Leitsatz (amtlich)

Die Bestimmung in den Versicherungsbedingungen einer Ersatzkasse, wonach Nichtversicherungspflichtige für sich und ihre anspruchsberechtigten Familienangehörigen keine Leistungsansprüche für Krankenhauspflege und Heilstättenbehandlung haben, deren Kosten nach dem TbcG vom 1959-07-23 von anderer Seite zu tragen sind, verstößt gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Leistungen nach dem TbcG und ist daher rechtswidrig.

 

Normenkette

RVO § 1531 Fassung: 1945-03-29; TbcG § 27 Fassung: 1959-07-23, § 30 Fassung: 1959-07-23

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 7. Januar 1964 und des Sozialgerichts Hannover vom 17. Mai 1963 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Ersatz für die stationäre Behandlung des Regierungsobersekretärs B. für die Zeit vom 27. Februar bis zum 1. Juli 1961 und für die Zeit vom 21. August 1961 bis zum 30. Mai 1962 zu leisten.

Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Das Niedersächsische Landessozialamt als Vertreter des Landes Niedersachsen (Klägers), begehrt von der beklagten Ersatzkasse Ersatz seiner Aufwendungen für die stationären Behandlungen des Regierungsobersekretärs Georg B (B.) wegen Tuberkulose (Tbc.) in der Zeit vom 27. Februar bis zum 1. Juli 1961 und vom 21. August 1961 bis zum 30. Mai 1962. B. ist seit 1. Februar 1947 Mitglied der Beklagten, und zwar seit 1. Juli 1960 als Nichtversicherungspflichtiger in der Versicherungsklasse B 30 b. Die Beklagte hat den vom Kläger geforderten Ersatz seiner Aufwendungen für B. am 8. Mai 1961 unter Hinweis auf § 11 Abs. 3 Buchst. b ihrer Versicherungsbedingungen abgelehnt, wonach Nichtversicherungspflichtige für sich und ihre anspruchsberechtigten Familienangehörigen keine Leistungsansprüche für Krankenhauspflege und Heilstättenbehandlung haben, deren Kosten nach dem Gesetz über die Tuberkulosenhilfe (THG) vom 23. Juli 1959 (BGBl I 513) von anderer Seite zu tragen sind.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach § 27 Abs. 1 THG i. V. m. § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO) seien dem Kläger die aufgewandten Kosten für die stationäre Heilbehandlung nur dann zu ersetzen, wenn B. deswegen einen Anspruch gegen die Beklagte gehabt hätte. Ein derartiger Anspruch sei jedoch nicht gegeben. Nach § 11 Abs. 3 Buchst. b der Versicherungsbedingungen der Beklagten hätten Nichtversicherungspflichtige für sich und ihre anspruchsberechtigten Familienangehörigen keine Leistungsansprüche auf Krankenhauspflege und Heilstättenbehandlung, deren Kosten nach dem THG von anderer Seite zu tragen seien. Wenn nach § 30 THG die Verpflichtung Dritter zur Gewährung von Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfs durch Ansprüche und Leistungen auf Grund des Gesetzes nicht berührt würden und entgegenstehende Vereinbarungen unwirksam seien, so dürfe dennoch die Beklagte im Rahmen ihrer autonomen Rechtssetzungsbefugnis die Ansprüche der Versicherten entsprechend einschränken. Denn nach § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-Verordnung vom 24. Dezember 1935 i. d. F. der 15. Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl I 439) würden für die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder ausschließlich die Bestimmungen der Satzung gelten.

Der Kläger hat gegen das Urteil die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er trägt vor: Die streitige Satzungsbestimmung der Beklagten verstoße gegen § 30 THG. Das Rangverhältnis zwischen der Tbc.-Hilfe und der sozialen Krankenversicherung sei hierin verbindlich festgesetzt, so daß es durch eine Satzungsbestimmung nicht abgeändert werden könne. Diese Rangfolge ergäbe sich auch aus Satz 2 dieser Vorschrift, wonach die Verpflichtung Dritter zur Gewährung von Leistungen für den Fall der Erkrankung an Tbc. auch nicht vertraglich ausgeschlossen werden dürfe. Dies gelte auch dann, wenn die Satzung eines Krankenversicherungsträgers eine solche "Vereinbarung" enthalte. Die Satzung einer Ersatzkasse könne den Anspruch eines Versicherungsberechtigten auf Krankenpflege nach § 182 RVO und auf Familienkrankenpflege nach § 205 RVO nicht ausschließen. Die Ersatzkasse könne auch den Ausschluß der Krankenhauspflege nicht vornehmen, wenn diese medizinisch notwendig sei.

Eine den Anforderungen der Tbc. entsprechende Behandlung könne aber nur durch stationäre Behandlung in einer Krankenanstalt vorgenommen werden, in der die heutigen Behandlungsmethoden gewährleistet seien. Aus § 4 der 12. Aufbau-Verordnung könne nicht entnommen werden, daß derartige gesetzlich begründete Ansprüche ausgeschlossen werden dürften, zumal das THG eine spätere gesetzliche Regelung enthalte, die den Vorrang vor der früheren, ihr entgegenstehenden habe. Die Ausschlußklausel sei auch deshalb fragwürdig, weil die Beklagte danach verpflichtet wäre, die Kosten zu übernehmen, wenn auch bei nur geringfügiger Überschreitung der Einkommensfreigrenze des THG der Sozialhilfeträger nicht einzutreten habe. Danach kämen also nur finanziell günstiger gestellte Kassenmitglieder in den Genuß des Krankenversicherungsschutzes, ohne daß sie wegen dieses Umstandes differenzierte Beiträge zu leisten hätten.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des SG Hannover vom 17. Mai 1963 und des LSG Niedersachsen vom 7. Januar 1964 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Ersatz zu leisten für die stationäre Behandlung des Regierungsobersekretärs Georg B. im Krankenhaus des Landkreises Norden für die Zeit vom 27. Februar bis zum 1. Juli 1961 und in der Heilstätte Viktoria-Luise-Stiftung in Bad Rehburg in der Zeit vom 21. August 1961 bis zum 30. Mai 1962.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision ist begründet.

Maßgebend ist das THG vom 23. Juli 1959 (BGBl I 513), da nur Ansprüche für die Zeit bis zum 30. Mai 1962 erhoben werden und das das THG aufhebende Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erst am 1. Juni 1962 in Kraft getreten ist (vgl. § 153 BSHG).

Nach § 27 Abs. 1 THG hat der Landesfürsorgeverband, der Leistungen der Tbc.-Hilfe nach den §§ 1 Abs. 2, 8 Abs. 5 Satz 4 oder Abs. 6 anstelle einer anderen zur Gewährung der Hilfe verpflichteten Stelle gewährt, die für zuständig erachtete Stelle unverzüglich über die von ihm eingeleiteten Maßnahmen zu unterrichten; die zuständige Stelle hat die dem Landesfürsorgeverband entstandenen Kosten zu erstatten, wobei für die Erstattungsansprüche gegen die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die §§ 1531 bis 1543 RVO entsprechende Anwendung finden. Die Vorschrift des § 19 THG, wonach der Landesfürsorgeverband durch schriftliche Anzeige den Übergang des dem Unterstützten zustehenden Anspruchs gegen einen Dritten durch schriftliche Anzeige an diesen bewirken kann, findet keine Anwendung, wenn wie hier der Landesfürsorgeverband nach § 1 Abs. 2 THG Hilfe geleistet hat. In diesen Fällen regeln sich die Ansprüche nach § 27 THG (Muthesius/Spahn/Caesar, Recht der Tbc-Hilfe, § 19 Anm. 8).

Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt also davon ab, ob B. einen Anspruch gegen die beklagte Kasse auf Ersatz der Kosten der Heilbehandlung hatte. Nach § 4 Abs. 2 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung i. d. F. der 15. Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl I 439) gelten für die Versicherten nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht die Bestimmungen der Satzung. Die Satzung und die sie ergänzenden Versicherungsbedingungen der Beklagten bestimmen nun allerdings, daß Nichtversicherungspflichtige für sich und ihre anspruchsberechtigten Familienangehörigen keine Ansprüche auf Krankenhauspflege und Heilstättenbehandlung haben, deren Kosten nach dem THG von anderer Seite zu tragen sind. Durch diese Satzungsbestimmung kann aber nicht die Regelung des § 30 THG außer Kraft gesetzt werden, wonach Verpflichtungen Dritter zur Gewährung von Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfs durch Ansprüche oder Leistungen auf Grund dieses Gesetzes nicht berührt werden und entgegenstehende Vereinbarungen unwirksam sind. Zu den Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfs gehören nicht nur die Ansprüche aus einer privaten Krankenversicherung (Muthesius/Spahn/Caesar, aaO § 30 Anm. 2), sondern auch Ansprüche aus einer Versicherung bei einer Ersatzkasse. Die autonome Rechtsetzungsbefugnis der Ersatzkasse ist durch § 30 Satz 1 THG dahin begrenzt, daß wegen der Leistungen oder Ansprüche nach dem THG die Ansprüche des Versicherten gegen seine Krankenkasse nicht berührt werden dürfen. Ebenso wie nach § 30 Satz 2 THG entgegenstehende Vereinbarungen unwirksam sind, sind auch entsprechende Satzungsbestimmungen rechtswidrig und nicht anzuwenden. Zwar mag es zulässig sein, generell Leistungen, z. B. für einen Krankenhausaufenthalt bestimmter Art ganz oder für eine bestimmte Zeit auszuschließen, und zwar auch mit der Wirkung, daß dieser Ausschluß auch für die Erstattungsansprüche des Landesfürsorgeverbandes gelten würde (vgl. hierzu Muthesius/Spahn/Caesar, aaO § 30 Anm. 2 und die dort abgedruckte Veröffentlichung des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparwesen, 1959 S. 195). Es ist aber jedenfalls nicht zulässig, durch die Satzung Ansprüche auf Leistungen nur für den Fall auszuschließen, daß solche Ansprüche nach dem THG bestehen.

Da somit das Landessozialamt dem Regierungsobersekretär B. an Stelle der zur Leistung verpflichteten beklagten Ersatzkasse stationäre Behandlung gewährt hat, stehen dem Kläger nach § 27 Abs. 1 THG Erstattungsansprüche in entsprechender Anwendung des § 1531 RVO zu. Die beklagte Ersatzkasse muß daher für die Kosten der Heilbehandlung aufkommen. Demgemäß sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2387420

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