Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Alkohol. Kausalität

 

Orientierungssatz

Es reicht für die Annahme eines unternehmensbedingten Alkoholgenusses nicht aus, daß im Rahmen der versicherten Tätigkeit ein Alkoholgenuß üblich ist.

 

Normenkette

RVO § 548

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 29.10.1968)

SG Schleswig (Entscheidung vom 22.05.1967)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. Oktober 1968 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. Mai 1967 als unzulässig verworfen wird, soweit sie Sterbegeld und Überbrückungshilfe betrifft.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Kläger begehren Hinterbliebenenrente aus der Unfallversicherung ihres am 14. Juli 1966 an den Folgen eines Verkehrsunfalles verstorbenen Ehemannes und Vaters.

Der am 7. August 1915 geborene Ehemann und Vater der Kläger war als Prokurist und Vertreter bei einer Mühlenhandelsgesellschaft GmbH tätig. In dieser Eigenschaft besuchte er am 12. Juli 1966 mit seinem eigenen Personenkraftwagen (VW 1200) mehrere Kunden. Auf der Rückfahrt verlor er gegen 15,20 Uhr in einer langgestreckten Linkskurve der Landstraße 2. Ordnung Nr. 37 von A in Richtung L die Gewalt über sein Fahrzeug und geriet dabei auf die linke Fahrbahnseite. Hier stieß er frontal mit einem ihm entgegenkommenden Personenkraftwagen zusammen. An den Folgen der dabei erlittenen Verletzungen ist er am 14. Juli 1966 verstorben. Eine am 12. Juli 1966 um 16,55 Uhr entnommene Blutprobe ergab nach dem Bericht des Instituts für gerichtliche und soziale Medizin der Universität K vom 27. Juli 1966 nach der Methode Widmark und nach der ADH-Methode einen Blutalkoholgehalt von 1,8 0/00.

Die Beklagte holte einen Bericht des Kreiskrankenhauses S in N vom 20. Juli 1966 und eine Auskunft des Wetteramtes S vom 7. Oktober 1966 ein und zog die Akten der Staatsanwaltschaft F - 9 Js 1244/66 - bei. Prof. Dr. H und Dr. von K vom Institut für gerichtliche und soziale Medizin der Universität K erstatteten auf Ersuchen der Beklagten am 31. Oktober 1966 ein Gutachten, in dem sie zu dem Ergebnis gelangten, daß bei dem Versicherten zum Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 1,9 bis 2,1 0/00 bestanden habe, die allein auf den Alkoholgenuß zurückzuführen sei. Damit sei er absolut fahruntüchtig gewesen, und diese Fahruntüchtigkeit sei nach ihrer Auffassung die allein wesentliche Ursache für das Zustandekommen des Unfalles.

Mit Bescheid vom 25. November 1966 lehnte die Beklagte Ansprüche der Kläger auf "Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente und Überbrückungshilfe" aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da der Versicherte absolut fahruntüchtig gewesen sei und dieser Umstand bei fehlendem Anhalt für andere Kausalfaktoren die allein wesentliche Ursache bilde.

Die Kläger haben Klage erhoben.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 1967 abgewiesen und u.a. ausgeführt, die durch Alkoholeinwirkung hervorgerufene Fahruntüchtigkeit des Versicherten sei die einzige rechtlich wesentliche Ursache, so daß der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis fehle.

Die Kläger haben Berufung eingelegt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 29. Oktober 1968 die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt: Daß der Versicherte zur Unfallzeit stark alkoholbeeinflußt und deshalb absolut fahruntüchtig gewesen sei, stehe durch das Ergebnis der im Institut für gerichtliche und soziale Medizin der Universität K ermittelten Blutalkoholkonzentration und die bedenkenfrei zulässige Rückrechnung vom Entnahmewert auf die Unfallzeit fest. Die von den Klägern unter Bezugnahme auf entsprechende Veröffentlichungen geäußerten Zweifel an der Zuverlässigkeit der Alkoholbestimmung aufgrund von Blutentnahmen aus einer Vene gingen fehl. Dies treffe auch auf die Bedenken gegen die bei der Rückrechnung bisher einhellig zugrunde gelegten Abbauwerte zu. Endlich gebe auch der äußere Eindruck, den die Zeugin K kurz vor dem Unfall bei ihrer verhältnismäßig kurzen Begegnung mit dem Versicherten gehabt habe, weder eine Grundlage für die Annahme, der Verunglückte sei möglicherweise ungeachtet des ermittelten Blutalkoholwertes ausnahmsweise doch noch fahrtüchtig gewesen, noch stütze sie die Vermutung, angesichts der Gegensätze zwischen Blutalkoholwert und äußerem Eindruck könne dieser Wert nicht richtig sein. Soweit sich die Kläger schließlich darauf beriefen, der Versicherte habe stets, also auch am Unfalltage, aus geschäftlichen Gründen größere Alkoholmengen zu sich nehmen müssen, rechtfertige auch das keine andere Entscheidung. Nicht jeder Alkoholgenuß während einer betrieblichen Verrichtung werde allein durch die zeitliche Übereinstimmung zu einem durch die Tätigkeit im Unternehmen bedingten. Gelten könne das vielmehr nur dann, wenn Alkoholgenuß gerade für die Durchführung der betrieblichen Aufgaben unerläßlich sei, etwa bei einem Weinprobierer. Sei dagegen das Trinken wohl geschäftsfördernd, aber nicht die eigentliche Geschäftsaufgabe, dann könne von einem unternehmensbedingten Trinken keine Rede sein. Entscheidend sei deshalb, ob der festgestellte nicht betriebsbedingte Alkoholgenuß die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sei. Der Versicherte habe auch die von der neuartigen Bereifung eines Fahrzeuges ausgehenden Schwierigkeiten gekannt und sie im nüchternen Zustande beherrscht. Besondere Gefahren und Überraschungen seien für einen Kraftfahrer, der Gürtelreifen benutze, - mindestens nach einer kurzen Anlaufzeit - auf keinen Fall zu erwarten. Ein in seinen Fahrleistungen nicht beeinträchtigter Fahrer könne hierbei die gegebene Situation jederzeit voll beherrschen. Ähnliche Erwägungen würden für das benutzte, infolge der Gewichtsverhältnisse etwas windanfällige Fahrzeug gelten, das der Versicherte seit Jahren ohne Zwischenfälle und zuletzt auch mit Gürtelreifen gefahren habe. Nichts anderes schließlich lasse sich von dem am Unfalltage herrschenden Wind sagen. Wind aus West bis Nordwest in einer Stärke von 4 bis 5 sei im ganzen Lande, insbesondere an der schleswig-holsteinischen Westküste, nichts Ungewöhnliches. Es sei auch häufig der Fall, daß der Windstrom durch Hindernisse, wie Gebäude oder Bäume, gemildert oder ganz unterbrochen werde, um dann den aus dem Windschatten heraus auf eine freie Fläche gelangenden Kraftfahrer wieder mit voller Wucht zu erfassen. Das Wissen hierum gehöre zu dem gesicherten Erfahrungsschatz jedes langjährigen Kraftfahrers. Der Senat habe keinen Zweifel, daß das auch bei dem Versicherten der Fall gewesen sei, der viele Jahre in der betreffenden Gegend mit dem Kraftwagen unterwegs gewesen sei und dabei auch mit Sicherheit die Unfallstelle - auch bei Wind - viele Male passiert habe und entsprechende Beobachtungen habe machen können. Weder der Versicherte noch irgendein anderer Kraftfahrer sei an der Unfallstelle je zuvor innerhalb der letzten etwa 7 Jahre verunglückt, jedenfalls nicht wegen des Windes, der dort häufig herrsche. Es könne also keine Rede davon sein, daß an der Unfallstelle Windverhältnisse herrschten, die unberechenbar und unvorhersehbar gewesen wären und von einem aufmerksamen Fahrer nicht hätten gemeistert werden können.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Kläger haben dieses Rechtsmittel eingelegt.

Sie sind der Auffassung, das Berufungsgericht habe zu Unrecht einen betriebsbedingten Alkoholgenuß nur dann angenommen, wenn er gerade für die Durchführung der betrieblichen Aufgaben unerläßlich sei, nicht aber schon dann, wenn er bloß geschäftsfördernd gewesen sei. Ob eine bestimmte Handlung für die Durchführung der betrieblichen Aufgaben unerläßlich oder bloß fördernd sei, werde sich wohl nie mit Sicherheit feststellen lassen. Jedenfalls aber gehörten zahllose menschliche Tätigkeiten im beruflichen Bereich zu den bloß geschäftsfördernden und nicht zu den unerläßlichen. Wenn man genau sein wollte, so wäre es nicht unerläßlich gewesen, daß der Versicherte die Landwirte zur Anbahnung von geschäftlichen Verhandlungen persönlich aufsuchte, er oder seine Firma hätten sie auch anschreiben oder antelefonieren können. Deshalb könne es nur darauf ankommen, ob eine bestimmte Tätigkeit, und sei es auch das Trinken angebotener alkoholischer Getränke, üblicherweise als geeignet angesehen werde, die geschäftlichen Zwecke zu fördern. Das Berufungsurteil sei aber noch in anderer Weise fehlerhaft. Die Schlußfolgerung des Berufungsgerichts, die Windverhältnisse, Windempfindlichkeit des benutzten VW und dessen Gürtelreifen seien nicht wesentliche Mitursache des Unfalls, verstoße gegen die Lebenserfahrung, da eine erhebliche Zahl von Unfällen auf Windeinflüssen beruhten und nicht vermieden würden, ohne daß die Fahrer unter Alkoholeinfluß ständen. Einer der vom Berufungsgericht vernommenen Zeugen hätte von zwei solchen Unfällen sogar gerade in bezug auf die Unfallstelle berichtet. Diese Lebenserfahrung und diese Aussage habe das Berufungsgericht nicht beachtet (Verstoß gegen § 128 SGG). Die Fahruntüchtigkeit sei auch nicht die einzige rechtlich wesentliche Ursache gewesen, da auch nicht betrunkene Fahrer auf die gleiche Weise verunglücken könnten. Der Versicherte möge zwar ein Ausbrechen seines Wagens unter normalen Verhältnissen beherrscht haben. Daraus ergebe sich aber noch nichts darüber, daß er ein Abweichen des Fahrzeuges infolge stark ungünstiger Windverhältnisse ebenfalls in nüchternem Zustande beherrscht hätte. Hinzu komme, daß der VW windanfällig sei. Das Berufungsgericht habe auch nicht in Rechnung gestellt, daß der Versicherte zur Zeit des Unfalls wahrscheinlich noch nicht die nötige Erfahrung über die Reaktion dieses windanfälligen Fahrzeuges nun jetzt mit Gürtelreifen gehabt habe. Das Berufungsgericht räume selbst ein, daß bei der Benutzung von Gürtelreifen mindestens eine kurze Anlaufzeit unterstellt werden müsse, was sich auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H ergebe. Die Gürtelreifen seien am 1. Juli 1966 angeschafft worden und der Unfall habe sich schon am 12. Juli 1966 ereignet. Das Berufungsgericht führe weiter aus, weder der Versicherte noch irgendein anderer Kraftfahrer sei an der Unfallstelle je zuvor innerhalb der letzten etwa 7 Jahre verunglückt, jedenfalls nicht wegen des Windes. Ausweislich des Terminsprotokolls habe das Berufungsgericht diese Informationen nur telefonisch eingeholt, so daß ihre Zuverlässigkeit nicht gewährleistet sei. Mit der Tatsache, daß diese Information mit der Aussage des ortskundigen Zeugen nicht übereinstimme, habe sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Der Ehemann und Vater der Kläger - der Versicherte - stand, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nach § 548 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Versicherungsschutz, als er mit seinem Pkw von A in Richtung L fuhr, um dort Kunden der Mühlenhandels-GmbH zu besuchen, bei der er beschäftigt war.

Der erkennende Senat ist jedoch der Auffassung des LSG beigetreten, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dieser versicherten Tätigkeit und dem Unfall nicht besteht.

Der Versicherte war bei einem Blutalkoholgehalt von weit mehr als 1,5 0/00 im Zeitpunkt des Unfalles nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats absolut fahruntüchtig (vgl. u.a. BSG 3, 116, 119; Brackmann, Handbuch der SozVers, 1. bis 7. Aufl., S. 488 b mit weiteren Nachweisen), ohne daß es hier einer Entscheidung darüber bedarf, ob diese Grenze in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) niedriger anzusetzen ist (s. BGHSt 21, 157; Brackmann aaO). Der Versicherte war durch den Alkoholgenuß, wie auch die Fahrt mit dem Wagen bis zum Unfall zeigte, allerdings nicht derartig betrunken, daß er zu keiner Arbeit mehr fähig war. Seine auf Alkoholgenuß zurückzuführende Fahruntüchtigkeit schließt deshalb nur dann den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung aus, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, daß sie als rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalles anzusehen ist (BSG 12, 242, 245; Brackmann aaO S. 486 y II). Das wäre hier nicht der Fall, wenn sich der Alkoholgenuß aus der Eigenart des Betriebes ergibt, also in einem direkten inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit des Versicherten steht (SozR Nr. 19 zu § 542 RVO aF; BSG, SGb 1958, 285, 286 mit Anmerkung von Plagemann; Brackmann aaO S. 484 e). Das LSG hat dies beim Versicherten im Ergebnis zutreffend verneint. Auch die Revision hat dies nicht dargetan. Es reicht vor allem für die Annahme eines unternehmensbedingten Alkoholgenusses entgegen der Revision nicht aus, daß im Rahmen der versicherten Tätigkeit ein Alkoholgenuß üblich ist (BSG, BB 1959, 491); Brackmann aaO; Schönberger aaO; Gunkel/Jegust, Der Arbeitsunfall, 3. Aufl. 1965, S. 49). Dies gilt auch dann, wenn üblicherweise davon ausgegangen wird, der Alkoholgenuß mit dem Kunden fördere die Geschäftsbeziehungen allgemein.

Die somit auf unternehmensfremden Alkoholgenuß zurückzuführende Fahruntüchtigkeit des Versicherten ist als rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens davon auszugehen ist, daß der Versicherte im nüchternen Zustand wahrscheinlich nicht verunglückt wäre (BSG 13, 13, 15; Brackmann aaO 488 f; Haueisen, JZ 1961, 9, 11). Das hat das LSG mit eingehender Begründung unter vergleichender Wertung der in Betracht kommenden anderen Unfallursachen ohne wesentlichen Verfahrensmangel und ohne Verletzung der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsnorm bejaht.

Außer der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit kommen als wesentliche Ursachen des Unfalles auch nach der Auffassung der Revision die an der Unfallstelle herrschenden Windverhältnisse sowie die Windanfälligkeit und die Bereifung des Unfallwagens in Betracht.

Das LSG hat die im Unfallzeitpunkt herrschenden Windverhältnisse nicht als wesentliche Mitursache des Unfalls angesehen. Die Revision rügt, die Ausführungen des LSG verstießen gegen die Lebenserfahrung, weil eine erhebliche Zahl von Unfällen auf Windeinflüssen beruhe, ohne daß die Fahrer unter Alkoholeinfluß gestanden hätten. Das LSG hat festgestellt, daß der Versicherte viele Jahre in der betreffenden Gegend mit dem Kraftwagen unterwegs gewesen ist, dabei mit Sicherheit die Unfallstelle auch bei Wind viele Male passiert hat und entsprechende Beobachtungen hat machen können. Das LSG hat weiter insbesondere unter Berücksichtigung der sich in den Akten der Beklagten befindlichen polizeilichen Unfallberichte und vor allem der Aussagen der im Zeitpunkt des Unfalles die Unfallstelle befahrenden Zeugen näher dargelegt, daß weder die allgemein in Schleswig-Holstein am Unfalltage gemessenen Windgeschwindigkeiten noch die an der Unfallstelle durch Hindernisse möglichen Windstöße für den mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Versicherten so ungewöhnlich waren, daß er auch ohne Alkoholeinfluß weder die Gefahr erkannt noch nach einem Windstoß sich darauf durch seine Fahrweise hätte einstellen können. Diese Feststellungen hat die Revision nicht angegriffen. Dabei ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß für die Wertung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit als allein wesentliche Ursache nicht nur die an der Unfallstelle besonderen Windströme bedeutsam sind, die den Pkw des Versicherten möglicherweise erfaßt haben, sondern wesentlich auch die weitere Frage ist, ob der Versicherte in nüchternem Zustand diese Verkehrsverhältnisse gemeistert hätte.

Das LSG hat zwar weiter ausgeführt, daß "nach den vom Senat eingeholten verkehrspolizeilichen Informationen" innerhalb der letzten sieben Jahre vor dem Unfall weder der Versicherte noch ein anderer Kraftfahrer an der Unfallstelle wegen der dort gegebenen Windverhältnisse verunglückt seien. Es kann dahinstehen, ob die Feststellung, daß die vom Zeugen K angeführten Unfälle nicht auf die Windverhältnisse zurückzuführen gewesen sind, auf einer unzulässigen telefonischen Rückfrage bei der zuständigen Polizeidienststelle beruht (vgl. für telefonische Auskünfte bei Zeugen und Sachverständigen Urteil des BSG vom 21. April 1967 - 10 RV 51/64 = BVBl. 1968, 131; s. aber auch BSG, Urteil vom 12. Juli 1966 - 10 RV 657/64 = KOV 1967, 159 (L)). Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Kläger ihr Rügerecht dadurch verloren haben, daß sie nach Bekanntgabe der mündlichen Anfrage bei der Polizeiinspektion in N. und deren Ergebnis in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 29. Oktober 1968 der Verwertung dieser Auskunft ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht widersprochen haben. Selbst wenn man zugunsten der Kläger insoweit einen Verfahrensmangel und keinen Verlust des Rügerechtes annimmt, beruht das angefochtene Urteil jedoch nicht auf dieser zusätzlichen Feststellung. Ob die Windverhältnisse für den Unfall des Versicherten keine wesentliche Mitursache gebildet haben, beurteilt sich nach den vom LSG zunächst gewürdigten und verfahrensrechtlich einwandfrei festgestellten Besonderheiten des zu entscheidenden Einzelfalles. Die bereits aufgezeigten von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG rechtfertigen jedoch allein die Annahme, daß die Windverhältnisse keine wesentliche Mitursache des Unfalles gebildet haben.

Das LSG hat auch in der neuartigen Bereifung des "windanfälligen" Unfallwagens keine wesentliche Mitursache des Unfalles gesehen. Es ist davon ausgegangen, daß der Versicherte in fahrtüchtigem Zustand auch die bei der Verwendung von Gürtelreifen an dem von ihm seit Jahren gefahrenen Fahrzeugtyp möglicherweise auftretenden Schwierigkeiten beherrscht hätte. Selbst wenn nicht nur die Rechnung über die Anschaffung der Gürtelreifen vom 1. Juli 1966 datiert, sondern der Versicherte sich die Reifen erst an diesem Tag und somit 12 Tage vor dem Unfall angeschafft hätte, zwingt dies auch dann zu keiner anderen Beurteilung, falls der Versicherte in den Jahren vor dem Unfall niemals Gürtelreifen gefahren haben sollte. Das LSG hat sich insoweit nicht, wie die Revision wohl rügen will, in Widerspruch zu den Ausführungen des vom Berufungsgericht gehörten Sachverständigen gesetzt und dadurch das Recht der freien Beweiswürdigung überschritten. Der Sachverständige Dr. H hat nicht nur, worauf die Revision hinweist, eine - lediglich - "kurze" Einfahrzeit für notwendig erachtet. Er hat eine Einfahrzeit von etwa 100 km als ausreichend angesehen und gleichzeitig dargelegt, daß der Versicherte bis zum Unfalltag mit den neuen Reifen bereits etwa 1200 km und somit mehr als das Zehnfache der an sich erforderlichen Einfahrzeit gefahren war.

Die Beklagte ist nach allem nicht verpflichtet, den Klägern aus Anlaß des tödlichen Unfalles ihres Ehemannes und Vaters Entschädigungsleistungen zu gewähren. Die Revision mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Das LSG hat nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu Unrecht die Berufung auch insoweit als zulässig erachtet, als sie die von der Beklagten abgelehnte Überbrückungshilfe und das Sterbegeld betraf. In der Sachentscheidung über diesen prozessual selbständigen Teil des Entschädigungsanspruches liegt bei einer zugelassenen Revision ein von Amts wegen zu berücksichtigender wesentlicher Verfahrensmangel (s. BSG 2, 225, 226 und 245, 246; 3, 234, 235; 15, 65, 67). Das Urteil des LSG war daher insoweit zu ändern und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG zu verwerfen, soweit sie Sterbegeld und Überbrückungshilfe geltend machen. Dem steht der Grundsatz des Verbotes der Schlechterstellung nicht entgegen (vgl. BSG 2, 225, 228; BSG, SozR Nr. 40 zu § 215 SGG; Brackmann aaO S. 250 b).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649826

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