Berufsunfähigkeitsrente im Versorgungswerk der Rechtsanwälte

Auch sehr schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen lösen einen Anspruch eines Rechtsanwalts auf Berufsunfähigkeitsrente gegen das Versorgungswerk nur dann aus, wenn er seine Berufstätigkeit vollständig einstellt.

Für selbständig tätige Rechtsanwälte besteht grundsätzlich eine Pflichtmitgliedschaft im jeweiligen Versorgungswerk. Diese anwaltlichen Versorgungswerke sehen die meisten Mitglieder im Vergleich zur Deutschen Rentenversicherung (DRV) als das bessere und finanzkräftigere System an. Nicht zuletzt die von den Versorgungswerken garantierte Rente bei Berufsunfähigkeit gilt als starkes Argument. Dass diese Argumentation nicht in jedem Fall stichhaltig ist, zeigt eine jetzt veröffentlichte Entscheidung des VG Bremen.

Einschränkung der Berufsunfähigkeit infolge Schädel-Hirn-Traumas

Ein über 60-jähriger Rechtsanwalt klagte gegen sein Versorgungswerk auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente. Infolge eines Verkehrsunfalls erlitt er ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit erheblichen Langzeitfolgen. Ein medizinischer Sachverständiger stellte aufgrund einer umfassenden Diagnostik fest, dass der Kläger dauerhaft in der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit eingeschränkt ist.

Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente zurückgewiesen

Das zuständige Versorgungswerk lehnte den Antrag des Anwalts auf Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente ab. Seiner hiergegen gerichteten Klage beim VG blieb der Erfolg versagt. Dem Anwalt wurde zum Verhängnis, dass er für seine selbständig geführte Anwaltskanzlei eine Art Notbetrieb aufrechterhielt. Er hatte eine Kollegin als seine Vertreterin bestellt, die einige wichtige Fälle abwickeln sollte. Nach eigenen Angaben betrieb er auch noch gelegentlich Akquise, um einen finanziellen Mindeststandard zu erhalten. Vollständig abwickeln wollte er seine Kanzlei erst nach der Entscheidung des Versorgungswerks über seinen Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente.

Berufsunfähigkeitsrente nur bei Einstellung der Berufstätigkeit

Nach Auffassung des VG Bremen lehnte das Versorgungswerk den Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente zu Recht ab. Die maßgebliche Satzungsbestimmung § 13 Abs. 1 der Hanseatischen Rechtsanwaltsversorgung Bremen setzt für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente voraus

  • eine Berufsunfähigkeit von mehr als 90 Tagen und
  • die vollständige Einstellung der anwaltlichen Berufstätigkeit voraus.

Entsprechende Regelungen finden sich auch in den Satzungen der anderen Versorgungswerke.

Der Kläger hätte Anwaltstätigkeit komplett aufgeben müssen

Im konkreten Fall erfüllte der Rechtsanwalt nach Auffassung des VG die entscheidende Voraussetzung für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente nicht. Er habe die Kanzlei unter seinem Namen weitergeführt. Daran ändere auch die Übernahme der wesentlichen Geschäfte durch eine Vertreterin nichts. Die Kanzlei trete nach außen weiterhin unter dem Namen des Klägers auf. Selbst in dem anhängigen Verfahren über die Berufsunfähigkeitsrente habe er einen Schriftsatz unter dem Briefkopf seiner Kanzlei eingereicht und eigenhändig unterschrieben. Damit sei die nach der Satzung des Versorgungswerks erforderliche vollständige Aufgabe der Anwaltstätigkeit nicht gegeben.

Kein nachvollziehbarer Grund für Kanzlei-Notbetrieb?

In seiner Entscheidung zeigte das VG für das Verhalten des Anwalts auch insoweit wenig Verständnis, als dieser für den Fall der satzungsgemäßen, vollständigen Aufgabe seiner Anwaltstätigkeit durch das Versorgungswerk nach Auffassung des Gerichts hinreichend abgesichert war. Darauf habe ihn das Versorgungswerk im Rahmen des vorgerichtlichen Verfahrens auch ausdrücklich hingewiesen und ihm die vollständige Aufgabe seiner anwaltlichen Tätigkeit vor Abschluss des Verfahrens nahegelegt. Für sein hiervon abweichendes Verhalten bestand aus Sicht des VG kein nachvollziehbarer Grund.

Klage auf Berufsunfähigkeitsrente abgewiesen

Aufgrund der bestehenden Rechtslage war nach Auffassung des VG daher nur eine klageabweisende Entscheidung möglich.

(VG Bremen, Urteil v. 24.8.2023, 5 K 69/20)

Hintergrund:

Die Entscheidung des VG Bremen zeigt exemplarisch, dass die Versorgung der Rechtsanwälte durch die Versorgungswerke in der Praxis nicht lückenlos ist. Die Kenntnis dieser Problematik ist nicht zuletzt für angestellte Rechtsanwälte bzw. Syndikusanwälte von Bedeutung, die vor der Frage stehen, ob sie die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 SGB VI beantragen sollen (was übrigens ab dem 1.1.2023 nur noch elektronisch möglich ist).

Berufsunfähigkeit in der Praxis nur selten zu 100 %

Die Versorgungswerke nennen für eine Mitgliedschaft gegenüber der allgemeinen Deutschen Rentenversicherung häufig den Vorteil, auch gegen Berufsunfähigkeit abgesichert zu sein. Dieser Vorteil relativiert sich dadurch, dass die Berufsunfähigkeitsrente eine 100%ige Berufsunfähigkeit voraussetzt und damit zur vollständigen Aufgabe der anwaltlichen Tätigkeit zwingt. In der Praxis liegen schätzungsweise 98 % der Berufsunfähigkeitsfälle unterhalb der 100 %-Grenze. Hier bieten private Berufsunfähigkeitsversicherungen Vorteile. Sie leisten in der Regel bereits ab einer Berufsunfähigkeit von 50 %. Dies ist umso bedeutsamer, als fast ein Viertel aller Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Laufe ihres Berufslebens zumindest einmal vorübergehend berufsunfähig wird.

Rentenhöhe kann variieren

Eine hundertprozentige Rentensicherheit können die Versorgungswerke nicht gewährleisten. Seit Januar 2015 wird das bis dahin rein kapitalgedeckte Altersvorsorgesystem der Versorgungswerke durch ein sogenanntes offenes Deckungsplanverfahren ergänzt. Die Mitglieder erwerben Rentenpunkte. Der den Wert dieser Rentenpunkte bestimmende Rentenbemessungsfaktor wird vom Verwaltungsrat des betreffenden Versorgungswerks jährlich neu unter Berücksichtigung der finanziellen Entwicklung des jeweiligen Versorgungswerks bestimmt. Eine bestimmte Rentenhöhe ist also keinesfalls garantiert. In der Praxis übersteigt die ausgezahlte Rente bisher in der Regel allerdings eine vergleichbare Rente der DRV bei Einzahlung gleicher Beiträge.

Kein gesetzlich geregelter Insolvenzschutz

Eine mögliche Insolvenz eines Versorgungswerks ist derzeit zwar nicht wahrscheinlich, aber keinesfalls für alle Zukunft ausgeschlossen. Welche Folgen eine solche Insolvenz für die Mitglieder hätte, ist bisher nicht geregelt.


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