägerin hin aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückverwiesen werden. Dieses wird den Rechtsstreit nochmals in vorschriftsmäßiger Besetzung zu entscheiden haben. Unter diesen Umständen kann auf die sachliche Seite des Streitfalls nicht eingegangen werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des Landessozialgerichts vorbehalten.
Fundstellen