Leitsatz (amtlich)
Bei der Ermittlung wirtschaftlicher Nachteile als Voraussetzung für eine Übergangsleistung gemäß § 3 der BKVO 7 ist der Aufstockungsbetrag nach § 587 Abs 1 RVO (Fassung 30.4.1963) mindernd zu berücksichtigen.
Normenkette
BKVO 7 § 3 Fassung: 1968-06-20; RVO § 587
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 12.05.1982; Aktenzeichen L 4 U 13/81) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 20.11.1980; Aktenzeichen S 3 U 73/79) |
Tatbestand
Die Klägerin ist die Witwe und Rechtsnachfolgerin des während des Berufungsverfahrens gestorbenen Versicherten H. R. (R.). Am 10. Juli 1972 hatte R. seine berufliche Beschäftigung als Koch wegen einer berufsbedingten Hauterkrankung aufgegeben. Streitig ist die Gewährung einer Übergangsleistung nach § 3 Abs 2 der 7. Berufskrankheitenverordnung (BKVO) idF vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721), die der Versicherte im Mai 1978 beantragte.
Die Beklagte gewährte eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH, die sie für die Zeit vom 6. Juli 1974 bis zum 31. Dezember 1974 gemäß § 587 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF bis zum Inkrafttreten des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) auf die Vollrente erhöhte. Vom 2. April 1973 bis zum 5. Juli 1974 ließ die Beklagte den Versicherten zum kaufmännischen Angestellten umschulen. Vom 1. Januar 1975 an war er Verwaltungsangestellter der H. L.. Sein Anfangsgehalt belief sich auf 1.449,52 DM brutto monatlich mit Steigerung bis Ende des Jahres 1977 auf 2.228,87 DM brutto. Als Koch hatte er zuletzt ein übertarifliches Entgelt von monatlich 1.800,-- DM erhalten.
Die Beklagte lehnte eine Übergangsleistung mit der Begründung ab, die Gegenüberstellung der von ihr eingeholten Lohnauskünfte habe einen auszugleichenden Minderverdienst nicht ergeben (Schreiben vom 10. August 1978). Den Widerspruch des Verletzten wies sie zurück (Bescheid vom 27. April 1979).
Das Sozialgericht (SG) Lübeck hat die auf Gewährung einer Übergangsleistung gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 20. November 1980). Es hat wie die Beklagte eine durch die Einstellung der Tätigkeit als Koch verursachte Minderung des Verdienstes verneint. Die Berufung mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen, hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 12. Mai 1982). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Der Versicherte habe durch die Berufsaufgabe in dem Fünfjahreszeitraum (§ 3 Abs 2 Satz 2 der 7. BKVO) vom 11. Juli 1972 bis 10. Juli 1977 keinen Minderverdienst hinnehmen müssen. Dies ergebe sich aus dem Vergleich der von ihm tatsächlich erzielten Einkünfte und der mutmaßlichen Gehaltsentwicklung als Koch. Dabei sei der individuellen Entwicklung des Arbeitsverdienstes die von dem früheren Arbeitgeber mitgeteilte übertarifliche mutmaßliche Gehaltsanpassung zugrunde zu legen. Unter Beachtung der nicht angegriffenen Berechnungsposten im einzelnen habe kein Minderverdienst vorgelegen, und zwar auch nicht im dritten Jahr (11. Juli 1974 bis 10. Juli 1975), in dem der Versicherte zeitweise infolge des Arbeitsunfalls ohne Arbeitseinkommen gewesen sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin müsse auch der Betrag, um den die Verletztenrente gemäß § 587 RVO auf die Vollrente erhöht worden sei, in die Ermittlung der tatsächlich erzielten Einkünfte einbezogen werden, weil es anderenfalls im Ergebnis zu einer Doppelleistung führen würde. Für wirtschaftliche Nachteile sonstiger Art bestehe kein Hinweis.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und trägt vor: Die Berücksichtigung des Aufstockungsbetrages bis zur Höhe der Vollrente (§ 587 RVO) bei der Ermittlung der tatsächlich erzielten Einkünfte sei nicht zulässig. Eigene Feststellungen zur Höhe der vor und nach der Berufsaufgabe erzielten Einkünfte habe das LSG nicht getroffen, ua auch nicht dazu, ob der Versicherte Anspruch auf Anwesenheitskost, Fahrtkostenerstattung oder andere Sonderzuwendungen ("Weihnachtsgratifikation", dreizehntes Gehalt, Urlaubsgeld) bei seiner Tätigkeit als Koch gehabt habe und künftig gehabt hätte. Demgegenüber habe die Beklagte, auf deren Ermittlungen das LSG sich stütze, bei der Höhe des tatsächlich nach der Berufsaufgabe erzielten Entgelts offensichtlich auch Sonderzuwendungen berücksichtigt.
Die Klägerin beantragt, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung einer Übergangs- leistung nach § 3 Abs 2 der 7. BKVO zu verurteilen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zur Entscheidung über den erhobenen Anspruch reichen die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht aus.
Nach § 3 Abs 2 Satz 1 der 7. BKVO idF vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) hat der Träger der Unfallversicherung einem Versicherten zum Ausgleich der durch Aufgabe einer gefährdenden Tätigkeit verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Als Übergangsleistung wird ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Jahresvollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe der Vollrente, längstens für die Dauer von fünf Jahren gewährt (§ 3 Abs 2 Satz 2 der 7. BKVO). Erste Voraussetzung für eine Übergangsleistung ist das Einstellen der Tätigkeit, weil die Gefahr des Entstehens, Wiederauflebens oder Verschlimmerns einer Berufskrankheit (BK) für den Versicherten anders nicht zu beseitigen ist (§ 3 Abs 2 iVm Abs 1 der 7. BKVO). Von einem danach erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der - drohenden - BK und der Einstellung der Tätigkeit durch den Versicherten gehen die Beteiligten übereinstimmend aus; den Feststellungen des LSG ist diese Voraussetzung noch hinreichend zu entnehmen. Keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen hat das LSG jedoch für die Entscheidung der Frage getroffen, ob dem Versicherten durch die Einstellung seiner Beschäftigung als Koch zu irgendeiner Zeit während der ersten fünf Jahre danach ein Minderverdienst oder ein sonstiger wirtschaftlicher Nachteil entstanden ist.
Der Unfallversicherungsträger hat zwar die Wahl, ob er einen einmaligen Betrag bis zur Höhe der Jahresvollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe der Vollrente gewährt; auch entscheidet er nach pflichtgemäßem Ermessen über die Höhe und zum Teil die Dauer einer wiederkehrenden Geldleistung. Er ist jedoch ohne Wahlrecht oder Ermessensspielraum zur Gewährung einer Übergangsleistung verpflichtet, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs 2 der 7. BKVO gegeben sind (s ua BSG SozR 7. BKVO § 3 Nr 3).
Bei der Ermittlung eines etwaigen Minderverdienstes ist von dem Unterschied zwischen den tatsächlichen und mutmaßlich künftigen Nettoverdiensten aus der bisherigen und den Nettoeinkünften aus einer neuen Beschäftigung des Versicherten auszugehen (s amtliche Begründung zur 7. BKVO, BR-Drucks 128/68, S 2 f; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Auflage, S 492 v; Wolber, BG 1969, 314, 316; Noeske/Trachte, BG 1970, 107, 110, 111). Die hiernach erforderliche Prüfung lassen die Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht zu. Nur in allgemeinen Ausführungen hat das LSG einen Minderverdienst aus der Tätigkeit des Versicherten als Verwaltungsangestellter gegenüber der mutmaßlichen Gehaltsentwicklung bei Fortsetzung der Tätigkeit als Koch verneint. Im angefochtenen Urteil sind insoweit lediglich monatliche Bruttogehälter (zuletzt als Koch 1.800,-- DM, als Verwaltungsangestellter vom 1. Januar 1975 an 1.449,52 DM mit Steigerung auf 2.228,87 DM) und hinsichtlich der aufgegebenen Tätigkeit nur das zuletzt vereinbarte, nicht aber das später voraussichtlich erzielte Entgelt festgestellt. Es ist auch nicht ersichtlich, inwieweit der Ehemann der Klägerin zusätzliche Zuwendungen erhalten hat und welche er bei seiner früheren Tätigkeit erhalten hätte. Ein Vergleich zwischen dem im maßgebenden Fünfjahreszeitraum (s § 3 Abs 2 der 7. BKVO) jeweils bezogenen Nettoentgelt mit dem Nettoentgelt, das der Versicherte mutmaßlich als Koch bezogen hätte, kann danach nicht gezogen werden.
Bei der Ermittlung der Minderung des Verdienstes oder der sonstigen wirtschaftlichen Nachteile, zu deren Ausgleich die Übergangsleistung bestimmt ist, ist die Rente "wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit", auf die der Verletzte auch ohne Vorliegen des konkreten wirtschaftlichen Nachteils - neben einem Arbeitsverdienst und neben der Übergangsleistung (s § 3 Abs 3 der 7. BKVO) - Anspruch hat, nicht zu berücksichtigen (BSGE 19, 157, 159; BSG SozR 7. BKVO § 3 Nr 3; Brackmann, aaO S 492 v). Entgegen der Auffassung der Revision gilt dies allerdings nicht für den Aufstockungsbetrag, um den die wegen der BK nach einer MdE um 20 vH gewährte Verletztenrente gemäß § 587 RVO (idF bis zum 31. Dezember 1981 -aF-) auf die Vollrente erhöht worden ist (Wolber, aaO S 316). Nach § 587 Abs 1 RVO aF ist die Teilrente auf die Vollrente zu erhöhen, solange der Verletzte infolge des Arbeitsunfalls (der BK) ohne Arbeitseinkommen ist; die Leistungen werden auf das Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe nicht angerechnet. Bei der Rente nach § 587 RVO handelt es sich nicht um eine auf ein und demselben Rechtsgrund beruhende einheitliche Leistung. Der neben der Rente wegen MdE gezahlte Aufstockungsbetrag ist ein rechtlich gesondert zu beurteilender Bestandteil der als Vollrente zu gewährenden Leistung (BSG SozR Nr 18 zu § 145 SGG); er ist keine "Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit" (s § 3 Abs 3 der 7. BKVO). Die Erhöhung auf die Vollrente soll den Schaden ausgleichen, der den Verletzten durch unfallbedingten vorübergehenden Verlust von Arbeitseinkommen trifft. Die - ebenfalls auf die Höhe der Vollrente begrenzte - Übergangsleistung dient dem Ausgleich des konkreten wirtschaftlichen Nachteils, der durch die Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit entsteht. Der im Grundsatz gleiche Zweck der beiden Leistungen rechtfertigt es nicht, den vom Unfallversicherungsträger gemäß § 587 RVO aF geleisteten Aufstockungsbetrag bei der Ermittlung des konkreten Schadens nach § 3 der 7. BKVO unberücksichtigt zu lassen. Das LSG wird danach auch zu prüfen haben, ob der Verletzte unter Berücksichtigung des Aufstockungsbetrages während des Bezuges der Vollrente gemäß § 587 RVO aF einen wirtschaftlichen Nachteil im Sinne des § 3 der 7. BKVO gehabt hat.
Die Sache ist an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.
Fundstellen