Orientierungssatz
Die Tätigkeit als Hilfslokomotivheizer ist nicht als die Tätigkeit eines Facharbeiters iS eines Arbeiters mit einem Lehrberuf oder ihm gleichstehend, sondern als gleichstehend mit einem Arbeiter mit einem anerkannten Anlernberuf anzusehen.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 10. September 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) aus der Arbeiterrentenversicherung (ArV). Streitig ist, ob er auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verwiesen werden kann und deshalb nicht berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist.
Der im Jahre 1903 geborene Kläger war in der Zeit von 1917 bis 1943 zunächst als Hilfsarbeiter (überwiegend als Bahnunterhaltungsarbeiter), nach Ablegung der entsprechenden Prüfungen als Weichenwärter, Telegrafist, Fahrdienstleiter, Aushilfsbeamter, Abfertigungsbeamter und Rangierleiter und, nachdem er die Lokheizerprüfung abgelegt hatte, ab Sommer 1943 als Hilfslokomotivheizer versicherungspflichtig beschäftigt. Am 31. März 1952 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis zum Eisenbahnlokomotivheizer ernannt. Wegen Dienstunfähigkeit ist er zum 31. Juli 1960 in den Ruhestand versetzt worden.
Am 2. März 1960 beantragte er, ihm Versichertenrente aus der ArV zu gewähren. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 15. Juni 1960 ab, weil der Kläger für regelmäßige, einfache Arbeiten geistiger und körperlicher Art im Sitzen in geschlossenen Räumen noch voll einsatzfähig sei. Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger die Rente wegen BU ab Antragstellung zu gewähren (Urteil vom 12. Dezember 1961). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 10. September 1962).
Gegen das Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er rügt Verletzung des § 1246 RVO und meint, das LSG habe zu Unrecht seine letzte versicherungspflichtige Beschäftigung als Hilfsheizer als die Tätigkeit eines angelernten Arbeiters beurteilt. Als geprüfter Heizer habe er vielmehr die Tätigkeit eines Facharbeiters verrichtet, so daß er nicht auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verwiesen werden dürfe, wie es das LSG getan habe. Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG für das Saarland vom 10. September 1962 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG für das Saarland vom 12. Dezember 1961 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie ist der Auffassung, in seiner letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung als Hilfslokomotivheizer habe der Kläger eine ungelernte Arbeitertätigkeit ausgeübt, so daß er auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist unbegründet.
Die Rechtsauffassung des LSG, daß der Kläger nicht als berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO anzusehen ist, ist nicht zu beanstanden. Mit Recht hat es dessen Tätigkeit als Hilfslokomotivheizer nicht als die Tätigkeit eines Facharbeiters im Sinne eines Arbeiters mit einem Lehrberuf oder ihm gleichstehend, sondern als gleichstehend mit einem Arbeiter mit einem anerkannten Anlernberuf angesehen.
Nach § 1246 Abs. 2 RVO ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Streitig unter den Beteiligten ist allein, welche Tätigkeiten dem Kläger unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Daß für die Beurteilung dieser Frage von der Beschäftigung des Klägers als Hilfslokomotivheizer als seinem bisherigen Beruf auszugehen ist, weil er sie zuletzt als versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat, ist vom LSG mit Recht angenommen worden und unter den Beteiligten auch unstreitig. Als ungelernte Tätigkeit kann die Ausübung des Berufs des Hilfslokomotivheizers im Gegensatz zu der Ansicht der Beklagten allerdings nicht bewertet werden, vielmehr hat das LSG zutreffend diese berufliche Tätigkeit als die Ausübung einer anerkannten angelernten Tätigkeit beurteilt.
Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 29. Oktober 1964 - Az.: 12 RJ 74/62 - ausgesprochen, daß für die Tätigkeit eines Hilfslokomotivheizers nach den Dienstvorschriften der damaligen Reichsbahn die Ableistung einer vielmonatlichen Anlernzeit mit einer im einzelnen genau geregelten umfassenden Ausbildung vorgeschrieben war und daß diese Anlernung über den Rahmen einer bloßen betrieblichen Einweisung deutlich hinausgehe. Der Senat hat aber in diesem Urteil bereits ebenfalls entschieden, daß andererseits der Beruf eines solchen Aushilfsheizers auch nicht als ein Lehrberuf angesehen werden kann. Dies hat der Senat damit begründet, daß dem Beruf eines Hilfslokomotivheizers keine mehrjährige Lehrzeit mit Abschlußprüfung vorauszugehen hat und er auch nicht als Lehrberuf anerkannt ist, und daß weder die Art der Tätigkeit eines Aushilfsheizers noch seine tarifliche Einstufung eine Bewertung über die eines anerkannten Anlernberufs hinaus zulasse.
Von dieser Entscheidung für den vorliegenden Fall abzuweichen, sieht der Senat keinen Anlaß. Die Revision meint, die Tätigkeit des Klägers als Aushilfsheizer müsse vor allem deshalb der Ausübung der Tätigkeit eines Facharbeiters gleichstehen oder doch gleichgestellt werden, weil sie nach der Lohngruppe II analog einer qualifizierten Fachkraft entlohnt werde. Auch mit diesem Gesichtspunkt hat sich der Senat in seinem früheren Urteil bereits dahin auseinandergesetzt, daß die Entlohnung für Lokomotivheizer, die einen für den Lokomotivführerberuf anerkannten Handwerksberuf erlernt haben, nicht berücksichtigt werden kann, weil der Kläger nicht zu dieser Gruppe gehört. Der Senat hat auch weiterhin hervorgehoben, daß es dahingestellt bleiben kann, ob etwas anderes für die Zeit nach dem 31. März 1958 zu gelten hat, während der alle Lokomotivheizer einheitlich nach einer höheren Lohngruppe entlohnt worden sind, weil in dem damals entschiedenen Fall wie auch in dem hier vorliegenden die Bewertung der Tätigkeit eines Hilfslokomotivheizers für eine vor dem 31. März 1958 liegende Zeit in Frage steht, hier nämlich in der Zeit vom Sommer 1943 bis Februar 1952. Wie der Senat bereits ausgesprochen hat, können bei der Bewertung einer Tätigkeit nur diejenigen Umstände von Bedeutung sein, die in der Zeit vorgelegen haben, als der Versicherte diese Tätigkeit ausgeübt hat.
Die Revision führt dafür, daß die Tätigkeit eines Hilfslokomotivheizers als die Ausübung einer Facharbeitertätigkeit bewertet werden müsse, schließlich an, nach dem Leistungsgruppenverzeichnis der Anlage 1 zur Versicherungsunterlagen-Verordnung vom 30. März 1960 (BGBl I 137) werde der geprüfte Heizer unter der Leistungsgruppe 1 aufgeführt, also unter denjenigen Arbeitern, die als qualifizierte Facharbeiter anzusprechen seien. Mit Recht weist die Beklagte darauf hin, daß der geprüfte Hilfslokomotivheizer nicht zu den geprüften Heizern im Sinne der Leistungsgruppe 1 der bezeichneten Anlage gerechnet werden kann, weil hierunter nur solche Heizer zu verstehen sind, die den Heizerberuf als Lehrberuf erlernt haben oder die die Befähigung zu einer derartigen Tätigkeit durch langjährige Beschäftigung mit den entsprechenden Arbeiten eines gelernten Heizers erworben haben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ein Versicherter, dessen bisheriger Beruf im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO ein anerkannter Anlernberuf ist oder ein Beruf, der einem solchen gleichzustellen ist, auf solche ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden, die nicht zu den Arbeiten einfacher Art gehören, da ihm deren Verrichtung zumutbar ist (Urteil des erkennenden Senats vom 28. Mai 1963 in SozR RVO § 1246 Nr. 32). Da das LSG den Kläger lediglich auf derartige Tätigkeiten verwiesen und es darüber hinaus festgestellt hat, daß er nach seinen beruflichen Fähigkeiten und seinem Gesundheitszustand solche Tätigkeiten auch ausüben kann, ist das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger noch nicht berufsunfähig ist. Es hat daher auch zu Recht die Klage abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen