Leitsatz (amtlich)
1. Ein gesetzlicher Parteiwechsel ist auch in der Revisionsinstanz zu beachten.
2. RVO § 183 Abs 5, der das Zusammentreffen von Krankengeld mit einer Berufsunfähigkeitsrente regelt, gilt auch für Versicherungsfälle, die am 1961-08-01 bereits eingetreten, aber noch nicht abgeschlossen waren (Ergänzung zu BSG 1966-03-18 3 RK 98/63 = BSGE 24, 285).
3. Die Anrechnung einer Berufsunfähigkeitsrente auf das Krankengeld bzw der Übergang des Rentenanspruchs auf die Krankenkasse erfaßt nach RVO § 183 Abs 5 nicht die Rententeile, die auf Höherversicherungsbeiträgen beruhen.
Leitsatz (redaktionell)
Die Rententeile aus der Höherversicherung unterliegen beim Zusammentreffen mit anderen Versicherungsleistungen grundsätzlich weder der Kürzung noch dem Ruhen und sind auch ihrerseits nicht auf andere Leistungen (zB Krankengeld) anzurechnen.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 5 Fassung: 1961-07-12, § 1234 Fassung: 1957-02-23; SGG § 168 Fassung: 1958-08-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. Oktober 1963 und des Sozialgerichts Hannover vom 19. Oktober 1962, sowie die Bescheide vom 18. Juli 1962 und 1. Juni 1962 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den Teil der Rentennachzahlung herauszugeben, der in der Zeit vom 1. August 1961 bis zum 24. Januar 1962 auf Steigerungsbeträge aus Beiträgen zur Höherversicherung entfällt.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse dem Kläger einen Teil der Rentennachzahlung herausgeben muß, die sie nach § 183 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - als Ersatz für das von ihr gezahlte Krankengeld - von der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) empfangen hat. Wie das Landessozialgericht (LSG) festgestellt hat, bezog der Kläger von der Berufskrankenkasse der Werkmeister (deren Mitgliederbestand während des Revisionsverfahrens von der jetzt beklagten Techniker-Krankenkasse übernommen wurde) ab 3. Dezember 1960 Krankengeld bzw. Hausgeld; bis dahin hatte ihm - seit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 21. Oktober 1960 - der Arbeitgeber das Gehalt fortgezahlt. Später bewilligte ihm die Beigeladene rückwirkend vom 1. Dezember 1960 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, in der auch Steigerungsbeträge für Höherversicherungsbeiträge des Klägers enthalten waren (Bescheid vom 19. Januar 1962). Soweit die Rentennachzahlung auf die Zeit vom Inkrafttreten des § 183 Abs. 5 RVO (1. August 1961) bis zum Tage der Benachrichtigung der Krankenkasse von der erfolgten Rentenbewilligung (24. Januar 1962) entfiel, überwies die Beigeladene sie der Krankenkasse, und zwar einschließlich der in ihr enthaltenen Höherversicherungsanteile . Letzteres hält der Kläger - entgegen der Ansicht der Beklagten - für unzulässig und verlangt insoweit Herausgabe der Nachzahlung. Er sieht in der Höherversicherung "eine Art Sparkasse", deren Leistungen von den allgemeinen versicherungsmäßigen Voraussetzungen losgelöst und für den Versicherungsfall zweckgebunden seien; ebensowenig wie die Leistungen der Höherversicherung den Kürzungs- und Ruhensvorschriften unterlägen - worauf in den Merkblättern der beigeladenen BfA ausdrücklich hingewiesen werde - könne der Anspruch auf sie kraft Gesetzes auf andere Versicherungsträger übergehen. Im übrigen würden auch Zahlungen aus privaten Versicherungen und aus der Zusatzversorgung des Bundes und der Länder nicht auf das Krankengeld angerechnet.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage - unter Zulassung der Berufung - abgewiesen; es hat u. a. ausgeführt, § 183 Abs. 5 RVO differenziere die Rente nach Wortlaut und Zweck - Vermeidung von Doppelleistungen mit Lohnersatzfunktion - nicht nach verschiedenen Rentenbestandteilen (Urteil vom 19. Oktober 1962). Das LSG Niedersachsen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Der Begriff der Berufsunfähigkeitsrente, den § 183 Abs. 5 RVO verwende, sei derselbe wie im Rentenrecht; da dieses trotz gewisser Besonderheiten der Höherversicherung keine eigene Höherversicherungsrente kenne, sondern nur eine Berufsunfähigkeitsrente mit Steigerungsbeträgen aus der Höherversicherung, umfasse der Übergang des Rentenanspruchs nach § 183 Abs. 5 RVO die ganze Berufsunfähigkeitsrente einschließlich der in ihr enthaltenen Höherversicherungsanteile (Urteil vom 8. Oktober 1963).
