Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz. alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit. Alkoholbeeinflussung des am Unfall beteiligten Kraftfahrers
Orientierungssatz
Das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers, ohne den der Unfall - in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinn - nicht eingetreten wäre, kann als unternehmensbedingter Umstand durch die Auswirkung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des Verunglückten bis zur rechtlichen Bedeutungslosigkeit zurückgedrängt werden.
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 30.11.1982; Aktenzeichen L 2 U 1/81) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 22.01.1981; Aktenzeichen S 3/3a U 37/78) |
Tatbestand
Der Kläger war als Unternehmer einer Zimmerei in B. (Saarland) bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versichert. In der Nacht vom 3. zum 4. August 1977 war er mit seinem PKW unterwegs, um, wie er angibt, die Alarmanlage im Büro seines Betriebes anzustellen. Um 0.25 Uhr stieß er auf der G.straße in F.-B. im Bereich einer leichten Straßenkuppe frontal mit dem ihm entgegenkommenden PKW des M. zusammen. Das Fahrzeug des Klägers befand sich im Zeitpunkt des Zusammenstoßes mit dem linken Vorderrad mindestens 1,30 m in seiner Fahrtrichtung links von der gekennzeichneten Mittellinie der Straße; der Fahrer M. war mit dem linken Vorderrad 0,60 m von der Mittellinie entfernt. Das Fahrzeug des Klägers hinterließ eine Blockierspur von 0,70 m, das des M. eine solche von 3,20 m. Beide Fahrer, die schwer verletzt wurden, standen unter Alkoholeinfluß. Die Blutalkoholkonzentration (BAK) des Klägers betrug 2,17 %o (Entnahme: 3 Uhr), die des M. 1,53 %o (Entnahme: 2 Uhr). Der Kläger wurde wegen fahrlässiger Verkehrsgefährdung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen, der Fahrer M. wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (bei einschlägiger Vorstrafe, - strafschärfend) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten (zur Bewährung ausgesetzt) verurteilt (Urteil des Amtsgerichts S. vom 24. April 1978).
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 12. Mai 1978 die Gewährung einer Entschädigung ab, da die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sei.
Mit der Klage hat der Kläger ua geltend gemacht, er habe kurz vor Erreichen der Unfallstelle einem von rechts einbiegenden Fahrzeug ausweichen müssen. Das Sozialgericht (SG) hat festgestellt, daß es sich bei dem Unfall des Klägers um einen Arbeitsunfall gehandelt hat (Urteil vom 22. Januar 1981): Die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers sei nicht die rechtlich allein wesentliche Unfallursache gewesen, der Fahrer M. hätte vielmehr ohne Alkoholeinfluß besser reagieren und dadurch jedenfalls einen frontalen Zusammenstoß vermeiden können. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 30. November 1982). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Es könne dahingestellt bleiben, ob sich der Kläger zur Unfallzeit auf einem Betriebsweg befunden habe. Offenbleiben könne auch, ob die - erheblich zweifelhafte - Darstellung des Klägers über ein einbiegendes Fahrzeug zutreffe. Denn jedenfalls entfalle ein Versicherungsschutz, weil die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers den Unfall rechtlich allein wesentlich verursacht habe. Es sei durch nichts belegt, daß M. durch rechtzeitige Reaktion den Zusammenstoß hätte verhindern können; M. habe vielmehr wesentlich früher reagiert, als der Kläger, wie sich aus den verschieden langen Blockierspuren ergebe. Hätte M. einen Abstand von etwa 1,40 m von der Mittellinie einhalten können und tatsächlich eingehalten, wäre es zwar wahrscheinlich nicht zu dem Unfall gekommen. Dieser Umstand trete aber gegenüber dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Klägers ganz eindeutig in den Hintergrund und könne deshalb nicht als rechtlich bedeutsame Mitursache gewertet werden. Das unterstellte Einbiegen eines Fahrzeuges in die G.straße scheide als rechtserhebliche Mitursache des Unfalls ebenfalls aus, weil der Kläger ohne Alkoholbeeinflussung in einer solchen Situation sofort scharf gebremst und unter allen Umständen ein Überfahren des Mittelstreifens unmittelbar vor der Straßenkuppe vermieden hätte.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, der Fahrer M. hätte den Unfall im nüchternen Zustand, wenn nicht verhindern, so doch erheblich mildern können. Darüber hinaus sei auch das Verhalten des einbiegenden PKW-Fahrers mitursächlich gewesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Urteil des LSG die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Der Kläger war nach den Feststellungen des LSG zwar bei der Beklagten als Unternehmer (kraft Satzung, § 543 Abs 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-, oder aufgrund freiwilligen Beitritts, § 545 Satz 1 RVO) gegen Arbeitsunfall versichert. Das LSG hat jedoch ungeprüft gelassen, ob sich der Kläger im Unfallzeitpunkt seinen Angaben entsprechend auf dem Weg zu seinem Betrieb befunden hat, um die Alarmanlage einzuschalten. Indessen bedarf es insoweit keiner Ermittlungen. Selbst wenn - wie auch im angefochtenen Urteil - das Vorbringen des Klägers über den Zweck der Fahrt zu seinen Gunsten als richtig unterstellt und davon ausgegangen wird, daß die Fahrt mit der versicherten Tätigkeit in Zusammenhang stand (§ 548 RVO), war der Versicherungsschutz im Unfallzeitpunkt ausgeschlossen.
Das LSG ist bei der rechtlichen Beurteilung zutreffend in Übereinstimmung mit der seit dem Urteil des erkennenden Senats vom 30. Juni 1960 (BSGE 12, 242; s auch ua BSGE 13, 9; 43, 293; 45, 176, 178) ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) davon ausgegangen, daß die auf Alkoholgenuß zurückzuführende Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ausschließt, wenn sie die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund drängt, daß sie als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls anzusehen ist (s auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S 487 m ff mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Der Kläger war im Zeitpunkt des Unfalls infolge Alkoholeinwirkung, die mit seinem Unternehmen nicht zusammenhing, absolut - unabhängig von sonstigen Beweisanzeichen - fahruntüchtig. Absolute Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers liegt bei einer BAK von wenigstens 1,3 %o vor (s BSGE 34, 261, 264; BGHSt 21, 157). Beim Kläger ergab "die im Anschluß an den Unfall" entnommene Blutprobe nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG eine BAK von 2,17 %o. Eine Rückrechnung dieses Wertes auf den Zeitpunkt des Unfalls (s zur Unzulässigkeit der Rückrechnung in Fällen, in denen das Trinkende und die Resorptionsdauer nicht bekannt sind, BSG Urteil vom 31. März 1981 - 2 RU 13/79 USK 81162 und BGHSt 25, 246, 251; Brackmann aaO, S 487 t) hat das LSG nicht vorgenommen. Es kann aber dahinstehen, ob hier eine Rückrechnung im Sinne der Hochrechnung zu Ungunsten des Klägers durchführbar wäre, wenn man aus dem in den staatsanwaltlichen Akten mitgeteilten Blutentnahmezeitpunkt (3 Uhr, also mehr als 120 Minuten nach dem Unfall) auf den Abschluß der Resorptionsphase schließen könnte (s hierzu BSG aaO; BGH aaO; Brackmann aaO). Denn absolut fahruntüchtig ist auch ein Kraftfahrer, der eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer BAK von 1,3 %o oder mehr führt (BSGE 48, 228, 231; BSG aaO; BGH aaO; Brackmann aaO, S 487 t). Im Unfallzeitpunkt aber hatte der Kläger jedenfalls eine solche Alkoholmenge im Körper, die zu einer BAK von 2,17 %o führte.
Die rechtliche Wertung des LSG, daß nach der Lage des Falles die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen ist und es infolgedessen an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der - unterstellten - versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis fehlt, enthält entgegen der Auffassung der Revision keine Rechtsfehler. Bei der Prüfung, ob neben der Alkoholeinwirkung des Klägers andere Tatumstände als mitwirkende Ursachen des Unfalls in Betracht kommen, hat das LSG der Sachlage entsprechend das Verhalten und die Alkoholbeeinflussung des am Unfall beteiligten Kraftfahrers M. sowie die - durch objektive Beweismittel nicht nachweisbare - Behauptung des Klägers über die Behinderung durch einen in seine Fahrbahn einbiegenden PKW gewürdigt. Trotz der im Urteil dargelegten "erheblichen Zweifel" hat das LSG zugunsten des Klägers dessen Vorbringen als richtig unterstellt, daß bei seinem Herannahen aus dem vor der Unfallstelle - noch vor der K.straße und kurz vor der Straßenkuppe - von rechts einmündenden G.weg ein PKW in die von ihm befahrene G. straße eingebogen ist. Bei der vergleichenden Wertung der Unfallursachen hat das LSG zutreffend den unterstellten - unternehmensbedingten - Umstand nicht als rechtlich wesentliche Mitursache des Unfalls gewertet, weil der Kläger als nicht unter Alkoholeinfluß stehender PKW-Fahrer den Unfall dadurch vermieden haben würde, daß er vor dem einbiegenden Fahrzeug sofort abgebremst, unter allen Umständen aber davon abgesehen hätte, unmittelbar vor der Straßenkuppe den Mittelstreifen zu überfahren und noch hinter der Einmündung der K.straße bis zur Unfallstelle mit seinem PKW 1,30 m in die Gegenfahrbahn hineinzuragen. Zu Recht hat das LSG auch in dem Verhalten des am Unfall Beteiligten, ebenfalls unter Alkoholeinwirkung stehenden und mit einer BAK von 1,53 %o (bei der Blutentnahme nach dem Unfall) absolut fahruntüchtigen Kraftfahrers M. keine unternehmensbedingte Mitverursachung des Unfalls gesehen. Das LSG hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (s ua BSGE 18, 101, 103) angenommen, daß das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers, ohne den der Unfall - in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinn - nicht eingetreten wäre, als unternehmensbedingter Umstand durch die Auswirkung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des Verunglückten bis zur rechtlichen Bedeutungslosigkeit zurückgedrängt werden kann. So aber lagen die Verhältnisse, wie das LSG aufgrund der unangefochtenen tatsächlichen Feststellungen ausgeführt hat, im vorliegenden Fall. Selbst wenn M. unter Berücksichtigung der Fahrbahnbreite einen noch größeren Abstand als 0,60 m von der Mittellinie hätte einhalten können, ist jedenfalls das grob verkehrswidrige Verhalten des erheblich stärker unter Alkoholeinwirkung stehenden Klägers, der im Bereich der Straßenkuppe 1,30 m der Wagenbreite die Mittellinie überfuhr, für das Zustandekommen des frontalen Zusammenstoßes von so überragender Bedeutung gewesen, daß demgegenüber ein etwaiges Fehlverhalten des M. rechtlich nicht als Mitursache zu werten ist. Dabei hat das LSG zu Recht auch berücksichtigt, daß der Kläger, wie aus den unterschiedlich langen Blockierspuren der Fahrzeuge hervorgeht, infolge seiner starken Alkoholbeeinflussung deutlich später als M. auf die gefährliche Situation reagiert hat.
Die Revision ist danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen