Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenkost als Leistung der Krankenversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Versorgung mit einer Krankenkost gehört grundsätzlich nicht zum Aufgabenbereich des Krankenversicherungsträgers (Anschluß an BSG 1978-05-18 3 RK 11/77 = SozR 2200 § 182 Nr 32).
2. Soweit nach § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO iVm Nr 21 Buchst i der Arzneimittel-Richtlinien idF vom 19.6.1978 bei angeborenen Enzymmangelkrankheiten eine Ausnahme besteht, verstößt das Abgrenzungsmerkmal, daß bei der Zusammenstellung der erforderlichen Krankenkost nicht auf Grundstoffe zurückgegriffen werden kann, die im gewöhnlichen Zustand den Haushalten zugänglich sind, gegen keine übergeordneten Rechtssätze.
Leitsatz (redaktionell)
1. Krankenkost kann in Rahmen einer Satzungsbestimmung oder in Ausnahmefällen im Rahmen der Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO) gewährt werden.
2. Außer den zur notwendigen Behandlung von angeborenen Enzymmangelkrankheiten dienenden Lebensmittel können keine anderen Lebensmittel rechtlich in den Leistungskatalog des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO eingeordnet werden.
3. Gliadinfreie Kost ist nicht als Arznei- oder Heilmittel iS des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO anzusehen.
Normenkette
RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Fassung: 1977-06-27; AMRL Nr. 21 Buchst. i Fassung: 1978-06-19
Verfahrensgang
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem bei ihr versicherten Kläger für dessen Sohn eine gliadinfreie Diät zu gewähren.
Der im Jahre 1975 geborene Sohn des Klägers leidet an einer Zöliakie, einer chronischen Durchfallerkrankung, die mit einer Unverträglichkeit aller Getreidesorten außer Mais und Reis verbunden ist und darauf beruht, daß durch das in dem unverträglichen Getreide enthaltene Gliadin - einem Bestandteil des Gluten (Klebereiweiß) - die Nahrungsresorption im Dünndarm beeinträchtigt wird. Er ist daher auf eine gliadinfreie Kost angewiesen.
Der Antrag des Klägers, eine solche Diät (als Sachleistung) zu gewähren, hat die Beklagte abgelehnt. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung ausgeführt: Bei der gliadinfreien Kost handele es sich weder um ein Heil- noch um ein Arzneimittel, sondern um ein Lebensmittel. Dafür hätten, wie auch das Bundessozialgericht (BSG) entschieden habe, die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Ersatz zu leisten, wenn dies nicht ausdrücklich geregelt sei. Nach Nr 21 Buchstabe i der Arzneimittel-Richtlinien (in der Fassung vom 19. Juni 1978), die für die Beklagte nach dem Arzt-Ersatzkassen-Vertrag (EKV) verbindlich seien, gehörten Krankenkost- und Diätpräparate nur dann zu den Arzneimitteln, wenn sie der notwendigen Behandlung angeborener Enzymmangelkrankheiten dienen. Bei dem Sohn des Klägers liege eine solche Krankheit nicht vor. Die in der genannten Richtlinie vorgenommene Abgrenzung beruhe auf der Unterscheidung, ob die erforderliche Ernährung mit den im Haushalt verfügbaren Nahrungsmitteln möglich sei oder nicht. Da ersteres bei den für den Sohn des Klägers unschädlichen Grundnahrungsmitteln Mais und Reis der Fall sei, stehe dem Kläger der begehrte Anspruch nicht zu. Wie die genannten Richtlinien klarstellten, gehörten bei solcher Verfügbarkeit der Nahrungsmittel auch gravierendere Ernährungsprobleme zum Bereich der besonderen Lebensführung, die von den Krankenkassen nicht finanziert werden müsse. Ein anderes Ergebnis sei auch nicht dem § 182 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) mit seinem Hinweis auf einen erweiterungsfähigen Leistungskatalog ("insbesondere") zu entnehmen. Das Ergebnis begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Hierzu trägt er vor: Die Feststellung des LSG, es liege keine angeborene Enzymmangelkrankheit vor, sei unzutreffend. Unrichtig sei auch die Feststellung, daß die erforderliche Ernährung mit den im Haushalt verfügbaren Nahrungsmitteln bei der (typischen, angeborenen) Enzymmangelkrankheit Phenylketonurie nicht möglich, bei der Zöliakie aber möglich sei. Auch bei der erstgenannten Erkrankung könne der Nahrungsbedarf weitgehend durch im Haushalt verfügbare Lebensmittel abgedeckt werden; die hier für Eiweißstoffe geltende Ausnahme entspreche bei der Zöliakie den gliadinhaltigen Getreidesorten. Insoweit bestehe kein Unterschied zwischen beiden Krankheitsarten. Wenn die gliadinfreie Diät, wie das LSG zutreffend festgestellt habe, den Ausbruch von Krankheitssymptomen verhindere, dann könne diese Diät nicht als bloßes "Lebensmittel" angesehen werden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG Bremen vom 7. Mai 1981 - L 1 Kr 4/80 - und das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 10. Dezember 1979 - S Kr 12/79 - sowie die Bescheide der Beklagten vom 12. Juli 1977 und vom 20. Februar 1979 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für seinen Sohn Oliver gliadinfreie Kost zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat keine Rechtsnorm verletzt.
Die Beklagte hat nach ihrer Satzung und nach den §§ 507, 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO als Leistungen der Krankenpflege die Versorgung ua mit Arznei- und Heilmitteln zu gewähren.
Bei den vom Kläger begehrten Stoffen handelt es sich, weil sie zur menschlichen Ernährung bestimmt sind, um Lebensmittel (vgl die Begriffsbestimmung in § 1 Abs 1 des Lebensmittelgesetzes vom 15. August 1974 BGBl I, 1945). Da die Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht zu den Aufgaben der Krankenversicherungsträger gehört, andererseits aber das Vermeiden bzw Bevorzugen bestimmter Lebensmittel von krankheitsheilendem bzw krankheitslinderndem Einfluß sein kann, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Nahrungsmittel ausnahmsweise zu den Vertragsleistungen des Krankenversicherungsträgers gehört. Diese Abgrenzung kann entgegen der Meinung des Klägers nicht schon deshalb im Sinne einer Versorgungsleistung nach § 182 Abs 1 Nr 1 RVO ausfallen, weil einem Nahrungsmittel die genannte Heilwirkung zukommt. Denn mit dieser Eigenschaft hören solche Mittel nicht auf, als Lebensmittel der Ernährung zu dienen, auf die der Versicherte auch ohne Erkrankung angewiesen ist (vgl BSG Urteil vom 18. Mai 1978 - 3 RK 11/77 -, SozR 2200 § 182 RVO Nr 32 und auch BSGE 42, 229, 232).
Die Versorgung mit einer Krankenkost gehört daher, solange Gesetz oder Satzung nicht ausdrücklich das Gegenteil vorschreiben, allenfalls dann zum Aufgabenbereich des Krankenversicherungsträgers, wenn zur Heilwirkung noch besondere, für den Versicherten gravierende Umstände hinzutreten. Nicht nur das Gesetz, auch die Satzung der Beklagten sieht eine generelle Gewährung von Krankenkost nicht vor. Nach der mit dem Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation -RehaAnglG- vom 7. August 1974 - BGBl I, 1881 - in Wegfall gekommenen Bestimmung des § 193 Abs 2 RVO aF konnte die Satzung Krankenkost oder einen Zuschuß zubilligen. Dieser Wegfall bedeutet aber nicht, daß der Versicherungsträger daran gehindert wäre, eine Krankenkost als Ermessens- oder Pflichtleistung satzungsmäßig zu übernehmen oder daß sie in Ausnahmefällen nicht im Rahmen des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO gewährt werden könnte (vgl Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl, Stand Juli 1982 Anm 3.2.2 zu § 182, letzter Absatz, mwN).
Da bei dem Sohn des Klägers auf gliadinfreie Getreidesorten -Reis und Mais- zurückgegriffen werden kann, liegen die Voraussetzungen eines solchen Ausnahmetatbestandes hier aber nicht vor. Dies wird durch Nr 21 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der Kassenärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) in der Fassung vom 19. Juni 1978 bestätigt. Demnach dürfen zu Lasten der Krankenkassen - "da sie entweder keine Arzneimittel sind oder ihre Verordnung den Bestimmungen des § 368e RVO widerspricht" - nicht verordnet werden:..."Lebensmittel im Sinne des § 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG), Krankenkost- und Diätpräparate, sofern letztere nicht der notwendigen Behandlung von angeborenen Enzymmangelkrankheiten dienen". Diese aufgrund der Ermächtigung des § 368 Abs 1 RVO ergangenen, der Genehmigung des Bundesministers für Arbeit unterliegenden, im Bundesanzeiger Nr 235 vom 15. Dezember 1978 (Beilage Nr 30/78) veröffentlichten und am 1. Dezember 1978 in Kraft getretenen Richtlinien sind - mit dem für jede gesetzesnachrangige Norm geltenden Vorbehalt, daß sie nicht gegen zwingendes Gesetzesrecht verstoßen - nicht nur für Kassenärzte und Krankenkassen (BSGE 52, 70, 73), sondern, da der Versicherte nicht mehr Leistungen fordern kann als die Krankenkasse erbringen und der Arzt verordnen darf, auch für diesen voll verbindlich. Durch die Anlage 3 zum EKV haben sie, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, aber auch für die vertragsärztliche Versorgung Geltung erhalten. Auch in den davor in Geltung gewesenen Arzneimittelrichtlinien vom 16. Dezember 1974 (Bundesanzeiger Nr 59 vom 26. März 1975) hatte es unter Nr 18 i schon geheißen, daß Diätpräparate, sofern sie nicht der notwendigen Behandlung von angeborenen Enzymmangelkrankheiten dienen, nicht verordnet werden dürfen.
Demnach wäre die Beklagte nur beim Vorliegen einer angeborenen Enzymmangelkrankheit leistungsverpflichtet. Wie das LSG festgestellt hat, liegt bei dem Sohn des Klägers eine solche Krankheit aber nicht vor. Soweit sich der Kläger gegen diese Feststellung wendet, hat er zur revisionsrechtlichen Begründung eines Verfahrensmangels nicht genügend vorgetragen (§§ 162, 164 Abs 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-, § 550 Zivilprozeßordnung -ZPO-). Der Senat ist daher an die vom Berufungsgericht getroffene tatsächliche Feststellung gebunden (§ 163 SGG).
Wie das LSG weiter feststellte, hat der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen den Begriff der "angeborenen Enzymmangelkrankheiten" deshalb als Ausnahme in den Leistungskatalog aufgenommen, weil er davon ausgegangen sei, daß bei diesen Erkrankungen eine unschädliche Ernährung nicht mit den im Haushalt verfügbaren Grundstoffen zusammengestellt werden könne. Der Kläger hat sich nicht gegen diese Feststellung gewandt. Soweit er aber vorgetragen hat, daß diese Schwierigkeit auch bei einer angeborenen Enzymmangelerkrankung wie der Phenylketonurie bestehe und daß auch bei dieser Stoffwechselkrankheit der Nahrungsbedarf ebenso wie bei der Zöliakie weitgehend durch im Haushalt verfügbare Lebensmittel abgedeckt werden könne, wendet er sich gegen die weitere Tatsachenfeststellung des LSG, daß nämlich bei einer den Leistungsanspruch ausnahmsweise auslösenden Enzymmangelkrankheit im Gegensatz zur Zöliakie das Kriterium der freien Verfügbarkeit der Nahrungsmittel im Haushalt nicht vorliege. Auch diese Tatsachenfeststellung hat der Kläger jedoch, was nicht weiter ausgeführt zu werden braucht (§ 170 Abs 3 Satz 1 SGG), nur mit einer revisionsrechtlich unzureichenden Begründung angegriffen, so daß das Revisionsgericht auch insoweit gebunden ist (§ 163 SGG).
Das genannte Abgrenzungsmerkmal - die freie Verfügbarkeit der Nahrungsmittel im Haushalt - verstößt gegen keine übergeordneten Rechtsgrundsätze. Damit wird als (das die Leistung ermöglichende) Ausnahmekriterium der für den Versicherten gravierende Umstand herangezogen, daß bei der Zusammenstellung der erforderlichen Krankenkost nicht auf Grundstoffe zurückgegriffen werden kann, die im gewöhnlichen Zustand den Haushalten zugänglich sind, es vielmehr notwendigerweise des Erwerbs diätetischer Präparate bedarf. Das ist nach den Feststellungen des LSG hier aber nicht der Fall, weil bei dem Sohn des Klägers auf gliadinfreie Getreidesorten, nämlich auf Reis und Mais, zurückgegriffen werden kann.
Nach Nr 21 Buchst i der genannten Arzneimittelrichtlinien wird der Begriff der "angeborenen Enzymmangelkrankheiten" als ein (beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen) den Leistungsanspruch ausnahmsweise auslösendes Kriterium verwendet, um die diesbezüglichen Diätpräparate von dem gesamten übrigen Bereich der Lebensmittel abzugrenzen (also nicht nur von denjenigen Lebensmitteln, die nach der Verordnung über diätetische Lebensmittel - vgl den im wesentlichen gleichlautenden § 1 Satz 1 der Fassungen vom 24. Oktober 1975, BGBl I, 2687 und vom 2. September 1981, BGBl I, 907 - als "diätetische Lebensmittel" bezeichnet sind, womit der gewöhnliche Begriff der Diät insoweit verengt wird, als es in § 1 heißt, "daß sie die Zufuhr bestimmter Nährstoffe oder anderer ernährungsphysiologisch wirkender Stoffe steigern oder verringern oder die Zufuhr solcher Stoffe in einem bestimmten Mischungsverhältnis oder in bestimmter Beschaffenheit bewirken"). Damit wird es aber auch ausgeschlossen, irgendwelche anderweitigen Lebensmittel außer den zur "notwendigen Behandlung von angeborenen Enzymmangelkrankheiten" dienenden rechtlich unter den Leistungskatalog des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO zu subsumieren, sei es unter den Begriff des Arznei- oder Heilmittels, sei es als eine (gegenüber den dort beschriebenen, durch das Wort "insbesondere" erweiterungsfähigen Leistungsarten) zusätzliche Leistung. Hierfür läßt der klar umrissene Ausnahmetatbestand keinen Raum.
Die Revision konnte daher keinen Erfolg haben.
Sie war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen