Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltbegrenzung bei Beitragserstattung. Zugehörigkeit zu mehreren Versorgungssystemen. spezielleres systemnäheres Versorgungssystem. Entgeltbescheid
Leitsatz (amtlich)
1. § 5 Abs 3 AAÜG ermächtigt den Versorgungsträger auch dann nicht dazu, das tatsächlich nachgewiesene Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen im Entgeltbescheid auf höchstens 600 Mark im Monat zu begrenzen, wenn Beiträge zu einem Zusatzversorgungssystem erstattet worden waren.
2. Hat ein in der DDR Beschäftigter eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt, für die ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in mehreren Versorgungssystemen vorgesehen war, hat der Versorgungsträger bei den im Entgeltbescheid festzustellenden tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der §§ 6 und 7 AAÜG vom jeweils speziellen, systemnäheren Versorgungssystem auszugehen.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
AAÜG § 5 Abs. 3, §§ 6-7, 8 Abs. 1-3; AAÜG Anl. 1 Nrn. 18-19
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Juni 1997 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 6. Dezember 1996 sowie der Bescheid der Beklagten vom 18. August 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 1995 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, unter teilweiser Rücknahme ihres Bescheides vom 6. Dezember 1994 und des Bescheides vom 11. Dezember 1995 die von der Klägerin in der Zeit vom 1. März 1971 bis 31. August 1981 tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte als Zusatzversorgungsträger nach § 8 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für die Zeit vom 1. März 1971 bis 31. August 1981 das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt der Klägerin vorzumerken.
Die 1934 geborene Klägerin, von Beruf Lehrerin, war in der DDR ua in der Zeit von September 1960 bis 31. August 1981 beim Rat der Stadt D. … als Referentin für außerunterrichtliche Tätigkeit, Abteilung Volksbildung, beschäftigt. Im Juli 1964 wurde ihr von der Regierung der DDR eine Zusage über eine zusätzliche Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (AVI) vom 12. Juli 1951 (GBl Nr 85 S 675) erteilt. Mit Wirkung vom 1. März 1971 trat die Klägerin außerdem der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates (FZA-Staatsapparat) bei. Ende August 1981 gab sie ihre Beschäftigung beim Rat der Stadt D. … auf und schied damit als Mitarbeiterin des Staatsapparates aus, um fortan als Kreisvorsitzende des Bezirksausschusses für Jugendweihe zu arbeiten. Auf eigenen Antrag wurden ihr die zur FZA-Staatsapparat entrichteten Beiträge erstattet und auf der AVI-Urkunde vermerkt: „Der Inhaber ist am 31.08.1981 aus dem Staatsapparat ausgeschieden und bat um Auszahlung der Beiträge. Anspruch auf AVI wieder berechtigt”. Vom Bezirksschulrat wurde auf der Urkunde eingetragen: „Nachtrag: Mit Wirkung vom 1. September 1976 gilt für den Inhaber dieser Urkunde die Versorgungsordnung vom 27. Mai 1976, GBl I S 253”. Unter dem 8. November 1988 erhielt die Urkunde den Nachtrag, für die Klägerin bestehe mit Wirkung vom 1. Oktober 1988 Anspruch auf Leistungen nach der Anordnung über die zusätzliche Versorgung der Pädagogen.
Mit (Entgelt-)Bescheid vom 6. Dezember 1994 stellte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Versorgungsträger folgende Zeiten der Zugehörigkeit zu Zusatzversorgungssystemen fest: 1. Juli 1962 bis 28. Februar 1971 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVI (= Zusatzversorgungssystem nach der Anlage 1 Nr 4 zum AAÜG), 1. März 1971 bis 31. August 1981 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates (Zusatzversorgungssystem nach der Anlage 1 Nr 19 zum AAÜG) und 1. September 1981 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der Pädagogen in Einrichtungen der Volks- und Berufsausbildung (= Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 Nr 18 zum AAÜG).
Obwohl der Jahresbruttoverdienst der Klägerin in der Zeit ihrer Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates jährlich stets über 11.000 Mark lag, stellte die Beklagte das in der Zeit vom 1. März 1971 bis 31. August 1981 zu berücksichtigende Entgelt nur bis maximal 7.200 Mark/Jahr fest. Sie führte aus, mit Blick auf die der Klägerin gewährte Beitragserstattung sei nur das in der Sozialpflichtversicherung versicherte Entgelt, also monatlich höchstens 600 Mark, zu berücksichtigen. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Die Klägerin legte gegen ihn „Widerspruch” erst nach Erhalt des Rentenbescheides vom 15. Februar 1995 ein. Die Beklagte behandelte das Begehren der Klägerin als Antrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) und lehnte eine (Teil-)Aufhebung und Änderung des Entgeltbescheides vom 6. Dezember 1994 ab, weil dieser rechtmäßig sei (Bescheid vom 18. August 1995, Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 1995).
Hiergegen erhob die Klägerin Klage mit dem Begehren, die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 1. März 1971 bis 31. August 1981 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVI anzuerkennen. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit (Entgelt-)Bescheid vom 11. Dezember 1995 über den angefochtenen (Entgelt-)Bescheid hinaus die Zeit vom 1. September 1960 bis 30. Juni 1962 als Zeit der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem der FZA-Staatsapparat anerkannt. Das Sozialgericht (SG) Dessau hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. Dezember 1996 abgewiesen; die streitige Zeit vom 1. März 1971 bis 31. August 1981 sei zwar trotz erfolgter Beitragserstattung als Zeit der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem nach Nr 19 der Anlage 1 zum AAÜG zu werten, dieser Zeit indessen wegen erfolgter Beitragserstattung nur der in der Sozialpflichtversicherung versicherte Verdienst zugrunde zu legen. Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 26. Juni 1997).
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Juni 1997, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 6. Dezember 1996 und den Bescheid der Beklagten vom 18. August 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 1995 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 6. Dezember 1994 und 11. Dezember 1995 zu verpflichten, die Zeit vom 1. März 1971 bis 31. August 1981 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR vom 12. Juli 1951 (= Zusatzversorgungssystem Nr 4 der Anlage 1 zum AAÜG) anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nur begründet, soweit Streitgegenstand die Höhe des festzustellenden tatsächlich erzielten Verdienstes ist (dazu unter 1.); die Revision ist unbegründet, soweit die Klägerin die Feststellung von „Zugehörigkeitszeiten” in der AVI begehrt (dazu unter 2.).
1. Der Bescheid der Beklagten vom 18. August 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 1995, mit dem ihr Antrag nach § 44 SGB X abgelehnt wurde, ist (teilweise) rechtswidrig. Die Klägerin hat nach § 44 SGB X einen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Entgeltbescheides vom 6. Dezember 1994. Dieser ist rechtswidrig und die Beklagte zu seiner Änderung verpflichtet, soweit für die Zeit vom 1. März 1971 bis 31. August 1981 nicht das gesamte von der Klägerin erzielte Arbeitsentgelt in der Rubrik „nachgewiesene Bruttoentgelte” festgestellt wurde. Insoweit hat das SG die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Klägerin zu Unrecht abgewiesen und das LSG hat ihre dagegen gerichtete Berufung zu Unrecht zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die von der Klägerin im streitigen Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte zu niedrig festgestellt. Revisionsgerichtlicher Prüfungsmaßstab (vgl § 162 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) sind insoweit allein die Vorschriften des AAÜG (zu dessen Programm unter a), dessen persönlicher und sachlicher Geltungsbereich vorliegend gegeben ist (dazu unter b). § 8 Abs 1, 2 und 3 iVm § 5 Abs 3 AAÜG ermächtigt den Versorgungsträger nicht dazu, im Entgeltbescheid (dazu unter c) selbst eine Entscheidung über die Beachtlichkeit von tatsächlich erzieltem Arbeitsentgelt/Arbeitseinkommen für den Wert eines Rechts auf eine Rente nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zu treffen. Die Vorschrift verpflichtet und befugt ihn auch nicht, als tatsächlich erzieltes Arbeitsentgelt maximal 600 Mark/Monat festzustellen, wenn während einer „Zeit der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem”, für die eine Beitragserstattung erfolgt ist, in Wirklichkeit höhere Verdienste erzielt wurden (dazu unter d).
a) Das AAÜG regelt, ob und ggf wie „Ansprüche und Anwartschaften” aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen, die zum 1. Juli 1990 in der DDR (aus bundesrechtlicher Sicht) bestanden haben, in die Rentenversicherung des Beitrittsgebiets (zum 31. Dezember 1991) überführt (§§ 1 bis 4 AAÜG) oder außerhalb bundesrechtlicher Rentenversicherung weitergeführt werden (§§ 9 ff AAÜG). Unabhängig davon regelt das Rentenüberleitungsrecht des 5. Kapitels des SGB VI (zB § 307b SGB VI), daß alle rentenversicherungsrechtlichen „Rechte und Ansprüche”, die am 31. Dezember 1991 nach dem (partiellen) bundesrechtlichen Rentenversicherungsrecht, das damals dort galt, bestanden, also auch die in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets zu diesem Tag überführten „Ansprüche und Anwartschaften aus Versorgungssystemen” (§ 2 AAÜG), ab 1. Januar 1992 durch Rechte und Anwartschaften aus dem SGB VI ersetzt werden (Entsprechendes gilt für die Ersetzung der Berechtigungen aus den Versorgungssystemen der DDR-Parteien zum 1. Juli 1993 – § 2 Abs 2a AAÜG). Von diesem Zeitpunkt ab gibt es (kraft gesetzlicher Novation) im bundesrechtlichen Rentenversicherungsrecht keine „Ansprüche und Anwartschaften aus Versorgungssystemen” mehr, sondern nur noch solche aus dem bundeseinheitlichen Rentenversicherungsrecht des SGB VI (1. Kapitel) und aus dem Rentenüberleitungsrecht des 5. Kapitels dieses Gesetzbuches. Der (Geld-)Wert dieser Berechtigungen bestimmt sich grundsätzlich nach dem SGB VI. Hierzu treffen die §§ 5 bis 8 AAÜG einzelne Spezialregelungen, soweit Beschäftigungen oder Tätigkeiten und die Verdienste hieraus für den Wert der SGB VI-Berechtigung Bedeutung haben sollen, für die in der DDR ein (in den Anlagen 1 oder 2 zum AAÜG benanntes) Versorgungssystem eingerichtet worden war. Hauptziel der §§ 5 bis 8 AAÜG ist dabei, alle Anspruchselemente auszusondern, die nicht auf volkswirtschaftlich sinnvoller Arbeit, sondern auf sachfremder politischer Begünstigung durch das Regime beruhen (BSGE 72, 50, 61).
b) Das AAÜG beansprucht in allen Fällen Geltung, in denen zum 1. Juli 1990 (rückschauend) „ein Anspruch oder eine Anwartschaft” aus einem Versorgungssystem der DDR bestand. Eine solche Berechtigung konnte sich nach der insoweit für das Bundessozialgericht (BSG) allein maßgeblichen bundesrechtlichen Sicht aus einem über den 3. Oktober 1990 hinaus gemäß Art 19 des Einigungsvertrages ≪EV≫ (vgl Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990, BGBl II S 885) wirksam gebliebenen Verwaltungsakt (nämlich aus einer Rentenbewilligung oder einer Versorgungszusage) ergeben (hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 1).
Auf der Grundlage allein der Regelungen des EV (zu Weiterungen durch das AAÜG sogleich) konnte den bundesrechtlichen Kriterien einer „Versorgungsanwartschaft” darüber hinaus nur noch eine Position genügen, bei der (ohne erteilte Versorgungszusage) mit einer Bewilligung eines „Versorgungsanspruchs” zum 1. Juli 1990 gerechnet werden durfte, falls der Leistungsfall bis Ende Juni 1990 eintrat oder eingetreten wäre. Dies konnte nur der Fall sein, wenn jemand noch im Juni 1990 (oder bis zu einem zuvor eingetretenen Leistungsfall) eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hatte, die ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfaßt war, und wenn er gemessen an den allgemeinen Regelungen der Versorgungsordnungen der DDR, ersatzweise gemessen an einer ständigen gleichartigen Verwaltungspraxis der DDR, noch darauf vertrauen durfte, ihm (oder seinen Hinterbliebenen) werde eine Versorgungsrente im Leistungsfall bewilligt werden. In diesem Fall (und hinsichtlich der Rechtmäßigkeit ≪der Höhe≫ eines zum 1. Juli 1990 zuerkannten Zahlungsanspruchs) ist ausnahmsweise anhand der Versorgungsregelungen (oder der Verwaltungspraxis) der DDR zu prüfen, ob zum 1. Juli 1990 eine (von der DDR noch nicht wirksam zuerkannte) Versorgungsanwartschaft bestand. Nach dem EV konnten also Versorgungsberechtigungen, die zum 1. Juli 1990 in der DDR nicht mehr bestanden hatten, sondern erloschen waren, schlechthin in die Rentenversicherung (des Beitrittsgebiets) nicht überführt werden.
§ 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG hat hingegen – über den EV hinausgehend – die Überführung auch auf Personen erstreckt, deren Versorgungs-”Anwartschaften” zum 1. Juli 1990 nicht mehr bestanden, weil sie diese nach den Versorgungsregelungen der DDR schon früher und vor dem Leistungsfall verloren hatten. Hierzu gehört auch der Fall, daß die versorgungsbegründende Beschäftigung unter Beitragserstattung aufgegeben wurde. Eine zur Anwendung des AAÜG führende Versorgungsanwartschaft im bundesrechtlichen Sinn hatte (zum 1. Juli 1990) also nicht nur derjenige, der im Besitz einer (nach Art 19 EV wirksam gebliebenen) Versorgungszusage war, sondern auch derjenige, der zu diesem Zeitpunkt bei einem Leistungsfall auf Versorgungsbewilligung vertrauen durfte, sowie derjenige, der zum Stichtag eine solche Anwartschaft nur deswegen nicht hatte, weil er sie nach den Versorgungsregelungen der DDR zuvor verloren hatte.
Daher kommt es für die Anwendung des AAÜG auch nicht notwendig darauf an, ob oder wann dem Berechtigten eine Urkunde über eine Versorgung ausgehändigt wurde (hierzu zuletzt Urteil des Senats vom 24. März 1998 – B 4 RA 27/97 R – zur Veröffentlichung vorgesehen). Dies ergibt sich ua auch aus § 1 Abs 1 Satz 2 und § 5 Abs 1 und 2 AAÜG. Danach gilt ein nach dem Recht der DDR vorgesehener Verlust der Anwartschaft bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem als nicht eingetreten (§ 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG). Das AAÜG ist auch dann anzuwenden, wenn der Betreffende sich die zu einem Versorgungssystem entrichteten Beiträge erstatten ließ (vgl § 5 Abs 3 AAÜG), das Versorgungsverhältnis also zum 1. Juli 1990 bereits aufgelöst war (dazu sogleich). Darüber hinaus werden auch solche Tätigkeiten und Beschäftigungen ua den Regelungen in §§ 6 und 7 AAÜG unterstellt, die zu Zeiten ausgeübt wurden, zu denen ein entsprechendes Versorgungssystem noch gar nicht errichtet war (sog Vorsystemzeiten, § 5 Abs 2 AAÜG).
Die Klägerin hatte zum 1. Juli 1990 eine durch Verwaltungsakt zuerkannte Versorgungsanwartschaft nach der zusätzlichen Versorgung der Pädagogen. Allein schon deshalb ist hier das AAÜG anzuwenden (§ 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG).
c) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats hat der Versorgungsträger (hier: die Beklagte) gemäß § 8 Abs 1 AAÜG in einem dem Rentenfeststellungsverfahren vorgelagerten, dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs 5 SGB VI ähnlichen Verfahren einzelne Daten verbindlich festzustellen, die für die spätere Feststellung des Wertes der SGB VI-Rente oder -Anwartschaften von Bedeutung sein können. Dies sind die Daten über
- die Zeiten der sog Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem,
- die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt (vgl §§ 6 und 7 AAÜG),
- in den Fällen des § 8 Abs 1 Satz 3 AAÜG die Summe der Arbeitsausfalltage sowie
- die Höhe des aus der vom Versorgungssystem erfaßten Beschäftigung oder Tätigkeit erzielten Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens iS von §§ 14, 15 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (vgl Urteile des Senats vom 24. März 1998 – B 4 RA 27/97 R – zur Berücksichtigung von Zugehörigkeitszeiten vor „Erteilung einer Urkunde” über die Versorgungszusage, vom 16. Dezember 1997 – 4 RA 7/97 – zur Berücksichtigung von Zeiten in einem Zusatzversorgungssystem, während deren in der Sozialpflichtversicherung keine Beitragspflicht bestand; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 1 und BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 2 S 5 zum Verhältnis zwischen Entgelt- und Rentenbewilligungsbescheid sowie zur zulässigen Klageart bezüglich der Feststellungen im Entgeltbescheid).
d) Die Versorgungsanwartschaft der Klägerin nach der zusätzlichen Versorgung der Pädagogen (Nr 18 der Anlage 1 des AAÜG), die zum 1. Juli 1990 kraft Versorgungszusage bestanden hatte, ist zum 31. Dezember 1991 der Art und dem Grund nach in die gesetzliche Rentenversicherung des Beitrittsgebiets überführt und ab 1. Januar 1992 durch Anwartschaften auf Renten nach dem SGB VI wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Alters oder Todes ersetzt worden. Für die Ermittlung des Werts ihrer Anwartschaft (inzwischen ihres Rechts) auf Altersrente nach dem SGB VI sind grundsätzlich die Vorschriften des SGB VI anwendbar. Sie schreiben für alle Berechtigten, deren SGB VI-Berechtigung eine zum 1. Juli 1990 bestehende Versorgungsberechtigung (Anspruch oder Anwartschaft iS von § 1 AAÜG) ersetzt hat, vor, die Höhe der dynamisierbaren SGB VI-Rente aufgrund des individuell zurückgelegten Erwerbslebens nach den Kriterien des SGB VI abschließend festzustellen. Bezüglich der durch Beschäftigung oder Tätigkeit in der DDR erlangten Pflichtbeitragszeiten und der Beachtlichkeit von Verdiensten hieraus treffen die §§ 5 bis 7 AAÜG besondere Regelungen, welche insoweit die sonst einschlägigen allgemeinen Vorschriften des SGB VI (zB §§ 248 Abs 3 Satz 1, 256a SGB VI) ausschließen. Danach gelten sog Zugehörigkeitszeiten als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung. Diesen fiktiven Beitragszeiten wird als Verdienst (iS von § 256a Abs 2 SGB VI) grundsätzlich das im jeweiligen Kalenderjahr erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, also „unabhängig von der Beitragszahlung das jeweilige Einkommen” (Begründung des Gesetzentwurfs zum Renten-Überleitungsgesetz der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drucks 12/405, S 113 zu Ziff 4; ebenso Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 12/826, S 5 zu Ziff 3). In einem zweiten Schritt regelt das AAÜG sodann, bis zu welcher Höhe das Arbeitseinkommen für die Bestimmung des Rentenwerts ggf abweichend von der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze Berücksichtigung findet: In einer dreistufigen Typik nimmt es Differenzierung nach der Systemnähe der Beschäftigten vor und läßt die Berücksichtigung ihrer Entgelte nach Maßgabe der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenzen (vgl § 6 Abs 1 Satz 1 AAÜG iVm deren Anlage 3) oder je besonderer – niedrigerer – Beitragsbemessungsgrenzen (§ 6 Abs 2, § 7 AAÜG) zu.
In diesen Gesamtzusammenhang fügt sich § 5 Abs 3 AAÜG ein. Nach § 5 Abs 3 AAÜG wird bei Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem, für die eine Beitragserstattung erfolgt ist, „der in der Sozialpflichtversicherung versicherte Verdienst (§ 256a Abs 2 SGB VI) zugrunde gelegt; §§ 6 und 7 sind anzuwenden”. § 5 Abs 3 AAÜG ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dahin auszulegen, daß für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, für die eine Beitragserstattung erfolgt ist, stets nur der in der Sozialpflichtversicherung der DDR versichert gewesene Verdienst als tatsächlich erzielt festzustellen (und später vom Rentenversicherungsträger stets „nur” dieser anzurechnen) ist. Vielmehr regelt die Vorschrift folgendes:
- Sie stellt klar, daß das AAÜG anwendbar ist und eine fiktive Pflichtbeitragszeit als sog Zeit der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem auch dann vorliegt, wenn die Regelungen der Versorgungssysteme der DDR bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall einen Verlust der Anwartschaften vorsahen und zudem eine Erstattung der Beiträge zum Versorgungssystem erfolgt war (Bestätigung von § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG für den Fall des Anwartschaftsverlusts mit Beitragserstattung und der Unerheblichkeit von Beiträgen für die Zuerkennung von Pflichtbeitragszeiten aus versorgungsberechtigender Beschäftigung oder Tätigkeit iS von § 5 Abs 1 und 2 AAÜG). Damit wird sichergestellt, daß auch ein nur ehemals Versorgungsberechtigter der Anwendung ua der besonderen Beitragsbemessungsgrenzen des § 6 Abs 2 und 4 und § 7 AAÜG sogar dann nicht entgehen kann, wenn er sich von einer „systemnahen” Beschäftigung oder Tätigkeit, damit auch von einem solchen Versorgungssystem, vor dem 1. Juli 1990 gelöst hat, indem er sich die hierzu entrichteten Beiträge erstatten ließ.
- § 5 Abs 3 AAÜG ordnet an, daß der Ermittlung des Werts einer SGB VI-Rente durch den Rentenversicherungsträger – unbeschadet der §§ 6 und 7 AAÜG – „jedenfalls” – wie auch nach den durch die §§ 5 bis 8 AAÜG verdrängten Vorschriften des Rentenüberleitungsrechts im 5. Kapitel des SGB VI – der in der Sozialpflichtversicherung der DDR versichert gewesene Verdienst zugrunde zu legen ist, und dies auch dann, wenn die tatsächliche Höhe des erzielten Verdienstes nicht mehr nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden kann (Ergänzungsregelung zu § 6 Abs 5 und 6 AAÜG).
- Im übrigen stellt § 5 Abs 3 AAÜG klar, daß fiktive Pflichtbeitragszeiten iS von § 5 Abs 1 AAÜG sowie Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nach § 8 AAÜG festzustellen und auf dieses im Rentenbewilligungsverfahren die Beitragsbemessungsgrenzen der §§ 6 und 7 AAÜG sogar dann anzuwenden sind, wenn die Beschäftigung oder Tätigkeit in der DDR zwar ihrer Art nach von einem Versorgungssystem iS der Anlage 1 des AAÜG erfaßt war, aus diesem aber kein Versorgungsanspruch und keine Versorgungsanwartschaft, die hätten überführt werden können, bestanden hat.
Hierzu im einzelnen: Trat nach dem Recht der DDR der Verlust von Anwartschaften in einem Versorgungssystem ein, weil der Berechtigte die versorgungsberechtigende Beschäftigung oder Tätigkeit beendete und ihm die zu diesem System entrichteten Beiträge erstattet wurden, und ist der Verdienst hieraus nicht nachgewiesen, ist für den Wert der SGB VI-Rente grundsätzlich (dh: soweit die §§ 6 und 7 AAÜG nicht zwingend einen geringeren Wert bestimmen) „mindestens” das in der Sozialpflichtversicherung versicherte Entgelt zugrunde zu legen. Dies entspricht der durch das AAÜG verdrängten Grundregel des § 256a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI. Eine Beitragserstattung hat, wenn höhere Verdienste nachgewiesen werden oder sich durch Anwendung von § 6 Abs 5 und 6 AAÜG ergeben, auch sonst keinen Einfluß auf die Anwendung der §§ 6 und 7 AAÜG, die in § 5 Abs 3 Satz 2 AAÜG ausdrücklich und uneingeschränkt für anwendbar erklärt werden. Insoweit ist die Vorschrift Ausdruck des hinter dem AAÜG stehenden Grundsatzes, daß für den Wert der SGB VI-Rente „unabhängig von der Beitragszahlung” auf das jeweilige Einkommen abzustellen ist, sei es, daß das Versorgungssystem eine Beitragszahlung nicht vorsah, sei es, daß zunächst zu entrichtende Beiträge später wieder erstattet wurden. Die Beitragserstattung ist deshalb – wie die Beitragszahlung – für den Wert des SGB VI-Rechtes unerheblich, soweit dieser an Verdienste aus versorgungsberechtigenden Beschäftigungen oder Tätigkeiten in der DDR anknüpft; es kommt nur auf das durch die versorgungsberechtigende Beschäftigung/Tätigkeit tatsächlich Erzielte an.
Die Unerheblichkeit der Beitragserstattung oder Beitragszahlung kann für denjenigen, der vom AAÜG erfaßt wird (siehe oben unter 1b), sowohl begünstigende als auch belastende Rechtsfolgen haben: Sie stellt sicher, daß zB auch derjenige den Begrenzungen des § 6 Abs 2 und 4 iVm § 7 AAÜG nicht entgehen und die zurückgelegten „systemnahen” Beschäftigungen nicht „ungeschehen machen kann”, der vor Eintritt des Leistungsfalles die frühere Beschäftigung wieder aufgegeben oder sich sonst vom Versorgungssystem gelöst oder der „systemnahe” Tätigkeiten bereits vor Errichtung einer entsprechenden Versorgungsordnung ausgeübt und aufgegeben hat. Begünstigende Wirkung entfaltet die Unerheblichkeit der Beitragszahlung für die vom AAÜG Betroffenen, die eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt haben, für die ihrer Art nach eine zusätzliche Versorgung vorgesehen war, die von § 6 Abs 1 AAÜG erfaßt wird; hier findet der tatsächlich erzielte Verdienst bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze (Anlage 3 des AAÜG) bei der Ermittlung des Werts der SGB VI-Rente Berücksichtigung, ohne daß hierfür Beiträge nach dem Recht der DDR vorausgesetzt werden.
§ 5 Abs 3 AAÜG führt nach allem entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dazu, daß stets nur der in der Sozialpflichtversicherung der DDR versichert gewesene Verdienst (600 Mark monatlich, § 16 Abs 2 der Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten der DDR) als erzieltes Arbeitseinkommen oder Arbeitsentgelt festzustellen (oder vom Rentenversicherungsträger nur dieses anzurechnen) ist, selbst wenn das nachgewiesene oder nach § 6 AAÜG festgestellte Arbeitseinkommen/Arbeitsentgelt darüber lag. Zwar könnte die Begründung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Entwurf des § 5 Abs 3 AAÜG, auf den die Gesetz gewordene Bestimmung zurückgeht (vgl BT-Drucks 12/826, S 22 zu Art 3 § 5), auf einen entsprechenden politischen Willen hindeuten, denn dort heißt es, „daß für Zeiten einer durchgeführten Beitragserstattung statt des tatsächlich erzielten Verdienstes nur die versicherten Verdienste in der Sozialpflichtversicherung bis zu den Höchstverdienstgrenzen der Anlage 3 oder 4 zugrunde zu legen sind”. Diese – in sich kaum nachvollziehbare – Stellungnahme hat indessen im Wortlaut des § 5 Abs 3 AAÜG keinen hinreichenden Ausdruck gefunden. Zudem wäre die uneingeschränkte Anordnung, die §§ 6 und 7 AAÜG anzuwenden, weitgehend inhaltsleer, wenn ohnehin nur die in der Sozialpflichtversicherung versicherten Verdienste bis 600 Mark/Monat für den Wert der SGB VI-Rente beachtlich wären; sie bleiben stets unter den Grenzen der Anlage 3 oder 4; auch § 6 Abs 5 und 6 AAÜG wäre – entgegen dem Wortlaut des § 5 Abs 3 aaO – unanwendbar. Im übrigen läßt die Begründung des Gesetzentwurfs (aaO, S 22) nicht erkennen, daß § 5 Abs 3 AAÜG den og Grundsatz der Unerheblichkeit von Beitragszahlung und Beitragserstattung durchbrechen sollte.
2. Die Revision der Klägerin ist unbegründet, soweit sie beantragt hat, die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. März 1971 bis 31. August 1981 als solche der Zugehörigkeit zur AVI (iS der Nr 4 der Anlage 1 des AAÜG) vorzumerken. Die Beklagte hat im Entgeltbescheid die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der §§ 6 und 7 AAÜG zutreffend ermittelt und festgestellt; denn die Klägerin war in dieser Zeit in der FZA-Staatsapparat zusatzversorgt. Eine Rücknahme des Entgeltbescheides nach § 44 SGB X kommt diesbezüglich nicht in Betracht.
Zwar hat die Klägerin damals eine Beschäftigung ausgeübt, für die ihrer Art nach möglicherweise auch eine zusätzliche Altersversorgung im Zusatzversorgungssystem der og AVI vorgesehen war, so daß eine Überschneidung verschiedener Vorsorgungssysteme vorgelegen haben mag. In solchen Fällen hat die Beklagte die tatbestandlichen Voraussetzungen des mit Blick auf die ausgeübte Tätigkeit (iS des § 6 AAÜG) spezielleren, nämlich „systemnäheren” Zusatzversorgungssystems festzustellen (§ 6 Abs 7 AAÜG). Dies ist vorliegend die FZA-Staatsapparat (Nr 19 der Anlage 1 des AAÜG), das in der og dreistufigen Typik des Gesetzes der zweiten Stufe, nämlich den besonderen Regeln des § 6 Abs 2 und 3 AAÜG unterstellt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1175615 |
ZAP-Ost 1998, 494 |
ZAP-Ost 1998, 654 |
AuA 1999, 381 |
NJ 1999, 164 |
SozR 3-8570 § 5, Nr. 4 |