Leitsatz (amtlich)
Ist der Versicherte nach Stellung des Rentenantrags vor der Bescheiderteilung verstorben, so ist dann, wenn der Träger der Krankenversicherung dem Versicherten Krankengeld über einen als Rentenbeginn in Frage kommenden Zeitpunkt hinaus gewährt hatte, das Rentenfeststellungsverfahren zu Ende zu führen, auch wenn keine Bezugsberechtigten iS des RVO § 1288 Abs 2 vorhanden sind.
Normenkette
RVO § 1288 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 183 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 2. Juni 1965 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Versicherte F S war Mitglied der klagenden Krankenkasse. Am 6. November 1962 wurde er arbeitsunfähig krank und bezog von diesem Zeitpunkt an Krankengeld. Am 29. April 1963 stellte er bei der beklagten Landesversicherungsanstalt Antrag auf Rente. Daraufhin meldete die Klägerin am 18. Mai 1963 bei der Beklagten ihre Ersatzansprüche an. Der Versicherte verstarb am 22. August 1963 vor Erledigung seines Rentenantrages. Da Empfangsberechtigte im Sinne des § 1288 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Rente nicht vorhanden waren, stellte die Beklagte das Rentenverfahren ein und teilte dies der Klägerin am 17. Dezember 1963 mit. Da sie auch in der Folgezeit das Bestehen eines Ersatzanspruchs der Klägerin bestritten hat, weil keine Rente zugebilligt worden sei, hat die Klägerin Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 2. Juni 1965 die Beklagte verpflichtet, über den Rentenantrag des Versicherten zu entscheiden und den Ersatzanspruch der Klägerin zu befriedigen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Wenn auch die Krankenkasse nicht in eigenem Namen einen Ersatzanspruch wie in § 1538 RVO erheben könne, müsse doch der Übergang der Forderung auf die Klägerin gemäß § 183 Abs. 3 und Abs. 5 RVO dann stattfinden, wenn der Versicherte vor seinem Tode selbst noch einen Antrag gestellt habe. Die Zubilligung der Rente, auf die es § 183 Abs. 3 und Abs. 5 RVO abstelle, gehöre nicht zu den rechtlichen Voraussetzungen für den Eintritt dieser Rechtsfolge. Der Gesetzgeber habe mit diesen Vorschriften erreichen wollen, daß dem Versicherten das bis dahin gezahlte Krankengeld verbleiben solle, aber die nachzuzahlende Rente der Krankenkasse auszuzahlen sei. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil mit Einwilligung der Klägerin Sprungrevision eingelegt.
Sie trägt vor: Nach § 183 RVO könne ein Ersatzanspruch lediglich dann geltend gemacht werden, wenn ein Rentenanspruch festgestellt worden sei. Eine solche Feststellung könne im vorliegenden Fall nicht mehr getroffen werden, weil der Rentenberechtigte vor Erteilung eines Bescheides verstorben sei und Sonderrechtsnachfolger nach § 1288 RVO oder auf Grund Erbfolge nicht vorhanden seien. Dadurch sei der Versicherungsträger gehindert, einen Bescheid zu erteilen. Es genüge nicht, daß der Versicherungsträger intern entscheide, vielmehr werde ein Bescheid erst dann wirksam, wenn er dem Berechtigten zugestellt worden sei.
Diese Rechtsauffassung entspreche auch der Zweckbestimmung des § 183 Abs. 3 RVO. Diese wolle vermeiden, daß Geldleistungen, die dieselben Funktionen erfüllten, von verschiedenen Sozialversicherungsträgern nebeneinander demselben Empfänger gewährt würden. Erwerbsunfähigkeitsrente und Krankengeld stellten einen Ersatz für ausfallenden Arbeitslohn dar. Da der Antragsteller vor Erteilung eines Rentenbescheides verstorben und bezugsberechtigte Personen nicht vorhanden seien, könne es nicht zu Doppelleistungen kommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Speyer vom 2. Juni 1965 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG Speyer oder an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Sprungrevision ist nicht begründet.
Nach § 183 Abs. 3 RVO endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ... zugebilligt wird; ist über diesen Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden, so geht der Anspruch auf Rente bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf die Krankenkasse über. Des weiteren wird nach § 183 Abs. 5 RVO, wenn dem Versicherten während des Bezuges von Krankengeld Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ... zugebilligt wird, das Krankengeld um den Betrag der für den gleichen Zeitraum gewährten Rente gekürzt; insoweit geht bei rückwirkender Gewährung der Rente der Rentenanspruch ebenfalls auf die Krankenkasse über. Voraussetzung ist in beiden Fällen, daß die Rente vom Versicherungsträger zugebilligt ist. Es genügt nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht, daß ein Anspruch auf Rente bestand. Die Zubilligung erfolgt erst durch eine Entscheidung des Versicherungsträgers nach § 1631 RVO. Es ist also ein Verwaltungsakt erforderlich, der nach § 77 SGG zumindest dem Versicherungsträger gegenüber bindend geworden ist. Dies ist nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Februar 1958 (BSG 7, 8) dann der Fall, wenn der Bescheid dem Antragsteller zugegangen ist. Des weiteren wäre eine Rente auch dann zugebilligt, wenn nach einer Ablehnung durch den Versicherungsträger das Gericht diese rechtskräftig zugesprochen hätte. Ein solcher Bescheid liegt hier nicht vor; es ist zwar ein Antrag gestellt, aber der Antragsteller vor der Entscheidung darüber verstorben.
Indessen kann nach dem Zweck der Ausgleichsregelung in § 183 Abs. 3 und 5 RVO der Ersatzanspruch der Krankenkasse nicht daran scheitern, daß der Rentenversicherungsträger das Rentenfeststellungsverfahren noch nicht zum Abschluß gebracht hat. Zwar ist der LVA darin beizupflichten, daß der eine dem § 183 Abs. 3 und 5 RVO zugrunde liegende Rechtsgedanke, nämlich Doppelleistungen zu verhüten, nicht durch die Praxis der Rentenversicherungsträger verletzt wird, beim Tode des Antragstellers vor Erteilung eines Rentenbescheides das Rentenfeststellungsverfahren einzustellen. Bestünde der Zweck der genannten Vorschriften allein darin, die Häufung von Leistungen mit gleicher Funktion in der Person des Berechtigten zu verhindern, so wäre in der Tat gegen die Einstellung des Rentenfeststellungsverfahrens nichts einzuwenden. § 183 Abs. 3 und 5 RVO verfolgen jedoch außerdem das Ziel, der Krankenkasse zum mindesten einen teilweisen Ausgleich für Leistungen zu gewähren, die sich bei rückschauender Betrachtung als zu Unrecht gezahlt herausstellen. Um dieses berechtigten Interesses willen muß daher das Rentenfeststellungsverfahren zum Abschluß gebracht werden.
Die klagende Krankenkasse hat durch die Zahlung von Krankengeld über den unter Umständen als Tag des Rentenbeginns in Frage kommenden Zeitpunkt hinaus zumindest eine Anwartschaft auf die Rentennachzahlung nach § 183 Abs. 3 oder Abs. 5 RVO erworben. Sie kann daher von der beklagten Landesversicherungsanstalt verlangen, daß diese über den Rentenantrag entscheidet, damit geklärt wird, ob dem Versicherten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit zusteht. An diesem Verwaltungsverfahren ist die Klägerin beteiligt. Ihr ist daher der Rentenbescheid zuzustellen, den sie gegebenenfalls auch anfechten kann, soweit sie davon betroffen ist.
Die Klage ist daher begründet. Die vom SG neben der Verpflichtung, über den Rentenantrag zu entscheiden, ausgesprochene Verpflichtung der beklagten LVA, den Ersatzanspruch zu befriedigen, kann allerdings nur als bedingt angesehen werden, nämlich für den Fall, daß durch einen bindenden oder rechtskräftigen Bescheid feststeht, daß ein Rentenanspruch besteht und die Voraussetzungen eines Übergangs nach § 183 Abs. 3 oder Abs. 5 RVO vorliegen. Mit dieser Klarstellung muß die Revision der Beklagten zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen