Leitsatz (redaktionell)
Kinderzuschlag als neuer Anspruch iS des KOVNOG 1 Art 4 § 1 Abs 2:
Der Zuschlag zur Ausgleichsrente ist jedenfalls nicht Teil eines einheitlichen Anspruchs auf Ausgleichsrente in dem Sinne, daß er untrennbar mit dem "Stammrecht" verbunden war. Die selbständige Bedeutung dieses Anspruchs ergibt sich schon daraus, daß er unabhängig von der im übrigen bewilligten Ausgleichsrente abgelehnt werden konnte.
Normenkette
BVG § 33b Fassung: 1960-06-27; KOVNOG 1 Art. 4 § 1 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1963 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger erhält Versorgungsbezüge nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v. H. Für Familienangehörige, darunter die am 30. Oktober 1943 geborene Tochter Hiltrud (H.), wurde ihm die erhöhte Ausgleichsrente nach § 32 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) i. d. F. vom 1. Juli 1957 (a. F.) bewilligt. Mit Bescheid vom 25. Mai 1960 entzog das Versorgungsamt ab 1. Februar 1960 die für dieses Kind gewährte erhöhte Ausgleichsrente, weil es ein Einkommen von über 60 DM habe, sich nicht mehr im Haushalt befinde und deshalb nicht mehr im Sinne des § 32 Abs. 3 BVG a. F. unterhalten werde. Im August 1961 bestätigte der Kläger dem Versorgungsamt, das ihn über seine Ansprüche nach § 33 b BVG i. d. F. des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) - a. F. - unterrichtet hatte, auf Anfrage, daß seine Tochter noch lebe. Auf seinen im Oktober 1961 förmlich gestellten Antrag, den Kinderzuschlag nach § 33 b BVG n. F. rückwirkend ab 1. Juni 1960 zu bewilligen, wurde der Kinderzuschlag für die Tochter mit Bescheid vom 20. Februar 1962 vom 1. Oktober bis 31. Oktober 1961 bewilligt und für die spätere Zeit abgelehnt, weil die Ausbildung der H. auf der Bibel- und Missionsschule keine Ausbildung im Sinne des BVG sei. Der Widerspruch, mit dem lediglich der Kinderzuschlag ab 1. Juni 1960 geltend gemacht wurde, war erfolglos. Das Sozialgericht (SG) verurteilte unter Änderung der Bescheide mit Urteil vom 6. Februar 1963 den Beklagten, den Kinderzuschlag auch für die Zeit vom 1. August bis 30. September 1961 zu gewähren und wies im übrigen die Klage ab. Es ließ die Berufung zu. Mit Urteil vom 27. November 1963 wies das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zurück und ließ die Revision zu. Der Kinderzuschlag nach § 33 b BVG n. F. stehe dem Kläger, da der Antrag nicht binnen 6 Monaten nach Verkündung des 1. NOG gestellt worden sei (Art. IV § 1 Abs. 2 Satz 2 des 1. NOG) erst vom Beginn des Antragsmonats an zu. Nach Art. IV § 1 Abs. 1 Satz 1 des 1. NOG hätten von Amts wegen nur laufende Versorgungsbezüge neu festgestellt werden können, wenn sie entweder eine Änderung erfahren hätten oder an Stelle von bisher gewährten laufenden Versorgungsbezügen zu zahlen waren. Um eine solche Leistung habe es sich hier nicht gehandelt, da für die Tochter bei Inkrafttreten des 1. NOG keine Versorgungsbezüge gezahlt worden seien. In Art. IV § 1 des 1. NOG sei zwar nicht mehr von "neuen Leistungen" die Rede wie in Art. II Satz 2 des Sechsten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes vom 1. Juli 1957. Mit der Bestimmung, daß nur laufende Versorgungsbezüge neu festgestellt werden sollten, habe der Gesetzgeber aber offenbar zum Ausdruck bringen wollen, daß ein besonderer Antrag erforderlich sei, wenn sich die Gewährung der Leistung nach dem 1. NOG nicht von selbst auf Grund der laufenden Versorgungsbezüge und ohne Nachprüfung des gesamten Akteninhalts ergab.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 33 b BVG i. d. F. des 1. NOG und des Art. IV § 1 des 1. NOG. Das LSG hätte sich für seine Auffassung, daß der Anspruch auf den Kinderzuschlag nach § 33 b BVG n. F. nur auf Antrag festzustellen sei, nicht auf das Urteil des BSG in BSG 17, 105 beziehen dürfen. Diese Entscheidung betreffe die Gewährung von Elternrente auf Grund des Sechsten Änderungsgesetzes (ÄndG) zum BVG, also einen selbständigen Versorgungsanspruch, den der Berechtigte bereits nach dem Fünften ÄndG erheben konnte. Im vorliegenden Falle handele es sich nicht um einen solchen selbständigen Versorgungsanspruch, sondern um den Zuschlag zur Ausgleichsrente, der auch nach dem früher geltenden Recht als Familienerhöhung an die Ausgleichsrente gebunden war. Zutreffend sei in dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 21. Juni 1960 die Ausgleichsrente mit Zuschlägen als ein einheitlicher Anspruch ausgewiesen. Bezogen auf den Ausgleichsrentenanspruch einschließlich des Zuschlags hätte deshalb der Anspruch von Amts wegen neu festgestellt werden müssen. Durch das 1. NOG seien nur die rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Kinderzuschlags zur Ausgleichsrente, des Stammanspruchs, geändert worden. Die tatsächlichen Voraussetzungen seien aktenkundig gewesen. Daraus habe sich für die Versorgungsverwaltung die Verpflichtung ergeben, den Anspruch von Amts wegen festzustellen.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des LSG vom 27. November 1963 nach seinem Berufungsantrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Art. IV § 1 Abs. 1 des 1. NOG könne nicht extensiv ausgelegt werden und kenne auch nicht den Begriff des selbständigen Anspruchs. Die Versorgungsverwaltung habe für die Neufeststellung bisher gewährter laufender Versorgungsbezüge von Amts wegen nur den letzten Bescheid darauf zu überprüfen, welche Leistungsmerkmale er für laufende Leistungen enthalte. Sie sei nicht verpflichtet, zur Neuberechnung von Rente ein eingehendes Aktenstudium vorzunehmen.
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und daher zulässig. Sachlich ist sie nicht begründet.
Streitig ist, ob der Kinderzuschlag für die Tochter H. dem Kläger vom 1. Juni 1960, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des 1. NOG bis 31. Juli 1961 nach § 33 b BVG n. F. zu gewähren ist. Nach Art. IV § 1 Abs. 1 des 1. NOG werden die bisher gewährten laufenden Versorgungsbezüge, soweit sie durch dieses Gesetz eine Änderung erfahren, von Amts wegen neu festgestellt. Das gilt nach § 1 Abs. 1 Satz 2 auch für Leistungen, die anstelle von bisher gewährten laufenden Versorgungsbezügen zu zahlen sind, soweit sich aus den nachfolgenden Vorschriften nichts anderes ergibt. Im übrigen werden neue Ansprüche, die sich aus diesem Gesetz ergeben, nur auf Antrag festgestellt (Art. IV § 1 Abs. 2 Satz 1 des 1. NOG). Im vorliegenden Fall würde der Kinderzuschlag, wenn es sich hierbei um einen neuen Anspruch nach Art. IV § 1 Abs. 2 des 1. NOG handelt, der nur auf Antrag festzustellen ist, nicht rückwirkend vom 1. Juni 1960 gewährt werden können, weil der Kläger den Antrag jedenfalls nicht früher als im August 1961 gestellt hat, also später als 6 Monate nach Verkündung des 1. NOG am 1. Juli 1960 (vgl. Art. IV § 1 Abs. 2 Satz 2 NOG). Die Entscheidung hängt somit davon ab, ob der Kinderzuschlag nach § 33 b BVG n. F. zu den bisher gewährten laufenden Versorgungsbezügen, die von Amts wegen neu festgestellt werden, gehört oder ob er ein neuer Anspruch im Sinne des Art. IV § 1 Abs. 2 des 1. NOG ist.
Der Vorschrift des § 88 BVG a. F. und den Änderungsgesetzen zum BVG liegt bereits die Unterscheidung zwischen den - meist näher bezeichneten - anerkannten Ansprüchen und den neuen Ansprüchen oder neuen Leistungen, die nur auf Antrag festzustellen sind, zugrunde (vgl. Art. III Nr. 4 des Zweiten ÄndG zum BVG - BGBl 1953 I 862 -; Art. V Nr. 1 und 2 des Dritten ÄndG - BGBl 1955 I 25 -; Art. II Nr. 1 und 2 des fünften ÄndG - BGBl 1956 I 463 -; Art. II Satz 1 und 2 des Sechsten ÄndG - BGBl 1957 I 661). Das Bundessozialgericht (BSG) hat in mehreren Entscheidungen zu dem Begriff des neuen Versorgungsanspruchs im Sinne des § 88 BVG a. F. Stellung genommen. Es hat ausgesprochen, daß unter neuen Versorgungsansprüchen jedenfalls Ansprüche zu verstehen sind, deren tatsächliche Voraussetzungen - abgesehen von dem Antragserfordernis - auch schon vor dem Inkrafttreten des BVG erfüllt waren, deren rechtliche Voraussetzungen aber erst durch das BVG "neu" geschaffen worden sind (BSG 4, 291, 293; 7, 118 (120), 189). Wurde ein Antrag nicht gestellt, obgleich schon nach bisherigem Versorgungsrecht die Möglichkeit hierzu bestanden hat, so handelt es sich nicht um einen neuen Versorgungsanspruch (BSG 7, 187, 190; 17, 106). Das gilt auch für die in Art. II des Sechsten ÄndG zum BVG als "neue Leistungen" bezeichneten Ansprüche. Als neue Leistungen sind nur solche anzusehen, die ihrer Art nach auf Grund des früheren Rechts - bei rechtzeitiger Antragstellung - nicht gewährt werden konnten (BSG 17, 105). Eine Änderung der Leistung lediglich im Zahlbetrag infolge Erhöhung der Einkommensgrenzen war keine neue Leistung im Sinne dieser Vorschrift (BSG 17, 108, 109). Daraus ergab sich in dem in BSG 17, 105 entschiedenen Fall, daß die Elternrente von Amts wegen nach dem Sechsten ÄndG hätte festgestellt werden müssen, wenn ein Antrag auf Elternrente nach dem Fünften ÄndG mit Erfolg gestellt worden wäre (BSG 17, 109). Art. IV § 1 Abs. 1 des 1. NOG bestimmt, in der Fassung abweichend von vergleichbaren früheren Vorschriften, daß von Amts wegen nur die bisher gewährten laufenden Versorgungsbezüge neu festgestellt werden, soweit sie eine Änderung erfahren haben. Damit sind die Voraussetzungen der Neufeststellung von Amts wegen schärfer und bestimmter angegeben als in den früheren Übergangsvorschriften. Diese Fassung läßt deshalb eine weitere Auslegung als die früheren Bestimmungen nicht zu. Für die Frage der Neufeststellung von Amts wegen bedarf es in jedem Einzelfall der Prüfung, ob Versorgungsbezüge dieser Art bereits laufend gewährt und ob sie durch das 1. NOG geändert wurden. Dabei sind auch solche Leistungen zu berücksichtigen, die an Stelle von bisher gewährten laufenden Versorgungsbezügen zu zahlen sind. Im vorliegenden Fall ist zwar der Kinderzuschlag nach § 33 b BVG n. F. an die Stelle der früher nach den §§ 32 Abs. 3, 33 Abs. 1 BVG a. F. gewährten erhöhten Ausgleichsrente getreten. Die erhöhte Ausgleichsrente für H. war aber durch Bescheid vom 25. Mai 1960 ab 1. Februar 1960 abgelehnt worden, weil die Voraussetzungen hierzu nicht als erfüllt angesehen wurden. Der Kläger erhielt somit keine laufenden Versorgungsbezüge dieser Art; darum war der Anspruch auf den Kinderzuschlag für die Tochter H. auch nicht von Amts wegen neu festzustellen. Daraus, daß nach § 32 Abs. 3 BVG a. F. der Anspruch auf die Beschädigten-Ausgleichsrente Voraussetzung für die Gewährung der Familienzulage war, ergibt sich nicht, daß die abgelehnte Erhöhung der Ausgleichsrente auch als Teil eines einheitlichen Anspruchs der gewährten laufenden Versorgungsbezüge aufzufassen ist. Der Anspruch auf die erhöhte Ausgleichsrente war an besondere Voraussetzungen geknüpft und stellte einen weiteren Anspruch dar, der wegen seiner besonderen Tatbestandsmerkmale von der nicht erhöhten Ausgleichsrente geschieden wurde. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Zuschlag zur Ausgleichsrente jedenfalls nicht Teil eines einheitlichen Anspruchs auf Ausgleichsrente in dem Sinne, daß er untrennbar mit dem "Stammrecht" verbunden war. Die selbständige Bedeutung dieses Anspruchs ergibt sich schon daraus, daß er unabhängig von der im übrigen bewilligten Ausgleichsrente abgelehnt werden konnte. Da Art. IV § 1 Abs. 1 des 1. NOG auf den laufenden Bezug einer Leistung abstellt, die eine Änderung erfahren hat, konnte der Kinderzuschlag nach § 33 b BVG n. F. von Amts wegen nur gewährt werden, wenn die erhöhte Ausgleichsrente für die Tochter des Klägers nach dem früheren Recht bewilligt worden wäre; nur in diesem Fall hätte es sich um eine Leistung gehandelt, die an die Stelle von bisher gewährten laufenden Versorgungsbezügen getreten war. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Rundschreiben des BMA vom 21. Juni 1960 (BVersBl. 1960 S. 109), auf das sich die Revision gestützt hat. Dort ist in Nr. 4 der Fall erwähnt, daß der Anspruch auf Ausgleichsrente nur wegen bisheriger Sicherstellung des Lebensunterhalts abgelehnt worden ist. Es wird ausgeführt, daß Versorgungsberechtigte Ausgleichsrente sowie die Zuschläge nach §§ 33 a und b BVG erhalten, wenn ihr Einkommen zahlenmäßig die Gewährung dieser Leistungen zuläßt. Aus dem zweiten Absatz des Rundschreibens ergibt sich, daß diese Leistungen eines Antrages bedürfen. Es ist nicht ersichtlich, daß nach Auffassung des BMA etwas anderes gelten soll, wenn lediglich die erhöhte Ausgleichsrente abgelehnt wurde und über den Anspruch nach § 33 b BVG n. F. zu entscheiden ist. Die in Art. IV § 1 Abs. 1 des 1. NOG getroffene Regelung ist auf ein praktisches Bedürfnis der Versorgungsverwaltung bei der Feststellung neuer oder nur erweiterter Ansprüche zurückzuführen. Soweit ein bestimmter Versorgungsanspruch schon zuerkannt war, was sich unschwer aus früheren Bescheiden feststellen ließ, sollten die Leistungen nach dem 1. NOG von Amts wegen festgestellt werden. Die Gewährung aller übrigen Leistungen sollte von einem Antrag abhängig sein. Zur Feststellung von Amts wegen genügt es darum nicht, daß die Voraussetzungen für den neuen Anspruch irgendwie aus den Akten feststellbar sind. Der Zweck, nur solche Ansprüche von Amts wegen zu berücksichtigen, die sich ohne weiteres übersehen lassen, weil sie zuerkannt wurden und deshalb aus früheren Bescheiden festgestellt werden können, würde vereitelt, wenn auch andere aus den Akten ersichtliche Vorgänge bei der Prüfung von Amts wegen in Betracht gezogen werden müßten. Eine solche Auslegung des Art. IV § 1 Abs. 1 des 1. NOG ginge überdies weit über den Wortlaut der Vorschrift hinaus.
Das LSG ist somit zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß dem Kläger nach § 60 Abs. 1 und 2 BVG n. F. ein Anspruch auf den Kinderzuschlag für seine Tochter erst von August 1961 an zusteht, weil er vorher den Antrag nicht gestellt hat. Mit Recht hat somit das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Da die Revision unbegründet ist, war sie nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen