Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. Oktober 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Kläger erhielt in der Zeit vom 10. Februar bis 8. Juni 1968 Arbeitslosengeld. Danach war er bis zum 18. Juni 1968 versicherungspflichtig beschäftigt. Er empfing Arbeitslosengeld wieder vom 19. Juni 1968 an. Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 4. Juli 1968 Rente wegen Berufsunfähigkeit, ließ sie aber vom 19. Juni 1968 an wegen des Bezugs des Arbeitslosengeldes ruhen (§ 1283 der Reichsversicherungsordnung –RVO–).
Der Kläger hat Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, daß gemäß § 1294 RVO in der Zeit vom 19. bis zum 30. Juni 1968 die Rente nicht geruht habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) ihr stattgegeben. Auch für das Zusammentreffen von Rente und Arbeitslosengeld gelte – so hat es ausgeführt – die Vorschrift des § 1294 RVO, nach der die Rente für den ganzen Monat zu zahlen sei, in dem das Ruhen eintrete. Für eine Auslegung, daß diese Regel nur beim erstmaligen Zusammentreffen von Arbeitslosengeld und Rente anzuwenden sei, sprächen weder Wortlaut noch Sinn der Bestimmung.
Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Die mehrfache Anwendung des § 1294 RVO in den Fällen des § 1283 RVO sei nicht zulässig, weil sie Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung widerspreche. § 1283 RVO bezwecke, Doppelbezüge zu vermeiden und Leistungen zugunsten des Versicherungsträgers einzusparen. Sei § 1294 RVO bereits einmal angewendet worden, wisse der Versicherte, daß er nach dem Willen des Gesetzes nicht beide Leistungen zugleich erhalten solle, so daß er des Schutzes des § 1294 RVO nicht mehr bedürfe. Aus § 1283 S. 2 RVO ergebe sich auch, daß erst eine Tätigkeit von 26 Wochen die grundsätzliche Ruhensbestimmung des Satzes 1 ausschließen solle. Auf jeden Fall sei § 1294 RVO aber dann nicht anwendbar, wenn nur eine Tätigkeit von wenigen Tagen in der Mitte des Monats den Bezug des Arbeitslosengeldes unterbreche. Gerade wenn man davon ausgehe, daß § 1294 RVO als kleinste Renteneinheit den Monatsbezug berücksichtige, komme man zu dem Schluß, daß § 1294 RVO nicht anwendbar sei, wenn sich Ruhen, Wegfall des Ruhens und erneutes Ruhen innerhalb eines Monats abspielten. Hier träfen der Wortlaut (.. „für den ganzen Monat gezahlt”.) und alle gesetzgeberischen Motive nicht mehr zu. Die Rente sei in einem solchen Fall nicht zu Beginn des Monats fällig gewesen. Ein erwachsener oder gar erfüllter Rentenanspruch habe nicht bestanden. Auch Gründe der Verwaltungsvereinfachung sprächen nicht für eine Fortzahlung der Rente bis zum Ende des Monats.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Beklagte hat dem Kläger die Rente auch für die Zeit vom 19. bis 30. Juni 1968 zu zahlen.
Die Regel des § 1294 RVO, daß für den Monat, in dem das Ruhen der Rente eintritt, diese für den ganzen Monat gezahlt wird, gilt auch beim Zusammentreffen der Rente mit Arbeitslosengeld (BSG 29, 173). § 1294 RVO ist auch dann anzuwenden, wenn nach Beendigung des Ruhens, also nach Wiederaufleben der Rente ein neuer Ruhensgrund eintritt. Weiter gilt § 1294 RVO auch für den Fall, daß ein Ruhen wieder in dem Monat eintritt, in dem das vorangegangene Ruhen geendet hat. In einem solchen Falle ist § 1294 RVO so zu lesen, als hieße es, es sei die „restliche Monatsrente” zu gewähren. Diese Auslegung ergibt sich aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift.
Der Wortlaut des § 1294 RVO, der insoweit keine Einschränkung enthält, deckt den Fall, daß nicht zum ersten Male der Bezug der Rente durch einen Ruhensgrund unterbrochen wird. Ebenso läßt sich der Fassung dieser Vorschrift keine Einschränkung dahin entnehmen, daß sie nicht anzuwenden sei, wenn in demselben Monat, in dem der Ruhenstatbestand eintritt, ein früheres Ruhen geendet hat.
Gegenteiliges läßt sich nicht daraus herleiten, daß nach § 1294 RVO die Rente „für den ganzen Monat” zu zahlen ist. Damit kann nicht gemeint sein, die Rente solle „für den ganzen Monat” in der Weise gezahlt werden, daß auch das Wiedereinsetzen der Rentenzahlung nach Beendigung des Ruhens auf den Monatsbeginn rückdatiert werde. § 1294 RVO ist vielmehr dahin zu verstehen, daß die künftig ruhende Rente, soweit sie überhaupt angefallen ist, bis zum Ende des Monats weiterzuzahlen ist. Dieses einschränkende Verständnis ist keine Besonderheit des Falles, daß ein Ruhenstatbestand in einem Monat endet und ein anderer im selben Monat eintritt. Eine solche Auslegung wird auch dann notwendig, wenn eine Rentenzahlung – entgegen dem Regelfall des § 1290 RVO – nicht mit dem Monatsersten beginnt und noch im selben Monat wieder wegfällt (durch Tod des Berechtigten) oder das Ruhen der Rente eintritt. Auch dann ist § 1294 RVO anzuwenden. Beginnt etwa eine Zeitrente (§ 1276 RVO) am 7. eines Monats und stirbt der Rentenberechtigte am 15. desselben Monats, so läßt sich nicht begründen, daß § 1294 RVO überhaupt nicht anwendbar sei, wohl aber, daß keine volle Monatsrente gezahlt wird, § 1294 besagt dann, daß die Rente „für den Monatsrest” zu zahlen ist.
Für die vom erkennenden Senat für richtig gehaltene Auslegung des § 1294 RVO sprechen die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung und der mit ihr verfolgte Zweck. Im Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz vom 22. Juni 1889 war eine dem § 1294 RVO entsprechende Vorschrift noch nicht enthalten. Man schloß daraus, obwohl auch damals schon die Rente monatlich im voraus zu zahlen war (§ 26 Abs. 5), daß beim Wegfall einer Rente Teilbeträge einer Monatsrente berechnet und wieder eingezogen werden müßten. § 38 S. 2 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 – § 26 Abs. 7 S. 2 des Entwurfes – bestimmte, daß „für denjenigen Kalendermonat, in welchem die den Wegfall oder das Ruhen des Rentenanspruches bewirkende Tatsache eintrete, der gezahlte Monatsbetrag der Rente zu belassen” sei. In der Begründung zu § 26 Abs. 7 S. 2 des Entwurfes war ausgeführt worden, daß bereits gezahlte oder doch fällige Monatsbeträge in allen Fällen belassen werden müßten. Eine Rückforderung von Teilbeträgen einer Monatsrate liege nicht im Sinne des Gesetzes, sei mit Rücksicht darauf, daß die volle Monatsrate mit dem Beginn des Monats fällig, also von dem Berechtigten erworben werde, nicht unbedenklich und fordere zudem einen unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit und Arbeit bei den beteiligten Versicherungsträgern. Diese Absicht des Gesetzgebers hatte in der Fassung des Gesetzes insofern einen nur unvollkommenen Ausdruck gefunden, als in der erwähnten Vorschrift nur „gezahlte” Monatsraten dem Empfänger ungeschmälert zustehen sollten. Das Reichsversicherungsamt (RVA) nahm anfänglich an, daß auch die für den Sterbemonat fällige Rente dem Rechtsnachfolger des Rentenempfängers gebühre (AN 01, 639), wandte sich jedoch später der strengeren Auffassung zu, daß nur tatsächlich gezahlte Monatsbeträge vom Gesetzgeber gemeint seien (AN 02, 187). Durch die Fassung des § 1301 der RVO vom 19. Juli 1911 setzte der Gesetzgeber das von ihm bereits früher angestrebte Ziel durch § 1301 RVO lautete: „Für den Sterbemonat und den Monat, der das Ruhen der Rente bringt, wird die Rente voll gezahlt”. Durch die „Verordnung über die Änderung, die neue Fassung und die Durchführung von Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Reichsknappschaftsgesetzes” vom 17. Mai 1934 wurde § 1301 zu § 1290. Das „Gesetz zur Neuregelung des Rechtes der Rentenversicherung der Arbeiter” vom 23. Februar 1957 gab dem § 1294 RVO seine heutige Fassung. Der gesetzgeberische Zweck hat sich, wie diese Entwicklung zeigt, seit 1889 nicht geändert. Jeweils 1899 und 1911 interpretierte der Gesetzgeber sich selbst, indem er die Fassung des Gesetzes änderte und damit einer Verwaltungsübung und Rechtsprechung den Boden entzog, die nicht seinem Willen entsprachen. § 1294 RVO soll erreichen, daß fällig gewordene Monatsbeträge belassen werden.
Der Rentenanspruch ist so gestaltet, daß als kleinste Renteneinheit der Monatsbezug angesehen wird (§§ 1290, 1297; §§ 631, 619 Abs. 1 RVO). Normalerweise wird auch der erste Monatsbetrag am Ersten eines Monats für den ganzen Monat fällig (§ 1290 RVO). Daraus sowie aus den Regelungen, die eine Rentenzahlung mit dem Letzten des Monats enden lassen, obwohl der Wegfallgrund schon im Laufe des Monats eingetreten ist (§ 631; § 1294 RVO), wird das Bestreben des Gesetzes erkennbar, nicht nur Monatsraten zu schaffen, sondern auch die jeweils fälligen Beträge mit dem Kalendermonat zur Deckung zu bringen. Das führt zu der Folgerung, daß auch dann, wenn eine Rentenzahlung im Monat selbst beginnt, etwa bei einer Zeitrente (§ 1276 RVO), der erste Rentenanspruch fällig wird bis zum Ende des Monats und die folgenden Raten wie im Normalfall jeweils am Ersten eines Monats (vgl. Malkewitz, Zur Systematik des Rentenanspruchs in den gesetzlichen Rentenversicherungen, DRV 1963, 10). Dasselbe gilt, wenn eine Rente wiederauflebt, nachdem sie geruht hat.-Mit dem Ende des Ruhens gewinnt das durch das Ruhen unberührte Stammrecht wieder die Kraft, Einzelansprüche hervorzubringen. Tritt der Wegfall des Ruhenstatbestands im Laufe eines Monats ein, entsteht der Einzelanspruch vor dem Monatsersten. Der Grundsatz des in periodischer Wiederkehr an jedem Monatsersten eintretenden Entstehens und Fälligwerdens der Einzelansprüche (Malkewitz aaO S. 16) wird jedoch nur für diesen laufenden Monat durchbrochen. Mit dem nächsten Monatsersten tritt er wieder in Kraft. Da somit in diesen Fällen der erste Teilanspruch der Rente im Monat für die Zeit bis zum Letzten des Monats fällig wird, und zwar auch zunächst unberührt von einem neuen Ruhensgrund, ist er bis zum Monatsende ebenso schutzwürdig wie der Anspruch, der am Ersten eines Monats entsteht.
§ 1278 Abs. 4 RVO kann zum Verständnis des § 1294 RVO herangezogen werden. Ebenso wie § 1294 RVO enthält § 1278 Abs. 4 RVO die Bestimmung, daß die Rente aus der Rentenversicherung bis zum Ende des Monats gezahlt werden soll, wenn der Ruhenstatbestand, das heißt hier die Auszahlung der Verletztenrente oder der Abfindung aus der Unfallversicherung im Laufe des Monats eintritt. Auch diese Vorschrift enthält keine Einschränkungen, wie sie die Beklagte in § 1294 RVO hineinliest.
Aus § 1283 S. 2 RVO läßt sich für die hier maßgebende Rechtsfrage nichts herleiten. § 1283 S. 2 RVO bringt nur zum Ausdruck, daß eine Rente wegen Berufsunfähigkeit dann nicht wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld ruhen soll, wenn der Empfänger nach Beginn der Rente wieder 26 Wochen versicherungspflichtig beschäftigt war, also schon auf Grund der trotz seiner Berufsunfähigkeit ausgeübten Arbeit eine Anwartschaft (§ 104 des Arbeitsförderungsgesetzes) erworben hat. Mehr beinhaltet diese Vorschrift nicht.
Da das LSG somit § 1294 RVO zu Recht angewandt hat, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Unterschriften
Penquitt, BR Müller ist dienstlich abwesend und deshalb verhindert, das Urteil zu unterschreiben., Penquitt, Bender
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 10.06.1974 durch Giesler Reg.Obersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen