Leitsatz (amtlich)

Hat sich der Versicherte in einem Unterhaltsvergleich verpflichtet, seiner geschiedenen Ehefrau Unterhalt auch für den Fall zu leisten, daß sich sein Einkommen ändere und er eine neue Ehe eingehe, so stellt ein solcher Unterhaltsvergleich einen sonstigen Grund iS des RVO § 1265 nicht dar, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes dem Unterhaltsanspruch die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung BGB § 242 mit Erfolg hätte entgegenhalten können.

Die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aus einem solchen Unterhaltsvergleich stellt sich nach Treu und Glauben als unzulässige Rechtsausübung dar, wenn die Erfüllung des Unterhaltsvertrages die wirtschaftliche Existenz des Versicherten gefährdete (RG 166,40 ff)

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Unterhaltsvergleich stellt keinen "sonstigen Grund" iS des RVO § 1265 dar, wenn sich die Verhältnisse des Verpflichteten in solchem Umfang geändert haben, daß die Berufung auf die in dem Vergleich getroffenen Abreden gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

 

Normenkette

RVO § 1265 S. 1 Alt. 2 Fassung: 1957-02-23; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. Juni 1962 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die im Jahre 1893 geborene Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente aus der Arbeiterrentenversicherung (ArV) ihres früheren am 22. April 1947 verstorbenen Ehemannes. Ihre Ehe war am 2. Februar 1942 geschieden und der Versicherte für allein schuldig erklärt worden. Am selben Tage hatten sie vor dem Landgericht (LG) Berlin folgenden Vergleich geschlossen: "Der Kläger verpflichtet sich, an die Beklagte vom 1. Februar 1942 ab wöchentlich im voraus 20,- RM Unterhaltsrente zu zahlen. Bei dieser Rente soll es auch verbleiben, wenn sich das Einkommen des Klägers verändert und er zu einer neuen Ehe schreitet. Der Kläger verpflichtet sich ferner der Beklagten gegenüber, die Kosten dieses Rechtsstreits und des Vergleichs zu tragen. Der Unterhaltsanspruch des gemeinschaftlichen Sohnes der Parteien an den Kläger wird hierdurch nicht berührt".

Seit September 1945 war der Versicherte als Kraftfahrzeugelektriker beschäftigt. Vom 10. Februar 1947 bis zu seinem Tod befand er sich wegen einer Lungen- und Kehlkopftuberkulose in stationärer Krankenhausbehandlung. Vor dieser Erkrankung betrug sein Bruttoeinkommen vom 20. September 1945 bis 31. Dezember 1945 = RM 748,90, vom 1. Januar bis 31. Dezember 1946 = RM 2.901,45 und vom 1. Januar 1947 bis 13. Februar 1947 = RM 314,40. Während dieser Zeiten zahlte er der Klägerin keinen Unterhalt.

Den bereits im Juni 1953 von der Klägerin gestellten Antrag auf die Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte ab. Die dagegen eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. Durch rechtskräftiges Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 10. April 1956 wurde die Berufung der Klägerin zurückgewiesen; in dem Urteil ist die Rechtsfrage, ob der Versicherte der Klägerin gegenüber im Zeitpunkt seines Todes oder in einer angemessenen Zeit vorher nach dem Ehegesetz (EheG) vom 20. Februar 1946 unterhaltspflichtig war, verneint worden.

Die Klägerin beantragte am 9. März 1957 erneut, ihr Hinterbliebenenrente auf Grund des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) zu gewähren. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 27. Februar 1959 mit der Begründung ab, der Versicherte sei zur Zeit seines Todes wegen seiner Krankheit ohne Einkommen gewesen und habe auch vorher seit 1945 ein so geringes Einkommen gehabt, daß er nicht in der Lage gewesen sei, Unterhalt zu zahlen, ohne seinen eigenen Lebensunterhalt zu gefährden. Mit der gegen den Bescheid erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, sie selbst habe zur Zeit des Todes des Versicherten Sozialunterstützung bezogen; der Versicherte sei zumindest auf Grund des Unterhaltsvergleichs vom 2. Februar 1942 verpflichtet gewesen, ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt zu gewähren, ohne daß es auf eine Prüfung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse angekommen wäre. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin seit dem 1. März 1957 Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes zu zahlen. Es hat die Revision zugelassen. Das LSG hat angenommen, mit dem Vergleich vom 2. Februar 1942 hätten die Klägerin und der Versicherte nicht nur die Unterhaltspflicht nach dem EheG bekräftigen, sondern bewußt eine vertragliche Unterhaltsregelung treffen wollen, die über die gesetzlichen Unterhaltspflichten hinausgegangen sei. Ein solcher Unterhaltsvertrag stelle einen sonstigen Grund im Sinne des § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) dar. Dieser Unterhaltsvertrag habe zur Zeit des Todes des Versicherten noch bestanden und habe zu diesem Zeitpunkt eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten der Klägerin gegenüber begründet.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 1265 RVO und führt aus, das LSG habe nicht beachtet, daß ebenso wie bei der Abänderung eines Urteils oder eines Prozeßvergleichs auch bei einem "sonstigen Grund" geprüft werden müsse, ob er während des letzten Dauerzustandes vor dem Tode des Versicherten noch der materiellen Rechtslage entsprochen habe. Der Versicherte sei nach dem Kriege an Lungen- und Kehlkopftuberkulose erkrankt gewesen. An diesem Leiden sei er auch verstorben. Wegen dieses Leidens sei sein Einkommen von ursprünglich 5.300,- RM jährlich um mehr als die Hälfte auf 220,- RM monatlich im Jahre 1945 gesunken. Nach der Art und Schwere des Leidens müsse ein erheblicher Eigenbedarf wegen erhöhter Pflegekosten, Kräftigungs- und Stärkungsmittel berücksichtigt werden. Außerdem sei zu beachten, daß die Lebenshaltung nach dem Kriege wesentlich teurer gewesen sei als in den Jahren vorher. Die Revision meint, daß die nach Abschluß des Vergleichs eingetretene Erkrankung, das nicht voraussehbare Absinken der Einkünfte infolge dieser Erkrankung und das Steigen der Lebenshaltungskosten den Versicherten berechtigt hätten, wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse sich auf § 323 der Zivilprozeßordnung - ZPO - zu berufen. Das LSG habe auch nicht bedacht, daß der Versicherte zur Zeit seines Todes ein unterhaltsberechtigtes Kind von 12 Jahren hatte. Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Berlin vom 1. Juni 1962 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen

das Urteil des SG Berlin vom 1. Dezember 1960 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die zulässige Revision der Beklagten hatte insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen worden ist.

Bei der Entscheidung über den im März 1957 erneut gestellten Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres von ihr geschiedenen Ehemannes war von § 1265 RVO auszugehen, der gemäß Art. 2 § 19 ArVNG Anwendung findet, da der versicherte frühere Ehemann zwar vor dem Inkrafttreten des ArVNG und damit des § 1265 RVO in seiner jetzigen Fassung, aber nach dem 30. April 1942 gestorben ist. Allerdings war nach Art. 2 § 44 ArVNG, da der Rentenantrag der Klägerin vom Juni 1953 durch das rechtskräftige Urteil des LSG Berlin vom 10. April 1956 bereits zurückgewiesen worden war, zu prüfen, ob die Vorschrift des § 1265 RVO gegenüber der früheren Regelung des § 1256 Abs. 4 RVO a. F. günstiger ist. § 1265 RVO bestimmt, daß einer früheren Ehefrau eines Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist, nach dessen Tode Rente gewährt wird, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Diese Vorschrift ist insoweit günstiger als § 1256 Abs. 4 RVO a. F., als sie die Rente auch dann gewährt, wenn der Versicherte aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Nur insofern kam eine neue Prüfung des Rentenanspruchs der Klägerin in Betracht. Ob der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes nach den Vorschriften des EheG Unterhalt zu leisten hatte, konnte hingegen nicht mehr geprüft werden, weil diese Rechtsfrage durch das Urteil des LSG Berlin vom 10. April 1956 bereits rechtskräftig verneint worden ist und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an diese Entscheidung gebunden sind (Art. 2 § 44 Satz 2 ArVNG). Da der Versicherte der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt nicht geleistet hat, wie das Berufungsgericht unangefochten festgestellt hat, war nur noch zu prüfen, ob der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes Unterhalt aus sonstigen Gründen zu leisten hatte. Diese Voraussetzung hat das LSG als erfüllt angesehen, weil der Unterhaltsvergleich vom 2. Februar 1942 einen sonstigen Grund i. S. des § 1265 RVO darstelle. Dem konnte der Senat nicht ohne weiteres folgen.

Es konnte auf sich beruhen, ob der vor dem LG Berlin am 2. Februar 1942 zu Protokoll des Gerichts geschlossene Unterhaltsvergleich einen Prozeßvergleich und damit einen Vollstreckungstitel i. S. des § 794 Nr. 1 ZPO darstellt oder nur einen in Form der gerichtlichen Protokollierung geschlossenen bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsvertrag, was davon abhängt, ob er vor oder nach Rechtskraft des Ehescheidungsurteils zu Protokoll des Gerichts erklärt worden ist (BGH 15, 195 ff; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 26. Aufl., § 617 Anm. 4 A). Handelt es sich bei dem Unterhaltsvergleich um einen Prozeßvergleich und Vollstreckungstitel, so kommt ihm die Bedeutung eines sonstigen Grundes i. S. des § 1265 RVO nicht zu, wenn der Versicherte wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse zur Zeit seines Todes die Wirkung des Vollstreckungstitels gemäß den §§ 323, 767 ZPO hätte beseitigen können (Großer Senat in BSG 20, 1 ff.). Ist der Unterhaltsvergleich aber als bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsvertrag anzusehen, so kommt auch er als sonstiger Grund i. S. des § 1265 RVO nicht in Betracht, wenn wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage unter Anwendung des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zur Zeit des Todes des Versicherten eine Unterhaltspflicht aus dem Unterhaltsvertrag nicht mehr bestanden hat. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht auch nicht verkannt. Es hat jedoch angenommen, daß für den Versicherten auf Grund der in dem Unterhaltsvergleich getroffenen besonderen Abreden das Recht ausgeschlossen gewesen sei, sich auf den Einwand einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse i. S. der §§ 323, 767 ZPO und auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 242 BGB zu berufen. Dem ist zwar grundsätzlich zuzustimmen; denn nach dem Unterhaltsvertrag sollte weder eine Änderung des Einkommens des Versicherten noch seine erneute Eheschließung den Anspruch der Klägerin auf eine Unterhaltsrente von 20,- RM wöchentlich beeinträchtigen; der Unterhaltsanspruch der Klägerin sollte in diesen Fällen von der Leistungsfähigkeit des Versicherten und der Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin unabhängig sein. Das Berufungsgericht hat auch in Erwägung gezogen, ob trotz dieser Abreden in dem Unterhaltsvergleich der Versicherte sich hätte darauf berufen können, daß sich wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aus dem Unterhaltsvergleich durch die Klägerin als unzulässige Rechtsausübung dargestellt hätte. Es hat jedoch eine eigene Prüfung und Entscheidung dieser Rechtsfrage nicht vorgenommen, offenbar in der Annahme, daß das Nichtbestehen der Unterhaltspflicht aus dem Unterhaltsvergleich erst hätte berücksichtigt werden können, nachdem durch eine besondere gerichtliche Entscheidung festgestellt worden wäre, daß die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aus dem Unterhaltsvergleich sich als unzulässige Rechtsausübung darstelle und eine Unterhaltspflicht aus diesem Grunde nicht mehr bestehe. In der Rechtslehre ist die Frage auch umstritten, ob das Vorliegen der Voraussetzungen einer mißbräuchlichen Rechtsausübung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse kraft des zwingenden Rechts des § 242 BGB unmittelbar eine Beschränkung oder einen völligen Wegfall des Unterhaltsanspruchs bedingt, also eine Änderung des Anspruchsinhalts zur Folge hat, ohne daß es dafür eines besonderen gerichtlichen Ausspruchs bedarf (so Palandt, BGB, 21. Aufl. § 242 Anm. 6 c), oder ob dem Schuldner im Falle einer unzulässigen Rechtausübung nur eine Einrede zusteht und das Nichtbestehen der Verpflichtung aus dem Unterhaltsvergleich erst berücksichtigt werden kann, wenn in einem gerichtlichen Verfahren entschieden ist, daß die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung durchgreift und deshalb eine Unterhaltspflicht nicht besteht (so Staudinger, Recht der Schuldverhältnisse Bd. III Teil 1 b 1961, § 242 B 525, E 243). Für die Frage jedoch, ob der Versicherte gemäß § 1265 RVO zur Zeit seines Todes auf Grund des Unterhaltsvergleichs der Klägerin als eines sonstigen Grundes Unterhalt zu leisten hatte, ist allein entscheidend, ob für den Versicherten zu diesem Zeitpunkt eine Pflicht zur Unterhaltsgewährung aus dem Unterhaltsvertrag bestanden hat oder nicht. Eine solche Unterhaltspflicht ist aber bereits dann nicht gegeben, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs durch die Klägerin die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung mit Erfolg hätte entgegenhalten und eine Feststellungsklage mit dem Ergebnis hätte durchführen können, daß eine Unterhaltspflicht aus dem Unterhaltsvergleich nicht besteht. Hier haben dieselben Grundsätze Anwendung zu finden, die der Große Senat in seinem Beschluß vom 27. Juni 1963 (BSG 20, 1 ff.) zu der Frage entwickelt hat, unter welchen Umständen einem Vollstreckungstitel die Bedeutung eines sonstigen Grundes i. S. des § 1265 RVO ausnahmsweise nicht zukommt, nämlich, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes die Wirkungen des Vollstreckungstitels nach § 323, 767 ZPO hätte beseitigen können. Wie es bei einem Vollstreckungstitel, der bis zum Tode des Versicherten rechtsgültig fortbestanden hat, nicht darauf ankommt, ob er die Abänderungsklage oder die Vollstreckungsgegenklage schon mit Erfolg durchgeführt hatte, so ist es auch bei einem Unterhaltsvertrag nicht erforderlich, daß der Versicherte zu seinen Lebzeiten die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung bereits mit Erfolg geltend gemacht hat. Es genügt, wenn er sie hätte geltend machen können.

Da die zu § 242 BGB entwickelten Grundsätze über die unzulässige Rechtsausübung sowohl auf den Prozeßvergleich als auch auf die übrigen Vergleiche zur Anwendung gelangen, war daher zu prüfen, ob es nach Treu und Glauben eine unzulässige Rechtsausübung gewesen wäre, wenn die Klägerin aus dem Unterhaltsvergleich zur Zeit des Todes des Versicherten einen Unterhaltsanspruch erhoben hätte. Hierzu hat das frühere Reichsgericht (RG 160, 40, 49) bereits ausgeführt, daß auch ein Unterhaltsvertrag dem allgemeinen, die gesamte Rechtsordnung beherrschenden, sich aus § 242 BGB ergebenden Grundsatz unterworfen ist, daß niemand sein Recht gegen Treu und Glauben geltend machen darf. Wenn die Zahlung einer unabänderlichen Unterhaltsrente vereinbart und damit die Berufung auf den Einwand der wesentlichen Veränderung der Verhältnisse vertraglich ausgeschlossen ist, so ist der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begründet, wenn die Erfüllung des Unterhaltsvertrages die wirtschaftliche Existenz des Schuldners gefährden würde. Benötigt der Verpflichtete die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu seinem eigenen notdürftigen Unterhalt und dem seiner nächsten Angehörigen, die auf ihn angewiesen sind, so würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wollte man den Schuldner gleichwohl zur Weiterzahlung der vertraglichen Unterhaltsrente für verpflichtet halten. Selbst wenn also der Einwand einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse vertraglich ausgeschlossen ist, müssen dem zum Unterhalt Verpflichteten die Mittel verbleiben, die er für seinen eigenen, die Lebensexistenz sichernden Unterhalt benötigt. Sind darüber hinaus Mittel nicht vorhanden, so besteht ein Anspruch auf die vertraglich zugesicherte Unterhaltsrente nicht.

Die Entscheidung darüber, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes aus dem Unterhaltsvergleich vom 2. Februar 1942 der Klägerin Unterhalt zu leisten hatte, hängt also davon ab, ob der Versicherte in diesem Zeitpunkt hierzu fähig war, ohne seinen eigenen notdürftigen Unterhalt und den seiner nächsten Angehörigen zu gefährden. Nur wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes über solche Mittel verfügte, die er ohne Gefährdung seiner Lebensexistenz an die Klägerin hätte abzweigen können, käme dem Unterhaltsvergleich die Bedeutung eines sonstigen Grundes i. S. des § 1265 RVO zu. Das Berufungsgericht durfte deshalb die Prüfung und Entscheidung dieser Frage nicht dahingestellt lassen, sondern hätte die dafür erforderlichen Tatsachen feststellen müssen. Das Revisionsgericht kann diese tatsächlichen Feststellungen nicht treffen. Das angefochtene Urteil mußte deshalb aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG).

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das Berufungsgericht auch darüber zu befinden haben, ob der in dem Unterhaltsvergleich vereinbarte Ausschluß des Einwandes einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse auch deshalb nicht Platz greift, weil der Versicherte nach dem Kriege an einer Lungen- und Kehlkopftuberkulose erkrankt und dadurch für ihn eine Vermehrung seiner eigenen Bedürfnisse, also eine wesentliche Änderung nicht seines Einkommens, sondern seiner Gesundheit, eingetreten war, auf die sich die Abrede in dem Unterhaltsvergleich nicht erstreckt.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1982602

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