Orientierungssatz

1. Eine Ersatzkasse darf den beitragsberechtigten Personenkreis nicht über den Stand vom 1909-04-01 erweitern, es sei denn, daß sie sich mit der Satzungsänderung lediglich einer inzwischen eingetretenen Entwicklung, insbesondere in wirtschaftlich-technischer Hinsicht, anpaßt (vgl BSG 1971-06-23 3 RK 4/69).

2. Der Beruf des Maschinenschlossers ist ein aus dem Schlosserberuf entstandener und deshalb gegenüber dem Feinmechaniker eigenständiger Beruf.

 

Normenkette

SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1937-04-01

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 29.08.1968)

SG Schleswig (Entscheidung vom 20.12.1961)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. August 1968 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der - zunächst beigeladene, dann jedoch aus dem Rechtsstreit wieder entlassene - frühere Maschinenschlosser H K (K.) der beklagten Ersatzkasse (EK) wirksam beigetreten oder ob er weiterhin Pflichtmitglied der klagenden Ortskrankenkasse (OKK) geblieben ist.

Die Beklagte, frühere eingeschriebene Hilfskasse für die "Gold- und Silberarbeiter und deren verwandten Berufsgenossen: Juweliere, Ziseleure, Guillocheure, Emailleure, Gürtler, Blattgoldschläger, Vergolder und Polierer in der Edelmetallindustrie, Metalldreher und -drücker, Etuiarbeiter, Feinmechaniker, Optiker, Zahntechniker, Uhrmacher, Kunstgießer, Präger, Feinschleifer in der Metallindustrie, Stein- und Diamantschleifer" (§ 3 Nr. 1 ihrer Satzung idF von 1895), ist im Jahre 1914 für denselben Personenkreis als EK zugelassen worden (§ 503 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - vom 19. Juli 1911). Nach § 5 Abs. 1 ihrer neuen Satzung vom 26. Mai 1954, die am 1. Juli 1954 in Kraft getreten ist, sind auch solche Berufsgruppen zum Beitritt berechtigt, die den ursprünglich genannten "durch Feinheit oder Präzision der Arbeit" verwandt sind. Als Berufsgruppe dieser Art sind u.a. die "Maschinenschlosser" angeführt.

Die klagende OKK ist der Auffassung, die Beklagte habe durch Aufnahme der "Maschinenschlosser" unter ihre Satzungsberufe den Mitgliederkreis erweitert, für den sie als EK zugelassen sei (Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 der Zwölften Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung - 12. AufbauVO - vom 24. Dezember 1935 idF der 15. AufbauVO vom 1. April 1937). Sie macht geltend, daß K. über den 30. September 1955 hinaus bis 31. März 1958 (Aufgabe der Tätigkeit als Maschinenschlosser) ihr Mitglied geblieben sei, und hat die beklagte EK auf Beitragsausgleich für diese Zeit in Anspruch genommen.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 20. Dezember 1961).

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der beklagten EK zurückgewiesen und - dem geänderten Klagantrag entsprechend - festgestellt, daß K. auch in der Zeit vom 1. Oktober 1955 bis 31. März 1958 Mitglied der klagenden OKK gewesen sei: Die Maschinenschlosser seien in der Ursprungssatzung der beklagten EK nicht als beitrittsberechtigt genannt. Sie könnten auch nicht zu den "verwandten Berufsgenossen" der Gold- und Silberarbeiter gerechnet werden. Ebensowenig habe sich der Beruf des Maschinenschlossers aus einem der in der Ursprungssatzung aufgestellten Berufe entwickelt. Es handele sich vielmehr um einen typischen Grundberuf, den es schon lange vor dem Jahre 1909 gegeben habe (Urteil vom 29. August 1968).

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision wendet sich die beklagte EK gegen diese Rechtsauffassung. Sie meint, das LSG habe ihren mitgliedsfähigen Personenkreis unrichtig abgegrenzt. Maschinenschlosser seien im Jahre 1909 allgemein und sogar noch bis 1935 als Mechaniker bezeichnet worden; letztere seien aber identisch mit den in der alten Satzung aufgeführten "Feinmechanikern". Auch sei heute besonders der Präzisionsmaschinenschlosser durch die technisch-wirtschaftliche Entwicklung wieder zum Feinmechaniker im alten Sinne geworden.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 29. August 1968 und des SG Schleswig vom 20. Dezember 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist der Ansicht, daß Schlosser und Mechaniker stets zwei große, selbständige Berufsfamilien gewesen seien.

II

Die Revision der beklagten EK ist unbegründet.

Das LSG hat zutreffend festgestellt, daß Horst K. auch in der Zeit vom 1. Oktober 1955 bis 31. März 1958 Mitglied der klagenden OKK gewesen ist, weil er der Beklagten nicht wirksam beitreten konnte. Wie in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil des Senats vom selben Tage zum Az.: 3 RK 4/69 näher ausgeführt, begründet die in den Jahren 1952 und 1954 geänderte Satzung der Beklagten, nach der ihr auch Maschinenschlosser angehören können - trotz der Genehmigung der Satzungsänderung durch die Aufsichtsbehörde -, noch keine Beitrittsberechtigung. Eine EK darf den beitragsberechtigten Personenkreis nicht über den Stand vom 1. April 1909 erweitern, es sei denn, daß sie sich mit der Satzungsänderung lediglich einer inzwischen eingetretenen Entwicklung, insbesondere in wirtschaftlich-technischer Hinsicht, anpaßt. Bestimmungen der Satzung, die gegen übergeordnete Normen verstoßen, sind nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz nichtig. Der durch § 516 Abs. 2 RVO vorgezeichnete Weg würde den betroffenen gesetzlichen Krankenkassen keinen ausreichenden Rechtsschutz geben, da die Satzungsänderung der EK vorher durch die Aufsichtsbehörde genehmigt, ihre Zulässigkeit also bejaht worden ist und die Genehmigung der Satzung als solche nicht angefochten werden kann (vgl. BSG 24, 266, 268 f). Für ein Verfahren nach § 516 RVO ist kein Raum (vgl. BSG 28, 244, 246).

Wie in dem genannten Urteil außerdem näher dargelegt, ist die Verordnung des ehemaligen Reichsarbeitsministers (RAM) vom 28. Oktober 1938 (RGBl I 1519) mangels hinreichender Ermächtigung des Verordnungsgebers nicht wirksam erlassen worden (vgl. BSG 24, 270 sowie Urteile des Senats vom 27. März 1968 - 3 RK 9/66 - und 28. August 1968 - 3 RK 70/65 -), da die in ihr enthaltene Rechtsänderungsermächtigung mit Art. 129 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar und deshalb jedenfalls seit dem Inkrafttreten des GG nicht mehr gültig ist.

Ob K. wirksam der beklagten EK beigetreten ist, beurteilt sich nach alledem nach der Satzung, die am 1. April 1909 galt. Die Aufzählung in dieser Satzung hinsichtlich der beitrittsberechtigten Personen ist abschließend und nicht beispielhaft, wie der Senat in einer gleichzeitig entschiedenen anderen Sache (3 RK 43/68) näher ausgeführt hat. Angehörige von Berufen, die in der alten Kassensatzung nicht genannt sind, können deshalb grundsätzlich nicht als Mitglieder aufgenommen werden, und zwar auch nicht mit der Begründung, sie seien "verwandte Berufsgenossen" der Gold- und Silberarbeiter oder anderer in der alten Satzung genannter Berufszweige. Eine Ausnahme gilt nur hinsichtlich solcher Berufe, die sich erst nach dem genannten Stichtag aus einem der "Kassenberufe" entwickelt haben, etwa durch Zerlegung der ursprünglich unter einer Berufsbezeichnung zusammengefaßten Tätigkeiten (vgl. SozR Nr. 4 zu § 4 der 12. AufbauVO) oder im Wege der Abspaltung, wobei auch neuartige, durch den technischen Fortschritt bedingte Arbeitsgebiete und entsprechende Fertigkeiten und Kenntnisse hinzugekommen sein können. Mit der nachträglichen Einbeziehung solcher Berufe in die Kassensatzung wird der Mitgliederkreis der EK nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erweitert, sondern, was - wie oben ausgeführt - zulässig ist, lediglich der inzwischen eingetretenen wirtschaftlich-technischen oder gesellschaftlichen Entwicklung angepaßt (vgl. BSG 24, 266, 273 Mitte).

In der alten Kassensatzung sind Maschinenschlosser nicht mitaufgeführt. Eine Beitrittsberechtigung würde für sie deshalb nur dann bestehen, wenn sich ihr Beruf auf einen der alten Kassenberufe - in Betracht kämen allein die "Feinmechaniker" - zurückführen ließe. Das ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht der Fall. Wie in dem bereits mehrfach zitierten Urteil 3 RK 4/69 ausgeführt, hat es den Beruf des Maschinenschlossers schon lange vor dem Stichtag (1. April 1909) gegeben, und zwar als einen aus dem Schlosserberuf entstandenen und deshalb gegenüber dem Feinmechaniker eigenständigen Beruf. Ob die heutigen Präzisionsmaschinenschlosser infolge der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung inzwischen wieder Feinmechaniker im alten Sinne geworden sind, wie die Beklagte meint, kann unentschieden bleiben. K. war nach der - auch von der Beklagten nicht beanstandeten - Feststellung des LSG als Maschinenschlosser und nicht als Präzisionsschlosser beschäftigt. Die Klägerin hat somit K. mit Recht als ihr Mitglied in Anspruch genommen. Mithin ist die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LSG unbegründet.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1671015

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