Leitsatz (redaktionell)
Assessoren, die dem Gericht als "wissenschaftliche Hilfsarbeiter" oder "zur Einweisung" zugeteilt sind, dürfen bei der Urteilsberatung und -abstimmung nicht zugegen sein.
Normenkette
SGG § 61 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; GVG § 193 Fassung: 1950-09-12
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 1960 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 1960 änderte auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 20. Dezember 1957 dahin ab, daß die Klage abgewiesen wurde. Revision wurde nicht zugelassen. Mit der Revision rügt der Kläger, in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 25. Januar 1960 habe der dem entscheidenden Senat des LSG als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter zugeteilte Assessor A (A.) an der Beratung des Senats teilgenommen. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 17. Mai 1957 sei damit das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil eine entsprechende Anwendung des § 193 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) bei einem Assessor, der sich nicht mehr in der juristischen Ausbildung befinde, entfalle. Das angefochtene Urteil unterliege wegen dieses wesentlichen Verfahrensmangels der Aufhebung. Die Revision sei auch begründet, da die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts einen unbedingten Revisionsgrund darstelle (§ 202 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - i. V. m. § 551 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Die Revision sei im übrigen sachlich gerechtfertigt, weil das LSG trotz der Beanstandung des Klägers den Eiweißmangelschaden nach seinem Abklingen zu Unrecht in der Leidensbezeichnung nicht mehr aufgeführt habe.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Er ist der Auffassung, daß die Assessoren angesichts des Umstandes, daß das Sozialrecht nicht Gegenstand der Großen juristischen Staatsprüfung sei, zu ihrer juristischen Ausbildung sich beim LSG befänden, weshalb die Voraussetzungen des § 193 GVG gegeben seien. Im übrigen habe das LSG zu Recht in der Leidensbezeichnung das Weglassen des Eiweißmangelschadens nach seinem Abklingen nicht beanstandet.
Der Senat hat den damaligen Senatsvorsitzenden des LSG und die beisitzenden Berufsrichter sowie Assessor A. zu dienstlichen Äußerungen über die Teilnahme des Assessors an der Beratung veranlaßt. Ferner hat der seinerzeitige Prozeßbevollmächtigte des Klägers eine eidesstattliche Erklärung über diese Frage abgegeben. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt. Der Senat hat von der Möglichkeit, in dieser Weise zu verfahren, Gebrauch gemacht.
Die nicht zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 164, 166 SGG). Sie erweist sich auch als statthaft, da der gerügte Verfahrensmangel vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150).
Der Senat hat es als nachgewiesen erachtet, daß Assessor A. an der der Verkündung des angefochtenen Urteils unmittelbar vorausgegangenen Beratung teilgenommen hat. Der damalige Senatsvorsitzende und die beisitzenden Berufsrichter haben bekundet, daß Assessor A. dem erkennenden Senat in der fraglichen Zeit zur "Einweisung" zugeteilt gewesen sei und daß er in der Regel an den Beratungen des Senats teilgenommen habe. Da er im Januar 1960 weder beurlaubt gewesen sei noch krankheitshalber gefehlt habe, sei anzunehmen, daß er auch an der Sitzung des Senats am 25. Januar 1960 teilgenommen habe. Assessor A. hat dies bestätigt, jedoch - ebenso wie die Berufsrichter des Senats - mit Sicherheit nicht mehr sagen können, ob er gerade auch bei der Beratung der vorliegenden Streitsache anwesend gewesen ist. Unter Würdigung der Terminnotiz des damaligen Prozeßbevollmächtigten und seiner eidesstattlichen Erklärung vom 7. März 1962, wonach Assessor A. während der Verhandlung hinter der Richterbank gesessen haben und nach Schluß der mündlichen Verhandlung mit in das dahinter liegende Beratungszimmer gegangen sein müsse, hat der Senat als erwiesen angesehen, daß Assessor A. auch in der vorliegenden Streitsache bei der Beratung zugegen gewesen ist.
Durch die Anwesenheit des Assessors A. in der Beratung war das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn nach § 61 SGG i. V. m. § 193 GVG dürfen bei der Beratung und Abstimmung außer den zur Entscheidung berufenen Richtern nur die bei demselben Gericht zu ihrer juristischen Ausbildung beschäftigten Personen zugegen sein, soweit der Vorsitzende deren Anwesenheit gestattet. Daß Assessor A. nicht zu den zur Entscheidung berufenen Richtern gehörte, bedarf keiner näheren Ausführung. § 193 GVG dient dem Zweck, das Beratungsgeheimnis zu wahren und jede Möglichkeit einer Beeinflussung der Richter durch dritte Personen bei der Urteilsfindung auszuschließen. Da in dieser Hinsicht keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit und in der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit bestehen, es sich vielmehr bei dieser Abschirmung des erkennenden Gerichts gegen fremde Einflüsse um allgemeine Grundsätze rechtsprechender Tätigkeit überhaupt handelt, ist § 193 GVG in der Sozialgerichtsbarkeit in einer mit der Handhabung in anderen Zweigen der Gerichtsbarkeit, für die § 193 GVG gilt, übereinstimmenden Weise anzuwenden (vgl. BSG 13, 147). Das Bundessozialgericht (BSG) hat in diesem Urteil unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BVerwG sowie auf die Literatur entschieden, daß die Verwendung eines Assessors beim LSG als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter keine Ausbildung im Sinne des § 193 GVG, sondern eine Fortbildung darstellt, da er bereits die Fähigkeit zum Richteramt besitzt. Infolgedessen darf dieser bei der Beratung und Abstimmung des Senats nicht zugegen sein. Der erkennende Senat tritt dieser Entscheidung mit der Maßgabe bei, daß dasselbe auch dann zu gelten hat, wenn der Assessor dem LSG "zur Einweisung" zugeteilt worden ist. Denn zu den Personen, die dem Gericht zur juristischen Ausbildung überwiesen sind, gehören nur diejenigen, welche die erste, nicht aber solche, die die zweite (Große) juristische Staatsprüfung bestanden und damit die Befähigung zum Richteramt erlangt haben (vgl. BVerwG 5, 85; BSG 13, 150; Baumbach/Lauterbach, Komm. z. ZPO, 26. Aufl. Anm. 2 zu § 193 GVG; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 20 II 5, S. 84).
Die Revision ist somit wegen Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 193 GVG statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) Sie ist auch begründet, weil die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß das Urteil auf der Anwesenheit des Assessors A. beruht. Da die Feststellungen des LSG nicht in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise zustande gekommen sind, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen