Beteiligte
AOK – Die Gesundheitskasse für Niedersachsen |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. September 1999 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 27. September 1995 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Kosten für eine autologe Tumorvakzine. Dabei handelt es sich um ein besonderes Medikament, das aus patienteneigenem Tumorgewebe aufbereitet und dem Erkrankten als Impfstoff injiziert wird; die Injektionen sollen als aktiv-spezifische Immuntherapie (ASI) die Immunabwehr des Patienten stärken und auf diesem Wege einer Metastasierung und einem Fortschreiten der Krebserkrankung entgegenwirken.
Der Klägerin wurde im März 1994 wegen eines Mamma-Karzinoms die linke Brust entfernt. Im April 1994 beantragte sie bei der beklagten Krankenkasse die Übernahme der Kosten einer aktiv-spezifischen Immuntherapie, die von dem Frauenarzt und Diplombiologen Dr. N. durchgeführt werden sollte. Dr. N. ist gleichzeitig Geschäftsführer des I. für T. GmbH in D., einer Firma, die die für die Behandlung benötigten Tumorvakzine herstellt. Die Beklagte lehnte nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung im Juni 1994 den Antrag ab, weil über die Wirksamkeit der ASI keine gesicherten Erkenntnisse vorlägen. Die Klägerin ist in der Folgezeit bis Ende 1996 von Dr. N. behandelt worden.
Nach Vernehmung von Dr. N. als Zeugen hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte zur Zahlung von 12.420 DM nebst 4% Zinsen ab Rechtshängigkeit verurteilt. Es hat insbesondere die Auffassung vertreten, bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen werde dem von der Rechtsprechung geforderten Qualitätsstandard durch eine Plausibilitätskontrolle genügt. Das Landessozialgericht (LSG) hat Dr. N. als Sachverständigen bzw als „Beistand” des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mündlich und schriftlich angehört sowie ein schriftliches Sachverständigengutachten bei dem Allgemeinarzt Dr. A. eingeholt. Zur Begründung des die Berufung der Beklagten zurückweisenden Urteils hat es sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) berufen, wonach eine neue Behandlungsmethode trotz fehlender Empfehlung durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen gehöre, wenn es sich um einen Systemmangel handle und wenn die Methode in der ärztlichen Praxis verbreitet sei und eine genügende Resonanz in der wissenschaftlichen Diskussion gefunden habe. Beide Voraussetzungen lägen vor, so daß es auf mögliche Bedenken gegen eine zu weitgehende Beschränkung von Leistungsansprüchen durch diese Rechtsprechung nicht ankomme.
Mit der Revision rügt die Beklagte insbesondere die Verletzung der §§ 2 und 135 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Das LSG sei auf die Wirksamkeit der angewandten Behandlungsmethode zu Unrecht nicht eingegangen und es habe zu Unrecht einen Systemmangel sowie die tatsächliche Verbreitung angenommen. Das angefochtene Urteil leide unter Verfahrensfehlern, weil das LSG über einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen Dr. A. nicht entschieden und mit der Berufung auf angebliche Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Immunologie eine falsche Urkunde iS von § 580 Nr 2 Zivilprozeßordnung verwertet habe.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen vom 27. September 1995 und vom 22. September 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig und begründet.
Das angefochtene Urteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil das LSG nicht sachlich hätte entscheiden dürfen, ohne über das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Dr. A. zu befinden. Dabei kann offenbleiben, ob den prozessualen Erfordernissen genügt worden wäre, wenn sich das LSG mit dem Ablehnungsgesuch in den schriftlichen Urteilsgründen auseinandergesetzt hätte, denn dies ist nicht geschehen. Da die Beklagte das Ablehnungsgesuch angebracht und mit näheren Angaben zur möglichen Voreingenommenheit des Sachverständigen belegt hat, sobald ihr die Bestellung zum Sachverständigen mit gerichtlicher Verfügung vom 15. April 1998 mitgeteilt worden war, durfte der Antrag der Beklagten nicht einfach übergangen werden. Die Entgegnung des Sachverständigen im vorgelegten Gutachten macht eine Bescheidung des Befangenheitsantrags seitens des Gerichts nicht entbehrlich. Das Vorgehen des LSG ist im konkreten Fall auch nicht damit zu rechtfertigen, daß das fragliche Gutachten für die Entscheidung unerheblich gewesen wäre, denn das angefochtene Urteil nimmt ausdrücklich auf Dr. A. Bezug, um die Resonanz der medizinischen Fachdiskussion auf das Konzept der aktiv-spezifischen Immuntherapien und deren Verbreitung in der Praxis zu untermauern. Daß die geschilderten Umstände einen Verfahrensfehler ergeben, der grundsätzlich zur Zurückverweisung führt, ist durch das Urteil des 5. Senats des BSG vom 15. März 1995 (BSG SozR 3-1500 § 170 Nr 5 mwN) unter Berücksichtigung der einschlägigen Erkenntnisse der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes geklärt, auf das der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen verweist.
Ausführungen zu den übrigen Verfahrensrügen sind nach § 170 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entbehrlich.
Eine Zurückverweisung ist trotz der Unverwertbarkeit des angegriffenen Gutachtens nicht geboten, weil es für die Revisionsentscheidung darauf nicht ankommt (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Beklagte für die Herstellung der Tumorvakzine, weil ihr keine Kosten entstanden sind. Ob die bei der Klägerin angewandte ASI zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört (bei Behandlung eines Nierenzellkarzinoms vom Senat verneint im Urteil vom 28. März 2000 – 1 R 11/98 R, zur Veröffentlichung bestimmt) oder dem Anspruch andere Gründe entgegenstehen, kann offenbleiben.
Eine Einstandspflicht der Beklagten für die Kosten der bei der Klägerin angewandten Tumorvakzine kommt nur unter dem Gesichtspunkt der selbstbeschafften Leistung in Betracht. Eine vertrauensgeschützte faktische Inanspruchnahme als Sachleistung (hierzu: BSGE 82, 158, 162 = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 28 mwN) scheitert jedenfalls daran, daß die Klägerin die Kostenübernahme ausdrücklich beantragt hat. Ein solche Antragstellung vor der Behandlung ergibt nur dann einen Sinn, wenn aus der Sicht des Versicherten bzw des behandelnden Arztes eine kostenfreie Sachleistung unmittelbar zu Lasten der Krankenkasse nicht in Betracht kam, weil beide davon ausgingen, daß die angewandte Therapie nicht als „übliche” Kassenleistung abrechenbar sei.
Nach § 13 Abs 3 SGB V sind dem Versicherten Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte. Diese Voraussetzungen sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die Anwendung der ASI bei der Klägerin keine Kosten im vorgenannten Sinne verursacht hat. Für die Herstellung der autologen Tumorvakzine schuldet sie weder ihrem behandelnden Arzt noch dem I. für T. eine Vergütung, für welche die Beklagte nach Krankenversicherungsrecht einzustehen hätte. § 13 Abs 3 SGB V hat, wie der Senat entschieden hat, nur den Zweck, den Versicherten so zu stellen, wie er bei Gewährung einer Sachleistung stehen würde; die Bestimmung kann folglich nur Kosten erfassen, von denen der Versicherte bei regulärer Leistungserbringung befreit wäre. Andere Kosten, etwa die Verpflichtung gegenüber einem anderen als dem krankenversicherungsrechtlich zulässigen Leistungserbringer (dazu: Urteil vom 15. April 1997 – BSGE 80, 181 = SozR 3-2500 § 13 Nr 14) oder Zahlungen, die einem Leistungserbringer ohne Rechtsgrund zugewendet werden, (dazu: Urteil vom 23. Juli 1998 – SozR 3-2500 § 13 Nr 17), lösen keinen Anspruch aus, weil sonst die krankenversicherungsrechtliche Bindung an die zulässigen Formen der Leistungserbringung durch den Anspruch auf Kostenerstattung ohne weiteres durchbrochen werden könnte (vgl auch Senatsurteil vom 24. September 1996 – BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; zum Ganzen ferner Senatsurteil vom 28. März 2000 – B 1 KR 21/99 R, zur Veröffentlichung bestimmt).
Die Vorinstanzen haben die Beklagte zur Zahlung der Herstellungskosten für die der Klägerin verabreichten Tumorvakzine verurteilt, so daß nur diese Kosten im Streit sind. Insoweit ist jedoch eine Zahlungsverpflichtung der Klägerin nicht begründet worden. Als liquidationsberechtigter behandelnder Arzt kommt im konkreten Fall nur Dr. N. in Betracht. Im angefochtenen Urteil ist zwar nicht ausdrücklich festgestellt, welcher Arzt die Injektionen der autologen Tumorvakzine bei der Klägerin durchgeführt oder veranlaßt hat; nach dem Verfahrensgang sowie dem Gesamtinhalt der getroffenen Feststellungen und der in Bezug genommenen Akten kann dies jedoch nur Dr. N. gewesen sein: Der ursprüngliche Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme bezieht sich auf die Herstellung der Tumorvakzine durch das von Dr. N. geleitete I. für T.. Das SG hat diesen Arzt als Zeugen, das LSG hat ihn als Sachverständigen unter anderem zur Indikation und zum Ergebnis der Behandlung mit der ASI in jedem einzelnen der gemeinsam erörterten Parallelfälle befragt. Von einem anderen Arzt, der die Behandlung mit der ASI abzurechnen berechtigt sein könnte, ist an keiner Stelle die Rede.
Dr. N. kann weder als behandelnder Arzt noch als Geschäftsführer des I. für T. der Klägerin erstattungsfähige Kosten für die ASI in Rechnung stellen. Das LSG hat in der Sitzungsniederschrift vom 22. Januar 1997 eine Erklärung Dr. N. aufgenommen, worin dieser zum Ausdruck gebracht hat, daß er ein Entgelt für seine Leistungen bisher nicht verlangt hat und erst verlangen will, wenn die Krankenkasse ihrerseits Kosten erstatte. Dadurch ist ein Freistellungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V unter den beiden hier in Betracht kommenden Aspekten ausgeschlossen.
Die Erklärung besagt in Bezug auf das I. für T., daß an eine direkte Abrechnung zwischen diesem und der Klägerin nie gedacht war. Das wird durch den Umstand bestätigt, daß die Herstellerfirma die bei ihr entstandenen Kosten der beklagten AOK und nicht der jeweiligen Patientin in Rechnung gestellt hat, wie aus den beim Senat anhängigen Parallelverfahren bekannt ist. In einem von der Beklagten vorgelegten Schreiben des Instituts vom November 1994 wurde den Patientinnen bzw ihren Angehörigen zugesichert, daß das Institut keinesfalls den Versicherten, sondern nur die AOK auf die Kosten in Anspruch nehmen werde. Infolgedessen kommt es hier auf die Erwägungen nicht an, die im Urteil des Senats vom 28. März 2000 gegen eine Rechnungsstellung durch den Hersteller von autologen Tumorvakzinen angeführt sind (B 1 KR 21/99 R, zur Veröffentlichung bestimmt). Auch im Verhältnis zum behandelnden Arzt ist die Klägerin keiner erstattungsfähigen Vergütungsforderung ausgesetzt. Eine Honorarabrechnung auf der Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ in der hier einschlägigen, vom 1. Juli 1988 bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Fassung, BGBl I 1988, 797) ist nach der vom LSG aufgenommenen Erklärung bisher nicht erteilt; sie ist aber nach der Rechtsprechung des Senats eine wesentliche Voraussetzung für den Kostenerstattungsanspruch (hierzu ebenfalls Urteil vom 28. März 2000 – B 1 KR 21/99 R, zur Veröffentlichung bestimmt; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 17 S 78 f).
Soweit sich Dr. N. nach seiner Erklärung vorbehalten hat, der Klägerin Kosten in Rechnung zu stellen, falls die Krankenkasse die Kosten erstatte, vermag dies ebenfalls keinen Kostenerstattungsanspruch zu begründen. Andernfalls könnte das Kostenerstattungsverfahren nach § 13 Abs 3 SGB V dazu genutzt werden, die Leistungspflicht der Krankenkasse für eine bestimmte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode losgelöst von einer tatsächlichen Kostenbelastung abstrakt klären zu lassen. Wortlaut, Zweck und Systematik der Vorschrift lassen ein solches Vorgehen jedoch nicht zu. Durch die Kostenerstattung in Fällen eines Systemversagens wird eine Lücke in dem durch das Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung garantierten Versicherungsschutz geschlossen. Dem Versicherten wird die Kostenlast auch dann abgenommen, wenn er ausnahmsweise eine notwendige Leistung selbst beschaffen und bezahlen muß. Übernimmt dagegen der Leistungserbringer oder wie hier der Hersteller eines Arzneimittels das finanzielle Risiko in der Weise, daß ein Anspruch gegen den Versicherten nur entstehen soll, wenn dessen Krankenkasse die Kosten trägt, so wird die in § 13 Abs 3 SGB V festgelegte Beziehung von Tatbestand und Rechtsfolge in ihr Gegenteil verkehrt: Ein Behandlungsaufwand ist dann nicht Voraussetzung für die Leistungspflicht, sondern deren Folge.
Außerdem wäre eine Inanspruchnahme der Krankenkasse, ohne daß dem Versicherten konkret Kosten entstanden sind, mit übergeordneten gesetzgeberischen Zielen nicht zu vereinbaren. Denn sie würde es erlauben, sich Gesundheitsleistungen ohne Kostenrisiko selbst zu beschaffen und den Sachleistungsgrundsatz der Krankenversicherung zu unterlaufen. Zugleich erhielten Leistungsanbieter die Gelegenheit, mit Hilfe kostenloser Behandlungsangebote über den Weg des Kostenerstattungsverfahrens eine Ausweitung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung zu erreichen. Das ist mit der Aufgabenstellung der Krankenversicherung und mit den Zielen gesundheitsrechtlicher Vorschriften, insbesondere des Arzneimittelgesetzes (AMG), nicht in Einklang zu bringen. Hierzu enthält das bereits mehrfach zitierte Urteil des Senats vom 28. März 2000 (B 1 KR 21/99 R, zur Veröffentlichung bestimmt) nähere Ausführungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Darin hat der Senat betont, daß es dabei nicht nur um den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung vor sachlich nicht gerechtfertigten Ausweitungen des Leistungsumfangs oder um die Kontrolle von Leistung und Abrechnung des Therapeuten geht. Vielmehr ist auch das allgemeingesellschaftliche Interesse berührt, die Therapieentscheidung des Arztes und seines Patienten vor dem durch kostenlose Leistungsangebote zu befürchtenden sachfremden Einfluß zu bewahren. Aus diesem Grund ist die kostenlose Bereitstellung von Arzneimitteln durch die Vorschriften des AMG und des Heilmittelwerbegesetzes (Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens = HeilmWerbG, in der Fassung der Neubekanntmachung vom 19. Oktober 1994, BGBl I 3068) schon seit Jahrzehnten auf bestimmte Empfänger und auf einen bestimmten Umfang beschränkt, wie ebenfalls näher ausgeführt wird. Diese Erwägungen hindern auch im Falle der Klägerin eine Auslegung von § 13 Abs 3 SGB V, die es dem behandelnden Arzt Dr. N. ermöglichen würde, die Behandlung mit autologen Tumorvakzinen für den Versicherten kostenfrei – also praktisch als Sachleistung – erbringen und liquidieren zu können, ohne auf die Beschränkungen des Sachleistungssystems Rücksicht nehmen zu müssen.
Die Absicht, durch ein außervertragsärztliches, aber dennoch kostenloses Angebot von medizinischen Leistungen die gesetzlich vorgesehene Verteilung von Risiken zwischen Patient, Arzt und Krankenkasse zu unterlaufen, ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der im Termin vom 22. Januar 1997 vor dem LSG beurkundeten Erklärung Dr. N.. Denn die Ankündigung, eine Vergütung zu fordern, falls die Krankenkasse die Leistung übernehme, bedeutet keine Kostenlast und kein Kostenrisiko für den Patienten. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Senat nicht gehindert, diese Erklärung der revisionsgerichtlichen Beurteilung zu Grunde zu legen, zumal das LSG im schriftlichen Urteil wegen des Vortrags der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Prozeßakten ausdrücklich Bezug genommen und die Klägerin den Inhalt der Aussage zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gezogen hat. Da sich das LSG auf die Prüfung beschränkt hat, ob der Klägerin ein Sachleistungsanspruch zugestanden hätte, an dessen Stelle der Anspruch nach § 13 Abs 3 SGB V getreten sein könnte und zu den übrigen Voraussetzungen des § 13 Abs 3 SGB V nicht Stellung nimmt, enthält das Berufungsurteil auch nicht sinngemäß die Feststellung, daß die Klägerin einer Kostenforderung ausgesetzt sei. Unter diesen Umständen ist der Senat nach § 170 Abs 2 Satz 1 SGG verpflichtet, aus den im Gesamtzusammenhang erkennbaren Tatsachen die notwendigen rechtlichen Schlüsse zu ziehen.
