Leitsatz (amtlich)

Sind wegen Beitragsrückständen, die von einem Träger der Krankenversicherung einzuziehen sind, Sachen gepfändet worden und besteht Streit über die Zulässigkeit der Pfändung (ZPO § 811), so handelt es sich jedenfalls dann um eine öffentlich- rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung (SGG § 51 Abs 1) wenn die Vollstreckung geschäftsleitenden und sonstigen Angestellten der Kasse als Vollstreckungs- und Vollziehungsbeamten obliegt (RVO § 404 Abs 4).

 

Normenkette

SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 28 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 404 Abs. 4 Fassung: 1924-12-15; ZPO § 811 Fassung: 1953-08-20; VwZwVfV PR § 2 Abs. 2, § 25 Abs. 1

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 30. September 1955 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Am 14. September 1951 hat die "Vollstreckungsbehörde für die Versicherungsanstalt Berlin" wegen eines vollstreckbaren Anspruches der Versicherungsanstalt Berlin auf rückständige Versicherungsbeiträge beim Kläger mehrere Sachen gepfändet; es ist jetzt noch die Pfändung einer Schreibmaschine, eines Schreibtisches und eines Couchtisches umstritten.

Das vom Kläger zunächst angerufene Amtsgericht Charlottenburg hatte die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt, durch Beschluß vom 26. Februar 1953 aber seinen Einstellungsbeschluß wieder aufgehoben und sich für unzuständig erklärt. Die nunmehr vom Kläger bei dem beklagten Senator für Arbeit und Sozialwesen eingelegte Beschwerde gegen die Pfändung wurde von diesem durch Beschluß vom 10. März 1953 mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Pfandstücke nicht den Pfändungsbeschränkungen des § 811 Zivilprozeßordnung (ZPO) unterlägen.

Der Kläger hat diesen Beschluß mit einer zunächst gegen die Vollstreckungsbehörde für die Krankenversicherungsanstalt Berlin gerichteten Klage beim Verwaltungsgericht (VerwG.) Berlin angefochten und beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Zwangsvollstreckung in die Schreibmaschine, den Schreibtisch und den Couchtisch für unzulässig zu erklären.

Das VerwG. Berlin hat die Klage durch Urteil vom 17. Juni 1953 abgewiesen. Es hat die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs bejaht, die Klage aber für unbegründet gehalten.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger beim Oberverwaltungsgericht (OVerwG.) Berlin Berufung eingelegt. Auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten hat das OVerwG. in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 1953 beschlossen, daß an Stelle der Vollstreckungsbehörde für die Krankenversicherungsanstalt Berlin der Senator für Arbeit als Beklagter zu laden ist. Mit Beschluß vom 5. Januar 1954 hat es sodann die Sache gemäß §§ 215 Abs. 8, 224, 218 Sozialgerichtsgesetz (SGG), Art. II des Übernahmegesetzes vom 20. November 1953 (GVBl. S. 1419) und nach dem Ausführungsgesetz vom 22. Dezember 1953 (GVBl. S. 1521) an das Landessozialgericht (LSG.) Berlin verwiesen.

Das LSG. hat die Krankenversicherungsanstalt Berlin - Vollstreckungsbehörde - beigeladen. Es hat ferner dem Kläger aufgegeben, seinen Geschäftsschriftwechsel aus der Zeit vom 1.April bis 30.Juni 1951, soweit er auf der gepfändeten Schreibmaschine geschrieben worden ist, sowie die Umsatzsteuerveranlagung vorzulegen; der Kläger ist der Auflage nicht nachgekommen. Durch Urteil vom 30. September 1955 hat das LSG. die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es ist davon ausgegangen, daß für die Klage der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben sei; in der Sache selbst hat es die Berufung für nicht begründet erachtet, weil die Pfandstücke für die Fortsetzung der Maßschneiderei durch den Kläger nicht erforderlich seien. Die Revision wurde zugelassen.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Revision mit dem Antrag eingelegt,

das Urteil des VerwG. Berlin vom 17. Juni 1953 und den Bescheid des Beklagten vom 10. März 1953 aufzuheben und die Zwangsvollstreckung in Schreibmaschine, Schreibtisch und Couchtisch für unzulässig zu erklären.

Der Kläger macht in erster Linie geltend, daß die "Verweisung" des Rechtsstreits vom OVerwG. an das LSG. Berlin unzulässig gewesen sei, da für die erhobene Klage nicht der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, sondern der allgemeine Verwaltungsrechtsweg gegeben sei. Im übrigen könnten nach Umfang des Geschäftsbetriebes des Klägers und Art der Kundschaft zwei Sessel, die ihm belassen worden seien, für die notwendige Repräsentation nicht als ausreichend angesehen werden.

Der beklagte Senator für Arbeit und Sozialwesen hat um Zurückweisung der Revision gebeten. Er hält das angefochtene Urteil in jeder Beziehung für zutreffend; insbesondere hat nach seiner Meinung das LSG. den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für den vorliegenden Streit zu Recht bejaht.

Die beigeladene Krankenversicherungsanstalt Berlin - Vollstreckungsbehörde - wendet sich gegen die Auffassung, daß Verwaltungsakte, die im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens vorgenommen worden sind, von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit überprüft werden können; ein solcher Streit betreffe nicht eine "Angelegenheit der Sozialversicherung" im Sinne des § 51 Abs. 1 SGG.

II

Gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen keine Bedenken. Zwar ist innerhalb der Revisionsfrist nur der Antrag gestellt worden, das Urteil des VerwG. Berlin vom 17. Juni 1953 und den Bescheid des Beklagten vom 10. März 1953 aufzuheben und die Zwangsvollstreckung in die fraglichen Pfandstücke für unzulässig zu erklären. Erst nach Ablauf der Revisionsfrist - mit der Revisionsbegründung - ist der Antrag gestellt worden, auch das Urteil des LSG. Berlin vom 30. September 1955 aufzuheben. Der "bestimmte Antrag", den § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG schon innerhalb der Revisionsfrist erfordert (vgl. BSG. 1 S. 47 und 50), muß allerdings zum Ausdruck bringen, "inwieweit das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird", wie es § 554 Abs. 3 Nr. 1 ZPO für das zivilprozessuale Verfahren ausdrücklich vorschreibt. Doch läßt im vorliegenden Streitfall schon der innerhalb der Revisionsfrist gestellte Antrag keinen Zweifel darüber, daß neben der Aufhebung des Bescheids des Beklagten und des erstinstanzlichen Urteils auch die Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts begehrt wird, denn nur die Kassation dieses Urteils eröffnet den Weg zu der vom Kläger ausdrücklich begehrten Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts und des erstinstanzlichen Urteils. Damit ist dem Erfordernis des bestimmten Antrags in § 164 Abs. 2 Satz 1 SGG genügt.

Der beklagte Senator für Arbeit und Sozialwesen ist schon im Hinblick darauf, daß er bereits im Verfahren vor dem OVerwG. Berlin parteifähig gewesen und der Rechtsstreit nach § 215 Abs. 8 SGG auf das LSG. übergegangen ist, nach der Rechtsprechung des Senats auch im Verfahren vor den Sozialgerichten als parteifähig anzusehen (BSG. 1 S. 164).

Die Revision ist nicht begründet.

Das OVerwG. Berlin hat den Rechtsstreit an das LSG. Berlin "verwiesen". Das LSG. hält es für zweifelhaft, ob ein solcher Abgabebeschluß für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bindend ist, sieht aber im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für den Übergang der Sache auf das LSG. nach § 215 Abs. 8 in Verbindung mit §§ 218 Abs. 1 Satz 1, 224, 51 Abs. 1 SGG und Art. III des Berliner Übernahmegesetzes vom 20. November 1953 (GVBl. S. 1419) als gegeben an. Diese Auffassung ist zutreffend.

Um eine "öffentlich-rechtliche Streitigkeit" im Sinne des § 51 Abs. 1 SGG handelt es sich deshalb, weil durch die Klage die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts - der Pfändung - begehrt wird (vgl. § 54 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 SGG). Ein Verwaltungsakt ist eine "Maßnahme, die von einer Verwaltungsbehörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen wird" (§ 23 Abs. 1 Berl VerwGG vom 8. Januar 1951 - BerlVBl . I S. 46; § 25 Abs. 1 Satz 1 MilRegVO 165). Diese Legaldefinition des Verwaltungsakts deckt sich mit dem von der herrschenden Lehre entwickelten Begriff, wenn man mit Menger (System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes 1954 S. 101) das obrigkeitliche Moment, das jedem Verwaltungsakt eigen ist, in den Worten des Gesetzgebers "zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts" ausgedrückt sieht. In diesem Sinne stellt die Pfändung, die ein Vollziehungsbeamter einer Krankenkasse vornimmt, eine hoheitliche Maßnahme dar. Nach § 73 Abs. 1 des Gesetzes zur Anpassung des Rechts der Sozialversicherung in Berlin an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht vom 3. Dezember 1950 - BerlVOBl. I S. 542 - (BerlAnpG) galt für die Beitreibung von Rückständen in Berlin § 28 Reichsversicherungsordnung (RVO), wonach Rückstände wie Gemeindeabgaben beigetrieben werden. Die der Entlastung der Gemeinden dienende Vorschrift in § 404 Abs. 4 RVO, wonach die oberste Verwaltungsbehörde bestimmen kann, daß das Versicherungsamt nach Anhören der Kasse die geschäftsleitenden Angestellten als Vollstreckungsbeamte und sonstige Angestellte der Kasse als Vollziehungsbeamte bestellen darf, hat § 73 Abs. 2 BerlAnpG für Berlin dahin abgewandelt, daß die Aufsichtsbehörde auf Antrag der Versicherungsanstalt Angehörige der Versicherungsanstalt als Vollstreckungs- oder Vollziehungsangestellte bestellt. Diese mit den Aufgaben der Beitreibung im Verwaltungszwangsverfahren betrauten Angehörigen der Versicherungsanstalt Berlin, bildeten bis zur Neuregelung des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens durch das Gesetz zur Übernahme des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vom 30. Mai 1953 (BerlGVBl. S. 361) die "zuständige Vollstreckungsbehörde" im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 der Preußischen Verordnung betr. das Verwaltungszwangsverfahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen vom 15. November 1899 (Pr GS S. 545) mit zahlreichen Änderungen, zuletzt nach der Verordnung vom 27. September 1941 (GS S. 49) - PrVOVZV -; diese galt in Preußen nach § 28 RVO in Verbindung mit §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 Satz 1 des Pr Gesetzes über die Zulässigkeit des Verwaltungszwangsverfahrens vom 12. Juli 1933 (GS S. 252) auch für das Verfahren der Beitreibung von Rückständen bei den Krankenkassen und war nach der Kapitulation - bis zu ihrer Aufhebung durch Art. IV des oben angeführten Übernahmegesetzes - in Berlin wie im gesamten Gebiet des früheren Landes Preußen in Geltung geblieben. Die vorliegende Pfändungsmaßnahme ist demnach von einer Verwaltungsbehörde getroffen.

Der Hoheitsakt der Pfändung erfüllt auch die weitere an einen Verwaltungsakt zu stellende Voraussetzung, daß er auf die Erzielung eines rechtlichen Erfolgs gerichtet ist; denn er erfolgt im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsrechtsverhältnisses, das - ebenso wie im Vollstreckungsverfahren der ZPO - unabhängig von dem vorangegangenen Verfahren über den der Vollstreckung zugrunde liegenden Anspruch besteht (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl. § 170 II 3; Zschacke in MDR. 1953 S. 12 (13)). Auch wenn - wie in dem im vorliegenden Fall anwendbaren § 25 PrVOVZV - zur Durchführung des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens auf Vorschriften des 8. Buches der Zivilprozeßordnung verwiesen wird, bleibt die Pfändungsmaßnahme Anwendung von Verwaltungszwang (Rosenberg a.a.O. § 169 III 1). Demnach ist ein in Durchführung des Verwaltungszwangs ergangener Vollstreckungsakt ein Verwaltungsakt, der mit den gegen einen solchen gegebenen Rechtsbehelfen angefochten werden kann (Bachof a.a.O. S. 24; 37; Zschacke in MDR. 1953 S. 12 (13); Kautz-Riewald, Verwaltungszwangsverfahren zur Beitreibung von Geldbeträgen 8. Aufl. Anm. 2 zu § 2 PrVOVZV ; OVG. Münster v. 9. Januar 1952 in Entsch. d. OVG. Münster und Lüneburg Bd. 5 S. 176 (177); OVG. Hamburg v. 3. Juli 1952 in VerwRechtspr. Bd. 5 Nr. 117 S. 535; VGH. Stuttgart vom 17. März 1954 in VerwRechtspr. Bd. 6 Nr. 191 S. 845).

Mit Recht hat daher der Kläger zunächst die Möglichkeiten des Verwaltungsverfahrens ausgeschöpft und in Beachtung des § 2 Abs. 2 PrVOVZV Beschwerde bei dem beklagten Senator für Arbeit und Sozialwesen erhoben; denn der Beklagte war als Aufsichtsbehörde, auf den die Befugnisse des Magistrats, späteren Senats von Berlin nach § 5 Abs. 1 BerlAnpG delegiert worden waren, im Sinne des § 2 Abs. 2 PrVOVZV "die vorgesetzte Dienstbehörde des Beamten, dessen Verfahren angefochten wird" (vgl. Kautz-Riewald a.a.O. Anm. 2 Abs. 6 zu § 2 PrVOVZV ; RVA. in EuM. Bd. 28 S. 470, Bd. 30 S. 353). Die in § 2 Abs. 2 PrVOVZV enthaltene Einschränkung, daß "nur" die Beschwerde zulässig sei, ist allerdings in Berlin seit der Wiedererrichtung der Verwaltungsgerichte und Einführung der Generalklausel nicht mehr Rechtens (Dekret der Amerikanischen Militärregierung vom 19. November 1945, VO der Britischen Militärregierung vom 15. Dezember 1945 (zitiert nach Zweigert, Vorwort zu Entsch. d. OVG. Berlin Bd. 1 S. V); Berl.G. vom 4. Januar 1951 - für den französischen Sektor Berlin - (BerlVOBl. I S. 31)). Diese Entwicklung abschließend, verwirklicht § 19 Abs. 1 Berl VerwGG auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts den von Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes geforderten umfassenden Rechtsschutz; § 19 Abs. 2 Berl VerwGG stellt ausdrücklich fest, daß die Klage nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß ein Verwaltungsakt nach bisherigen Vorschriften endgültig ist oder nicht vor einem Gericht angefochten werden kann. Zutreffend hat daher das VerwG. Berlin in seiner noch vor Inkrafttreten des SGG ergangenen Entscheidung die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs bejaht.

Nach dem 1. Januar 1954, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGG (§ 224 Abs. 1 SGG), ist jedoch für Streitigkeiten dieser Art der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben; denn es handelt sich um Streitigkeiten "in Angelegenheiten der Sozialversicherung" (§ 51 Abs. 1 SGG). Schon eine zunächst vom Wortlaut ausgehende Auslegung dieses Begriffs ergibt, daß "Angelegenheit" nicht mit "Aufgabe" gleichgesetzt werden darf. Die Vorschrift des § 51 SGG verwendet als maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung der Streitigkeiten, für die die Sozialgerichte zuständig sind (vgl. in Abs. 1 als auch in Abs. 2) das Wort "Angelegenheiten" und handelt in Abs. 1 von "Aufgaben" nur in dem beschränkteren Sinn, daß zu den von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheidenden Streitigkeiten, soweit sie die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung betreffen, nicht nur die Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung, sondern auch der übrigen "Aufgaben" der Bundesanstalt gehören. Hiernach würde es eine unzulässig Verengung des Zuständigkeitsbereichs der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bedeuten, wenn ihre sachliche Zuständigkeit auf Streitigkeiten aus Rechtsverhältnissen beschränkt würde, die unmittelbar eine Aufgabe der Sozialversicherung betreffen. Vielmehr wird der Begriff der "Angelegenheiten der Sozialversicherung" in § 51 SGG dahin zu verstehen sein, daß er alle Bereiche umfaßt, die der deutschen Sozialversicherung nach ihrer geschichtlichen Entwicklung und gegenwärtigen Gestalt eigentümlich sind und ihr das Gepräge geben. In diesem Sinne gehört auch der Beitragseinzug der Krankenkassen mit der Möglichkeit der Zwangsbeitreibung von Rückständen zu den wesensgemäß mit der Sozialversicherung verbundenen Angelegenheiten. Das gilt hinsichtlich der Zwangsbeitreibung jedenfalls dann, wenn sie in dem spezifischen, nach § 404 Abs. 4 RVO den Krankenkassen vorbehaltenen Vollstreckungsverfahren durch Vollstreckungsbeamte und Vollziehungsbeamte der Kasse erfolgt. In diesen Fällen muß das gesamte Beitragseinzugsverfahren einschließlich der Zwangsvollstreckung als ein nach Zweck und Organisationsform in besonderem Maße auf die Bedürfnisse und Besonderheiten der Sozialversicherung abgestimmtes und der Sache nach zusammengehöriges Verfahren angesehen werden, das zu den "Angelegenheiten der Sozialversicherung" im Sinne des § 51 Abs. 1 SGG zu rechnen ist. In ähnlichem Sinne hat bereits das Reichsversicherungsamt (EuM. Bd. 28 S. 470 und Bd. 30 S. 353) für die Frage, welche Aufsichtsbehörde zur Entscheidung über die angefochtene Vollstreckungsmaßnahme berufen ist, darauf abgestellt, ob ein Vollziehungsbeamter der Gemeindebehörde oder ein zum Vollziehungsbeamten bestellter Angestellter der Krankenkasse tätig geworden ist; im zweiten Fall hat es die Zuständigkeit des Versicherungsamts zur Entscheidung als Aufsichtsbehörde angenommen. Zutreffend hat daher das Berufungsgericht für die hier in Frage stehende Streitigkeit über die Art und Weise der Zwangsvollstreckung den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bejaht (im Ergebnis ebenso Hastler in Wege zur Sozialversicherung 1955 S. 109 (117 unter V) mit grundsätzlicher Zustimmung von Dersch in Wege zur Sozialversicherung 1955 S. 137 (143 unter IV); Eckert-Schraft, Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherung, Stand: Juni 1956, 4. Band, Teil F2, Bl. 68).

Es ist dem Berufungsgericht auch darin beizutreten, daß der beklagte Senator für Arbeit und Sozialwesen für den vorliegenden Rechtsstreit passiv legitimiert ist. Wie oben schon dargelegt, muß der Beklagte im Hinblick darauf, daß er bereits im Verfahren vor dem OVerwG. parteifähig gewesen und der Rechtsstreit nach § 215 Abs. 8 SGG auf das LSG. übergegangen ist, auch im Verfahren vor den Sozialgerichten als parteifähig angesehen werden. Die gleichen Erwägungen gelten für die Passivlegitimation. Nach § 28 Berl VerwGG, der auf das in Berlin am 30. Januar 1933 in Geltung gewesene Verfahrensrecht verweist, ist in Berlin im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten die Behörde richtige Beklagte, die bei vorangegangenem Beschwerdeverfahren über die Beschwerde entschieden hat (so ausdrücklich auch für den Bereich der ehemaligen britischen Besatzungszone § 50 Satz 2 MilRegVO 165). Der Senat kann dahingestellt lassen, wie die Frage der Passivlegitimation bei Rechtsstreitigkeiten zu beurteilen ist, in denen von vornherein Klage vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit erhoben wird; denn im vorliegenden Fall verbietet schon der Überleitungscharakter des Rechtsstreits eine andere Beurteilung der Passivlegitimation, als sie nach zwingendem Recht im Verfahren vor dem allgemeinen Verwaltungsgericht Rechtens war.

Zutreffend hat das LSG. auch die von der Revision gegen die Rechtmäßigkeit der Pfändung erhobenen Bedenken als hinfällig angesehen. Nach § 25 Abs. 1 PrVOVZV in Verbindung mit § 811 Nr. 5 ZPO unterliegen bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände nicht der Zwangsvollstreckung. Soweit es auf die Unentbehrlichkeit ankommt, ist der Zeitpunkt der Pfändung maßgebend (vgl. Stein-Jonas-Schönke, ZPO 18. Aufl. Anm. II 4 zu § 811). Nach den von der Revision nicht angegriffenen und damit für das Revisionsgericht verbindlichen (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG. hatte der Handwerksbetrieb des Klägers in dem fraglichen Zeitraum (September 1951) nur einen verhältnismäßig bescheidenen Umfang. Es unterliegt daher keinen Bedenken, wenn das Berufungsgericht die Unentbehrlichkeit der noch in der Pfandverstrickung verbliebenen Sachen (Schreibmaschine, Schreibtisch, Couchtisch) für die persönliche Fortsetzung der Erwerbstätigkeit des Klägers verneint hat.

Nach alledem ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2297056

NJW 1957, 238

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