Beteiligte
…, Kläger und Revisionsbeklagter |
…, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Der klagende Sozialhilfeträger hat gegenüber dem Beigeladenen für dessen im Jahre 1980 geborenen, im Januar 1982 verstorbenen Sohn Stefan, der an einer Kuhmilchunverträglichkeit litt, die Kosten für das Kunstmilchpräparat "Pregestimil" übernommen. Er verlangt von der Beklagten, bei der der Beigeladene versichert ist, den Ersatz dieser Kosten (§ 104 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren -). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Da das Kunstmilchpräparat zu den Nahrungs- und Diätmitteln gehöre, folge die Leistungspflicht zwar nicht unmittelbar aus § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie ergebe sich aber aus Nr 21 Buchst i der Arzneimittelrichtlinien idF vom 19. Juni 1978 (aF). Die nach Satz 2 dieser Bestimmung geltende Ausnahmeregelung bei angeborenen Enzymmangelkrankheiten erstrecke sich auch auf Kunstmilchpräparate für Säuglinge mit Kuhmilchunverträglichkeit, wobei dahingestellt bleiben könne, ob es sich bei dem Kind um eine angeborene oder um eine erworbene Enzymmangelerkrankung gehandelt habe, da diese Differenzierung sachlich nicht gerechtfertigt sei. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
das Urteil des LSG für das Saarland vom 29. November 1984 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG für das Saarland vom 24. November 1982 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Bei dem hier streitigen Kunstmilchpräparat handelt es sich, weil es zur menschlichen Ernährung bestimmt ist, um ein Lebensmittel (vgl die Begriffsbestimmung in § 1 Abs 1 des Lebensmittelgesetzes vom 15. August 1974 - BGBl I 1945 -). Die Versorgung mit Nahrungsmitteln gehört aber nicht zu den Aufgaben der Krankenversicherung. Zwar kann auch einem Lebensmittel über seinen generellen Ernährungszweck hinaus eine spezifische krankheitsheilende, krankheitslindernde oder verschlimmerungshindernde Wirkung zukommen. Da das Mittel mit dieser Wirkung aber nicht aufhört, zu den Lebensmitteln zu zählen, kann es, wenn ein Ausweichen auf andere, wenn auch unübliche Lebensmittel nicht möglich ist, nur unter besonderen Voraussetzungen als ein Arznei- bzw Heilmittel iS des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO angesehen werden. Dementsprechend hat der Senat schon in seinem Urteil vom 23. März 1983 - SozR 2200 § 182 RVO Nr 88 - zum Ausdruck gebracht, daß eine solche Krankenkost im Rahmen des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO nur in Ausnahmefällen gewährt werden kann (aaO, S 183 Mitte, unter Berufung auf Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl, Stand Juli 1982 Anm 3.2.2 zu § 182 RVO, letzter Absatz, mwN) und daß dies nur dann der Fall ist, wenn zur Heilwirkung der Kost für den Versicherten noch besonders gravierende Umstände hinzutreten (SozR, aaO, S 184, letzter Absatz, 2. Satz). Solche Umstände liegen in erster Linie dann vor, wenn die Kosten der Krankenkost die Kosten des sonst gewöhnlich gebrauchten Lebensmittels in einem Maße übersteigen, daß die Anschaffung auf eigene Kosten dem Versicherten unter Berücksichtigung auch der Interessen der Solidargemeinschaft nicht mehr zumutbar ist. Darüber hinaus kann insoweit aber ebenfalls von Bedeutung sein, mit welchem Maß von Schwierigkeiten für den Versicherten ein Ausweichen auf andere Lebensmittel verbunden wäre.
Gegenüber diesem Inhalt des Versorgungsanspruchs nach § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO geht der Inhalt der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der Kassenärztlichen Versorgung (Arzneimittelrichtlinien) in der hier maßgeblichen Fassung vom 19. Juni 1978 insofern hinaus, als in Nr 21 Buchst i die Verordnungsfähigkeit des Mittels dann, wenn es "der notwendigen Behandlung von angeborenen Enzymmangelkrankheiten" dient, ausdrücklich genannt worden war. Denn hierdurch erwächst dem Versicherten ein entsprechender Anspruch auch dann, wenn im Vergleich zu den sonst gewöhnlich gebrauchten Lebensmitteln eine Anschaffung des Mittels auf eigene Kosten zumutbar wäre. Nach der Feststellung des SG, die zwar im Berufungsurteil nicht erneut getroffen, unter den Beteiligten aber nicht streitig ist, handelte es sich bei der Erkrankung des Kindes des Versicherten aber nicht um eine "angeborene" Enzymmangelkrankheit. Soweit das LSG hier argumentiert, eine Abgrenzung zwischen einer (anspruchsberechtigenden) angeborenen und einer (anspruchslosen) erworbenen Enzymmangelkrankheit sei unter keinem sachlichen Gesichtspunkt zu rechtfertigen, unter Beachtung des Gleichheitsgebots seien die Arzneimittel-Richtlinien hier dahingehend zu erweitern, daß auch das hier streitige Mittel mit einzubeziehen sei, kann seinen Ausführungen nicht gefolgt werden. Das LSG hat schon keine Ausführungen darüber gemacht, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte es veranlaßt haben, hier von einer Gleichheit der Umstände oder der Interessenlage zu sprechen; entsprechende tatsächliche Feststellungen sind nicht ersichtlich, und es wird auch nicht ausgeführt, welche Gesichtspunkte auf ihre Tragfähigkeit als Gründe einer Analogie untersucht worden seien. Desungeachtet verbietet sich aber eine Analogie schon aus rechtsdogmatischen Gründen. Wie der Senat in seinem Urteil vom 24. Oktober 1984 - 6 RKa 36/83 - ausgeführt hat, ist eine Analogie bei Ausnahmebestimmungen schon dann unzulässig, wenn auch nur Zweifel daran bestehen, ob durch die analoge Anwendung die Regelungsabsicht des Normgebers nicht vereitelt wird (BSGE 57, 195, 196 ff). Da hier der Fall der erworbenen Enzymmangelkrankheit aber bewußt und gewollt ausgeschlossen blieb, ist den Gerichten eine Analogie verwehrt.
Soweit das LSG in der Beschränkung des (Richtlinien-) Anspruchs auf angeborene Enzymmangelerkrankungen möglicherweise einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung nach Art 3 des Grundgesetzes (GG) gesehen hat, fehlt es schon an Feststellungen über die Unterscheidungsmotive des Normgebers, um die unterschiedliche Regelung am Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 GG messen zu können. Selbst wenn sich aber nach entsprechender Prüfung ergäbe, daß bei einer angeborenen Enzymmangelerkrankung einerseits und einer erworbenen Enzymmangelkrankheit andererseits die Krankenkostversorgung ohne einen die Ungleichbehandlung rechtfertigenden Unterschied sei, so würde dies jedenfalls bei dem vorliegenden Leistungsanspruch nicht ohne weiteres zu einer Erweiterung der hier streitigen Ausnahmebestimmung führen. Mit der Feststellung, daß die (untergesetzliche) Regelung insoweit den Anforderungen des Art 3 GG nicht entspreche, als hier dem Versicherten die gleiche Begünstigung wie bei einer angeborenen Enzymmangelerkrankung vorenthalten werde, kann das Gericht dem Normgeber hier nicht ohne weitere Begründung vorgreifen und eine Erweiterung der Regelung selbst vornehmen.
Das LSG wird daher, wozu es bisher keinerlei Feststellungen getroffen hat, in erster Linie zu klären haben, ob dem Versicherten ein Anspruch auf Krankenkost nach § 182 Abs 1 Nr 1 RVO unter den oben genannten Ausnahmebedingungen zustand, insbesondere ob beim Vergleich der Kosten eines normalen Muttermilchersatzes mit einem für die Zwecke der milchfreien Heilnahrung notwendigen und ausreichenden - insoweit also kostengünstigsten - Präparat die obengenannte unzumutbare Belastung für den Versicherten entstanden wäre.
Unter Aufhebung des Berufungsurteils war die Sache demnach zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
Fundstellen