Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff des Beschäftigungsverhältnisses

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes (RVO § 537 Nr 1 aF) von Milchsammlern.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zum Begriff des Beschäftigungsverhältnisses:

1. Ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, ist nicht nach den vertraglichen Bezeichnungen, sondern anhand der tatsächlichen Verhältnisse und der Art der verrichteten Tätigkeit zu beurteilen.

2. Weisen die Umstände sowohl auf eine abhängige Beschäftigung als auch auf eine selbständige Tätigkeit hin, so ist die Entscheidung aufgrund des Gesamtbildes der Tätigkeit zu treffen.

3. Bei der Würdigung des Gesamtbildes der Tätigkeit sind auch arbeitsrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen; das abhängige Beschäftigungsverhältnis iS der RVO ist grundsätzlich mit dem Arbeitsverhältnis identisch.

 

Normenkette

RVO § 537 Nr. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Dezember 1963 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin stellt Trinkmilch, Butter und Käse her. Von Milcherzeugern in ihrem Einzugsgebiet in den Verkehr gebrachte Milch (vgl. §§ 1, 7 des Milch- und Fettgesetzes idF vom 10. Dezember 1952 - BGBl I 811; Bayerische Verordnung - VO - zum Vollzug des Milch- und Fettgesetzes vom 14. Dezember 1956 - BayBS IV 445, an deren Stelle seit 1 Juli 1965 die LandesVO zum Vollzug des Milch- und Fettgesetzes vom 2. Juni 1965 gilt - GVBl S. 98) nimmt sie in besonderen über ihr Einzugsgebiet verteilten Milchsammelstellen an. Die Leiter dieser Sammelstellen haben in erster Linie die Menge der von jedem Erzeuger täglich angelieferten Milch zu messen und aufzuschreiben und die Milch bis zu ihrer Abholung durch die Molkerei zu kühlen. Das Milchgeld rechnet die Klägerin mit den milchliefernden Landwirten ab. Ihre Beziehungen zu den Milchsammlern regelt sie unter Verwendung folgenden Vertragsmusters:

"Vertrag

Zwischen der Zentralmolkerei L Sch, A/Ufr. und

... Gemeinde ... Haus Nr. ... wird folgender Vertrag geschlossen:

§ 1) ... übernimmt ab ... die Milch- und Molkereiprodukten Sammel- und Verteilerstelle der Zentral-Molkerei Ludwig Sch, A in ....

§ 2) Die Milch aller Milcherzeuger ist täglich an den vorgeschriebenen Zeiten anzunehmen. Bereits angesäuerte Milch ist jedoch zurückzuweisen. Die angenommene Milch ist entsprechend den näheren Anweisungen der Molkerei zu behandeln. Für Qualitätsminderungen der gesammelten Milch, die auf Fahrlässigkeit oder Nichtbeachtung der Anweisungen zurückzuführen sind, behält sich die Molkerei Schadenersatz durch Verrechnung mit der jeweiligen Sammelprovision vor.

§ 3) Als Provision werden vergütet:

Für das Sammeln und Kühlen der Milch pro ltr/kg 0,5 Pfennig,

bei Verseilung von Trinkmilch pro ltr 2,0 Pfennig,

von Butter an Nichtlieferanten je kg 20,0 Pfennig,

von Käse 10% aus den angegebenen Verkaufspreisen,

von Margarine 5% aus den angegebenen Verkaufspreisen.

Sonstige Erzeugnisse je nach Packung und Preis lt. Lieferschein/Rch.

§ 4) Die Rückgabe von Futtermagermilch und Butter an die Milchlieferanten hat unentgeltlich zu erfolgen.

§ 5) Die Einrichtungsgegenstände werden von der Molkerei gestellt. Die Räume sind sauber und hygienisch einwandfrei in Ordnung zu halten, so daß sie den polizeilichen Vorschriften jederzeit entsprechen. Dies gilt auch für sämtliche Behälter, die zum Sammeln und Verteilen zur Verfügung stehen.

§ 6) Die Abgabe von Milcherzeugnissen an Nichtmilchlieferanten hat nur gegen Barzahlung zu erfolgen. Das Geld ist an die angegebene Bank bzw. Kasse abzuführen.

§ 7) Durch diesen Vertrag wird der Leiter der Sammel- und Verteilerstelle nicht Handlungsgehilfe, sondern Handelsagent der Zentralmolkerei Ludwig Sch, An. .

§ 8) Die Kündigung dieses Vertrages kann beiderseits monatlich erfolgen. Der Molkerei bleibt jedoch bei Nichteinhaltung der polizeilichen Vorschriften durch den Handelsagenten sofortige Kündigung vorbehalten.

A, den ...

Der Verteiler

Die Zentralmolkerei:

...

..."

Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) können die Milchsammler ihre nach den Melkzeiten der milchliefernden Landwirte sowie nach den Abhol- und Lieferzeiten der Molkerei sich richtende Tätigkeit, die täglich etwa 1 1/2 Stunden in Anspruch nimmt, von anderen Personen vornehmen lassen; gegenüber der Klägerin sind aber sie für eine ordnungsgemäße Ausführung der ihnen übertragenen Tätigkeit verantwortlich.

Die Klägerin führte in ihren bei der Beklagten zum Zweck der Beitragserhebung eingereichten Lohnnachweisen jeweils auf einem gesonderten Blatt - getrennt nach den einzelnen Milchsammelstellen - das ihren Milchsammlern gezahlte Entgelt mit dem Hinweis auf, daß die Sammelstellenleiter nur als Agenten bei einer täglichen Arbeitszeit von etwa 1 1/2 Stunden tätig seien. Die Beklagte vermerkte in ihrem Betriebsverzeichnis, wenn eine Milchsammelstelle an einen anderen Ort verlegt worden oder in der Person ihres Leiters ein Wechsel eingetreten war.

Für die Jahre 1955 bis 1957 unterblieb die Erhebung der Beiträge für die Milchsammler, weil die Beklagte irrtümlich angenommen hatte, daß die gesondert zusammengestellten Vergütungen der Milchsammler in der im vorgedruckten Lohnnachweis angegebenen Gesamtlohnsumme enthalten seien. Mit Heberollenauszug vom 16. Februar 1959 forderte sie die Beiträge für die Milchsammelstellen in Höhe von insgesamt 1.260,50 DM nach.

Auf den Widerspruch der Klägerin, die geltend machte, daß die Milchsammler nicht versicherungspflichtig in der Kranken- und Rentenversicherung seien und somit auch keine Beitragspflicht für die Milchsammler, die von den Gemeinden zur Mindestgewerbesteuer veranlagt würden, in der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) bestehen könne, nahm die Beklagte ihren Beitragsbescheid mit der Begründung zurück, daß ihre Beitragsnachforderung für das Jahr 1955 verjährt sei. Im Bescheid vom 2. April 1959 verlangte sie für die Jahre 1956 und 1957 eine Beitragsnachzahlung von 933,70 DM. Dem erneuten Widerspruch der Klägerin half sie im Bescheid vom 11. November 1959 nicht ab.

Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, daß die Milchsammler von ihr weder persönlich noch wirtschaftlich abhängig seien. Dagegen spreche auch, daß die Milcherzeuger verpflichtet seien, die Milch frei Rampe Molkerei abzuliefern. Die Milchsammelstellen würden aus organisatorischen Gründen von ihr zwar errichtet, die dadurch entstehenden Kosten würden jedoch den Milcherzeugern bei der Abrechnung des Milchgeldes über den Fuhrlohn abgezogen. Die Milchsammler seien als Vermittler zwischen Milcherzeuger und Molkerei und nicht einseitig für diese tätig.

Die Beklagte hat erwidert, daß die Sammelstellen nach genauen von der Klägerin vertraglich festgelegten Richtlinien geführt werden müßten; sie sei schon wiederholt zur Entschädigung von Arbeitsunfällen, die Milchsammler erlitten hätten, verpflichtet worden.

Das Sozialgericht (SG) Würzburg hat durch Urteil vom 15. September 1961 die Verwaltungsakte der Beklagten aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin nicht verpflichtet ist, für ihre Milchsammler Beiträge an die Beklagte zu entrichten.

Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Seien die Milchsammler, wovon die Beklagte ausgehe, versicherungspflichtig nach § 537 Nr. 10 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (in der vor Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes geltenden Fassung - RVO aF -), bestehe schon deshalb keine Beitragspflicht der Klägerin, weil für den nach dieser Vorschrift versicherten Personenkreis aus den §§ 649, 732 Abs. 1, 734, 749, 750, 753 RVO aF keine Beitragspflicht hergeleitet werden könne. Die für die Klägerin tätigen Milchsammler seien nicht als abhängig Beschäftigte gemäß § 537 Nr. 1 RVO aF versichert. Zwar liege eine gewisse wirtschaftliche Abhängigkeit der Milchsammler von der Klägerin vor, sie seien von dieser aber nicht persönlich abhängig.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische LSG durch Urteil vom 4. Dezember 1963 die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel der Beklagten als zulässig und aus folgenden Erwägungen als begründet angesehen: Ungeachtet des Umstandes, daß die Sammelstellenleiter im Anstellungsvertrag als Agenten bezeichnet seien, stünden sie angesichts der Art ihres Vertragsverhältnisses und ihrer vertraglich bestimmten Verpflichtungen in einem werkvertragsähnlich gestalteten Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin. Sie seien somit nach § 537 Nr. 1 RVO aF versichert. Im schriftlichen Vertrag seien zahlreiche Anweisungen der Klägerin an die Milchsammler enthalten, insbesondere hinsichtlich der Annahme und Behandlung der angelieferten Milch, der Rückgabe der Futtermagermilch an die Milcherzeuger, der Sauberhaltung der Räume und der Milchbehälter sowie der Abführung der aus dem Verkauf von Milcherzeugnissen an sonstige Personen vereinnahmten Gelder. Abhängigkeit der Milchsammler von der Klägerin ergebe sich ferner unmißverständlich aus der Vertragsbestimmung, die besage, daß der Sammelstellenleiter die Milch- und Molkereiprodukten Sammel- und Verteilerstelle der Zentralmolkerei L Sch übernehme. Diese stelle auch die Einrichtungsgegenstände der Sammelstelle. Für eine unternehmerische Tätigkeit des Milchsammlers bleibe kein Raum. Daran ändere auch nichts, daß er die von ihm bei Anlieferung und Abholung der Milch zu leistenden Dienste durch andere Personen ausführen lassen könne, denn für deren ordnungsgemäße Ausführung trage und behalte er gegenüber der Molkerei, ausschließlich die Verantwortung. Da der Einzugsbereich der Molkereien festgelegt sei, könnten die Milchsammler keinen zusätzlichen Gewinn erzielen. Eine selbständige wirtschaftliche Entfaltung mit eigenem Risiko, wie sie Unternehmern eigentümlich sei, sei ihnen sonach verwehrt. Die Beschränkung ihres Risikos sei vertraglich festgelegt. Für eine Qualitätsminderung der angelieferte Milch hätten sie nur bei Fahrlässigkeit oder Nichtbeachtung der Weisungen der Klägerin einzustehen. Eine Gesamtwürdigung ergebe trotz des Umstandes, daß die Milchsammler eine zwar zeitlich beschränkte, aber regelmäßig zu verrichtende Tätigkeit ausübten, daß sie in einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 537 Nr. 1 RVO aF stünden. Dem Urteil des 3. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. September 1961 (SozR Nr. 27 zu § 165 RVO = Breithaupt 1962, 675), das die Kranken- und Rentenversicherungspflicht eines Milchsammlers verneint habe, habe in wesentlichen Punkten ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Es dürfe ferner nicht unbeachtet bleiben, daß die Klägerin die betrieblichen Einrichtungen der Sammelstellen zur Verfügung stelle und dadurch ihre förderliche Tätigkeiten veranlasse, welche Gefahren von Unfällen in sich trügen. Deren Risiko und Entschädigung würde den übrigen bei der Beklagten zusammengefaßten Unternehmern zur Last fallen, wenn die Klägerin für ihre Milchsammler nicht zu Beiträgen herangezogen würde. Mit Recht würden deshalb Milchsammler ebenso wie Zeitungsagenten mit festem Kundenkreis nicht als Unternehmer, sondern als abhängig Beschäftigte, für die Beitragspflicht bestehe, angesehen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat Revision eingelegt und diese wie folgt begründet: Der Milchsammler stehe in keinem Abhängigkeitsverhältnis zur Molkerei. Seine zeitliche und persönliche Inanspruchnahme durch diese Tätigkeit sei so geringfügig, daß nicht einmal von einem Nebenberuf gesprochen werden könne. Der Milchsammler übe seine Tätigkeit mit absoluter Selbständigkeit aus. In den Betrieb der Molkerei sei er weder örtlich noch persönlich noch zeitlich eingeordnet. Es bleibe ihm überlassen, ob er alle mit dem Betrieb der Sammelstelle verbundenen Arbeiten selbst ausführe oder durch Familienangehörige, Arbeitnehmer, Nachbarn, erwachsene Kinder ausführen lasse. Er werde von der Molkerei auch nicht kontrolliert, ob er seine Tätigkeit anderen Personen häufig oder für längere Zeit übertrage. Die Bezeichnung des Milchsammlers als "Handelsagent" im Vertrag sei kennzeichnend dafür, welche Stellung der Milchsammler nach dem beider-seitigen Vertragswillen einnehmen sollte und auch tatsächlich einnehme. Die Bindungen des Milchsammlers aus seiner Tätigkeit beruhten nicht auf den Anweisungen der Molkerei, sondern seien selbstverständliche Pflichten, die sich aus der Natur des Milchsammelns, insbesondere aus dem Milchgesetz und den dazu erlassenen Ausführungs- und Durchführungsverordnungen ergäben. Der Milchsammler sei nicht einmal arbeitnehmerähnliche Person, denn er sei wirtschaftlich von der Molkerei nicht abhängig. Es fehle bei ihm auch ein für ein Beschäftigungsverhältnis maßgebendes gegenseitiges Treueverhältnis. Der Milchsammler sei ein freier Mitarbeiter, der lediglich die Verantwortung und Haftung dafür übernehme, daß das Ergebnis der Milchsammlertätigkeit gesichert bleibe. Da ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 537 Nr. 1 RVO aF somit nicht vorliege, entfalle die Beitragspflicht der Klägerin.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Klägerin beantragt:

Das Urteil des Bayerischen LSG München vom 4. Dezember 1963 wird aufgehoben.

Die Verwaltungsakte der Beklagten vom 16. Februar 1959 und 2. April 1959 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1959 werden aufgehoben.

Die Klägerin ist nicht verpflichtet, für ihre Milchsammler die von der Beklagten geforderten Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu entrichten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Das LSG hat die Berufung der Beklagten zu Recht als zulässig erachtet. Bei der strittigen Beitragsnachforderung handelt es sich nicht um eine einmalige Leistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (SozR Nr. 19 zu § 144 SGG).

Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß die Beitragsnachforderung, deren Höhe nicht streitig ist, von der Beklagten erhoben werden durfte. Die Leiter der Milchsammelstellen der Klägerin sind in der strittigen Zeit (1956 bis 1957) nach § 537 Nr. 1 RVO aF versichert gewesen. Die Beitragspflicht der Klägerin ergibt sich somit aus § 732 Abs. 1 RVO aF.

Versicherungspflicht gegen Arbeitsunfälle besteht nach § 537 Nr. 1 RVO aF für alle auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats setzt dies voraus, daß eine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber vorliegt (BSG 5, 168, 173; 11, 149, 150; SozR Nr. 19, 39 zu § 537 RVO aF; ebenso Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 6a zu § 539 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15. Juni 1966 Bd. II S. 470b). Im Vordergrund - als charakteristisches Merkmal - steht dabei die persönliche Abhängigkeit, die in der Regel eine wirtschaftliche Abhängigkeit nach sich zieht (Brackmann aaO S. 470b). Persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit können allerdings, je nach Art und Umfang der ausgeübten Tätigkeit, in unterschiedlichem Maße ausgebildet sein, ohne daß dadurch ohne weiteres das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses und damit die Versicherungspflicht nach § 537 Nr. 1 RVO aF in Frage gestellt wird.

Die Milchsammler sind bei Ausübung ihrer Tätigkeit in ein System öffentlich-rechtlicher Natur hineingestellt. In § 1 des Milch- und Fettgesetzes (in der - in der strittigen Zeit geltenden - Fassung vom 10. Dezember 1952 - BGBl I 811) sind die Beziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien dahin geregelt, daß jene verpflichtet sind, die von ihnen in den Verkehr gebrachte (verkaufte) Milch bei einer behördlich bestimmten Molkerei anzuliefern (Bringschuld), und die Molkerei die angelieferte Milch abzunehmen hat (Abnahmepflicht). Auf Grund der örtlichen Gegebenheiten ist häufig zwischen Milcherzeuger und Molkerei eine Milchsammelstelle zwischengeschaltet. Diese kann eine unselbständige Abteilung der Molkerei oder selbständiges Unternehmen sein Ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform kann sie durch die Marktordnungsbehörde hinsichtlich der Einzugs- und Absatzgebietsregelung einer Molkerei gleichgestellt sein, sofern die örtlichen Verhältnisse es erfordern (s. S. 18a der Erläuterungen zu § 3 des Milch- und Fettgesetzes in "Das deutsche Bundesrecht" IV G 40). Es kommt somit auf die Umstände des Einzelfalles an, ob eine Milchsammelstelle ein selbständiges Unternehmen oder Bestandteil eines milchverarbeitenden Betriebes ist.

Wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, ist für die Beurteilung der Frage, ob ein versicherungspflichtiges Abhängigkeitsverhältnis nach § 537 Nr. 1 RVO aF vorliegt, grundsätzlich nicht die von den Vertragspartnern in dem Vertrag, der ihre Beziehungen regelt, gewählte Bezeichnung für das zwischen ihnen bestehende Verhältnis und damit ihre erklärte Absicht, sondern die wirkliche Gestaltung des Verhältnisses und die Art der verrichteten Tätigkeit maßgebend (SozR Nr. 8, 39 zu § 537 RVO aF; Brackmann aaO S. 302 306h, 307, 470a; Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Aufl., Bd. I S. 97). Die im Vertragsmuster der Klägerin in § 7 getroffene Vereinbarung, daß der Milchsammler nicht Handlungsgehilfe, sondern "Handelsagent" der Klägerin sei, ist sonach für sich allein nicht geeignet, die für die Klägerin tätigen Milchsammler als selbständige Handelsvertreter gemäß § 84 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs anzusehen.

Für ein selbständiges Verhältnis (Brackmann aaO S. 470c) zur Klägerin könnte allerdings sprechen, wenn die von den Milchsammlern zu leistende Tätigkeit den Regeln des - in einem Dauerschuldverhältnis zu erbringenden-Werkvertrags (§ 631 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) unterworfen wäre (was Balser, SozVers 1957, 52 im Regelfall annimmt). Das Urteil des Berufungsgerichts ist daher nicht ganz folgerichtig, als es einerseits Versicherungspflicht nach § 537 Nr. 1 RVO aF und damit ein Abhängigkeitsverhältnis bejaht, andererseits dieses Verhältnis als werkvertragsähnlich gestaltet ansieht. Der Milchsammler schuldet aber nicht einen vertraglich festgelegten Arbeitserfolg, insbesondere nicht etwa die tägliche Bereitstellung einer bestimmten Milchmenge für die Molkerei, sondern es wird von ihm eine täglich zu feststehenden Zeiten anfallende Arbeit, die nach genauen Anweisungen der Klägerin durchzuführen ist, verlangt. Er hat im einzelnen vorgeschriebene Arbeiten zu verrichten. Der Erfolg seiner Tätigkeit kommt ihm nicht unmittelbar, sondern der Klägerin zugute, die ihm dafür eine Vergütung in Form einer "Provision" gewährt. Die Art der Lohnbemessung ist indessen für die begriffliche Unterscheidung zwischen Werk- und Dienstvertrag nicht maßgebend (Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearbeitung, 1958 S. 602).

Da die für die Klägerin tätigen Milchsammler zur Leistung von Diensten verpflichtet sind, scheidet die Möglichkeit aus, daß sie die Sammelstelle, für die die benötigten Räume vom Sammelstellenleiter, deren Einrichtungsgegenstände jedoch von der Klägerin gestellt werden, als selbständige Pächter führen (vgl. LAG Leipzig, Arbeitsrechtsammlung 36, 2. Abt. S. 99).

Wie meist in den von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheidenden Streitfällen sprechen auch vorliegendenfalls einzelne Umstände für und andere gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG 11, 257, 260; SozR Nr. 39 zu § 537 RVO aF) ist unter Abwägung all dieser Umstände das Gesamtbild der Tätigkeit zu ermitteln und danach zu beurteilen, ob die Beschäftigung auf Grund eines Abhängigkeitsverhältnisses erfolgte. Dies hat das Berufungsgericht auch nicht verkannt.

Zutreffend hat das LSG angenommen, daß durch den Wortlaut des § 1 des Vertragsmusters, wonach der Milchsammler die Milch- und Molkereiprodukten Sammel- und Verteilerstelle "der Zentralmolkerei Ludwig Sch" übernimmt, ein Abhängigkeitsverhältnis von der Klägerin zum Ausdruck gebracht wird. Dafür spricht ferner, daß nach § 5 die Einrichtungsgegenstände der Sammelstelle von der Molkerei gestellt werden. Wie die Tätigkeit des Milchsammlers auszuführen ist und was er dabei alles zu beachten hat, ist in den §§ 2, 4 - 6 des Vertragsmusters des näheren geregelt. Die in diesen vertraglichen Bestimmungen enthaltenen Anweisungen an die Milchsammler lassen ebenfalls, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, den Schluß auf ein Abhängigkeitsverhältnis von der Klägerin zu. Der hiergegen häufig vorgebrachte Einwand (vgl. z.B. LSG Rheinland-Pfalz Breithaupt 1958, 603, 605; Balser aaO), Vertragsbestimmungen solcher Art wiederholten nur zu einem wesentlichen Teil die den Molkereien durch die §§ 6 bis 8 des Milchgesetzes vom 31. Juli 1930 (RGBl I 421) auferlegten Pflichten, ist nicht überzeugend. Die Verpflichtungen, die durch das Milchgesetz und die hierzu ergangenen landesrechtlicher Ausführungsbestimmungen (vgl. Bayer. VO zum Vollzug des Milchgesetzes vom 14. Dezember 1956 - GVBl S. 369) den nach jenem Gesetz tätigen Bearbeitungs- und Verarbeitungsstellen auferlegt sind, richten sich an die Betriebsinhaber. Diese sind ihrerseits gehalten, darauf zu achten, daß ihre Beschäftigten die ihnen aufgetragene Arbeit entsprechend jenen Vorschriften verrichten. Auch wenn die Anweisungen des Arbeitgebers inhaltlich weitgehend die ihm durch das Milchgesetz auferlegten Pflichten wiedergeben, handelt es sich somit um Weisungen, die in Ausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers erteilt werden, sofern ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt.

Gegen ein solches Abhängigkeitsverhältnis der für die Klägerin tätigen Milchsammler spricht nicht etwa der Umstand, daß die diesen für ihre Dienste gewährte Vergütung in § 3 des Vertragsmusters als "Provision" bezeichnet ist. Die Provision, die sich hauptsächlich bei Handelsreisenden und Handelsvertretern findet, ist eine Erfolgsvergütung (Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. I 300). Die von der Klägerin gezahlte Provision bemißt sich dagegen im wesentlichen nach Art und Umfang der vom Milchsammler geleisteten Tätigkeit. Soweit der Milchsammler für die von ihm hauptsächlich verrichtete Tätigkeit, nämlich für das Sammeln und Kühlen der Milch, entlohnt wird, erhält er in Wirklichkeit Stücklohn. Nur für seine - im Rahmen seiner gesamten Beschäftigung untergeordnete - Verkaufstätigkeit erhält er Umsatzprovision.

Ebensowenig schließt die, wenn auch tägliche, so doch zeitlich geringe Inanspruchnahme durch die Sammeltätigkeit ein Abhängigkeitsverhältnis von vornherein aus (RVA AN 1929, 164 Nr. 3394; Hueck/Nipperdey aaO S. 49). Der Personenkreis, der diese Tätigkeit ausübt, ist überdies nach seiner beruflichen Herkunft so unterschiedlich zusammengesetzt, daß nicht davon ausgegangen werden kann, es handele sich für ihn allgemein um eine nebenberufliche Beschäftigung.

Ein weiteres, die Selbständigkeit des Milchsammlers widerlegendes Tätigkeitsmerkmal ist der Umstand, daß der Milchsammler verpflichtet ist, seine Arbeit täglich zu bestimmten Zeiten auszuführen. Diese Notwendigkeit ergibt sich zwar aus den Melkzeiten der milchliefernden Landwirte, aber auch aus dem verständlichen Bestreben der Molkerei, daß die Milch so schnell wie möglich zu ihr gelangt. Ein in der Natur der Sache begründeter Arbeitsablauf ist auch anderen Beschäftigungsverhältnissen, z.B. Zeitungsträgerinnen, eigen, deren Versicherungspflicht jedoch uneingeschränkt bejaht wird (RVA AN aaO; OVA Karlsruhe, Breithaupt 1952, 132; BSG, SozR Nr. 16 zu § 165 RVO). Der Beurteilung einer Tätigkeit als unselbständige steht auch nicht entgegen, daß "unter Umständen die Anweisungen des Arbeitgebers ersetzt werden durch die aus der Natur der Sache sich ergebende Notwendigkeit bestimmter Verrichtungen" (RVA AN 1904; S. 527 Nr. 1164).

Über die von der Revision besonders hervorgehobene Möglichkeit, daß die Milchsammler ihre Tätigkeit nach Belieben durch Dritte ausführen lassen können, ist im Vertragsmuster der Klägerin nichts bestimmt. Diese Möglichkeit steht indessen der Annahme eines persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses nicht unbedingt entgegen. Zwar hat der Arbeitnehmer im Zweifel seine Arbeit in Person zu leisten. Es kann jedoch etwas anderes vereinbart werden oder sich aus der Art der zu leistenden Arbeit ergeben (Hueck/Nipperdey aaO S. 198). Die Ausübung der an sich persönlich zu erbringenden Dienste durch Dritte wird auch bei anderen Beschäftigungsverhältnissen als zulässig angesehen, bei denen es nicht unbedingt auf eine persönliche Arbeitsleistung ankommt, wie z.B. Zeitungsträgerinnen, Hauswarten, Heizern. Die Arbeitnehmereigenschaft solcher Personen ist aber nicht ernstlich angezweifelt worden (SozR Nr. 28 zu § 165 RVO).

Für eine selbständige Tätigkeit des Milchsammlers spricht auch nicht, daß er nach § 2 des Vertragsmusters für Qualitätsminderungen der gesammelten Milch schadensersatzpflichtig ist. Arbeitnehmer sind bei mangelhafter Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten, insbesondere bei Schlechtleistung im Falle eines Verschuldens grundsätzlich zum Ersatz des Schadens verpflichtet (Hueck/Nipperdey aaO S. 227 ff; Nikisch, aaO S. 191). Die Schadensersatzpflicht des Milchsammlers tritt nach dem Vertrag ebenfalls nur bei Fahrlässigkeit oder Nichtbeachtung der Anweisungen der Molkerei ein.

Das Vertragsmuster der Klägerin enthält allerdings keine Regelung über Urlaubsansprüche des Milchsammlers. Das Fehlen einer solchen Abrede spricht jedoch nicht unbedingt gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis (SozR Nr. 39 zu § 537 RVO aF, Aa 40). Bei zeitlich geringfügigen Arbeitsleistungen kann ein Urlaubsanspruch ohnehin ausgeschlossen sein (Hueck/Nipperdey aaO S. 440).

Das Berufungsgericht hat schließlich mit Recht als bedeutsam angesehen, ob den Milchsammlern eine Unternehmertätigkeit möglich ist. Es hat dies schlechthin verneint. Dies trifft zwar nicht ganz zu. Der den Milchsammlern gestattete Verkauf von Milchprodukten - unter Zubilligung einer von der Klägerin bemessenen Verdienstspanne - läßt ihnen aber nur geringe unternehmerische Entfaltungsmöglichkeiten, da die Verkaufspreise der Milchprodukte von der Klägerin festgesetzt und somit in deren Einzugsbereich überall gleich hoch sind.

Zwar darf allein daraus, daß die Eigenschaft als Unternehmer nicht als vorliegend erachtet werden kann, nicht bereits auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis geschlossen werden (Brackmann aaO S. 470f). Die vom LSG angestellte Gesamtwürdigung des Tätigkeitsbildes der von der Klägerin beschäftigten Milchsammler läßt indessen erkennen, daß eine - wenn auch nicht ausgeprägte - persönliche und wirtschaftliche Bindung der Milchsammler besteht. Trotz der Sonderstellung, die sie arbeitsmäßig gegenüber den im Molkereibetrieb beschäftigten Arbeitnehmern einnehmen, stehen sie daher zur Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und sind deshalb nach § 537 Nr. 1 RVO aF pflichtversichert.

Die steuerrechtliche Behandlung der Milchsammelstellenleiter, die - nach dem Vortrag der Klägerin - von den Gemeinden zur Gewerbesteuer herangezogen werden, ist nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats für die Versicherungspflicht ohne entscheidende Bedeutung (SozR Nr. 8, 39 zu § 537 RVO aF).

Der Senat weicht, indem er ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bejaht, von der - bereits erwähnten - Entscheidung des 3. Senats des BSG vom 27. September 1961 nicht ab, da diesem Urteil in wesentlichen Punkten ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt. Der 3. Senat, der die Versicherungspflicht eines Milchsammlers in der Kranken- und Rentenversicherung verneint hat, hat in der von ihm entschiedenen Streitsache darauf abgestellt, daß der Vertrag des Milchsammlers mit der Molkerei auf die für einen Arbeitsvertrag nichtleitender Arbeitskräfte ganz ungewöhnlich lange Dauer von zehn Jahren abgeschlossen und zur Schlichtung von Streitigkeiten ein Schiedsgericht vereinbart war. Als besonders bedeutsam hat der 3. Senat ferner angesehen, daß - anders als in der vorliegenden Streitsache - der Milchsammler für Fehlmengen und Kannenverluste ohne Rücksicht auf sein Verschulden einzustehen und er keine diese gesteigerte Haftung ausgleichende höhere Vergütung erhalten hatte. Im übrigen umfaßt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, die gesetzliche UV einen weiteren Personenkreis als die gesetzliche Krankenversicherung (BSG 14, 142, 144).

Die Revision war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373397

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