Der Kläger verfolgt mit der zugelassenen Revision seinen Klaganspruch weiter und beantragt,
die Urteile des LSG Niedersachsen vom 8. Oktober 1963 und des SG Hannover vom 19. Oktober 1962 sowie die Bescheide der Beklagten vom 18. Juli 1962 und 1. Juni 1962 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm den Teil der Rentennachzahlung herauszugeben, der auf Beiträgen der Höherversicherung beruht.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist statthaft. Der Senat hat keine Bedenken, das Revisionsverfahren mit der neu in den Rechtsstreit eingetretenen Techniker-Krankenkasse fortzusetzen. Die neue Beklagte hat mit Wirkung vom 1. Juli 1965 den Mitgliederbestand der bis dahin beklagt gewesenen Berufskrankenkasse der Werkmeister übernommen, und zwar offenbar mit allen Aktiven und Passiven (vgl. §§ 228 ff RVO bei Vereinigung gesetzlicher Krankenkassen). Diese Rechts- und Funktionsnachfolge auf Seiten der Beklagten hat - ähnlich wie eine Gesamtrechtsnachfolge beim Tode einer Prozeßpartei (vgl. § 239 der Zivilprozeßordnung) - bewirkt, daß auch das anhängige Prozeßrechtsverhältnis auf die Techniker-Krankenkasse übergegangen ist (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, § 41 II 2 a, und BSG 7, 50, 63). Ein solcher kraft Gesetzes eingetretener Parteiwechsel ist - anders als ein durch Änderung der Klage vorzunehmender gewillkürter Parteiwechsel (vgl. BSG 8, 113, 114; 10, 97, 102; Müller in SGB 1966, 337) - auch noch vom Revisionsgericht zu beachten (§ 168 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision des Klägers ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des LSG ist der Anspruch des Klägers auf Berufsunfähigkeitsrente für die streitige Zeit (1. August 1961 bis 24. Januar 1962) jedenfalls insoweit nicht auf die beklagte Krankenkasse übergegangen, als er auf Beiträge des Klägers zur Höherversicherung entfällt.
Nach § 183 Abs. 5 RVO wird, wenn dem Versicherten während des Bezuges von Krankengeld Rente wegen Berufsunfähigkeit von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird, das Krankengeld um den Betrag der für den gleichen Zeitraum gewährten Rente gekürzt; insoweit geht bei rückwirkender Gewährung der Rente der Rentenanspruch auf die Kasse über.
Diese Vorschrift ist durch das Gesetz vom 12. Juli 1961 - Leistungsverbesserungsgesetz - in die RVO eingefügt worden und erst mit Wirkung vom 1. August 1961 in Kraft getreten. Gleichwohl ist sie auch in Fällen anzuwenden, in denen der Versicherte - wie hier - das Krankengeld und die Rente wegen Berufsunfähigkeit schon für eine Zeit vor dem Inkrafttreten der Vorschrift bezogen hat. Zwar fehlen insoweit ausdrückliche Übergangsvorschriften. Der Senat hat jedoch bereits für die - ebenfalls am 1. August 1961 in Kraft getretenen - Vorschriften der §§ 183 Abs. 3 und 4 RVO, die das Zusammentreffen von Krankengeld mit einer Erwerbsunfähigkeitsrente oder einem Altersruhegeld regeln, entschieden, daß sie auch für Versicherungsfälle gelten, die vor dem 1. August 1961 eingetreten, in diesem Zeitpunkt aber noch nicht abgeschlossen waren; die hierin liegende "unechte" Rückwirkung der Neuregelung verstößt nicht gegen Art. 14 und 20 des Grundgesetzes (BSG 24, 285). Diese Grundsätze sind auf den Fall des Zusammentreffens von Krankengeld mit einer Berufsunfähigkeitsrente (§ 183 Abs. 5 RVO) entsprechend anzuwenden.
Auch eine Rente, die nach dem Eintritt von Berufsunfähigkeit allein aus Beiträgen der Höherversicherung gewährt wird - das Gesetz fordert insoweit nicht die Erfüllung der Wartezeit (§ 1246 Abs. 4 RVO) - ist eine "Rente wegen Berufsunfähigkeit" im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1246 Abs. 4 RVO). Entsprechendes gilt für den auf Beiträgen der Höherversicherung beruhenden Teil einer Berufsunfähigkeitsrente. Indessen sind Renten oder Rententeile aus der Höherversicherung in mehrfacher Hinsicht einer Sonderregelung unterworfen. So werden vor allem für Beiträge der Höherversicherung feste, den Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage nicht folgende Steigerungsbeträge gewährt; Höherversicherungsrenten oder -rententeile nehmen daher auch nicht an den jährlichen Rentenanpassungen teil (§§ 1261, 1272 Abs. 3 RVO). Andererseits unterliegen sie, wenn sie mit anderen Leistungen der Sozialversicherung zusammentreffen, nicht den Vorschriften über die Kürzung oder das Ruhen der Rente. Das ist zwar in dem seit 1957 geltenden neuen Rentenrecht ausdrücklich nur für die - praktisch bedeutsamsten - Fälle des Zusammentreffens mehrerer Renten und des Auslandsaufenthaltes vorgeschrieben worden (§ 1270 Abs. 2 RVO, § 1285 RVO idF des Art. 2 Nr. 4 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes vom 25. Februar 1960, BGBl I 93, 113; anders früher die allgemeine Vorschrift in § 5 Abs. 3 des Gesetzes über die Höherversicherung in den Rentenversicherungen der Arbeiter- und Angestellten - HöVG - vom 14. März 1951, BGBl I 188).
Die genannten Vorschriften des neuen Rentenrechts sind jedoch nach Ansicht des Senats Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, der für das HöVG seinerzeit in der Weise umschrieben worden ist, "daß kein zur Höherversicherung entrichteter Beitrag verloren gehen kann und daß der Versicherte für seine Höherversicherungsbeiträge beim Eintritt des Versicherungsfalles unter allen Umständen stets die volle Gegenleistung erhält" (Tietz in BABl 1951, 166, 167 rechte Spalte oben; für das geltende Recht vgl. Jantz-Zweng-Eicher, Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Aufl. Anm. 2 zu § 1285 RVO: Nach ihnen soll ein Versicherter, der Höherversicherungsbeiträge entrichtet hat, nicht anders behandelt werden wie jemand, der z. B. eine zusätzliche Lebensversicherung auf privatrechtlicher Basis abgeschlossen hat, er soll deshalb die Steigerungsbeträge aus diesen Beiträgen in vollem Umfang rentensteigernd angerechnet bekommen). Hiernach hält es der Senat für gerechtfertigt, auch beim Zusammentreffen einer Berufsunfähigkeitsrente mit Krankengeld die Anrechnungsvorschrift des § 183 Abs. 5 RVO insoweit nicht anzuwenden, als die Berufsunfähigkeitsrente auf Höherversicherungsbeiträgen beruht, also weder das Krankengeld um diesen Rententeil zu kürzen, noch, wenn die Rente rückwirkend gewährt wird, sie insoweit zum Ersatz für das gezahlte Krankengeld auf die Krankenkasse übergehen zu lassen (anderer Ansicht Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 183 Anm. 5 b, S. 17/346).
Im Falle des Klägers ist somit der Anspruch auf die Berufsunfähigkeitsrente, soweit sie in der Zeit vom 1. August 1961 bis zum 24. Januar 1962 auf Beiträge der Höherversicherung entfällt, nicht auf die beklagte Krankenkasse übergegangen. Die Beklagte hat deshalb diesen Teil der Rentennachzahlung an sich als Nichtberechtigte von der BfA empfangen. Gleichwohl ist die BfA durch die Zahlung an die Beklagte auch hinsichtlich des streitigen Rententeils von ihrer Zahlungspflicht gegenüber dem Kläger befreit worden, weil dieser mit der Inanspruchnahme der Beklagten im vorliegenden Verfahren die Zahlung der Rente an sie nachträglich genehmigt hat (vgl. § 185 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Zugleich hat der Kläger durch die Genehmigung einen Anspruch gegen die Beklagte auf Herausgabe des zwar zu Unrecht, aber wirksam erlangten streitigen Rentenbetrages erworben (vgl. § 818 Abs. 2 BGB und dazu die bei Palandt, BGB § 818 Anm. 1 b genannte Rechtsprechung). Demgemäß hat der Senat auf die Revision des Klägers über seine Klage - unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen - entschieden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen