Leitsatz (redaktionell)
Besondere kriegseigentümliche Gefahren iS des BVG § 3 Abs 2 sind gegeben, wenn im Vergleich zu anderen Zivilbediensteten der Wehrmacht oder Arbeitnehmern vergleichbarer öffentlicher oder privater Unternehmer die von dem Dienstpflichtigen zu bestehenden Gefahren besonderer kriegseigentümlicher Art sind. Die allgemeinen, für Zivilbedienstete der Wehrmacht während des Krieges in der Kasernierung (Unterkunft) liegenden Gefahren für die Gesundheit reichen daher regelmäßig nicht aus, um den Tatbestand der "besonderen kriegseigentümlichen" Gefahren zu erfüllen.
Das unterscheidende Merkmal für die Abgrenzung der allgemeinen und der besonderen Gefahren ist nicht in der Person des gesundheitlich gefährdeten Dienstpflichtigen, sondern in der Gefahrenquelle zu suchen.
Normenkette
BVG § 3 Abs. 2 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg von 19. September 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die jetzige Klägerin ist die Mutter und Alleinerbin der am 10. Dezember 1923 geborenen und am 17. November 1957 gestorbenen Photolaborantin Anny D. aus Heilbronn. Die Tochter der Klägerin wurde am 22. Dezember 1943 durch das Arbeitsamt Heilbronn als Stabshelferin (kartographische Zeichnerin) zur Heeresstandortverwaltung Heilbronn dienstverpflichtet und am 13. April 1944 zur Wehrmachtsvermessungsschule Rastatt abgeordnet. Dort klagte sie alsbald über Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Fieber. Am 18. Mai 1944 wurde sie in das Städtische Krankenhaus Rastatt eingewiesen. Sie hatte schon als Kind häufig Anginen und mit zehn Jahren gelenkrheumatische Erscheinungen. Wegen Endocarditis lenta (chronische Herzinnenhautentzündung) blieb sie bis 3. August 1945 in stationärer Behandlung. Im November 1948 beantragte sie Versorgung.
Die Versorgungsverwaltung lehnte mit Bescheid vom 15. Oktober 1953 den Antrag nach dem Württembergischen Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) und nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ab, weil die Tochter der Klägerin keinen größeren kriegseigentümlichen Gefahren ausgesetzt gewesen sei als die gesamte Zivilbevölkerung. Das Sozialgericht (SG) Heilbronn hob mit Urteil vom 26. Januar 1956 den Bescheid vom 15. Oktober 1953 auf und verurteilte den Beklagten, Gehirnentzündung nach Erkältung in Dienst mit Halbseitenlähmungsresten links als wehrdienstbedingte Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung anzuerkennen und der Klägerin Rente vom 1. November 1948 bis zum 31. Juli 1950 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H., vom 1. August 1950 bis zum 31. Dezember 1951 um 100 v.H. und ab 1. Januar 1952 um 80 v.H. zu gewähren. Auf die Berufung des Beklagten änderte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 19. September 1957 das Urteil des SG Heilbronn dahin ab, daß die Klage gegen den Bescheid vom 15. Oktober 1953 abgewiesen wurde. Es ließ die Revision zu. Die Dienstleistung als Stabshelferin sei nicht mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden gewesen. Der Aufenthalt in einem ungeheizten Raum und der zeitweilige Nachtdienst mögen militärähnlich gewesen sein; besondere, den Krieg eigentümliche Verhältnisse seien aber nur gegeben, wenn sie in Gegensatz zu den Friedensverhältnissen des Militärdienstes oder im Zusammenhang mit der eigentlichen Kriegsführung stünden (RVG 1 S. 23 Nr. 14 und S. 59 Nr. 32). Die besondere Gefährlichkeit des Dienstes sei aus der Gefahrenquelle objektiv zu ermitteln (BSG 2, 99). Die Erkrankung sei wahrscheinlich Folge einer schwächlichen Konstitution gewesen.
Die Mutter der Beschädigten, welche das durch den Tod ihrer Tochter unterbrochene Revisionsverfahren fortsetzt, beantragte mit der Revision, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Heilbronn vom 26. Januar 1956 als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Baden-Württemberg zurückzuverweisen.
Die Revision rügt, das LSG habe § 1 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 BVG und die entsprechenden Vorschriften des Württembergischen KBLG unzutreffend ausgelegt und angewendet. Die Unterkunft in einer ungeheizten Kaserne, das mangelhafte Bettzeug (Strohsack und zwei Decken) und der Nachtdienst in unregelmäßigen Abständen sei keine friedensmäßige Kasernierung gewesen, sondern habe einen besonderen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich geschaffen, denn ohne Krieg wäre die Kaserne ausreichend geheizt worden.
Der Beklagte beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die Umstände, unter denen die Tochter der Klägerin als Stabshelferin der Wehrmacht arbeitete, stellten keine besondere kriegseigentümliche Gefahr im Sinne des § 3 Abs. 2 BVG dar, sondern nur eine allgemeine Gefahr für die Gesundheit, welcher die gesamte Bevölkerung während des Krieges ausgesetzt gewesen sei.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Sachlich ist sie nicht begründet.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) stand die Tochter der Klägerin auf Grund einem Dienstverpflichtung des Arbeitsamtes als Stabshelferin zur Wehrmacht (Heer) in einen unmittelbaren Vertragsverhältnis, das auf Leistung der Dienste einer kartographischen Zeichnerin gerichtet war. Sie stand damit in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Heer (vgl. die Schrift: Fraueneinsatz im Kriege, herausgegeben von Personenstandsarchiv II des Landes Nordrhein-Westfalen, Kornelimünster, S. 52). Für die Zeit bis zum Inkrafttreten des BVG beurteilt sich der Versorgungsanspruch nach dem Württembergischen KBLG. Nach § 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 739, der 3. Durchführungsverordnung des Arbeitsministeriums Württemberg-Baden vom 23. Juli 1949 (RGBl Nr. 24, 212) zum KBLG, gilt der auf Grund einer Dienstverpflichtung oder eines Arbeitsvertrages geleistete Zivildienst nicht als militärähnlicher Dienst. Ein Versorgungsanspruch für die Zeit vor dem 1. Oktober 1950 (Inkrafttreten des BVG; vgl. § 84 Abs. 1 BVG) muß daher schlechthin außer Betracht bleiben. Die Revision greift zwar die Entscheidung des ISG auch insofern an, als sie unzutreffende Auslegung des § 4 Abs. 3 der 3. Durchführungsverordnung zum KBLG rügt. Da aber das KBLG Versorgungsansprüche bei einem Zivildienstverhältnis zur Wehrmacht grundsätzlich ausschließt und die Klägerin mit einer Begründung versehene Revisionsangriffe nur gegen Fehler des LSG in der Auslegung und Anwendung des § 3 Abs. 2 BVG rügte, kann sich der Senat darauf beschränken, nachzuprüfen, ob das LSG bei Auslegung und Anwendung des § 3 Abs. 2 BVG das Gesetz verletzt hat.
§ 3 Abs. 2 BVG fordert neben dem vertraglichen Dienstverhältnis zur Wehrmacht, daß der Dienst mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden ist. Das LSG hat den Begriff "besondere kriegseigentümliche Gefahren" im Sinne des § 3 Abs. 2 BVG unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des früheren Reichsversorgungsgerichts (Bd. 1 S. 23 Nr. 14 und S. 59 Nr. 32) als erfüllt angesehen, wenn entweder kriegerische Ereignisse oder Zustände von der Front auf das Heimatgebiet übergreifen oder die dienstliche Tätigkeit durch Kampfhandlungen unmittelbar beeinflußt wird. Diese Auslegung des Gesetzes ist, wie das Bundessozialgericht schon in BSG 9, 229 entschieden hat, zu eng. Denn die Gefahren brauchen nicht auf Kampfhandlungen, unmittelbaren Kriegseinwirkungen oder nachträglichen Auswirkungen kriegerischer Vorgänge (§ 5 BVG) zu beruhen. Der in § 3 Abs. 2 BVG den Zivilbediensteten der Wehrmacht gewährleistete besondere Versorgungsschutz wäre überflüssig, wenn die in § 5 BVG normierten, einen unbegrenzten Personenkreis betreffenden Tatbestände der unmittelbaren Kriegseinwirkung zur Voraussetzung hätte (BSG 9, 230). Die besonderen kriegseigentümlichen Gefahren liegen andererseits aber nicht schon vor, wenn im Vergleich zu allgemeinen friedensmäßigen Verhältnissen die (weiblichen) Bediensteten der Wehmacht während des Krieges in höheren Grade Gefahren für ihre Gesundheit ausgesetzt waren. Besondere kriegseigentümliche Gefahren sind vielmehr erst gegeben, wenn in Vergleich zu anderen Zivilbediensteten der Wehrmacht oder Arbeitnehmern vergleichbarer öffentlicher oder privater Unternehmer die von dem Beschädigten zu bestehenden Gefahren besonderer kriegseigentümlicher Art sind. Die allgemeinen, für Zivilbedienstete der Wehrmacht während des Krieges in der Kasernierung (Unterkunft) liegenden Gefahren für die Gesundheit reichen daher regelmäßig nicht aus, um den Tatbestand der "besonderen kriegseigentümlichen" Gefahren im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 2 BVG zu erfüllen. Trotz seines zu engen Ausgangspunktes in der Auslegung des § 3 Abs. 2 BVG hat das LSG aber erkannt, daß die Gefahren, denen die Tochter der Klägerin durch Dienst und Unterkunft ausgesetzt war, sich nicht so wesentlich von den durchschnittlichen Gefahren des Arbeitslebens abheben, daß eine besondere kriegseigentümliche Gefahr im Sinne des § 3 Abs. 2 BVG angenommen werden konnte. Im Vergleich zur Unterkunft und zum Dienst in anderen Wehrmachtseinrichtungen (Kasernen, Schulungsstätten) während des Krieges ist die Tochter der Klägerin durch die Art der Unterkunft (ungeheizte Räume) und die Art des Dienstes (Nachtarbeit) nicht über Durchschnitt in ihrer körperlichen Widerstandskraft und Gesundheit belastet worden. Wie bereits in BSG 9, 229, 231 entschieden ist, schließen die Verwaltungsvorschriften zu § 3 Abs. 2 BVG nicht aus, daß ein Arbeitnehmer auch bei Verwendung in der Heimat besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für Gesundheit ausgesetzt gewesen sein kann. Die von der Revision nicht angegriffene Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Tochter der Klägerin in einer ungeheizten Kaserne in einem Zimmer untergebracht war und als Bettzeug nur einen Strohsack und zwei Decken hatte, mußte indes das LSG nicht bestimmen, ihre Unterkunft für gesundheitsschädlicher zu halten, als Massenunterkünfte (Barackenlager) anderer Zivilbediensteter im Reichsgebiet während der Krieges. Die Revision übersieht, daß die Bewohnbarkeit eines ungeheizten Raumes nach Ort und Jahreszeit unterschiedlich zu beurteilen ist. Wie das LSG in Tatbestand unangegriffen festgestellt hat, war die Tochter der Klägerin vom 13. April bis zum 18. Mai 1944 in Rastatt untergebracht. Nach der Aussage der Zeugin ... ging es der Tochter der Klägerin "anfangs in Rastatt ... gut". Die klimatischen Bedingungen dieser in der Ehernebene gelegenen Kreisstadt Mittelbadens und die Jahreszeit lassen nicht die Schlußfolgerung zu, die Unterkunft in der Kaserne sei unbewohnbar oder besonders gesundheitsschädlich gewesen. Der Revisionsbegründung und dem Akteninhalt konnte der Senat auch keinen Anhalt für außergewöhnliche Witterungsverhältnisse im April/Mai 1944 in Baden entnehmen. Das LSG mußte unter den in Rastatt gegebenen klimatischen Bedingungen die Ausstattung des Schlaflagers mit Strohsack und zwei Decken nicht als so mangelhaft ansehen, daß darin eine besondere kriegseigentümliche Gefahr für die Gesundheit der Stabshelferin gelegen hätte. Wenn die Revision ausführt, im Frieden wäre die Kaserne ausreichend geheizt gewesen und nächtliche Störungen vermieden worden, so vergleicht sie nicht die Lebensverhältnisse eines weiblichen Bediensteten der Wehrmacht mit den Lebensbedingungen anderer gemeinschaftlich untergebrachter Arbeitsnehmer im Kriege, um die besondere Gefährlichkeit der Lebensweise der Tochter der Klägerin im Diensteinsatz darzutun. Die arbeitende Zivilbevölkerung, besonders die technischen Berufe und Rüstungsarbeiter mußten in den letzten Kriegsjahren häufig Nachtdienst verrichten. Nimmt man aber nicht, wie es die Revision tut, geordnete friedensmäßige Verhältnisse zum Maßstab für die Beurteilung der besonderen Gefährlichkeit der Lebensweise und der dienstlichen Verrichtungen der Stabshelferin von Mitte April bis 18. Mai 1944, sondern die schwierigen Arbeitsbedingungen eines großen Teils der Arbeitnehmer in Deutschland während des Krieges, so hat das LSG für Unterkunft und Dienst den Charakter besonderer kriegseigentümlicher Gefährlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 Halbsatz 2 BVG ohne Rechtsirrtum noch verneinen können.
Das LSG brauchte auch nicht wegen der schwächlichen Konstitution der Verstorbenen die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Kaserne in Rastatt als besonders gefährlich anzusehen. Das LSG hatte nicht zu prüfen, ob die objektiven Gefahren der Unterkunft sich auf die Stabshelferin ungünstig auswirkten, sondern nur, ob der Gefahrenbereich, dem die Tochter der Klägerin in der Kaserne in Rastatt ausgesetzt war, größer als der Gefahrenkreis war, den sonst vergleichbare Arbeitnehmer in den letzten Kriegsjahren in Deutschland ausgesetzt waren. Das unterscheidende Merkmal für die Abgrenzung der allgemeinen und der besonderen Gefahren im Sinne des § 3 Abs. 2 BVG ist ebenso wie im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG nicht in der Person der gesundheitlich gefährdeten Stabshelferin, sondern in der Gefahrenquelle zu suchen (BSG 2, 103). Bei einem Vergleich der Gefahrenquellen stellen sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Stabshelferin in Rastatt nicht wesentlich ungünstiger dar, als die Bedingungen eines großen Teils der Arbeitnehmer im Kriege. Das LSG hat daher annehmen können, daß der von der Tochter der Klägerin geleistete Dienst nicht mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren im Sinne des § 3 Abs. 2 Halbsatz 2 BVG verbunden war. Das LSG hat mithin ohne Gesetzesverletzung einen Versorgungsanspruch nach § 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 BVG verneint.
Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte die Revision keinen Erfolg haben; sie war mithin gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen