Entscheidungsstichwort (Thema)
Mindestbedarf der geschiedenen Frau. individuelle wirtschaftliche Umstände
Orientierungssatz
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist bei Anwendung des § 42 S 1 AVG (§ 1265 S 1 RVO) nur ein Unterhaltsanspruch/eine Unterhaltsleistung beachtlich, der/die wenigstens 25 vH des - nach den Grundsätzen der Sozialhilfe zu bemessenden - Mindestbedarfs der geschiedenen früheren Ehefrau ausmacht (vgl zuletzt BSG vom 1977-03-16 1 RA 93/76 = BSGE 43, 221, 222 ). Ohne Belang ist dabei, welches Gewicht der Unterhaltsanspruch/Unterhaltsleistung unter Berücksichtigung der individuellen wirtschaftlichen Umstände der früheren Frau hatte; der Mindestbedarf ist als objektive Größe nicht vom Einkommen des Berechtigten abhängig (vgl zB BSG vom 1978-05-30 1 RA 65/77 = SozR 2200 § 1265 Nr 34).
Normenkette
AVG § 42 S 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.06.1980; Aktenzeichen L 13 An 75/80) |
SG Regensburg (Entscheidung vom 27.02.1980; Aktenzeichen S 2 An 124/79) |
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente.
Die 1909 geborene Klägerin ist die frühere, seit 1958 aus dem überwiegenden Verschulden des Ehemannes geschiedene Ehefrau des am 30. Januar 1979 verstorbenen früheren Verkäufers und - zuletzt - Rentners J S. Er war mit der Beigeladenen wiederverehelicht. Auf Grund eines amtsgerichtlichen Urteils vom Jahre 1972 zahlte er der Klägerin, die neben einer kleinen Rente Sozialhilfe bezog, bis zu seinem Tode Unterhalt von 90,-- DM monatlich.
Die Beklagte bewilligte der Beigeladenen nach J S Witwenrente, lehnte es aber mit dem streitigen Bescheid vom 29. Juni 1979 ab, auch der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren: Die Unterhaltsleistung des früheren verstorbenen Ehemannes falle nicht ins Gewicht, weil sie nicht 25 vH des Unterhaltsmindestbedarfs erreicht habe.
Während das Sozialgericht (SG) der Klage hiergegen stattgegeben hat (Urteil vom 27. Februar 1980), hat das Landessozialgericht (LSG) im angefochtenen Urteil vom 25. Juni 1980 die Erstentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen: Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen einer Hinterbliebenenrente nach der 3. Regelung des § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), weil der monatliche Unterhaltsbeitrag des früheren geschiedenen Mannes mit weniger als 25 vH des Unterhaltsbedarfs der Klägerin (520,-- DM monatlich) geringfügig gewesen sei.
Mit der zugelassenen Revision ficht die Klägerin dieses Urteil an. Sie bringt vor: Die Unterhaltsleistung von 90,-- DM monatlich sei für sie, die in den bescheidensten Verhältnissen leben müsse, außerordentlich bedeutsam gewesen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die einen Unterhalt bis zu 25 vH des Bedarfs für unerheblich erkläre, nehme grob unbillige Ergebnisse in Kauf.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 25. Juni 1980 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts
Regensburg vom 27. Februar 1980 aufrechtzuerhalten
und der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des
Verfahrens in allen Rechtszügen aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Meinung, daß das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden sei, wenn man an der BSG-Rechtsprechung konsequenz festhalte.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Alle Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, daß sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet*
Nach § 42 Satz 1 AVG (= § 1265 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO) wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist, nach dessen Tod Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes - EheG - (1. Regelung) oder aus sonstigen Gründen (2. Regelung) Unterhalt zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (3. Regelung). Hierbei verbleibt es; die erweiterte Regelung nach Satz 2 aaO ist vorliegend unanwendbar, weil der Beigeladenen Witwenrente gewährt worden ist.
Ein vollstreckbares gerichtliches Urteil zugunsten der geschiedenen Frau, über das auch die Klägerin verfügt, ist ein "sonstiger Grund" im Sinne der 2. Regelung des Satzes 1 aaO. Indessen ist vom LSG nichts darüber festgestellt, daß etwa der verstorbene Versicherte an die Klägerin zur Zeit seines Todes mehr als 90,-- DM monatlich im Sinne der 3. Regelung aaO tatsächlich geleistet hätte. Schließlich besteht auch kein Anhalt dahin, daß die Klägerin gegen den Versicherten einen höheren Anspruch auf Unterhalt nach der 1. Regelung aaO gehabt hätte; die Klägerin hätte diesen Anspruch durch Unterhaltsabänderungsklage durchsetzen können (vgl § 323 der Zivilprozeßordnung - ZPO). Nach allem ist davon auszugehen, daß die Klägerin von ihrem geschiedenen Mann zur Zeit seines Todes nach den ersten beiden Regelungen in § 42 Satz 1 AVG Unterhalt im Betrage von nicht mehr als 90,-- DM monatlich verlangen konnte und auch tatsächlich kein höherer Unterhalt gezahlt worden ist. Unterhalt "zur Zeit des Todes" des Versicherten ist geschuldet, wenn die Verpflichtung dazu in die Zeit des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode des Versicherten fällt (vgl zB BSGE 35, 243, 244; BSG SozR 2200 § 1265 Nr 35). Es kann unbedenklich davon ausgegangen werden, daß dieser letzte wirtschaftliche Dauerzustand mit dem letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten, also etwa mit dem Kalenderjahr 1978 zusammenfällt.
In dieser Zeit hatte die Klägerin mit 90,-- DM monatlich keinen beachtlichen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten bzw von ihm keine beachtliche Unterhaltsleistung empfangen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist nämlich bei Anwendung des § 42 Satz 1 AVG nur ein Unterhaltsanspruch/eine Unterhaltsleistung beachtlich, der/die wenigstens 25 vH des - nach den Grundsätzen der Sozialhilfe zu bemessenden - Mindestbedarfs der geschiedenen früheren Ehefrau ausmacht (vgl zB BSGE 40, 79, 81 = SozR 2200 § 1265 Nr 5; BSGE 43, 221, 222 = SozR 2200 § 1265 Nr 24, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Ohne Belang ist dabei, welches Gewicht der Unterhaltsanspruch/die Unterhaltsleistung unter Berücksichtigung der individuellen wirtschaftlichen Umstände der früheren Frau hatte; der Mindestbedarf ist als objektive Größe nicht vom Einkommen des Berechtigten abhängig (vgl zB den erkennenden Senat in SozR 2200 § 1265 Nr 34 und in der Entscheidung vom 12. Dezember 1979 - 1 RA 71/78).
Nach den unangegriffenen, für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) betrug der nach den Grundsätzen der Sozialhilfe berechnete Mindestbedarf der Klägerin an ihrem Wohnort im Jahre 1978 rd 520,-- DM monatlich; die Unterhaltsleistung des früheren geschiedenen Ehemannes von 90,-- DM monatlich erreichte demnach nicht ein Viertel dieses Lebensbedarfs.
Hatte aber der verstorbene Versicherte der Klägerin im Sinne der Rechtsprechung des BSG Unterhalt nur im geringfügigen, bei Anwendung des § 42 Satz 1 AVG unbeachtlichen Umfang geleistet, so hat das LSG den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente zu Recht abgelehnt. Ihre Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen