Leitsatz (amtlich)
Begehrt der Berufungskläger nach dem in der Berufungsinstanz - zuletzt - gestellten Antrag Rente nur für einen Zeitraum, der, bezogen auf den Zeitpunkt der Einlegung der Berufung, bereits abgelaufen ist, so ist die Berufung nach SGG § 146 - letzte Regelung - unabhängig davon unzulässig, ob der Rentenanspruch ganz oder teilweise, dem Grunde oder der Höhe nach streitig ist.
Normenkette
SGG § 146 Fassung: 1958-06-25
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 25.01.1980; Aktenzeichen L 1 An 35/79) |
SG Hannover (Entscheidung vom 24.11.1978; Aktenzeichen S 1 An 324/77) |
Tatbestand
Streitig ist die Verrechnung einer Rente mit rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen.
Der Kläger, früher Inhaber einer Druckerei, war im Jahre 1966 der beigeladenen Krankenkasse (Ersatzkasse) gegenüber mit Gesamtsozialversicherungsbeiträgen von mehr als 15.000,-- DM im Rückstand. Im gleichen Jahr ging der Kläger in Konkurs. Über die Forderung der Beigeladenen erteilte das Amtsgericht Hannover 1967 vollstreckbare Ausfertigung eines Auszugs aus der Konkurstabelle. Nach erfolglos versuchter Vollstreckung beantragte die Beigeladene im Mai 1976 bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), ihre Beitragsforderung mit dem Altersruhegeld zu verrechnen, das diese dem Kläger 1972 bewilligt hatte.
Mit dem streitigen Bescheid vom 25. August 1976, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1977, behielt die Beklagte ab Oktober 1976 das Altersruhegeld des Klägers zur Hälfte, nämlich im Betrag von monatlich 491,30 DM zugunsten der Beigeladenen ein.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben.
Nach Tilgung der Beitragsschuld des Klägers gegenüber der Beigeladenen - insgesamt 2.374,46 DM - im Februar 1977 zahlte die Beklagte dem Kläger das Altersruhegeld ab März 1977 wieder voll.
Das Sozialgericht (SG) hat im Urteil vom 24. November 1978 die streitigen Bescheide der Beklagten abgeändert und diese verurteilt, dem Kläger 407,67 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Mai 1977 zurückzuzahlen; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte auf die Berufung des Klägers im angefochtenen Urteil vom 25. Januar 1980 zusätzlich verurteilt, diesem weitere 1.966,79 DM nebst 4 vH Zinsen seit 1. Januar 1978 zu zahlen. In der Begründung ist das Berufungsgericht der Auffassung, der Kläger begehre zwar nur Zahlung von Rente bis Februar 1977, also für einen abgelaufenen Zeitraum. Gleichwohl sei die Berufung nicht nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen; in bezug auf den Anspruch der Beigeladenen auf Sozialversicherungsbeiträge handele es sich um einen Fall, auf den die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in SozR 1500 § 146 Nr 4 zutreffe. Die Verrechnungsbescheide der Beklagten seien rechtswidrig. Der Anspruch der Beigeladenen auf Sozialversicherungsbeiträge sei gemäß dem bis 30. Juni 1977 in Kraft gewesenen § 29 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verjährt gewesen. Jedenfalls nach einer versuchten Vollstreckung (Pfändung) am 10. April 1974 habe wieder eine Verjährungsfrist von zwei Jahren begonnen. Diese sei bei Erteilung des streitigen Bescheids am 25. August 1976 bereits abgelaufen gewesen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision wendet sich die Beigeladene gegen diese Entscheidung. Sie bringt vor, Beitragsforderungen unterlägen jedenfalls dann der Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 218 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), wenn sie rechtskräftig zur Vollstreckung in die Konkurstabelle aufgenommen seien.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage unter Aufhebung des angefochtenen
Urteils abzuweisen.
Die Beklagte schließt sich den Ausführungen und dem Antrag der Beigeladenen an.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach seiner Meinung trifft das angefochtene Urteil zu, weil § 218 BGB unanwendbar sei.
Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, daß sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien (§ 124 Abs 2 SGG)*
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beigeladenen ist begründet*
Zu Unrecht hat das LSG in der Sache entschieden* Zwar hat dies die Beigeladene in der Revisionsbegründung nicht gerügt (vgl § 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Indessen hat das Revisionsgericht von Amts wegen solche Mängel im Verfahren der Vorinstanz zu berücksichtigen, die das Verfahren als ganzes berühren oder nach dem Inhalt der angefochtenen Entscheidung in der Revisionsinstanz fortwirken würden; hierzu zählt ua die irrige Annahme des Tatsachengerichts, daß die Berufung zulässig gewesen sei (allgemeine Meinung, vgl BSGE 25, 235, 236 = SozR Nr 3 zu § 28 RVO; Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, § 163 SGG, Anm 3 b S III/80 - 97 -; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 254b; Meyer-Ladewig, SGG, § 163 Anm 5; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Aufl, 800). Die vom Senat hiernach von Amts wegen anzustellende Prüfung ergibt, daß die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG aus folgenden Gründen unzulässig war:
Das Berufungsgericht selbst hat im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, daß der Kläger und Berufungskläger die Auszahlung von Rente nur für die Monate Oktober 1976 bis einschließlich Februar 1977 begehre, also Rente nur für einen bereits abgelaufenen Zeitraum verlange. Das traf, bezogen auf den Zeitpunkt der Einlegung der Berufung des Klägers vom 9. März 1979, zu (vgl BSGE 14, 213, 216 = SozR Nr 2 zu § 1544a RVO aF; BSGE 16, 134, 135 = SozR Nr 4 zu § 46 RKG). Danach war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 24. November 1978 nach der letzten Regelung des § 146 SGG unzulässig.
Das hat das LSG zwar nicht verkannt. Seine Annahme jedoch, die Berufung sei gleichwohl zulässig gewesen, weil auf den zeitlich begrenzten zurückliegenden Anspruch des Klägers auf Zahlung von Rente die Entscheidung des erkennenden Senats in SozR 1500 § 146 Nr 4 zutreffe, ist unrichtig. Diese Entscheidung erfaßt nur Fälle, in denen in einer Klage mehrere prozessuale Ansprüche erhoben sind, wobei der eine präjudiziell für den anderen ist (vgl auch BSG in SozR Nr 9 aaO). Im vorliegenden Fall hat der Kläger nur einen Anspruch, den Anspruch auf Auszahlung des vollen bewilligten Altersruhegeldes erhoben. Seine Behauptung, daß ein der Verrechnung fähiger Anspruch der beigeladenen Krankenkasse auf Sozialbeiträge gar nicht bestehe, enthält keinen weiteren Anspruch, sondern ist allein Element der rechtlichen Begründung seines Anspruchs auf Auszahlung des unverkürzten Altersruhegeldes.
Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Berufung im Sinne von § 146 SGG "nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft", ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats auf den - in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten - Antrag des Berufungsklägers abzustellen (SozR Nr 21 zu § 146 SGG; SozR 1500 § 146 Nr 5). Maßgebend für den Berufungsausschluß ist also eine zeitliche Dimension des Rentenanspruchs, nämlich, ob er sich schon bei Einlegung des Rechtsmittels auf eine Zeitspanne beschränkte, die in der Vergangenheit lag. Es kommt also nicht darauf an, ob der Rentenanspruch an sich unstreitig war und auf welchen Rechtsgrund der Berufungsantrag gestützt wurde; der Anspruch auf Rente für einen abgelaufenen Zeitraum kann, ohne daß die Anwendung des § 146 aaO ausgeschlossen wäre, ganz oder - wie hier - teilweise, dem Grunde oder - wie hier - der Höhe nach im Streit sein (vgl Peters/Sautter/Wolff, aaO § 146 Anm 4 - S III 31 -; Mayer-Ladewig, aaO, § 146 Anm 5 und § 145 Anm 3). Ob für die in § 146 SGG ebenfalls geregelten weiteren Fälle, die den Beginn oder das Ende einer Rente betreffen, etwas anderes gelten könnte, ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden (vgl BSG in SozR 1500 § 146 Nr 3).
War aber die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil unzulässig, so mußte dieses auf die Revision der Beigeladenen bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen wie geschehen abgeändert werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1646926 |
Breith. 1982, 358 |