Leitsatz (amtlich)

Die Bestimmung in den Versicherungsbedingungen einer Ersatzkasse, wonach Nichtversicherungspflichtige für sich und ihre anspruchsberechtigten Familienangehörigen keine Leistungsansprüche für Krankenhauspflege und Heilstättenbehandlung haben, deren Kosten nach dem BSHG von anderer Seite zu tragen sind, ist ungültig (vergleiche BSG 1966-11-23 3 RK 16/64 = SozR Nr 8 zu § 4 der 12. AufbauVO).

 

Normenkette

RVO § 184 Fassung: 1911-07-19; BSHG §§ 2, 127; SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Fassung: 1935-12-24

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. April 1969 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 23. Februar 1967 sowie die Bescheide der Beklagten vom 23. Januar und 2. Oktober 1964 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der Krankenhausbehandlung der Ehefrau des Klägers in der Zeit vom 15. Juni bis 3. September 1962 und vom 13. September 1962 bis 12. Januar 1963 von zusammen 4.387,23 DM zu übernehmen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreit zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger, ein niedersächsischer Kommunalbeamter, ist nichtversicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Er fordert von ihr die Übernahme von Kosten stationärer Behandlungen seiner tuberkulosekranken Ehefrau in einer Heilstätte und einem Krankenhaus (15. Juni bis 3. September 1962 und 13. September 1962 bis 12. Januar 1963). Die Beklagte hält die - der Höhe nach (4.387,23 DM) unstreitige - Forderung nicht für begründet, weil nach § 11 Abs. 3 Buchst. b ihrer Versicherungsbedingungen nichtversicherungspflichtige Mitglieder für sich und ihre anspruchsberechtigten Familienangehörigen keine Ansprüche auf eine Krankenhauspflege und eine Heilstättenbehandlung hätten, deren Kosten nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von anderer Seite zu tragen seien. Als Beamter habe der Kläger nach § 127 BSHG gegen seinen Dienstherrn einen Anspruch auf Tuberkulosehilfe (einschließlich stationärer Heilbehandlung) auch für seine Ehefrau.

Das Sozialgericht hat die - nach Ablehnung des Kostenübernahmeantrags durch die Beklagte - erhobene Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Nach dem BSHG gehe der Anspruch auf Tuberkulosehilfe gegen den Dienstherrn den von den Krankenversicherungsträgern zu erbringenden Ermessensleistungen vor; zu ihnen gehöre auch die Krankenhauspflege. § 11 Abs. 3 Buchst. b der Versicherungsbedingungen der Beklagten widerspreche dieser gesetzlichen Regelung nicht, die genannte Bestimmung sei deshalb wirksam und rechtfertige die Leistungsverweigerung der Beklagten (Urteil vom 22. April 1969).

Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt. Seiner Ansicht nach gehört die Krankenhauspflege, wenn sie - wie hier - medizinisch notwendig gewesen sei, nicht zu den Ermessens-, sondern den Pflichtleistungen der Beklagten; sie habe daher den Vorrang vor den Leistungsverpflichtungen des Dienstherrn nach § 127 BSHG. Gegen diese gesetzliche Regelung verstoße die fragliche Satzungsbestimmung der Beklagten. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung aller Vorentscheidungen zur Übernahme der Behandlungskosten zu verurteilen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt die Zurückweisung der Revision.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen hat die beklagte Ersatzkasse die fraglichen Behandlungskosten zu übernehmen. Die dem Kläger von der Beklagten entgegengehaltene Bestimmung ihrer Versicherungsbedingungen ist wegen Verstoßes gegen übergeordnetes Gesetzesrecht ungültig.

Eine entsprechende Satzungsbestimmung der Beklagten, die auf die Zeit der Geltung des Tuberkulosehilfegesetzes (THG) vom 23. Juli 1959 beschränkt war, hat der Senat schon in einer früheren Entscheidung als rechtswidrig angesehen; er hat dazu u.a. ausgeführt, nach § 4 Abs. 2 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung in der Fassung der 15. Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl I, 439) habe die Ersatzkasse zwar das Versicherungsverhältnis ihrer nicht mehr versicherungspflichtigen Mitglieder in der Satzung regeln, dadurch jedoch nicht die Vorschrift des § 30 THG außer Kraft setzen dürfen, wonach Verpflichtungen eines Dritten - auch der Ersatzkassen zur Gewährung von Krankenhauspflege - durch Ansprüche nach dem THG nicht berührt würden (Urteil vom 23.11.1966 - 3 RK 16/64 - in SozR Nr. 8 zu § 4 der 12. Aufbau-VO).

Der Ansicht der Beklagten und des LSG, dieses Urteil habe nach dem Inkrafttreten des BSHG (1. Juni 1962) wegen der veränderten Gesetzeslage keine Bedeutung mehr, kann der Senat nicht folgen. Wie er bereits entschieden hat, ist durch das BSHG das Rangverhältnis zwischen der von den Krankenversicherungsträgern zu gewährenden Krankenhauspflege und den entsprechenden Leistungen des Trägers der Tuberkulosehilfe gegenüber dem früheren Recht nicht geändert worden: Auch nach dem BSHG geht eine medizinisch notwendige Krankenhauspflege - als Pflichtleistung der Krankenkasse im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 BSHG - den nach dem BSHG zu gewährenden Leistungen vor (BSG 31, 112). Zu letzteren gehören auch die Leistungen des Dienstherrn bei Tuberkuloseerkrankung eines Beamten oder seiner Angehörigen (§ 127 BSHG, der in Abs. 4 ausdrücklich auf § 2 Abs. 2 Satz 1 BSHG verweist). Soweit also die Träger der Krankenversicherung ihren Versicherten und deren mitversicherten Angehörigen eine notwendige Krankenhauspflege nicht verweigern dürfen, geht ihre Leistungspflicht einer entsprechenden Verpflichtung des Dienstherrn nach § 127 BSHG vor (ebenso schon, wenn auch mehr beiläufig, SozR Nr. 5 zu § 1244 a RVO vorletzter Absatz). Diesen - auf einer gesetzlichen Regelung beruhenden - Vorrang hat die Beklagte durch eine Bestimmung ihrer Satzung auch für ihre nichtversicherungspflichtigen Mitglieder nicht zu deren Ungunsten ändern oder ausschließen können. Die fragliche, für die Zeit nach dem Inkrafttreten des BSHG erlassene Bestimmung ist deshalb - wie ihre Vorläuferin - ungültig. Ob die Bestimmung auch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Mitglieder verstößt, weil sie die Gewährung von Leistungen von einem - für eine Versicherung grundsätzlich irrelevanten - Umstand, nämlich von dem Nichtbestehen anderweitiger Ansprüche, abhängig macht, läßt der Senat unentschieden (vgl. zur Gleichbehandlung der Ersatzkassenmitglieder Art.2 § 2 Abs. 2 der 12. AufbauVO iVm § 21 Abs. 1 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen vom 6. Juni 1931, RGBl I, 315).

Da die Beklagte die medizinische Notwendigkeit der der Ehefrau des Klägers zuteil gewordenen Krankenhauspflege nicht bestritten und auch gegen die Höhe der geforderten Behandlungskosten keine Einwendungen erhoben hat, hat der Senat sie unter Aufhebung der Vorentscheidungen zu deren Übernahme verurteilt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669348

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