Entscheidungsstichwort (Thema)
Überleitung von Ansprüchen nach § 90 BSHG in der bis zum 30. Juni 1983 geltenden Fassung. Anwendung der §§ 102 ff SGB 10. Anhängigkeit des Verfahrens iS von Art 2 § 21 SGB 10. notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers
Orientierungssatz
1. Die Überleitung eines Anspruchs nach altem Recht ist nicht gemäß Art 2 § 21 SGB 10, wonach bereits begonnene Verfahren nach den neuen Vorschriften zu Ende zu führen sind, aufgrund der Neufassung des § 90 Abs 1 S 1 BSHG (Fassung: 1982-11-04) hinfällig, wenn Streitgegenstand nicht die Rechtmäßigkeit der Überleitung ist, sondern eine Leistung, die den Grund des Anspruchs betrifft. Ein Verfahren iS des Art 2 § 21 SGB 10 ist dann nicht anhängig.
2. Die Überleitung gemäß § 90 des Bundessozialhilfegesetzes sagt nichts über Bestand, Höhe und Inhalt des übergeleiteten Anspruchs aus, sondern bewirkt lediglich den Gläubigerwechsel. Der Anspruch wird durch die Überleitung nicht verändert. Dem Schuldner verbleiben alle Rechtseinwendungen auch gegenüber dem Sozialhilfeträger, wie sie ihm gegenüber dem eigentlichen Anspruchsinhaber zustanden. Der Sozialhilfeträger kann den übergeleiteten Anspruch nur in dem Maße und unter denselben Voraussetzungen geltend machen wie der Hilfeempfänger. Die Befugnis der Bundesanstalt für Arbeit, Ansprüche auf Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz durch Verwaltungsakt zu regeln, wird daher durch die Überleitung eines solchen Anspruchs nicht beeinträchtigt. Hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs kommt dem Sozialhilfeträger nur die Stellung zu, die auch dem Hilfeempfänger gegenüber seinem Schuldner zusteht. Damit greift jede gerichtliche Entscheidung über die hier streitige Leistung, die den Grund des Anspruchs betrifft, in die Rechtssphäre des Trägers der Sozialhilfe unmittelbar ein. Der Sozialhilfeträger ist notwendig beizuladen (vgl BSG 21.7.1981 7 RAr 26/80 = SozR 1500 § 75 Nr 37).
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; BSHG § 90 Abs 1 S 1 Fassung: 1982-11-04; BSHG § 90 Abs 1 Fassung: 1974-03-25; SGB 10 Art 2 § 21 Fassung: 1982-11-04
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 09.11.1984; Aktenzeichen L 1 Ar 138/83) |
SG Kiel (Entscheidung vom 14.09.1983; Aktenzeichen S 6 Ar 246/82) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Der 1938 geborene Kläger erhielt von der Beklagten bis zum 17. Mai 1981 Alhi. Für die Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung, die bis zum 17. November 1981 dauern sollte, erhielt er vom 18. Mai 1981 an Unterhaltsgeld (Uhg). Vom 19. Oktober 1981 bis 28. Juli 1982 war der Kläger in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert. Er meldete sich nach seiner Entlassung am 29. Juli 1982 erneut arbeitslos und beantragte Alhi. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab, weil der Kläger nicht iS des § 134 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) die Anwartschaftszeit erfülle (Bescheid vom 13. August 1982 idG des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1982). Klage und Berufung waren erfolglos (Urteil des Sozialgerichts -SG- Kiel vom 14. September 1983; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 9. November 1984). Zur Begründung hat das LSG des Näheren ausgeführt, daß der frühere Anspruch des Klägers auf Alhi gemäß § 135 Abs 1 Nr 2 AFG durch Zeitablauf erloschen sei. Diese Vorschrift sei auch nicht verfassungswidrig. Der Kläger habe in dem nach § 134 AFG maßgeblichen letzten Jahr vor der Arbeitslosmeldung und Antragstellung vom 29. Juli 1982 keinen neuen Anspruch auf Alhi erworben; er habe weder eine Beschäftigungszeit von 150 Kalendertagen zurückgelegt noch eine sonstige Zeit, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen könne. Während der Haft sei er nicht beitragspflichtig beschäftigt gewesen; der in die oa Zeit fallende Uhg-Bezug habe weniger als 100 Tage umfaßt.
Mit der Revision macht der Kläger mit näheren Ausführungen geltend, daß das LSG den § 135 Abs 1 Nr 2 AFG unrichtig angewendet habe. Der Verlust des früheren Alhi-Anspruchs sei danach nicht zu rechtfertigen, weil der Kläger - auf Veranlassung der Beklagten - an einer beruflichen Bildungsmaßnahme teilgenommen und nur deswegen anstelle der Weiterzahlung von Alhi Uhg erhalten habe.
Der Kläger beantragt, die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. August 1982 idG des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1982 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Alhi ab 29. Juli 1982 zu gewähren, hilfsweise, die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für richtig und weist ergänzend auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 4. September 1979 - 7 RAr 61/78 - und vom 20. März 1980 - 7 BAr 11/79 - hin, sowie auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. Juli 1980 - 1 BvR 458/80 -.
Aus den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, daß die Stadt K - Jugendamt - unter dem 20. August 1982 wegen Unterhaltsansprüchen bei der Beklagten eine Abzweigung aus der Alhi des Klägers gemäß § 48 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) geltend gemacht hat. Ferner hat das Sozialamt der Stadt N am 24. August 1982 bei der Beklagten wegen Gewährung von Überbrückungshilfe an den Kläger für die Zeit vom 24. August bis 6. September 1982 einen Forderungsübergang nach § 90 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) hinsichtlich des Anspruchs des Klägers auf Alhi angezeigt.
Die Beteiligten sind hierauf hingewiesen worden und mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Besetzung des Senats mit den beiden mitwirkenden ehrenamtlichen Richtern entspricht dem Gesetz (vgl BSG vom 26. September 1985 - 1 S 12/85 -).
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Bei einer zulässigen Revision sind, bevor sachlich-rechtlich über den streitigen Anspruch entschieden werden kann, die Voraussetzungen zu prüfen, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Mängeln, die zur Unwirksamkeit des Urteils führen, zählt die Unterlassung einer notwendigen Beiladung (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nrn 34, 36, 37, 39, 40, 44, 48). Das LSG hat bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, daß an dem Rechtsstreit die Stadt N - Sozialamt - als der örtlich zuständige Sozialhilfeträger derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 SGG). Der Klageanspruch steht diesem nämlich teilweise zu, weil er dem Kläger vom 24. August bis 6. September 1982 zur Sicherstellung des Lebensunterhalts Überbrückungshilfe gewährt und dies mit Schreiben vom 24. August 1982 der Beklagten mitgeteilt sowie angezeigt hat, daß der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) bzw Alhi bis zur Höhe seiner Aufwendungen gemäß § 90 BSHG auf das Sozialamt der Stadt N übergeleitet werde.
Der § 90 BSHG ist hier in der bis zum 30. Juni 1983 geltenden Fassung maßgebend (Art II § 14 Nr 8, § 25 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - -SGB 10- III. Kapitel- vom 4. November 1982, BGBl I, 1450). Die Überleitung ist nicht deshalb hinfällig geworden, weil gemäß Art II § 21 SGB 10 bereits begonnene Verfahren nach den neuen Vorschriften zu Ende zu führen sind, dh die Regelung alle Verfahren erfaßt, die noch nicht endgültig abgeschlossen sind. Das mag zwar auch für Verfahren gelten, die noch vor den Gerichten anhängig sind (Schroeder-Printzen ua, Sozialgesetzbuch -Verwaltungsverfahren-, ErgBd Art II § 21; BSGE 52, 98, 100; 54, 223, 226 für Art II § 37 Abs 1 SGB 10 und BSG vom 1. Dezember 1983 - 4 RJ 91/82 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu Art II § 21 SGB 10); dennoch hat dies nicht zur Folge, daß im vorliegenden Falle aufgrund der Neufassung des § 90 Abs 1 Satz 1 BSHG, nach der nur noch eine Überleitung gegenüber Personen möglich ist, die nicht Leistungsträger iS von § 12 SGB 1 sind, gegenstandslos geworden ist, und dem Sozialhilfeträger danach nur noch die Möglichkeit gegeben ist, seine Ansprüche wegen eines Erstattungsanspruchs gemäß §§ 102 ff SGB 10 geltend zu machen. Dem steht schon entgegen, daß hier nicht die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige im Streit steht. Streitgegenstand ist vorliegend vielmehr die Frage, ob dem Kläger die begehrte Leistung zusteht. Ein Verfahren iS von Art II § 21 SGB 10 ist daher nicht anhängig. Außerdem kann sich diese Vorschrift nur auf Erstattungsansprüche, dh auf Ansprüche, die der betreffende Leistungsträger kraft originären Rechts geltend macht, auswirken. Nicht davon erfaßt sein können Ansprüche, die der Leistungsträger aufgrund eines Forderungsüberganges erworben hat. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß mit der vorstehend angeführten Vorschrift ein Rechtsübergang rückgängig gemacht werden sollte, der bereits erfolgt ist (Schroeder-Printzen ua aaO, Anm 9 vor § 102). Ob dies auch gilt, wenn die Überleitungsanzeige selbst angefochten wird, kann hier dahinstehen, da dies nicht geschehen ist (vgl die unveröffentlichten Urteile des erkennenden Senats vom 12. April 1984 - 7 RAr 27/83 -, vom 24. Mai 1984 - 7 RAr 70/83 -, vom 25. Oktober 1984 - 7 RAr 5/84 - und vom 14. März 1985 - 7 RAr 87/84 -).
Soweit der 11b-Senat des BSG in seinem Urteil vom 30. Mai 1985 - 11b/7 RAr 111/83 - die Auffassung vertritt, wegen des Inkrafttretens des Dritten Kapitels des SGB 10 am 1. Juli 1983 könnten die Ansprüche der Leistungsträger untereinander auf Erstattung von Sozialleistungen nur noch gemäß §§ 102 ff SGB 10 als originäre Erstattungsansprüche und nicht aus übergeleitetem Recht geltend gemacht werden, was auch für vor dem 1. Juli 1983 begonnene Verfahren gelte, vermag ihm der erkennende Senat aus den vorstehenden Gründen nicht zu folgen. Einer Anrufung des Großen Senats des BSG bedarf es dennoch nicht. Diese Rechtsauffassung ist für die Entscheidung des 11b-Senats nicht von tragender rechtlicher Bedeutung. Auch wenn der die Erstattung begehrende Leistungsträger in dem vor dem 11b-Senat anhängig gewesenen Rechtsstreit einen übergeleiteten Anspruch des Leistungsempfängers geltend gemacht hätte, würde dies zu keinem anderen Ergebnis geführt haben. Ebenso wie bei einem originären Erstattungsanspruch hätte dies zur Abweisung der Klage geführt, weil der Leistungsempfänger gegen den auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträger nicht anspruchsberechtigt war. Dies mag auch der Grund dafür sein, daß der 11b-Senat auf die oa frühere Rechtsprechung des 7. Senats nicht eingegangen ist.
Bei dem vorgenannten Schreiben des Sozialhilfeträgers handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der den Übergang des Anspruchs auf Alhi des Klägers in Höhe der ihm gewährten Überbrückungshilfe auf den Sozialhilfeträger bewirken soll, sofern der Kläger entsprechende Ansprüche hat. Da außerdem auch die Hilfe, wegen der die Überleitung erfolgt, angegeben ist, sind die an Überleitungsanzeigen zu stellenden Anforderungen erfüllt (vgl BVerwGE 29, 229, 231; 34, 219, 225; 42, 198, 200).
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 21. Juli 1981 (SozR 1500 § 75 Nr 37) entschieden hat, sagt die Überleitung nichts über Bestand, Höhe und Inhalt des übergeleiteten Anspruchs aus, sondern bewirkt lediglich den Gläubigerwechsel. Der Anspruch wird durch die Überleitung nicht verändert. Dem Schuldner verbleiben alle Rechtseinwendungen auch gegenüber dem Sozialhilfeträger, wie sie ihm gegenüber dem eigentlichen Anspruchsinhaber zustanden. Der Sozialhilfeträger kann den übergeleiteten Anspruch nur in dem Maße und unter denselben Voraussetzungen geltend machen wie der Hilfeempfänger. Die Befugnis der Beklagten, Ansprüche auf Leistungen nach dem AFG durch Verwaltungsakt zu regeln, wird daher durch die Überleitung eines solchen Anspruchs nicht beeinträchtigt. Hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs kommt dem Sozialhilfeträger nur die Stellung zu, die auch dem Hilfeempfänger gegenüber seinem Schuldner zusteht. Damit greift jede gerichtliche Entscheidung über die hier streitige Leistung, die den Grund des Anspruchs betrifft, in die Rechtssphäre des Trägers der Sozialhilfe unmittelbar ein. Der Sozialhilfeträger ist mithin an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß nach dem sachlich-rechtlichen Inhalt des Begehrens des Klägers lediglich eine Entscheidung des Rechtsstreits möglich ist, die auch gegenüber dem Sozialhilfeträger nur einheitlich ergehen kann. Der Sozialhilfeträger muß daher zu dem Rechtsstreit beigeladen werden.
Da Beiladungen im Revisionsverfahren in Angelegenheiten des Alg oder der Alhi gemäß § 168 SGG unzulässig sind, führt der Verfahrensmangel ohne weiteres zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Mangels Beteiligung aller am Verfahren Betroffener ist es dem Senat verwehrt, zur materiell-rechtlichen Seite Stellung zu nehmen.
Vor seiner neuen Entscheidung wird das LSG auch zu prüfen haben, ob aufgrund des Antrages der Stadt K - Jugendamt - vom 20. August 1982 gemäß § 48 SGB 1 diese gemäß § 75 Abs 2 SGG beizuladen ist oder ggf das uneheliche Kind des Klägers Stephanie M. Insoweit sind weitere Feststellungen erforderlich, da nach dem oa Antrag nicht eindeutig ist, aufgrund welchen Rechtsverhältnisses die Abzweigung begehrt wird. Die Ausführung in dem Antrag, daß das Jugendamt als Unterhaltspfleger den (titulierten) Unterhalt des genannten Kindes einzuziehen habe, reicht für eine ausreichende Beurteilung nicht aus (vgl zB §§ 1706 Nr 2, 1709, 1791c BGB). Für eine Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG kommt es aber darauf an, ob die zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis - hier Bestehen oder Nichtbestehen des Klageanspruchs - noch in die Rechtssphäre eines Dritten eingreift (vgl Hennig/Danckwerts/König, SGG, Erl 4.1. zu § 75 mwN; siehe auch das Urteil des erkennenden Senats vom 23. Oktober 1985 - 7 RAr 32/84 -).
Obwohl es sich - wie schon ausgeführt - bei der notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG um ein Verfahrenserfordernis handelt, dessen Beachtung auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist, sieht der Senat von eigenen Ermittlungen hinsichtlich der Grundlage des oa Abzweigungsantrages ab. Die Sache muß schon wegen der unterbliebenen notwendigen Beiladung der Stadt N an das LSG zurückverwiesen werden. Es ist tunlich, daß das LSG dann auch zur Frage der Beiladung als Folge des oa Abzweigungsantrages die erforderlichen Feststellungen trifft.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen