Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausländischer Wehrdienst als Ersatzzeit. Rückkehrverhinderung
Leitsatz (redaktionell)
Wenn der Wehrdienstpflicht (hier in Rumänien) alle ausländischen Staatsangehörigen gleichermaßen unterworfen waren, stellt die Ableistung des Wehrdienstes für sich allein keine "feindliche Maßnahme" dar, auf Grund deren der Versicherte gehindert gewesen wäre, aus dem Ausland "zurückzukehren". Es muß sich vielmehr um Maßnahmen gehandelt haben, die in ihrer unmittelbaren Auswirkung hauptsächlich gegen die deutsche Bevölkerung gerichtet waren.
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1965-06-09; AVG § 28 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09, Nr. 3 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Mai 1974 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Zeit vom 1. August 1966 bis 22. Januar 1967, in der der Kläger in Rumänien Wehrdienst geleistet hat, als Ersatzzeit in seine Versicherungsunterlagen einzutragen ist.
Der Kläger ist 1939 in Rumänien als deutscher Volkszugehöriger geboren. Vor und nach seiner Wehrpflicht hat er dort nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anrechenbare Versicherungszeiten zurückgelegt. Er siedelte 1971 in die Bundesrepublik Deutschland über, besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit und den Vertriebenenausweis A.
Die Beklagte lehnte die Eintragung als Ersatzzeit ab, weil die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht vorlägen (Bescheid vom 9. Februar 1972 und Widerspruchsbescheid vom 7. August 1972). Die Klage blieb in erster Instanz ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) verurteilte die Beklagte, die geltend gemachte Zeit als Ersatzzeit einzutragen. Es hielt zwar ebenfalls § § 28 Abs 1 Nr 1 AVG nicht für anwendbar, weil der Kläger nicht zu dem durch § 2 Abs 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) begünstigten Personenkreis zähle. Doch gebiete der dem FRG zugrunde liegende Eingliederungsgedanke in Verbindung mit der Regelung des § 28 Abs 1 Nr 3 AVG die Anerkennung als Ersatzzeit. Der Kläger sei durch "feindliche Maßnahmen", in besonderem Maße durch die Ableistung des Wehrdienstes, an der Rückkehr aus dem Ausland verhindert gewesen bzw dort festgehalten worden. Der "Rückkehrwille" in die Bundesrepublik sei nachgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
unter Aufhebung des angefochten Urteils die Berufung gegen das Urteil erster Instanz zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Anordnungen eines Staates, die die gesamte Bevölkerung beträfen, seien keine feindliche Maßnahmen im Sinne des § 28 Abs 1 Nr 3 AVG. Im übrigen hätte das LSG noch Ermittlungen über die Situation der Wehrpflichtigen in Rumänien durchführen müssen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist insofern begründet, als der Rechtsstreit zur neuen Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß.
Nach § 28 Abs 1 Nr 3 AVG idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 sind Ersatzzeiten Zeiten, in denen der Versicherte während oder nach Beendigung eines Krieges, ohne Kriegsteilnehmer zu sein, durch feindliche Maßnahmen an der Rückkehr aus dem Ausland verhindert gewesen oder dort festgehalten worden ist.
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob solche "feindliche Maßnahmen" den Kläger in der streitigen Zeit an der Übersiedlung in die Bundesrepublik (vgl dazu SozR Nr 13 zu § 1251 RVO) gehindert haben (§ 28 Abs 1 Nr 3 AVG). Unter diesen Umständen braucht der Senat auf die Verfahrensrügen der Beklagten nicht einzugehen.
Was unter "feindliche Maßnahmen" zu verstehen ist, hat der 1. Senat in seinem Urteil vom 12. Dezember 1974 - 1 RA 51/74 - (SozR 2200 § 1251 RVO Nr 7) näher erläutert. Es müssen Maßnahmen sein, "die der ehemalige Feindstaat primär wegen seiner Bevölkerungsteile mit deutscher Volkszugehörigkeit erlassen hatte, die sich aber auch allgemein gegen den früheren Kriegsgegner Deutschland richteten und die somit in ihrer unmittelbaren Auswirkung zwar hauptsächlich, aber nicht notwendig ausschließlich die deutschen Bevölkerungskreise des ehemaligen Feindstaates betrafen". Diese Erläuterung hält der erkennende Senat für zutreffend. Der vom LSG festgestellte Sachverhalt läßt es aber nicht zu, diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Das LSG sagt auf Seite 9 Absatz 1 der Urteilsgründe nur allgemein, der Kläger sei als deutscher Volkszugehöriger "erheblichen Behinderungen" in Rumänien ausgesetzt gewesen. Die Art dieser "Behinderungen" wird nicht näher erläutert und nicht dadurch deutlich, daß das LSG auf die Anhörung des Klägers und seines Vaters verweist und hinzufügt, die Behinderungen hätten darauf abgezielt, den Kläger nicht nach Deutschland zurückkehren zu lassen. Im folgenden Absatz wird die Ableistung des Pflichtwehrdienstes in Rumänien als eine Behinderung "in besonderer Weise" bezeichnet. Festgestellt wird aber dazu nur (vgl S 10 der Urteilsgründe), daß die Wehrdienstleistung auf Grund gesetzlichen Zwangs erfolgte.
Es fehlen also Feststellungen, welche konkreten Maßnahmen in der fraglichen Zeit - von der Wehrdienstleistung abgesehen - den Kläger an der Ausreise nach Deutschland gehindert haben. Der Senat kann deshalb nicht beurteilen, ob Maßnahmen vorlagen, die im Sinne des Urteils des 1. Senats hauptsächlich die deutsche Bevölkerung in Rumänien betroffen haben; der Wehrdienstpflicht dürften wohl alle rumänischen Staatsangehörigen gleichermaßen unterworfen gewesen sein.
Unter diesen Umständen muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Die Entscheidung des LSG kann nämlich auch nicht aus anderen Gründen bestätigt werden; das LSG hat zutreffend die Voraussetzungen für Ersatzzeiten nach § 28 Abs 1 Nr 1 AVG verneint.
Fundstellen