Leitsatz (redaktionell)

Die Ausnahmeregelung des RVO § 183 Abs 4 findet keine Anwendung, wenn der Versicherte zwar nach Stellung des Rentenantrags aber noch vor Beginn des Altersruhegeldes arbeitsunfähig geworden ist.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 4 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Auf die Revision der beklagten Krankenkasse werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 8. April 1964 und des Sozialgerichts Berlin vom 15. Mai 1963 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger, der bis November 1962 in versicherungspflichtiger Beschäftigung stand, war vom 26. September bis zum 17. Oktober 1962 arbeitsunfähig und erhielt von der beklagten Krankenkasse Krankengeld. Später, im November 1962, bewilligte ihm die beigeladene Landesversicherungsanstalt - auf seinen Antrag vom Juli 1962 - rückwirkend ab 1. Oktober 1962 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres; die dabei auf die Zeit vom 1. Oktober bis 17. Oktober 1962 entfallende Rentennachzahlung von 148,20 DM führte sie an die beklagte Krankenkasse ab.

Einen Antrag des Klägers auf Herausgabe dieses Betrages lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Dezember 1962 und Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1963 ab. Seine Klage hatte vor dem Sozialgericht (SG) Erfolg (Urteil vom 15. Mai 1963).

Das Landessozialgericht (LSG) wies die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten zurück: Diese sei zu Recht verklagt worden; die Klage sei auch begründet, da ihr der streitige Betrag nicht zustehe. Der Krankengeldanspruch des Klägers sei nicht nach § 183 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) mit dem Beginn des Altersruhegeldes am 1. Oktober 1962 weggefallen, sondern habe gemäß § 183 Abs. 4 RVO bis zum 17. Oktober 1962 fortbestanden. Mit dieser Vorschrift, die den Rentnern neben der Erwerbsunfähigkeitsrente oder dem Altersruhegeld einen Anspruch auf Krankengeld bis zur Dauer von 6 Wochen gebe, habe der Gesetzgeber einen Anreiz zur Weiterarbeit der Rentner schaffen wollen. Das gleiche gelte für Rentenbewerber, zu denen der Kläger seit Juli 1962 gehört habe. Auch ihnen habe man den Entschluß erleichtern wollen, ihre Arbeitskraft weiter zu verwenden. Geschehe dies, so müßten für sie - anders als für die schon bei Beantragung der Rente arbeitsunfähigen Versicherten, die nur nach § 311 RVO Kassenmitglieder blieben und deshalb beitragsfrei seien (§ 383 RVO) - nach Stellung des Rentenantrags noch Beiträge zur Krankenversicherung entrichtet werden. Schließlich würden Zufälligkeiten vermieden, wenn man bei § 183 Abs. 4 RVO nicht auf den Beginn des Rentenbezuges, sondern auf den Tag des Rentenantrages abstelle. Daß der Kläger seine Rente schon im Juli 1962, d.h. mehrere Monate vor Vollendung des 65. Lebensjahres (13. Oktober 1962), beantragt habe, sei sachgemäß gewesen (Urteil vom 8. April 1964).

Die beklagte Krankenkasse hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt und Verletzung des § 183 Abs. 3 RVO gerügt: Zwar halte auch sie die Anwendung dieser Vorschrift im Falle des Klägers für eine Härte, weil er trotz Entrichtung von Beiträgen bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 26. September 1962 nur für wenige Tage (27. September bis 30. September 1962) Krankengeld erhalten habe, während er bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erst im Oktober 1962 oder bei Vollendung des 65. Lebensjahres schon im September 1962 nach § 183 Abs. 4 RVO Anspruch auf Krankengeld bis zur Dauer von 6 Wochen gehabt hätte. Nach der Systematik des Gesetzes und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei § 183 Abs. 4 RVO jedoch nur anwendbar, wenn ein Empfänger einer Rente arbeitsunfähig werde, die Arbeitsunfähigkeit also nicht, wie hier, schon vor Beginn des Rentenbezugs eingetreten sei.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert. Auch die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) hat von einer Stellungnahme zur Sache abgesehen.

II

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist begründet. Entgegen der Ansicht des LSG hat sie den auf die fragliche Zeit (1. bis 17. Oktober 1962) entfallenden Teil der Rentennachzahlung des Klägers mit Recht erhalten; denn dessen Rentenanspruch ist insoweit nach § 183 Abs. 3 RVO auf sie übergegangen.

Nach § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird. Ist über diesen Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden, so geht der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Kasse über (§ 183 Abs. 3 Satz 2 RVO).

Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, daß das Krankengeld einerseits und die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sowie das Altersruhegeld andererseits dem gleichen Zweck dienen und deshalb grundsätzlich nicht nebeneinander zu gewähren sind (vgl. BSG 19, 30 oben). Das Krankengeld als eine ihrem Wesen nach vorübergehende Leistung tritt dabei hinter der - in der Regel auf Dauer gewährten - Rente zurück, sobald diese beginnt. Solange die Rente allerdings noch nicht bewilligt ist, muß das Krankengeld (weiter)gewährt werden, damit der Versicherte nicht ohne jede Existenzsicherung bleibt. Dafür geht dann, wenn die Rente rückwirkend bewilligt wird, der Rentenanspruch insoweit auf die Krankenkasse über, als er das Krankengeld nicht übersteigt und auf die gleiche Zeit wie das Krankengeld entfällt.

Der Grundsatz, daß das Krankengeld und die genannten Renten einander ausschließen, erleidet indessen eine Ausnahme für den Fall, daß nicht der Rentenanspruch zu einem schon bestehenden Krankengeldanspruch, sondern umgekehrt dieser zu jenem hinzutritt, der Versicherte also als Bezieher einer Rente einen Krankengeldanspruch erwirbt. In diesem Falle kann nämlich der Krankengeldanspruch nicht nach § 183 Abs.3 Satz 1 RVO mit dem Tage des Rentenbeginns enden, weil er erst nachträglich entsteht. Es wäre auch unbillig, einem Versicherten, der eine Erwerbsunfähigkeitsrente oder ein Altersruhegeld bezieht und daneben in einem krankenversicherungspflichtigen, d.h. mit der Pflicht zur Beitragsverpflichtung verbundenen Beschäftigungsverhältnis steht (vgl. demgegenüber § 57 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG -), die Barleistungen der Krankenversicherung bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit völlig vorzuenthalten. Der Gesetzgeber hat deshalb, wie die Entstehungsgeschichte des § 183 Abs. 3 RVO ergibt, solche (weiter)beschäftigten Rentner nicht von dem Bezug des Krankengeldes ausschließen wollen (vgl. Schmatz/Fischwasser, Das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle, 4. Aufl., S. 52). Andererseits hat er ihnen aber auch keinen Anspruch auf Krankengeld für die reguläre Bezugsdauer (§ 183 Abs. 2 RVO) einräumen wollen und hat deshalb den Krankengeldanspruch auf die Dauer von höchstens sechs Wochen, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, begrenzt, wenn das Krankengeld während des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld gewährt wird (§ 183 Abs. 4 RVO). Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift muß nach Ansicht des Senats auf diejenigen Versicherten beschränkt bleiben, für die sie ihren Wortlaut und Sinngehalt nach bestimmt ist, d.h. auf die während des Rentenbezugs (weiter)beschäftigten Rentner. Die Vorschrift kann insbesondere nicht, wie das LSG meint, auf solche Versicherten ausgedehnt werden, die nicht erst bei oder nach Rentenbeginn, sondern schon vorher, wenn auch nach Stellung des Rentenantrags, einen Krankengeldanspruch erwerben. Die Dauer ihres Anspruchs bemißt sich nach § 183 Abs. 2 RVO, ist also grundsätzlich zeitlich unbegrenzt. Andererseits endet ihr Krankengeldanspruch mit dem Beginn einer Erwerbsunfähigkeitsrente oder eines Altersruhegeldes. Ihnen für den Fall, daß ihr Anspruch auf Krankengeld vorzeitig endet (§ 183 Abs. 3 Satz 1 RVO), das Krankengeld nach § 183 Abs. 3 RVO wenigstens für sechs Wochen zu gewähren, ist nach der Systematik des Gesetzes nicht zulässig. Das gilt auch dann, wenn ihnen - wie im Falle des Klägers - bis zum Rentenbeginn nur ein Krankengeldanspruch für wenige Tage verbleibt.

Im übrigen könnten die vom LSG angeführten Härten und Zufälligkeiten auch dann eintreten, wenn man mit dem Berufungsgericht § 183 Abs. 4 RVO nicht erst vom Zeitpunkt des Bezuges, sondern schon vor der Beantragung einer Rente anwenden würde. So hätte z.B. der Kläger, wenn er seinen Rentenantrag so frühzeitig gestellt hätte, daß ihm der Rentenbescheid noch vor dem 1. Oktober 1962 zugestellt worden wäre, wohl auch nach Auffassung des LSG nur Krankengeld bis zum 30. September 1962, d.h. für vier Tage, erhalten dürfen.

Der Senat hält somit auch nach nochmaliger Prüfung an seiner bisherigen, im Urteil vom 11. August 1966 (SozR Nr.17 zu § 183 RVO) näher begründeten Auffassung fest, daß neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente oder einem Altersruhegeld ein Anspruch auf Krankengeld nach § 183 Abs. 4 RVO nur besteht, wenn der Krankengeldanspruch nicht schon - wie im Falle des Klägers - vor dem Tage des Rentenbeginns entstanden ist. Der Senat hat demgemäß die Urteile der Vorinstanzen, die von einer anderen Rechtsauffassung ausgehen, auf die Revision der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2365159

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