Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Zusammenhangsbeurteilung. freie Beweiswürdigung
Orientierungssatz
Ein Gericht, das sich bei der Beurteilung des Zusammenhangs zwischen einem Freitod und einer als Folge einer Kriegsschädigung aufgetretenen Depression über die im Ergebnis übereinstimmende Beurteilung sämtlicher nervenfachärztlichen Sachverständigen hinweggesetzt hat, verstößt gegen SGG § 128. Es verletzt ferner das Gesetz bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs iS des SGG § 162 Abs 1 Nr 3, weil es die Schädigungsfolgen nicht als die wesentliche Ursache des Freitodes gewertet hat.
Normenkette
BVG § 1; SGG §§ 128, 162 Abs. 1 Nrn. 2-3
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 06.01.1971) |
SG Detmold (Entscheidung vom 27.08.1959) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Januar 1971 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 27. August 1959 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
Die Kläger sind die Hinterbliebenen des am 16. August 1923 geborenen und am 24. April 1955 durch Selbsttötung gestorbenen Beschädigten, Handelsvertreters R K (K.). Als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung war bei K. anerkannt: "Entstellung des Gesichts, hochgradige Kieferklemme, mangelnder Lidschluß links, chronische Hornhautentzündung links, Reizzustand des linken Auges, feste Narbe am linken Oberschenkel". Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrug 60 v.H.
Die Kläger beantragten im Mai 1955 beim Versorgungsamt Soest die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung, welche die Versorgungsverwaltung mit Bescheid vom 14. Juni 1955 und Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 1956 ablehnte. Das Sozialgericht (SG) Detmold hat mit Urteil vom 27. August 1959 den Beklagten verurteilt, den Tod des K. als Schädigungsfolge anzuerkennen und den Klägern ab 1. Mai 1955 Hinterbliebenenbezüge (Witwen- und Waisenrente) in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 25. Juni 1964 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Auf die (damalige) Revision des Beklagten hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Urteil vom 15. September 1966 das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, weil es verschiedene Beweismittel, auf die es seine Entscheidung gestützt hatte, dem Beklagten nicht zur Kenntnis gebracht habe. Mit erneutem Urteil vom 6. Januar 1971 hat das LSG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Bei Würdigung der Beweise und bei Abwägung der verschiedenen, als Ursache der Selbsttötung in Betracht kommenden Faktoren hat das LSG nunmehr, entgegen der übereinstimmenden Beurteilung sämtlicher (nervenfachärztlicher) Sachverständiger, nicht in den Schädigungsfolgen, sondern in der wirtschaftlichen Notlage des K. und in der alsbald von ihm zu verbüßenden Gefängnisstrafe die überragenden Bedingungen für den Selbstmord erblickt.
Mit der nicht zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), des Rechts freier richterlicher Beweiswürdigung (§ 128 SGG) und der Vorschriften über die Urteilsbegründung (§ 136 SGG), ferner eine fehlerhafte Anwendung der auf dem Gebiet des Versorgungsrechts maßgeblichen Kausalitätsnorm (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Das LSG hätte die von den Sachverständigen festgestellte, auf die Verwundungsfolgen (Gesichtsentstellung, Kieferklemme) zurückzuführende Depression des Beschädigten seiner Entscheidung zugrundelegen, zumindest aber sich mit diesem fachärztlichen Vorbringen auseinandersetzen müssen. In der Beurteilung der Zusammenhangsfrage habe das Berufungsgericht die ungünstige wirtschaftliche Lage des Beschädigten überschätzt. Es habe ferner die schriftliche Aussage des Bruders des Verstorbenen, H K vom 16. März 1970 nicht gewürdigt. Da mehrere Motive zur Selbsttötung beigetragen hätten, sei die Wirksamkeit der einzelnen Faktoren zu prüfen gewesen. Bei Prüfung dieser Frage hätte sich das LSG aber nicht über die Beurteilung der medizinischen Gutachten hinwegsetzen dürfen, weil nur diese bestimmen könnten, ob und welche Motive geeignet seien, die freie Willensbestimmung zu beeinflussen oder gar auszuschalten. Dies habe das LSG nicht beachtet und damit auch das Gesetz bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs i.S. des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG verletzt.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Detmold vom 27. August 1959 als unbegründet zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Kläger als unzulässig zu verwerfen.
Die Rügen greifen nach der Auffassung des Beklagten nicht durch. Aus dem Paßbild im Schwerbeschädigtenausweis könne jedenfalls keine zutreffende Beurteilung des Ausmaßes der Gesichtsentstellung abgeleitet werden. Die finanzielle Notlage sei größer gewesen, als Prof. Dr. W angenommen habe. Das LSG sei nicht über die Gutachten der Sachverständigen und auch nicht über die Äußerung des Bruders des Verstorbenen einfach hinweggegangen, es habe sich ihnen nur nicht anschließen können. Die Frage der Wesentlichkeit einer Bedingung richte sich nach der Auffassung des praktischen Lebens, weshalb das Gericht bei der Prüfung der entscheidenden Faktoren nicht einen weiteren Sachverständigen habe anhören müssen. Die Kausalitätsnorm sei nicht verletzt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Revisionsbegründungsschrift und des Schriftsatzes der Beklagten vom 1. Juli 1971 Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch statthaft, weil die Kläger mit Erfolg Mängel i.S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGG gerügt haben (§§ 164, 166 SGG); die Revision ist auch sachlich begründet.
Zutreffend rügt die Revision, daß das LSG die Frage der ursächlichen Bedeutung (Wertigkeit) der festgestellten "Motive" für den Selbstmord des K. entgegen den übereinstimmenden Ansichten der ärztlichen (d.h. psychiatrischen) Sachverständigen nicht dahin hätte entscheiden dürfen, die infolge der anerkannten Schädigungen bestehende Depression sei gegenüber den anderen Bedingungen soweit zurückgetreten, daß sie als Ursache praktisch ausscheide (Verstoß gegen § 128 SGG). Damit hat das LSG, wie die Revision ebenfalls mit Recht rügt, auch bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der anerkannten Schädigung und dem Tod des K. das Gesetz i.S. des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG verletzt.
Im gerichtlichen Verfahren sind insgesamt vier Gutachten eingeholt worden, die sich aus nervenfachärztlicher (psychiatrischer) Sicht mit der Frage befaßten, ob der Freitod des K. auf die anerkannten Schädigungsfolgen zumindest im Sinne einer wesentlichen Teilursache (neben den wehrdienstunabhängigen Gesundheitsstörungen) zurückzuführen ist (SG-Akten Bl. 17).
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1.) |
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Dazu hat das nervenfachärztliche Gutachten der Universitäts-Nervenklinik K vom 29. Mai 1959 (Prof. Dr. Sch Prof. Dr. W, Dr. G) festgestellt, daß der Freitod des K. "mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit" auf die anerkannten Schädigungsfolgen zurückzuführen sei. Den wehrdienstunabhängigen Gesundheitsstörungen komme "nur eine untergeordnete Bedeutung zu". |
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2.) |
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Das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten der Nervenklinik vom 12. Mai 1961 (Prof. Dr. W, Dr. G) hat nach "erneuter eingehender Würdigung aller Gesichtspunkte" (ungünstige finanzielle Lage) die reaktive Verstimmung infolge der Verletzung für das maßgebliche Motiv des Freitodes gehalten. |
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3.) |
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Nach Zurückverweisung der Sache an das LSG ist in einem weiteren Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. W vom 20. Juli 1968 festgestellt worden, daß der in der letzten Zeit verstärkte Versagenszustand seine letzte Wurzel "nicht in der aktuellen Situation" gehabt habe, sondern "mit hoher Wahrscheinlichkeit" in den dieser Situation ihren Akzent verleihenden psychischen und ästhetischen Auswirkungen der Schädigungsfolgen. |
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4.) |
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Schließlich ist auch das sehr gründliche, 138 Seiten umfassende Gutachten der Universitäts-Nervenklinik und Poliklinik Bonn vom 23. Juli 1970 (Priv. Dozent Dr. V M Dr. F) zu dem Ergebnis gelangt, daß die anerkannten Schädigungsfolgen bei K. zu einer chronisch-depressiven Erlebnisreaktion geführt hätten, wodurch sich K. in einem präsuizidalen Zustand befunden habe, der - möglicherweise unter Mitwirkung zusätzlicher Faktoren - schließlich zum Suizid geführt habe. Der Freitod des K. sei demnach mit Wahrscheinlichkeit auf die als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen zurückzuführen. Die "gesichertste Ursache" sei die chronisch-depressive Erlebnisreaktion. |
Das LSG hat sich in seiner Entscheidung mit diesen Gutachten befaßt und auf S. 46 des Urteils ausgeführt:
"Zuvor ist in Übereinstimmung mit allen hierzu gehörten ärztlichen Sachverständigen auch der Senat der Auffassung, daß der Beurteilung des Freitodes K.'s einzig und allein eine Erforschung der Motive und Beweggründe zugrunde gelegt werden muß und daß eine Ursache im medizinischen Sinne ausscheidet. Andererseits aber vermag der Senat den Schädigungsfolgen nicht die entscheidende Bedeutung für den Freitod K.'s beizumessen, wie das übereinstimmend sämtliche ärztlichen Sachverständigen getan haben".
Danach war sich das LSG mit Recht darüber klar geworden, daß es hier um eine Erforschung der psychischen Vorgänge ging und daß zur Beantwortung der Frage, welche der mehreren in Betracht kommenden Motive und Beweggründe für den Freitod des K. von ursächlicher Bedeutung gewesen sind, die nervenfachärztlichen (psychiatrischen) Sachverständigen - und nicht andere Sachverständige - berufen waren. Deshalb hat es auch auf das Gutachten des Pathologen Dr. G vom 16. Mai 1955, der aus "anatomischer Sicht" dem KB-Schaden keine wesentliche ursächliche Bedeutung beigemessen hatte, nicht mehr abgehoben, vielmehr im Tatbestand die nicht zu beanstandende Auffassung des Gutachtens vom 29. Mai 1959 wiedergegeben:
"Nicht die anatomische, sondern ausschließlich die psychiatrische Sicht liefere den Schlüssel zum Verständnis der Selbsttötung...".
Oblag es sonach dem Neurologen bzw. Psychiater, das hier gegebene "Motivbündel" (vgl. Stellungnahme des Reg. Med. Dir. Dr. D vom 24.9.1968) zu entwirren und die einzelnen Faktoren auf ihre ursächliche Bedeutung für den Freitod des K. zu prüfen, so durfte das LSG nur dann gegen die übereinstimmende Beurteilung sämtlicher (nerven-)ärztlicher Sachverständigen entscheiden, wenn diese von unrichtigen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen wären oder wenn ihre Schlußfolgerungen der für die Kriegsopferversorgung (KOV) maßgeblichen Kausalitätsnorm widersprächen. Beides ist jedoch nicht der Fall.
Das LSG hat zwar im einzelnen dargelegt, weshalb es zu einem abweichenden Ergebnis gelangt ist. Seine Feststellungen vermögen jedoch nicht darzutun, daß die nervenärztlichen Sachverständigen von unrichtigen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen seien. Dies gilt zunächst für die unter Hinweis auf das Gutachten des Chirurgen Dr. Sch getroffene Feststellung des LSG, es habe nur eine mäßige Verunstaltung des Gesichts bestanden, die K. "nicht als so schwerwiegend empfunden" habe (Urteil S. 38/39) und es fehle an einem Lichtbild der verunstalteten Gesichtsseite (S. 42). Wie die Revision mit Recht vorträgt, konnte zunächst das Ausmaß der Gesichtsentstellung unschwer aus den im Jahre 1949 erhobenen Befunden entnommen werden, die Dr. Sch damals als eine "nicht geringe Verunstaltung des Gesichts" gewertet hat. Wenn K. sich gescheut haben sollte, ein Foto von seiner verunstalteten Gesichtsseite machen zu lassen, so wäre dies durchaus verständlich. Das Fehlen solcher Fotos spricht daher eher gegen die abweichende Auffassung des LSG. Im übrigen hat die Zeugin P, worauf die Revision zutreffend hinweist, am 12. März 1970 bekundet, daß K. "unglücklich ... über die Entstellung seiner einen Gesichtshälfte" gewesen sei und daß er "das Erschrecken der Menschen bei einer plötzlichen Gegenüberstellung" habe wahrnehmen können (vgl. ferner die ähnliche Bekundung von F und M B).
Auch soweit das LSG dem Gutachter Dr. W entgegenhält, dieser habe der wirtschaftlichen Notlage "nicht den entsprechenden Raum" gegeben, ist, wie die Revision zu Recht betont, ein Mangel dieses Gutachtens nicht dargetan. Denn dieser hat "bei allen Widersprüchen und Unklarheiten ... eine wenig erfreuliche wirtschaftliche Situation bei K." festgestellt. Auch wenn er zu dem Ergebnis kam, diese Situation sei bei kritischer Würdigung kein "entscheidendes Motiv" für den Freitod gewesen, so hat er doch die wirtschaftliche Notlage als ungünstig "und sicherlich seelisch auch drückend" bezeichnet und sie damit gebührend berücksichtigt. Die Revision weist auch zutreffend darauf hin, daß das spätere Darlehen des Vaters in Höhe von 5.000,- DM (dasselbe gilt für das gleich hohe Darlehen des Bruders) kein hinreichendes Selbstmordmotiv gewesen sein konnte, zumal der Vater erklärt hatte, das Darlehen sei zinslos gewesen und mit dem Ableben des K. "als erledigt betrachtet" worden. Insbesondere hat aber auch der Gutachter Dr. V M die wirtschaftliche Notlage des K. nicht unterschätzt, worauf die Revision ebenfalls mit Recht hinweist. Dieser Gutachter ist vielmehr von einer "wirtschaftlichen Notlage" ausgegangen, die er aber von seiner sachverständigen Sicht aus nicht als die Ursache, sondern nur als "ein auslösendes Moment" angesehen hat. Dieser Gutachter hat sich auch mit der zu erwartenden Gefängnisstrafe, auf die das LSG auf S. 49 des Urteils abgehoben hat, auseinandergesetzt, aber keine Hinweise dafür gefunden, daß sie die allein wesentliche Bedingung des Freitodes gewesen sei. Die hierzu gemachten Ausführungen des LSG stellen - ähnlich wie ein großer Teil der sonstigen Ausführungen des LSG - im wesentlichen nur die Wiedergabe einer anderen Würdigung der einzelnen Umstände dar, ohne aber einen Mangel des Gutachtens aufzudecken. Das gilt - hinsichtlich der Haftstrafe - auch für das Gutachten des Prof. Dr. W.
Das LSG hat schließlich trotz seiner - nicht durchgreifenden - Bedenken gegen die Richtigkeit der vorliegenden Gutachten selbst unterstellt, daß K. unter Depressionen, die auf die Schädigungsfolgen zurückzuführen seien, gelitten habe. Es hat hierbei zusätzlich den Unfall vom 15. September 1954 mit seinen Folgen (Gehirnerschütterung) als Motiv für den Freitod des K. gewertet; damit hat es sich - ohne nähere Begründung - auch insoweit, wie die Revision mit Recht rügt, über das Gutachten des Dr. V M hinweggesetzt, der auf S. 115/116 dargelegt hat, daß sich aus der erlittenen Gehirnerschütterung im Zusammenhang mit den übrigen belastenden Umständen "keine wesentliche Bedingung für den Suizid" ergebe. Auch Prof. Dr. W hat keine Beziehung zwischen dieser Gehirnerschütterung und dem Freitod gesehen.
Daß die nervenärztlichen Sachverständigen die in der KOV geltende Kausalitätsnorm nicht richtig angewendet hätten, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Frage, welche von mehreren Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen (medizinischen) Sinne als wesentlich anzusehen ist, richtet sich zwar nach der Auffassung des praktischen Lebens (BSG 1, 72, 76) und ist nach Erfahrungssätzen zu entscheiden (vgl. BSG in KOV 1959 S. 157 und zur Selbsttötung: Haueisen, Die Theorie der wesentlichen Bedingung - eine wichtige Ursachenlehre in JZ 1/1961 S. 9 ff, 11). Sind aber - wie hier - zur Beantwortung der Frage, welche der mehreren in Betracht kommenden psychischen Bedingungen für den Freitod von ursächlicher Bedeutung gewesen sind, nervenfachärztliche Sachverständige berufen, und liefert ausschließlich die psychiatrische Sicht den Schlüssel zum Verständnis der Selbsttötung, so ist die Frage nach der wesentlichen Bedingung nach psychiatrischer, nervenfachärztlicher Erfahrung zu entscheiden. Deren Urteil lautete aber übereinstimmend dahin, daß die durch die Schädigungsfolgen bedingte Depression die ganz überwiegende, maßgebliche und "gesichertste" Ursache bzw. die letzte Wurzel für den Freitod gewesen ist und daß die anderen Umstände daneben nur eine untergeordnete Bedeutung hatten. Damit sind die Grundsätze der in der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm, die das LSG auf S. 54 seines Urteils an sich zutreffend wiedergegeben hat, von den Sachverständigen bei ihrer abschließenden Beurteilung richtig berücksichtigt worden.
Das LSG hat dadurch, daß es sich ohne hinreichende Gründe über die im Ergebnis übereinstimmende Beurteilung sämtlicher (nervenfach-)ärztlichen Sachverständigen hinweggesetzt hat, gegen § 128 SGG verstoßen. Es hat ferner das Gesetz bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs i.S. des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG verletzt, weil es die Schädigungsfolgen nicht als die wesentliche Ursache des Freitodes gewertet hat. Es hätte nicht die festgestellte Depression des Beschädigten als neben sächlichen Faktor in bezug auf seinen Tod ansehen dürfen. Da es sich bei der Beurteilung der Kausalitätsnorm um eine materiell-rechtliche Frage handelt, ist das Revisionsgericht befugt, seine Rechtsansicht an die Stelle der Ansicht des Berufungsgerichts zu setzen.
Beide Verstöße machen die nicht zugelassene Revision statthaft. Die Revision ist auch begründet, da das angefochtene Urteil auf diesen Mängeln beruht. Deshalb war es aufzuheben. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, da das LSG unangegriffen festgestellt hat (S. 46 des Urteils), daß sämtliche ärztlichen Sachverständigen übereinstimmend in den vorliegenden nervenärztlichen Gutachten den Schädigungsfolgen die entscheidende Bedeutung für den Freitod des K. beigemessen haben und die danach zu entscheidende materiell-rechtliche Frage, welcher der mehreren Umstände als Ursache im Rechtssinne anzusehen ist, dahin zu beantworten ist, daß die rechtlich wesentliche Ursache für den Freitod des K. die auf die Schädigungsfolgen (insbesondere die Gesichtsentstellung) zurückzuführende Depression gewesen ist.
Das LSG hat überdies bei seiner weiteren Feststellung, die von dem Zeugen H geschilderte Zahnerkrankung könne unerörtert bleiben, weil diese nicht als Schädigungsfolge anerkannt gewesen sei (S. 45 des Urteils), verkannt, daß es hier nicht auf die Ursache der Zahnerkrankung, sondern darauf ankam, daß wegen der Kieferklemme - wie der Zeuge bekundete - nunmehr auch die unversehrte Backenseite aufgeschnitten werden sollte, "um an erkrankte Zähne heranzukommen". Für diese "weitere Verschandelung", die K. auf keinen Fall zulassen wollte, wäre die bei K. bestehende und als Schädigungsfolge anerkannte "hochgradige Kieferklemme" die überragende Bedingung und damit die alleinige Ursache im Rechtssinne gewesen.
Nach alledem war unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG die Berufung des Beklagten gegen das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG Detmold vom 27. August 1959 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen