Leitsatz (redaktionell)

1. Die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts gehen entsprechend dem in KOV-VfG § 47 Abs 1 normierten Grundsatz dahin, daß zu Unrecht gewährte Leistungen vorbehaltlich eines etwaigen Vertrauensschutzes vom Empfänger zurückzuerstatten sind. Dies besagt, daß der gutgläubige Empfänger die in der Vergangenheit liegende Leistung behalten darf, weil er sie entsprechend seiner aufgrund der höheren Leistung erweiterten Lebenshaltung verbraucht hat. Es kommt also darauf an, ob der Empfänger die Fehlerhaftigkeit der Leistung erkannt hat oder erkennen mußte.

2. Eine von der Versorgungsverwaltung auf Grund eines Rechtsirrtums über die Höhe der Pflegezulage fehlerhaft zuerkannte Stufe der Pflegezulage kann auch bei einem Wandel in der Rechtsauffassung nicht nach KOV-VfG § 25 berichtigt werden.

 

Normenkette

KOVVfG § 25 Fassung: 1955-05-02, § 47 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; BGB § 242

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Oktober 1963 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Der 1896 geborene Kläger, früher Journalist, heute Rentner, bezieht Versorgung wegen Erwerbsunfähigkeit. Er bezieht auch Pflegezulage. Durch Neufeststellungsbescheid vom 9. Dezember 1954 stufte die Versorgungsbehörde die Pflegezulage von 125,- DM vom 1. Februar 1955 an auf die Pflegezulage von 60,- DM herab. Im Klageverfahren verurteilte das Sozialgericht (SG) Berlin mit Urteil vom 4. Mai 1956 den Beklagten, vom 1. Februar 1955 an Pflegezulage der Stufe III zu gewähren. In Ausführung dieses Urteils gewährte die Versorgungsbehörde dem Kläger mit Bescheid vom 13. Juni 1956 die Pflegezulage, und zwar vom 1. Februar 1955 an 150,- DM und vom 1. April 1956 an 175,- DM monatlich, während der zustehende Satz der Pflegezulage in Wirklichkeit 125,- DM (vom 1. Februar 1955 an) bzw. 150,- DM (vom 1. April 1956 an) gewesen wäre. Der Sachbearbeiter hatte nach dem Bescheidinhalt aus nicht geklärten Gründen über die Höhe der Sätze der Stufe III die Sätze der späteren Stufe IV gewährt. Nach Wahrnehmung dieses Fehlers berichtigte die Versorgungsbehörde mit Verfügung vom 21. März 1962 den Ausführungsbescheid vom 13. Juni 1956 dahin, daß vom 1. Februar 1955 an eine Pflegezulage von monatlich 125,- DM, vom 1. April 1956 an von monatlich 150,- DM und vom 1. Juni 1960 an von monatlich 200,- DM zustehe. Sie forderte den nicht zustehenden Betrag für die Zeit vom 1. Februar 1955 bis 30. April 1962 zurück. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts - LVersorgA - Berlin vom 7. November 1962). Das SG Berlin hob mit Urteil vom 6. Juni 1963 die Berichtigungsverfügung vom 21. März 1962 und den Widerspruchsbescheid vom 7. November 1962 auf. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin änderte auf die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 11. Oktober 1963 das erstinstanzliche Urteil dahin ab, daß die Klage gegen die Berichtigungsverfügung vom 21. März 1962 und gegen den Widerspruchsbescheid vom 7. November 1962 insoweit abgewiesen werden, als mit diesen Verfügungen der Ausführungsbescheid des Versorgungsamts II Berlin (VersorgA) vom 13. Juni 1956 berichtigt worden ist. Im übrigen wies es die Berufung des Beklagten zurück. Auf die Anschlußberufung des Klägers hob es den Neufeststellungsbescheid vom 21. März 1962 insoweit auf, als für die Zeit vom 1. Februar 1955 bis 31. Mai 1960 der Unterschiedsbetrag zwischen der Pflegezulage "der Stufe IV" und "der Stufe III" zurückgefordert wird. Das LSG führte aus: Die Versorgungsbehörde habe nach § 25 des Verwaltungsverfahrensgesetzes in der Kriegsopferversorgung (VerwVG-KOV) die offenbare Unrichtigkeit im Ausführungsbescheid berichtigen können, weil der Ausführungsbescheid keine eigene Entscheidung der Versorgungsbehörde enthalte, sondern nur das zusprechende Urteil ausgeführt habe. Die Pflegezulage der Stufe III sei offenbar mit dem unrichtigen Betrag von 150,- DM (statt 125,- DM) beziffert worden. Der weitere Bescheid der Versorgungsverwaltung aber, der Neufeststellungsbescheid vom 19. Dezember 1960, der die Pflegezulage an die durch das Erste Neuordnungsgesetz (1. NOG) geänderten Gesetze anpaßte, sei eine eigene Entscheidung der Versorgungsverwaltung, die mangels Zustimmung des LVersorgA in einen Bescheid nach § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) nicht umgedeutet werden könne. Danach komme nur eine Rückforderung für die Zeit vom 1. Februar 1955 bis 31. Mai 1960 in Betracht. Aber auch diese Rückforderung sei nach Treu und Glauben ausgeschlossen, weil der Kläger auf die Richtigkeit des Ausführungsbescheids habe vertrauen dürfen. Er habe den höheren Betrag der Pflegezulage im guten Glauben empfangen. Die Pflegesätze hätten sich laufend geändert, so daß der Kläger nicht über die ihm zustehende Höhe der Pflegezulage habe Kenntnis haben können. Der Neufeststellungsbescheid vom 19. Dezember 1960 sei daher aufzuheben, soweit er den Unterschiedsbetrag zwischen der Pflegezulage "der Stufe IV" und "der Stufe III" für die Zeit vom 1. Februar 1955 bis 31. Mai 1960 zurückfordere.

Mit der zugelassenen Revision bringt der Beklagte vor, daß der Neufeststellungsbescheid vom 19. Dezember 1960 auf Grund des 1. NOG vom 27. Juni 1960 erlassen worden sei, wodurch die Sätze für die Pflegezulage erhöht worden sind. Damit sollte nur die Höhe der bereits zuerkannten Pflegezulage dem neuen Gesetz angepaßt werden, dagegen sollte über die Pflegezulage im übrigen nicht selbständig entschieden werden. Eine Prüfung über eine andere Einstufung des Klägers in Bezug der Pflegezulage habe nicht stattgefunden. Die Übertragung des Fehlers vom Ausführungsbescheid auf den Neufeststellungsbescheid vom 19. Dezember 1960 schließe die Möglichkeit einer Berichtigung nicht aus, weil der Neufeststellungsbescheid nur in Verbindung mit dem vorausgegangenen Ausführungsbescheid gelte (BSG 18, 270). Die Unrichtigkeit des Bescheides sei auch offenbar, weil der Fehler aus dem Inhalt des Bescheides in Zusammenhang mit dem zusprechenden Urteil vom 4. Mai 1956 für jedermann erkennbar ist (BSG 15, 99; 18, 272). Es komme nicht auf das Erkennungsvermögen des Klägers an, sondern auf das Erkennungsvermögen verständiger Personen (BSG in BVBl 1963, 67). Der Kläger habe aus eigenem Wissen um den Sachverhalt erkennen müssen, daß die im Bescheid vom 19. Dezember 1960 angegebene Pflegezulage unrichtig war, so daß er einer Berichtigung nach § 25 VerwVG-KOV nicht widersprechen könne. Treu und Glauben fordere die Anwendung des § 47 Abs. 1 VerwVG. Dem Kläger, der nicht unbeholfen sei, fehle es an einem subjektiven gutgläubigen Erwerb. Er habe erkennen müssen, daß ihm die Pflegezulage in der ausbezahlten Höhe nicht zustehe (vgl. BSG 9, 47, 53). Der zurückgeforderte Betrag von etwa 25,- DM monatlich sei auch nicht so groß, daß der Kläger eines so weitgehenden Vertrauensschutzes bedarf, wie wenn die gesamten Versorgungsbezüge zurückgefordert worden wären. Die Rückforderung könne durch Aufrechnung getilgt werden, belaste also den Kläger nur wenig.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils der Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 6. Juni 1963 in vollem Umfange stattzugeben, die Klage abzuweisen und die Anschlußberufung zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Nach § 25 VerwVG könnten nicht Fehler berichtigt werden, die durch eine falsche Tatsachenbewertung, durch einen Rechtsirrtum oder durch Nichtanwendung einer Norm auf einen Sachverhalt hervorgerufen worden sind. Die Gewährung der Pflegezulage "nach Stufe IV" sei die Folge falscher Tatsachenbewertung unabhängig vom Ausführungsbescheid. Der Beklagte hätte seinen Irrtum anläßlich der Erhöhung der Pflegezulage durch das 1. NOG erkennen müssen. Der Kläger habe auch nicht im bösen Glauben gehandelt. Dem § 47 VerwVG wohnen die Grundsätze von Treu und Glauben inne, im übrigen seien die Ausführungen des LSG im angefochtenen Urteil überzeugend.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthaft. Sie ist jedoch nicht begründet.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Berichtigungsverfügung des Beklagten vom 21. März 1962, ihre Tragweite in bezug auf den Neufeststellungsbescheid vom 19. Dezember 1960 sowie die Rechtmäßigkeit der Rückforderung, die der Kläger in der Anschlußberufung für die Zeit vom 1. Februar 1955 bis 31. Mai 1960 bestreitet.

Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG die auf § 25 VerwVG-KOV gestützte Berichtigungsverfügung der Versorgungsverwaltung vom 21. März 1962 insoweit für gerechtfertigt angesehen, als mit dieser Verfügung der Ausführungsbescheid des VersorgA II Berlin vom 13. Juni 1956 berichtigt worden ist. Das LSG hat den Ausführungsbescheid für offenbar unrichtig gehalten, weil das auszuführende Urteil nur Pflegezulage der Stufe III (=125,- DM) vom 1. Februar 1955 an zugesprochen hat. Da der Kläger gegen das Berufungsurteil kein Rechtsmittel eingelegt hat, ist die Berichtigungsverfügung vom 21. März 1962 für die Zeit vom 1. Februar 1955 bis zum 31. Mai 1960 rechtsverbindlich. Wegen der insoweit bestehenden Rechtskraft des Berufungsurteils darf auch nicht mehr nachgeprüft werden, ob die Verwaltung nach § 25 VerwVG befugt war, auf die Zeit vor dem 1. April 1955, dem Inkrafttreten des VerwVG, zurückzugreifen (vgl. BSG 16, 253; SozR VerwVG § 41 Nr. 9) oder ob sie die Berichtigung hätte auf § 40 Abs. 7 des Gesetzes über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihre Hinterbliebenen vom 24. Juli 1950 - Berliner KVG - (VOBl für Groß-Berlin 1950, Teil I, S. 318) stützen müssen, der mit § 25 VerwVG allerdings inhaltlich gleichlautend ist. Der Senat brauchte daher auch nicht mehr darüber zu entscheiden, ob die vom Berufungsgericht völlig unberücksichtigt gelassene Vorschrift in § 40 Abs. 7 des Berliner KVG im Sinne der Entscheidung des erkennenden Senats vom 17. April 1958 (BSG 7, 122) als nicht revisible Rechtsnorm angewendet werden darf.

Streitig geblieben ist hiernach zunächst, ob die Berichtigung des Neufeststellungsbescheids vom 19. Dezember 1960 zu beanstanden ist. Das LSG hat dies deshalb verneint, weil der Neufeststellungsbescheid weder in Ausführung des Urteils vom 4. Mai 1956 ergangen sei noch sich auf dieses Urteil beziehe, sondern eine eigene Entscheidung darstelle, welche dem Kläger die Pflegezulage der "Stufe IV" mit dem entsprechenden Geldbetrag gewährt habe. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Rechtsansicht des LSG zutrifft. Mit dem Neufeststellungsbescheid hat die Versorgungsverwaltung lediglich die dem Kläger zugesprochene Pflegezulage an die mit dem 1. NOG erhöhten Sätze angepaßt. Dabei hat das VersorgA die Pflegezulage dem von 175,- DM auf 240,- DM erhöhten Satz, also der Stufe IV angepaßt und diese Pflegezulage auch noch mit der Stufe IV bezeichnet. Weder aus den Akten noch aus dem Vortrag der Beteiligten ist ein Grund ersichtlich, aus dem heraus dem Kläger entgegen der rechtskräftig gewordenen Gerichtsentscheidung vom 4. Mai 1956 eine höhere Pflegezulage als die der (späteren) Stufe III, beginnend mit 125,- DM und später von 200,- DM, hätte gewährt werden sollen. Es ist aber auch nicht "offenkundig" im Sinne des § 25 VerwVG, daß der den Verwaltungsakt ausführende Bedienstete aus der falschen Höhe der Pflegezulage zu der irrigen Meinung gekommen war, daß dem Kläger schon die Pflegezulage der Stufe IV zustehe. Dabei ist zu beachten, daß die Verwaltungsbehörde in einem Aktenvermerk vom 1. Februar 1962 als Grund der zu hohen Einstufung der Pflegezulage angegeben hat, damals zur Zeit der Erteilung des Ausführungsbescheides hätten Zweifel darüber bestanden, ob die einfache Pflegezulage mit der Ziffer "0" zu bezeichnen sei; über die Zweifel habe erst die Amtsanweisung 64 vom 22. August 1956 Ziffer 6 gewisse Klarheit geschaffen; unbedingte Klarheit habe erst das 1. NOG vom 27. Juni 1960 gebracht. Der Vertreter des Beklagten hat diese Sachlage im Termin zur mündlichen Verhandlung bestätigt. Ein solcher Zweifel, ob das Gericht, dessen Entscheidung auszuführen war, unter Pflegezulage der Stufe III im Jahre 1956 den Betrag von 125,- DM oder den von 150,- DM verstanden hat, ist ein Auslegungszweifel über den Inhalt des auszuführenden Urteils. Wenn der Sachbearbeiter dann nach der Sachdarstellung im Vermerk vom 1. Februar 1962 bei der Stufeneinteilung die einfache Pflegezulage unberücksichtigt gelassen und lediglich die Fälle der erhöhten Pflegezulage beziffert hat, so handelt es sich um einen Rechtsirrtum, nämlich um einen Irrtum in der Auslegung des Rechtsbegriffs "Pflegezulage der Stufe III". Ist aber nicht auszuschließen, daß die Verwaltung auf Grund dieser selbständigen Überlegungen die mit Urteil vom 4. Mai 1956 zugesprochene (bisherige) Pflegezulage von 150,- DM mit der späteren "Stufe IV" bezifferte, so ist dieser Rechtsirrtum nicht mit einer Berichtigung nach § 25 VerwVG behebbar; denn ein Rechtsirrtum ist kein offensichtlicher Fehler, es handelt sich also nicht um eine offenbare Unrichtigkeit. Der Senat verkennt dabei nicht, daß das Urteil des LSG hinsichtlich der Berichtigung des Ausführungsbescheides vom 13. Juni 1956 rechtskräftig ist. Er mußte aber im Hinblick auf den Bescheid vom 19. Dezember 1960 die Rechtslage prüfen. Die Rechtskraft des Bescheides vom 13. Juni 1956 kann sich nur auf diesen Bescheid beziehen. Weitere Wirkungen kann sie nicht haben. Dann ist aber mit der späteren Bezeichnung der Pflegezulage von 150,- DM mit Pflegezulage der Stufe IV im Neufeststellungsbescheid vom 19. Dezember 1960 der damalige Fehler nur folgerichtig fortgeführt worden. Dieser Bescheid kann daher nicht berichtigt werden.

Eine Rücknahme des fehlerhaften Ausführungsbescheides kann auch nicht auf § 41 VerwVG gestützt werden; denn Voraussetzung der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nach § 41 VerwVG ist, daß das LVersorgA der Berichtigung vorher zugestimmt hat (§ 41 Abs. 2 VerwVG; BSG 16, 265). Das LVersorgA hat aber mit Verfügung vom 16. Februar 1962 diese Zustimmung zur Erteilung eines Bescheides nach § 41 VerwVG verweigert, weil bei Erlaß des Bescheides Zweifel über die Höhe des Betrages einer Pflegezulage der Stufe III bestanden haben. Die ausdrückliche und sachlich begründete Verfügung des LVersorgA läßt, wie das LSG zutreffend erkannt hat, auch nicht die Deutung zu, daß es dann einer Berichtigung nach § 41 VerwVG zustimme, wenn eine Berichtigung nach § 25 VerwVG nicht zulässig sein sollte. Dabei konnte dahingestellt bleiben, ob eine Berichtigung nach § 41 VerwVG auch dadurch ausgeschlossen wird, daß der Ausführungsbescheid vom 18. Juni 1956 erst später fehlerhaft geworden ist, weil sich die Rechtsauffassung über den Inhalt der Pflegezulage der Stufe III gewandelt hat (vgl. BVerwGE 6, 5).

Da sonach die Berichtigungsverfügung vom 21. März 1962 einer Rechtsgrundlage entbehrt, hat das LSG hinsichtlich des Neufeststellungsbescheids vom 19. Dezember 1960 im Ergebnis zutreffend entschieden.

Damit erweist sich die Revision des Beklagten gegen das Berufungsurteil insoweit als unbegründet.

Was die Rückforderung der Verwaltung hinsichtlich der überzahlten Pflegezulage für die Zeit vom 1. Februar 1955 bis 31. Mai 1960, also für die Vergangenheit, betrifft, hat der Senat zu prüfen, ob das LSG bei Anwendung des § 47 VerwVG bzw. der allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beträge gefehlt hat. Mit Recht hat indes das LSG auf die Anschlußberufung des Klägers entschieden, daß eine Rückforderung des Unterschiedsbetrags zwischen der Pflegezulage der Stufe III und der Pflegezulage der Stufe IV zu unterbleiben hat.

Die Rückforderung kann für die Zeit vom 1. Februar 1955 bis zum 31. März 1955 zwar nicht auf § 47 Abs. 1 VerwVG gestützt werden. Diese Vorschrift kann für die Zeit vor dem 1. April 1955 keine Anwendung finden, weil das VerwVG erst zu diesem Zeitpunkt in Kraft getreten ist; die Ermächtigung zur Rückforderung ergreift aber nicht die vor dem 1. April 1955 gewährten Leistungen (SozR VerwVG § 41 Nr. 9). Das, was in der angeführten Rechtsprechung über die Ermächtigung zum Rücknahmebescheid nach § 41 VerwVG ausgeführt ist, gilt ebenso für die Rückforderung nach § 47 VerwVG. Im übrigen sind im Raum von Groß-Berlin die Verfahrensvorschriften im Berliner KVG vom 24. Juli 1950 (VOBl für Groß-Berlin 1950, 318) maßgebend. Da aber dieses Landesgesetz keine Vorschrift über die Rückforderung zu Unrecht gewährter Leistungen enthält, haben die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts Anwendung zu finden. Diese gehen entsprechend dem in § 47 Abs. 1 VerwVG normierten Grundsatz dahin, daß zu Unrecht gewährte Leistungen vorbehaltlich eines etwaigen Vertrauensschutzes vom Empfänger zurückzugewähren sind. Dies besagt, daß der gutgläubige Empfänger die in der Vergangenheit liegende Leistung behalten darf, weil er sie entsprechend seiner auf Grund der höheren Leistung erweiterten Lebenshaltung verbraucht hat. Es kommt also darauf an, ob der Kläger die Fehlerhaftigkeit der Leistungen erkannt hat oder erkennen mußte. Der Kläger ist zwar von Beruf Journalist, der wegen seines Berufs als Schriftleiter Berufsschadensausgleich bezieht. Ihm ist eine höhere geistige Einsicht darüber zuzurechnen, ob ihm Leistungen zustehen oder nicht zustehen. Gleichwohl ist es zweifelhaft, ob er vermöge seiner Einsicht erkennen konnte und mußte, daß er entsprechend dem Urteil vom 4. Mai 1956 nur Anspruch auf die Pflegezulage der späteren Stufe III hatte und diese Stufe bei der Neuordnung durch das 1. NOG beibehalten worden war. Die Pflegezulage dieser Stufe III hat sich zwar seit 1. Februar 1955 nur mit Wirkung vom 1. April 1956 (Gesetz vom 6. Juni 1956 - BGBl I 463 - § 35 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -) und mit Wirkung vom 1. Juni 1960 (1. NOG vom 27. Juni 1960) geändert; aber diese wenigen Erhöhungen genügen, um einen durchschnittlich aufmerksamen Rentenempfänger in der Erkenntnis der Höhe der zustehenden Pflegezulage unsicher zu machen. Da einem Rentenempfänger schließlich nicht mehr Wissen zugemutet werden darf als der Verwaltung, die sich zunächst über die Stufeneinteilung auch nicht klar war, durfte der Kläger bei der von ihm zu erwartenden Einsicht auf die Rechtmäßigkeit der ihm gewährten Pflegezulage vertrauen, so daß er im Sinne der Rechtsprechung über den Vertrauensschutz schutzwürdig ist. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der Kläger trotz aufmerksamen Durchlesens des Ausführungsbescheides den Inhalt als fehlerhaft erkennen mußte; seine Arglosigkeit ist also nicht widerlegt (BSG in NJW 1958, 1700; BSG 15, 81; Haueisen in NJW 1958, 642; BVerwG in DÖV 1957, 911; BVerwGE 19, 189; Ossenbühl, Die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte, 2. Aufl., 1965, 84 f). Kann aber dem Kläger die Arglosigkeit nicht abgesprochen werden, so führt die Interessenabwägung zwischen öffentlichen und privaten Interessen dahin, daß der Leistungsempfänger schutzwürdig ist, weil er die in der Vergangenheit liegenden Leistungen gutgläubig verbraucht hat. Die Rückforderung des Beklagten für die Zeit vom 1. Februar 1955 bis 31. März 1955 ist mithin unbegründet. Das gleiche gilt für die Rückforderung auf Grund des § 47 Abs. 1 VerwVG für die Zeit vom 1. April 1955 bis zum 31. Mai 1960. Über die Aufrechnung des zurückgeforderten Betrages mit der Leistung von Berufsschadensausgleich für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 30. April 1962, wie auch über eine Rückforderung im übrigen, brauchte der Senat nicht mehr zu entscheiden, weil durch die Aufhebung der Berichtigungsverfügung vom 21. März 1962 für die Zeit vom 1. Juni 1960 an eine wirksame Berichtigung des begünstigenden Verwaltungsakts vom 19. Dezember 1960 nicht vorliegt. Eine Rückforderung für die Zeit vor dem 1. Juni 1960 kann auch nicht auf die Nachzahlung der Leistungen wegen Berufsschadensausgleich gestützt werden, weil die Neuregelung vom 27. Juni 1960 in der Fassung des § 47 VerwVG (Art. IV § 4 Abs. 1 des 1. NOG) nicht rückwirkend anzuwenden ist (BSG vom 30. August 1960 - 9 RV 848/57 -).

Bei dieser Sach- und Rechtslage war das angefochtene Urteil des LSG in vollem Umfang im Ergebnis zu bestätigen und daher die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2387450

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