Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitgliederkreis der Schwäbisch Gmünder Ersatzkasse

 

Leitsatz (amtlich)

Nach der Satzung der Schwäbisch Gmünder Ersatzkasse vom 1954-07-01 sind nicht "Mechaniker" schlechthin, sondern nur "Präzisionsfeinmechaniker" beitragsberechtigt.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Durch den Klammerzusatz "Präzisionsfeinmechaniker" hinter dem Begriff "Mechaniker" in der seit 1954 gültigen Satzung der Schwäbisch Gmünder Ersatzkasse werden aus dem weitgespannten Berufskreis der Mechaniker diejenigen herausgehoben, die in bezug auf die Feinheit und Präzision ihrer Arbeit als mit den Gold und Silberarbeitern verwandte Berufsgenossen iS der am 1.4.1909 maßgebenden Satzung anzusehen und damit berechtigt sind, dieser Ersatzkasse beizutreten.

2. Die überwiegend mit einfachen mechanischen (grobmechanischen) Verrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer können nicht Mitglieder der Schwäbisch Gmünder Ersatzkasse werden; auch eine von ihnen aushilfsweise verrichtete feinmechanische Tätigkeit kann die Beitrittsberechtigung nicht vermitteln.

 

Normenkette

SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Fassung: 1935-12-24; ErsKV Fassung: 1938-10-26

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. August 1968 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene F H (H.) der beklagten Ersatzkasse wirksam beigetreten oder ob er nach wie vor Pflichtmitglied der klagenden Ortskrankenkasse ist.

Die Beklagte, frühere eingeschriebene Hilfskasse für die "Gold- und Silberarbeiter und deren verwandten Berufsgenossen" (§ 3 Nr. 1 ihrer Satzung i.d.F. von 1895), ist im Jahre 1914 für denselben Personenkreis als Ersatzkasse zugelassen worden (§ 503 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung). Nach der damals maßgebenden Satzung sind u.a. beitrittsberechtigt "Feinmechaniker". Nach § 5 Abs. 1 der neuen Satzung vom 26. Mai 1954, die am 1. Juli 1954 in Kraft getreten ist, sind auch solche Berufsgruppen zum Beitritt berechtigt, die den ursprünglich genannten "durch Präzision oder Feinheit der Arbeit" verwandt sind. Als Berufsgruppe dieser Art werden ausdrücklich die "Mechaniker (Präzisionsfeinmechaniker)" angeführt.

H. wurde im März 1951 von der Firma H in K als "mechanischer Helfer" eingestellt. Er wurde etwa zwei Jahre lang für die Reparatur- und Abteilungsvorgänge der Montagewerkstatt angelernt. Er verrichtete in dieser Werkstatt nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) "überwiegend mechanische Arbeiten, gelegentlich jedoch je nach Arbeitsanfall auch feinmechanische Arbeiten".

Am 1. April 1955 trat H. der beklagten Ersatzkasse bei.

Die klagende Ortskrankenkasse ist der Auffassung, die Beklagte habe durch Aufnahme der "Mechaniker" unter ihre Satzungsberufe den Mitgliederkreis erweitert, für den sie als Ersatzkasse zugelassen sei (Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 der Zwölften Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung - 12. AufbauVO - vom 24. Dezember 1935 i.d.F. der 15. AufbauVO vom 1. April 1937). Sie hat Klage auf Feststellung erhoben, daß H. nicht zum aufnahmeberechtigten Personenkreis der Beklagten gehöre.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. Februar 1962). Auf die Berufung der klagenden Ortskrankenkasse hat das LSG - dem geänderten Klagantrag entsprechend - festgestellt, daß H. über den März 1955 hinaus Mitglied der Klägerin geblieben sei: Der Mitgliederkreis, für den die Beklagte als Ersatzkasse zugelassen sei, umfasse nicht alle Mechaniker und Feinmechaniker, sondern nur diejenigen Feinmechaniker, die als verwandte Berufsgenossen der Gold- und Silberarbeiter anzusehen seien. Das treffe lediglich für die Feinmechaniker in der Edelmetall- und optischen Industrie zu, die sich schon früher von den Mechanikern in anderen Industriezweigen unterschieden hätten. Zu ihnen gehöre H. nicht (Urteil vom 29. August 1968).

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision wendet sich die beklagte Ersatzkasse gegen diese Rechtsauffassung: Die Beklagte sei im Jahre 1878 als "Nationale Kranken- und Sterbekasse des Gewerkvereins der Gold- und Silberarbeiter und verwandter Berufsgenossen" gegründet worden. Das am 1. Oktober 1878 in Kraft getretene "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" habe jedoch mit dem Verbot aller Gewerkvereine eine kollektive Erfassung des Mitgliederpotentials über den Gewerkverein unmöglich gemacht. Um die damit verbundenen "Einzugsverluste" aufzufangen, den Risikoausgleich innerhalb der Versichertengemeinschaft zu verbessern und der Verlagerung von Arbeitstechniken der Gold- und Silberindustrie auf andere Berufsbereiche Rechnung zu tragen, sei im Jahre 1884 eine "Neugründung" oder "Umgründung" der Kasse vorgenommen worden. Dabei habe der Mitgliederkreis eine grundlegende strukturelle Umschichtung und Erweiterung erfahren. Die "verwandten Berufsgenossen" der Gold- und Silberarbeiter seien erstmals in der Satzung konkret aufgezählt worden. Diese - wiederholt ergänzte - Aufzählung habe im Jahre 1895 21 Berufe umfaßt, die nur noch zum Teil als solche der Edelmetall- und Schmuckindustrie anzusprechen seien. Die übrigen seien nicht mehr im Sinne einer Bindung an die Edelmetall- und Schmuckindustrie "branchengebunden", sondern auch oder ausschließlich in verschiedenen anderen Industriezweigen, der Beschäftigtenzahl nach überwiegend in der Metallindustrie, vertreten. Das spiegele sich in der beruflichen Zusammensetzung der bis zum Jahre 1909 neu aufgenommenen Mitglieder wieder.

Feinmechaniker im Sinne der Ursprungssatzung sei auch der Mechaniker; um die Jahrhundertwende seien beide Begriffe sinngleich verwendet worden. Zumindest habe der Satzungsberuf "Feinmechaniker" bis zum Stichtag (1.April 1909) eine entsprechende gewohnheitsrechtliche Erweiterung seines Begriffsinhalts erfahren; denn die Aufnahmepraxis der Beklagten habe zwischen Feinmechanikern und Mechanikern keinen Unterschied gemacht.

Die beklagte Ersatzkasse beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die klagende Ortskrankenkasse beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene H. ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

II

Die Revision der beklagten Ersatzkasse ist unbegründet, da das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, daß der beigeladene Mechaniker H. nicht Mitglied der Beklagten geworden ist.

H. ist der beklagten Ersatzkasse am 1. April 1955 beigetreten. Die Frage seiner Beitrittsberechtigung ist zunächst nach der im Zeitpunkt seines Beitritts gültigen Satzung - hier: der am 1. Juli 1954 in Kraft getretenen Satzung der Beklagten - zu beurteilen (vgl. BSG 16, 165, 169; Urteil vom 28. April 1964 - 3 RK 43/60 - in SozR § 4 der 12. AufbauVO, Nr. 5). Nach § 5 Abs. 1 dieser Satzung sind u.a. "Mechaniker (Präzisionsfeinmechaniker)" zum Beitritt berechtigt. Wie dem in Klammern gefaßten Zusatz "Präzisionsfeinmechaniker" zu entnehmen ist, sind damit nicht alle Mechaniker, sondern nur solche für beitrittsberechtigt erklärt worden, deren Tätigkeit besonderen Präzisionsanforderungen unterliegt. Der Klammerzusatz "Präzisionsfeinmechaniker" soll also nicht den - offensichtlich viel weitergreifenden-Begriff "Mechaniker" interpretieren, sondern kraft der Satzungsautonomie der Beklagten aus dem weitgespannten Berufskreis der "Mechaniker" die Berufsgruppe herausheben, die die Beklagte nach ihrer Zielsetzung als "verwandte Berufsgenossen" ansieht. Das sind aber, wie die Generalklausel in § 5 Abs. 1 der Satzung zeigt, nur solche Arbeitnehmer, die "durch Präzision oder Feinheit der Arbeit" qualifiziert sind. Diese Heraushebung wird im Falle des "Mechanikers (Präzisionsfeinmechanikers)" durch die - im wesentlichen bedeutungsgleichen - Wortbestandteile "Präzision" und "fein" noch unterstrichen und zur selbständigen Voraussetzung erhoben.

Nach den Feststellungen des LSG hat H. in einer Montagewerkstatt überwiegend einfache mechanische (grobmechanische) und nur aushilfsweise feinmechanische Arbeiten verrichtet, wenn nämlich der in der Werkstatt beschäftigte Feinmechaniker verhindert war. Die aushilfsweise verrichteten feinmechanischen Arbeiten konnten seine Beitrittsberechtigung nicht begründen, da sie seiner beruflichen Tätigkeit nicht das Gepräge gegeben haben. Als Mechaniker (Grobmechaniker) in einer Montagewerkstatt war H. aber kein Präzisionsfeinmechaniker im Sinne der Satzung der Beklagten und deshalb nicht beitrittsberechtigt.

Die Revision der Beklagten muß daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669511

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