Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzkassenrecht

 

Tenor

Die Revision der beklagten Ersatzkasse gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht vom 29. August 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu er statten.

 

Gründe

I

Die klagende Ortskrankenkasse nimmt die beigeladenen Arbeitnehmer Norman D. und Heino P. die seit Juni bzw. September 1955 bei der beigeladenen Hanseatischen Apparatebau Gesellschaft N. & K. in K. (H.) beschäftigt sind und seitdem als Mitglieder der beklagten Ersatzkasse (ErsK) geführt werden, weiterhin als ihre Mitglieder in Anspruch. D. ist als Maschinenschlosser (Rohrschlosser) beim Bau von Heizungsanlagen eingesetzt, P. war bis zu seiner vor Februar 1964 erfolgten Übernahme in das Angestelltenverhältnis ebenfalls als Maschinenschlosser beschäftigt.

Nach Ansicht der Klägerin ist die - in den Jahren 1952/54 geänderte - Satzung der Beklagten trotz Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde insoweit ungültig, als danach jetzt u.a. auch "Maschinenschlosser" Mitglieder der Beklagten werden können; mit deren Einbeziehung habe die Beklagte ihren Mitgliederkreis, der durch die Satzung nach dem Stande vom 1. April 1909 festgelegt sei, unzulässig erweitert.

Die Vorinstanzen sind der Auffassung der Klägerin gefolgt (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 11. Oktober 1961 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 29. August 1968). Das LSG hat entsprechend dem - in der Berufungsinstanz geänderten - Klagantrag festgestellt, daß D. über Juni 1955, P. über September 1955 hinaus Mitglied der Klägerin geblieben ist; Nach geltendem Ersatzkassenrecht werde der Mitgliederkreis einer Ersatzkasse durch die am 1. April 1909 gültig gewesene Satzung bestimmt; die abweichende Regelung in der MitgliederkreisVO vom 28. Oktober 1938 sei mangels hinreichender Ermächtigung des Verordnungsgebers nicht wirksam zustande gekommen, wie das Bundessozialgericht (BSG) zutreffend, entschieden habe. Die Einbeziehung von Maschinenschlossern sei auch keine bloße "Verfeinerung" des satzungsmäßigen Mitgliederkreises der Beklagten, sondern eine gesetzwidrige Erweiterung: In der alten Kassensatzung seien Maschinenschlosser nicht aufgeführt gewesen, ihr - schon lange vor 1909 bekannter - Beruf habe sich auch nicht aus einem der alten Kassenberufe entwickelt. Als "verwandte Berufsgenossen" der in der Satzung genannten Gold- und Silberarbeiter könnten sie wegen der Verschiedenartigkeit des zu bearbeitenden Materials und der Arbeitsvorgänge nicht angesehen werden.

Die Beklagte rügt mit der zugelassenen Revision, das LSG habe ihren mitgliedsfähigen Personenkreis unrichtig abgegrenzt. Maschinenschlosser seien im Jahre 1909 allgemein und sogar noch bis 1935 als Mechaniker bezeichnet worden; letztere seien aber identisch mit den in der alten Satzung aufgeführten "Feinmechanikern" . Auch sei heute besonders der Präzisionsmaschinenschlosser durch die technisch-wirtschaftliche Entwicklung wieder zum Feinmechaniker im alten Sinne geworden. Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision. Ihrer Ansicht nach sind Schlosser und Mechaniker stets zwei große selbständige Berufsfamilien gewesen, wie auch Prof. Dr. W. in dem von der Beklagten vorgelegten berufskundlichen Gutachten angenommen habe.

II

Die Revision der beklagten ErsK ist unbegründet. Wie das LSG zutreffend festgestellt hat, sind die beigeladenen Arbeitnehmer weiterhin Mitglieder der klagenden Krankenkasse, weil sie der Beklagten nicht wirksam beigetreten sind.

Daß der Beklagten nach ihrer in den Jahren 1952 und 1954 geänderten Satzung auch Maschinenschlosser angehören können, begründet für die Beigeladenen - trotz Genehmigung der Satzungsänderung durch die Aufsichtsbehörde - allein noch keine Beitragsberechtigung. Schon nach altem Ersatzkassenrecht (§ 503 Abs. 1 RVO idF vom 19. Juli 1911, RGBl 309) waren die ErsKen auf den Mitgliederkreis beschränkt, für den sie als solche zugelassen waren, d.h. auf den Mitgliederkreis, den ihre Satzung am 1. April 1909 bestimmte. Das neue, seit 1936 geltende Recht hat daran nichts geändert (§ 4 Abs. 1 Satz 2 der 12. AufbauVO vom 24. Dezember 1935, RGBl I 1537, idF der 15. AufbauVO vom 1. April 1937, RGBl I 439). Eine ErsK darf deshalb den beitrittsberechtigten Personenkreis nicht über den Stand vom 1. April 1909 erweitern, es sei denn, daß sie sich damit lediglich einer inzwischen eingetretenen Entwicklung, insbesondere in wirtschaftlich-technischer Hinsicht, anpasst. Von dieser Ausnahme abgesehen, ist jede Erweiterung des Mitgliederkreises unzulässig und macht die entsprechende Satzungsbestimmung wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht, nämlich die genannte Vorschrift der 12./15. AufbauVO, nichtig.

Ob nach altem ErsKenrecht eine unzulässige Erweiterung des Mitgliederkreises nur die Aufsichtsbehörde zum Einschreiten verpflichtete (vgl. § 516 Abs. 2 RVO und Bogs, Die Ersatzkasse 1971 S. 109, 118 ff), kann dahinstehen. Jedenfalls seit der Umwandlung der ErsKen in Körperschaften des öffentlichen Rechts (vgl. § 2 der 12. AufbauVO).; mit der sie Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und ihre Satzungen Normen des objektiven Rechts geworden sind (vgl. BSG 11, 1, 5 für Kassenärztliche Voreinigungen und Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Auflage, § 24 I c, S. 421), sind Bestimmungen der Satzung, die gegen übergeordnete Normen verstoßen, nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz nichtig. Der durch § 516 Abs. 2 RVO vorgezeichnete Weg - danach ist die Zulassung der ErsK von der Aufsichtsbehörde zu widerrufen, wenn der satzungsmäßige Mitgliederkreis unzulässig erweitert wird - würde auch den betroffenen gesetzlichen Krankenkassen keinen ausreichenden Rechtsschutz geben, da die Satzungsänderung der ErsK vorher durch die Aufsichtsbehörde genehmigt, ihre Zulässigkeit also bejaht worden ist und die Genehmigung der Satzung als solche nicht angefochten werden kann (vgl. BSG 24, 266, 268 f). Im übrigen hat der Senat schon in anderem Zusammenhang entschieden, daß gesetzwidrige Satzungsbestimmungen der ErsKen unmittelbar durch die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften ersetzt worden, so daß für ein Verfahren nach § 516 RVO kein Raum ist (vgl. BSG 28, 244, 246).

Die VO des ehemaligen Reichsarbeitsministers vom 28. Oktober 1938 (RGBl I 1519), nach der der Mitgliederkreis der ErsKen nicht mehr starr auf dem Stand der Satzung vom 1. April 1909 fixiert ist, sondern sich nach der jeweiligen, von der Aufsichtsbehörde genehmigten Fassung der Satzung richtet, mit deren Genehmigung also auch anderweitig abgegrenzt werden kann (MitgliederkreisVO), ist mangels einer hinreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers nicht wirksam erlassen worden, wie das LSG im Anschluß an die Rechtsprechung des Senats zutreffend entschieden hat (vgl. BSG 24, 270 sowie Urteile vom 27. März 1968, 3 RK 9/66, und 28. August 1968, 3 RK 70/65). Der Senat hat dabei auch auf die "verfassungsrechtliche Grundentscheidung" in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) hingewiesen, wonach die Beurteilung der Frage, ob mit einer Satzungsänderung nur der Mitgliederkreis zulässig angepaßt oder aber unzulässig erweitert worden ist, nicht allein der - von den Gerichten nicht überprüfbaren - Entscheidung der Aufsichtsbehörde überlassen bleiben darf. An dieser Auffassung ist festzuhalten, auch gegenüber neuerdings im Schrifttum erhobenen Bedenken (vgl. Bogs a.a.O. S. 165 ff, dessen dort veröffentlichte Ausführungen sich im wesentlichen mit einem von der Beklagten im Revisionsverfahren vorgelegten Rechtsgutachten decken). Im übrigen wäre die MitgliederkreisVO, selbst wenn sie wirksam zustande gekommen wäre oder später gewohnheitsrechtliche Geltung erlangt hätte, mit dem Inkrafttreten des GG nach dessen Art. 129 Abs. 3 ungültig geworden. Als eine § 4. Abs. 1 Satz 2 der 12./15. AufbauVO ergänzende Bestimmung ermächtigte sie praktisch die ErsKen zur Änderung der genannten Vorschrift. Dabei kann unentschieden bleiben, ob in der Genehmigung einer Satzungsänderung durch die Aufsichtsbehörde ein Verwaltungsakt oder nicht vielmehr ein Akt der Mitwirkung bei der autonomen Rechtsetzung zu sehen ist (vgl. BSG 29, 21, 33). Mindestens der Beschluß der ErsK über die vorzunehmende Satzungsänderung gehört in den Bereich der Normsetzung. Da eine von der Aufsichtsbehörde genehmigte Satzungsänderung nach Wortlaut und Zweck der MitgliederkreisVO auch dann wirksam sein sollte, wenn sie den durch die 12./15. AufbauVO festgelegten Mitgliederkreis der ErsK erweiterte, erhielten die ErsKen im Zusammenwirken mit der Aufsichtsbehörde durch die MittgliederkreisVO die rechtliche Macht, das bestehende Rocht (Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von ErsKen und gesetzlichen Krankenkassen) zu ändern. Eine solche Rechtsänderungsermächtigung ist mit Art. 129 Abs. 3 GG nicht vereinbar und deshalb jedenfalls seit dem Inkrafttreten des GG nicht mehr gültig.

Ob die beigeladenen Arbeitnehmer der beklagten ErsK wirksam beigetreten sind, beurteilt sich mithin nicht allein nach der Satzung von 1952/54, sondern auch nach der Satzung, die am 1. April 1909 galt. Danach waren beitrittsberechtigt "Gold- und Silberarbeiter und deren verwandten Berufsgenossen; Juweliere, Graveure, Ziseleure, Guillocheure, Emailleure, Gürtler, Blattgoldschläger, Vergolder und Polierer in der Edelmetallindustrie, Metalldreher und -drücker, Etuisarbeiter, Feinmechaniker, Präger, Optiker, Zahntechniker, Uhrmacher, Kunstgießer, Feinschleifer in der Metallindustrie, Stein- und Diamantschleifer" .

Diese Aufzählung der beitrittberechtigten Personen ist abschließend, nicht beispielhaft, wie der Senat in einer gleichzeitig entschiedenen anderen Sache (3 RK 43/68) näher ausgeführt hat. Angehörige von Berufen, die in der alten Kassensatzung nicht genannt sind, können deshalb grundsätzlich nicht als Mitglieder aufgenommen werden, auch nicht mit der Begründung, sie seien "verwandte Berufsgenossen" der Gold- und Silberarbeiter oder anderer in der alten Satzung genannter Berufszweige. Eine Ausnahme gilt nur für solche Berufe, die sich erst nach dem Stichtag (1. April 1909) aus einem der "Kassenberufe" entwickelt haben, namentlich durch Zerlegung der ursprünglich unter einer Berufsbezeichnung zusammengefaßten Tätigkeiten (vgl. SozR Nr. 4 zu § 4 der 12. AufbauVO) oder im Wege der Abspaltung, wobei auch neuartige, durch den technischen Fortschritt bedingte Arbeitsgebiete und entsprechende Fertigkeiten und Kenntnisse hinzugekommen sein können. Mit der nachträglichen Einbeziehung solcher Berufe in die Kassensatzung wird der Mitgliederkreis der ErsK nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse erweitert, sondern, was zulässig ist, lediglich der inzwischen eingetretenen wirtschaftlich-technischen oder gesellschaftlichen Entwicklung angepaßt (vgl. BSG 24, 266, 273 Mitte).

Maschinenschlosser sind in der alten Kassensatzung nicht mitaufgeführt. Eine Beitrittsberechtigung würde deshalb für sie nur bestehen, wenn sich ihr Beruf auf einen der alten Kassenberufe - in Betracht kämen allein die "Feinmechaniker" - zurückführen ließe. Das ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht der Fall.

Nach der - auch von der Beklagten nicht beanstandeten - Feststellung des LSG hat es den Beruf des Maschinenschlossers schon lange vor dem fraglichen Stichtag gegeben, und zwar, wie der Senat nach dem einschlägigen berufskundlichen Schrifttum und den vorgelegten Gutachten der Sachverständigen überzeugt ist, als einen aus dem Schlosserberuf entstandenen und deshalb gegenüber dem Feinmechaniker eigenständigen Beruf (vgl. insbesondere das 1930 erschienene Handbuch der Berufe, Teil I, 2. Band, S. 307 ff). Allerdings scheint man zu Beginn der industriellen Entwicklung (Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts) auch Schlosser und Schmiede, die mit dem Zusammenbau von Maschinenteilen beschäftigt wurden, im heutigen Sinne also Maschinenschlosser, als "Mechaniker" bezeichnet zu haben (vgl. Handbuch der Berufe, a.a.O.). Für die Annahme der Beklagten, auch im Jahre 1909 habe man Maschinenschlosser noch als Mechaniker angesehen und unter letzterer Berufsbezeichnung das gleiche wie unter einem "Feinmechaniker" i. S. ihrer Satzung verstanden, fehlen indessen hinreichende Anhaltspunkte. Gegen diese Annahme spricht vielmehr, daß schon dar, Handbuch der Berufe so qualifizierte Sparten der Maschinenschlosser wie die mit der Montage von Werkzeugmaschinen und komplizierten Textilmaschinen beschäftigten nicht einmal als "Grobmechaniker" gelten lassen wollte (a.a.O. S. 311, 313). Ob die heutigen Präzisionsmaschinenschlosser, wie die. Beklagte meint, infolge der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung inzwischen wieder zu Feinmechanikern im alten Sinne geworden sind (wobei die Beklagte hier offenbar einen engen Begriff des Feinmechanikers zugrunde legt)., kann unentschieden bleiben. Die beigeladenen Arbeitnehmer sind und waren nach Feststellung des LSG als Maschinenschlosser und nicht als Präzisionsmaschinenschlosser beschäftigt. Dahinstehen kann ferner, wie der Begriff des Feinmechanikers im Sinne der Kassensatzung im übrigen abzugrenzen, ist. Maschinenschlosser gehören jedenfalls nicht dazu. Die Klägerin hat hiernach die beigeladenen Maschinenschlosser mit Recht als ihre Mitglieder in Anspruch genommene. Die Revision der Beklagten, gegen das Urteil des LSG ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 4 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Langkeit

Spielmeyer zugleich für den infolge Urlaubs an der Unterschrift verhinderten Bundesrichter Dr. Krebs

 

Fundstellen

BSGE, 26

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