Nach § 136 Abs 2 Satz 1 SGG kann die Darstellung des Tatbestands durch eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zur Sitzungsniederschrift erfolgten Feststellungen ersetzt werden; nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dieser Vorschrift und den in diesem Punkt vergleichbaren anderen Prozeßordnungen kann das Revisionsgericht seine Entscheidung auf alle Tatsachen stützen, die auf diesem Wege Inhalt der tatrichterlichen Feststellungen geworden sind. Der Senat braucht nicht dazu Stellung zu nehmen, ob dies bei der Überprüfung von Verfahrensrügen sogar ohne entsprechende Bezugnahme auf die fraglichen Vorgänge durch das Instanzgericht gilt (so aber BGH vom 16. Juni 1992 – LM BGB § 276 ≪Cc≫ Nr 32 Bl 2015 = NJW 1992, 2148, 2149). Jedenfalls umfassen die tatrichterlichen Feststellungen den Inhalt schriftlicher Unterlagen, die das Gericht zum Bestandteil der Prozeßakten und durch ausdrückliche Bezugnahme zum Gegenstand seines Urteils gemacht hat (vgl BVerwG vom 6. Juli 1984 – Buchholz 406.11 § 2a BBauG Nr 7 S 4 = NJW 1985, 1570 – insoweit in BVerwGE 69, 344 nicht abgedruckt: revisionsgerichtliche Berücksichtigung eines Bebauungsplans; BVerwG vom 28. November 1980 – Buchholz 237.0 § 8 LBG BW Nr 2 S 21 f – insoweit in BVerwGE 61, 200 nicht abgedruckt: revisionsgerichtliche Bewertung von Äußerungen des Klägers in einem Buch; BFH vom 12. April 1984 – IV R 226/83 – nicht veröffentlicht: revisionsgerichtliche Beurteilung einer Unterschrift; vgl auch BGH NJW 1990, 2755: vom Berufungsgericht in Bezug genommener Pfändungs- und Überweisungsbeschluß). Ein anderes Ergebnis wäre insbesondere wegen Tatsachen, die einer vom Instanzgericht aufgenommenen Sitzungsniederschrift zu entnehmen sind, mit dem Grundsatz der Prozeßökonomie nicht zu vereinbaren (zu dessen Berücksichtigung in vergleichbarem Zusammenhang: BSG vom 27. November 1991 – 9a RV 29/90 mwN). Denn der Senat müßte den Rechtsstreit zurückverweisen und dem LSG die Klärung genau derjenigen Frage aufgeben, die auf der Grundlage der vorhandenen Niederschrift bereits ohne weiteres zu beantworten ist. Bedenken gegen die Berücksichtigung einer gerichtlich protokollierten Erklärung ergeben sich um so weniger, als der Erklärende sich der möglichen rechtlichen Bedeutung seiner Erklärung bewußt sein mußte und die Beteiligten unmittelbar Gelegenheit hatten, dazu in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Der Verwertung im Revisionsverfahren kann nach der neueren Rechtsprechung des BSG schließlich nicht entgegengehalten werden, das Berufungsurteil beruhe seinerseits nicht auf den festgestellten Tatsachen (BSGE 73, 195 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3 gegen BSGE 9, 80 = SozR Nr 17 zu § 55 SGG).
Da die Vorinstanzen der Klage zu Unrecht stattgegeben haben, sind deren Urteile aufzuheben. Mangels eines Erstattungsanspruchs ist die Klage abzuweisen, ohne daß es auf die vom LSG erörterten Rechtsfragen ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 743285 |
SGb 2000, 409 |
AuS 2000, 63 |