Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermessensausübung bei Säumniszuschlägen. Funktion von Säumniszuschlägen

 

Leitsatz (amtlich)

Säumniszuschläge für rückständige Beitragsforderungen der Unfallversicherungsträger, die als Masseschulden im Konkurs geltend gemacht sind, können auch für die Zeit nach Konkurseröffnung erhoben werden.

 

Orientierungssatz

1. Nach der Rechtsprechung des BSG bezwecken Säumniszuschläge jedenfalls wesentlich auch, auf den säumigen Schuldner Druck auszuüben. An dieser Zielsetzung hat sich dadurch, daß in § 24 Abs 2 SGB 4 anstelle der bisherigen Zinsregelung des § 397a Abs 2 RVO aF die Erhebung von Säumniszuschlägen vorgesehen ist, nichts geändert.

2. Der Nichtgebrauch eingeräumten Ermessens stellt einen Ermessensfehler dar und begründet die Rechtswidrigkeit der getroffenen Entscheidung. Ob eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, ist dem Inhalt des Bescheides, insbesondere seiner Begründung zu entnehmen. Aus ihr muß sich nicht nur ergeben, daß die Beklagte eine Ermessensentscheidung treffen wollte und getroffen hat, sie muß auch gemäß § 35 Abs 1 S 3 SGB 10 diejenigen Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen sie bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (vgl BSG vom 14.11.1985 7 RAr 123/84 = BSGE 59, 157, 170).

3. Den Sozialversicherungsträgern ist nur bei der Entscheidung über die Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 Abs 1 SGB 4, nicht jedoch in den Fällen des Abs 2 der Norm, ein sogenanntes doppeltes, dh auf den Grund und auf die Höhe bezogenes Ermessen eingeräumt (vgl BSG vom 24.11.1983 10 RAr 13/82 = SozR 4100 § 186a Nr 18). Mindestschadensausgleich:

4. Säumniszuschläge sind als gesetzlich standardisierter Mindestschadensausgleich anzusehen.

5. Bei der Ausübung des ihm in § 24 SGB 4 eingeräumten Ermessens braucht der Sozialversicherungsträger nicht auf den Einzelfall einzugehen, wenn dieser keine Besonderheiten aufweist.

6. Wenn die Voraussetzungen des § 59 Abs 1 Nr 3c KO vorliegen, können Säumniszuschläge grundsätzlich als Masseschulden gegen den Konkursverwalter festgesetzt werden.

7. Die Druckmittelfunktion der Säumniszuschläge kann auch im Konkursverfahren weiterbestehen, da mit der Festsetzung von den Rang von Masseschulden einnehmenden Säumniszuschlägen der Konkursverwalter angehalten werden kann, das Verfahren zügig abzuwickeln und die Massegläubiger umgehend - gegebenenfalls quotenmäßig - zu befriedigen oder zumindest Abschlagszahlungen zu leisten.

8. Im Widerspruchsverfahren kann die fehlende Begründung einer die Festsetzung von Säumniszuschlägen betreffenden Ermessensentscheidung mit diesen Mangel heilender Wirkung nachgeholt werden.

9. Der Versicherungsträger ist bei der Festsetzung von Säumniszuschlägen nach § 24 Abs 2 SGB 4 nicht verpflichtet, die Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen, ob ein geringerer als der gesetzlich vorgeschriebene Säumniszuschlag in Betracht kommt.

 

Normenkette

SGB 4 § 24 Abs 2; KO § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e; SGB 4 § 24 Abs 1

 

Verfahrensgang

SG Hamburg (Urteil vom 15.04.1987; Aktenzeichen 24 U 270/86)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Beklagten, wegen rückständiger Beiträge zur Unfallversicherung Säumniszuschläge für die Zeit nach Eröffnung des Konkursverfahrens festzusetzen.

Der Kläger ist Konkursverwalter der Firma St- GmbH, über deren Vermögen am 29. November 1982 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Mit Bescheiden vom 27. Dezember 1982 setzte die Beklagte zur Sicherstellung der Beiträge gemäß § 32 Abs 3 ihrer Satzung eine Abfindung in Höhe von 3.997,01 DM fest und erhob wegen fälliger Beitrags- und Vorschußforderungen (Rate II + III 82) Säumniszuschläge bis zur Konkurseröffnung in Höhe von 27,60 DM. Der Kläger erkannte diese als Masseschulden geltend gemachten Forderungen an.

Mit Säumniszuschlag-Bescheid vom 3. März 1986 erhob die Beklagte auf Beitrags- und Vorschußforderungen von 1.840,-- DM (Rate II + III 82) für die Zeit vom 15. bis 31. Dezember 1982 und auf die Abfindung von 3.997,01 DM für die Zeit vom 15. Januar 1983 bis 31. Dezember 1985 Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 875,40 DM mit der Begründung, für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die eine Woche nach Fälligkeit noch nicht entrichtet worden seien, sei ein Säumniszuschlag von 0,6 vH je angefangenen Monat zu erheben. Mit Schreiben gleichen Datums bat die Beklagte den Kläger um Mitteilung, ob weiterhin Masseunzulänglichkeit bestehe bzw wann mit einem Zahlungseingang gerechnet werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1986 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, im Sozialversicherungsrecht bezwecke die Erhebung von Säumniszuschlägen gemäß § 24 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) die Herbeiführung eines gerechten Ausgleichs zwischen termingerechten und verfristeten Zahlungen. Aus Gründen der Gleichbehandlung sowie der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit könne im Bereich der auf dem allgemeinen Versicherungsprinzip beruhenden gesetzlichen Unfallversicherung auf die Erhebung von Säumniszuschlägen, die das Ausmaß der infolge der Beitragsausfälle von den übrigen Unternehmern zu tragenden Mehrbelastungen mildern sollten, nur in Ausnahmefällen verzichtet werden, unter den gleichen Gesichtspunkten wie etwa für den Erlaß von Beiträgen gemäß § 76 Abs 2 Nr 3 SGB IV. Die Konkurseröffnung stelle keinen besonderen Grund dar, von der Einforderung von Säumniszuschlägen abzusehen.

Mit Urteil vom 15. April 1987 hat das Sozialgericht (SG) Hamburg den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Festsetzung von Säumniszuschlägen sei nicht schon deshalb unzulässig, weil Zeiten nach Konkurseröffnung betroffen seien; denn § 24 SGB IV habe nicht nur den Zweck, auf säumige Beitragspflichtige Druck auszuüben, sondern diene auch dazu, den Sozialversicherungsträgern einen Mindestschadensausgleich zu verschaffen. Jedoch rechtfertigten die in dem Widerspruchsbescheid angestellten Ermessenserwägungen nicht die Erhebung eines Säumniszuschlages in Höhe von 0,6 vH je angefangenen Monat. Da die Beklagte die Säumniszuschläge offenbar nicht als Druckmittel einsetzen wolle, sondern nur unter dem Gesichtspunkt des Schadensausgleichs festgesetzt habe, könne sie, da sie den ihr durch die Vorenthaltung der Beiträge entstandenen Schaden nicht weiter begründet habe, nur den in der Rechtsordnung allgemein anerkannten Mindestschaden bei nicht rechtzeitiger Erbringung einer Geldleistung fordern. Dieser betrage nach den Zinsregelungen sowohl ihm Zivilrecht als auch im Sozialversicherungsrecht 4 vH jährlich.

Mit der von dem SG im Urteil zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 24 Abs 2 SGB IV, § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e der Konkursordnung (KO), § 39 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - und § 35 Abs 1 Satz 3 des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch - (SGB X). Aufgrund ihrer ausdrücklichen Erwähnung in § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO gehörten Säumniszuschläge neben den rückständigen Beiträgen zu den Masseschulden. Da die Konkursmasse zunächst häufig nicht zur fristgerechten und vollständigen Befriedigung aller Massegläubiger ausreiche und Masseforderungen gemäß § 60 Abs 1 KO miteinander konkurrieren könnten, stelle Masseunzulänglichkeit keinen ausreichenden Grund für einen Verzicht auf die Erhebung von Säumniszuschlägen dar. Da jedoch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem SG weder die Zulänglichkeit der Masse noch die Quote festgestanden habe, sei der angefochtene Bescheid mit der Feststellung zu ändern, daß eine Masseforderung nach § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO in der angegebenen Höhe gegen den Kläger bestehe. Im Gegensatz zur Auffassung des SG sei der Bescheid nicht ermessensfehlerhaft. Sie habe das nach ihrer Ansicht auch bei der Anwendung des § 24 Abs 2 SGB IV eingeräumte doppelte Ermessen hinsichtlich der Entscheidung, ob und in welcher Höhe Säumniszuschläge zu erheben seien, ausgeübt und ihre Ermessenserwägungen zumindest in dem Widerspruchsbescheid dargelegt. Bei der Prüfung, ob überhaupt Säumniszuschläge gegen den Kläger als Konkursverwalter festzusetzen seien, habe sie sich von der durch das Bundessozialgericht (BSG) gebilligten Erwägung leiten lassen, daß Säumniszuschläge außer als Druckmittel vornehmlich dem Mindestschadensausgleich der Sozialversicherungsträger dienten. Auch zur Höhe der Säumniszuschläge habe sie sich mit klaren Erwägungen geäußert und dabei die gesetzlich zugelassenen Grenzen nicht voll ausgeschöpft.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. April 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach seiner Ansicht hat die Beklagte das ihr zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Sie habe nicht zwischen den Interessen der Sozialversicherungsträger und denen der anderen Konkursgläubiger abgewogen. Eine solche Abwägung hätte unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der mit den Säumniszuschlägen verfolgte Zweck, säumige Beitragsschuldner zur pünktlichen Zahlung anzuhalten, im Konkursverfahren nicht erreicht werden könne, dazu führen müssen, von der Erhebung von Säumniszuschlägen nach Eröffnung des Konkursverfahrens abzusehen.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1986 und der Änderung in der Revisionsbegründung ist rechtmäßig. Mit ihm hat die Beklagte auf Beitragsvorschüsse und auf eine zur Sicherstellung der Beiträge gemäß § 32 Abs 3 ihrer Satzung festgesetzte Abfindung für Zeiten nach Eröffnung des Konkursverfahrens Säumniszuschläge in Höhe von 0,6 vH je angefangenen Monat erhoben. Den Anspruch auf die festgesetzten Säumniszuschläge in Höhe von 875,40 DM hat sie als Masseschuld gegen den Kläger geltend gemacht.

Die Beklagte war zur Erhebung der Säumniszuschläge berechtigt. Nach § 24 Abs 2 SGB IV kann der Versicherungsträger, der die Beiträge einzuziehen hat, für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die länger als drei Monate fällig sind, für jeden angefangenen Monat einen Säumniszuschlag in Höhe von 1 vH der rückständigen Beiträge erheben. Die Gemeinschuldnerin war mit der Zahlung von bindend festgestellten und als Masseschulden anerkannten Beitragsvorschüssen und der Abfindung länger als drei Monate rückständig.

Auch bei der Abfindung handelt es sich um Beiträge iS des § 24 Abs 2 SGB IV. § 32 Abs 3 der Satzung der Beklagten sieht vor, daß anstelle der nach Abs 1 zu leistenden Sicherheit bei einem Wechsel der Person des Unternehmers oder bei Einstellung des Unternehmens von dem ausscheidenden Unternehmer zur Sicherstellung seiner Beiträge eine Abfindung festgesetzt werden kann. Die nach der genannten Satzungsbestimmung hierfür erforderliche Zustimmung des Unternehmers, die nach Eröffnung des Konkursverfahrens gemäß § 6 Abs 2 KO nur der Konkursverwalter erteilen kann, hat der Kläger, indem er die Abfindung als Masseschuld anerkannt hat, gegeben. Die nach § 32 Abs 3 der Satzung der Beklagten festgesetzte Abfindung dient der Abgeltung der bis zum Zeitpunkt der Beendigung der Mitgliedschaft des Unternehmers zu entrichtenden Beiträge und schließt eine Beitragserhebung im Umlage- und Erhebungsverfahren nach den §§ 740 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) aus. Da die Abfindung an die Stelle der nach diesen Vorschriften festzusetzenden Beiträge tritt, unterliegt sie ebenso wie diese der Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 SGB IV. Auch die Fälligkeit der Abfindung bestimmt sich nach der die Fälligkeit von Beiträgen zur Unfallversicherung regelnden Vorschrift des § 23 Abs 3 SGB IV, wonach geschuldete Beiträge zur Unfallversicherung am Fünfzehnten des Monats fällig werden, der dem Monat folgt, in dem der Beitragsbescheid dem Zahlungspflichtigen bekannt gegeben worden ist. Die durch Bescheid vom 27. Dezember 1982 festgesetzte Abfindung ist am 15. Januar 1983 fällig geworden, so daß von diesem Zeitpunkt an Säumniszuschläge erhoben werden können.

Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist nicht ausgeschlossen, weil über das Vermögen der Beitragsschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet worden ist. Der Anspruch der Beklagten auf die Säumniszuschläge ist eine Masseschuld iS des § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO. Dem steht nicht entgegen, daß es sich um Säumniszuschläge für Zeiten nach Eröffnung des Konkursverfahrens handelt. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (BSGE 52, 42, 44; 56, 55, 60; SozR 7910 § 59 Nr 13; ZIP 1984, 1513, 1514) zählen zu den in den Rang von Masseschulden erhobenen Beitragsrückständen für die letzten sechs Monate vor Eröffnung des Konkursverfahrens die darauf entfallenden Säumniszuschläge auch, soweit sie nach Konkurseröffnung angefallen sind. § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO bringt mit der Formulierung "wegen der Rückstände für die letzten sechs Monate vor der Eröffnung des Verfahrens" deutlich zum Ausdruck, daß nur die Hauptforderung zeitlich begrenzt wird, während die auf sie entfallenden Nebenforderungen auch zu den Masseschulden iS dieser Vorschrift gehören, soweit sie nach Konkurseröffnung entstanden sind. Die Regelung des § 63 Nr 1 KO, wonach im Konkursverfahren die seit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Zinsen nicht geltend gemacht werden können, betrifft nur Zinsen von Konkursforderungen, nicht jedoch von Masseansprüchen (BSG aaO; vgl auch Jäger/Lent/Weber, Konkursordnung, 8. Aufl, § 63 Anm 2a; Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Aufl, § 63 Anm 2c; Hess/Kropshofer, Kommentar zur Konkursordnung, 2. Aufl, § 63 Rz 9; Kilger, Konkursordnung, 15. Aufl, § 63 Anm 2). Die streitigen Säumniszuschläge sind daher zutreffend als Masseschulden gegen den Kläger als Konkursverwalter geltend gemacht worden.

Masseschulden sind nach § 57 KO aus der Konkursmasse vorweg zu berichtigen. Die Befriedigung der Massegläubiger vollzieht sich unabhängig vom Gang des Konkursverfahrens; insbesondere findet auch § 14 KO keine Anwendung, der für die Dauer des Konkursverfahrens Zwangsmaßnahmen gegen die Konkursmasse ausschließt (BSGE 49, 276). Schon deshalb vermag der Senat nicht der Auffassung zu folgen, die Erhebung von Säumniszuschlägen nach Konkurseröffnung verstoße in jedem Fall gegen den Zweck der gesetzlichen Ermächtigung, weil die Druckmittelfunktion im Konkursverfahren nicht realisiert werden könne (vgl LSG Bremen Breith 1987, 407, 411 ff; SG Stuttgart ZIP 1985, 1154, 1155; Schwerdtfeger/Schimpf in SGB-SozVers-GesKomm, § 24 SGB IV Anm 1f und 10c). Dabei kann dahinstehen, ob Säumniszuschläge allein oder zumindest überwiegend den Zweck haben, Druck auf den Schuldner auszuüben (s auch zum Steuerrecht BFH BStBl II 1976, 262, 264; 1982, 225, 226; 1984, 415, 416), oder ob Säumniszuschläge eine Doppelfunktion haben. Der 10. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 14. Juni 1984 (10 RAr 9/83 - ZIP 1984, 1513, 1514) ausgesprochen, Säumniszuschläge dienten neben dem Zweck, der Säumnis bei der Erfüllung von Beitragspflichten entgegenzuwirken, vornehmlich dazu, den Sozialversicherungsträgern einen gesetzlich standardisierten Mindestschadensausgleich zukommen zu lassen. Zu der mit Wirkung vom 1. Juli 1977 durch Art II § 1 Nr 1 Buchst b SGB IV aufgehobenen Vorschrift des § 397a Abs 2 RVO idF des § 246 Abs 1 Nr 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) -aF-, die bei einem Beitragsverzug von länger als drei Monaten die Erhebung von Zinsen in Höhe von 2 vH über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank vorschrieb und an deren Stelle § 24 Abs 2 SGB IV getreten ist, hat der 12. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1972 (BSGE 35, 78) ausgeführt, sie habe neben dem Zweck, der Säumnis bei der Erfüllung von Beitragspflichten entgegenzuwirken, die Funktion, einen Zinsverlust der Versicherungsträger auszugleichen (aaO S 81). Nach der Rechtsprechung des BSG bezwecken Säumniszuschläge jedenfalls wesentlich auch, auf den säumigen Schuldner Druck auszuüben. An dieser Zielsetzung hat sich dadurch, daß in § 24 Abs 2 SGB IV anstelle der bisherigen Zinsregelung des § 397a Abs 2 RVO aF die Erhebung von Säumniszuschlägen vorgesehen ist, nichts geändert. Aus der Begründung des Entwurfs der Bundesregierung zum SGB IV (BT-Drucks 7/4122 S 34) folgt vielmehr, daß lediglich aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung eine Änderung des Berechnungsmodus für die von säumigen Beitragsschuldnern zu leistenden Ausgleichszahlungen vorgenommen werden sollte. Die bisher übliche Verzinsung ist in die Erhebung von Säumniszuschlägen einbezogen worden, um die wegen des häufig wechselnden Diskontsatzes auftretenden Schwierigkeiten bei der Berechnung der Zinsforderung zu vermeiden. Damit ist aber die jedenfalls weitere Funktion des Säumniszuschlages, Druck auf den säumigen Schuldner auszuüben, nicht auf einen unwesentlichen Nebenzweck zurückgestuft worden.

Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß die ausschließlich oder auch neben dem Mindestschadensausgleich jedenfalls wesentlich vorhandene Druckmittelfunktion der Säumniszuschläge im Konkursverfahren zum Tragen kommt. Dabei ist schon für die Konkurseröffnung zu beachten, daß als Konkursgrund, wenn es sich, wie in dem vorliegenden Fall, um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung handelt, neben der Zahlungsunfähigkeit die Überschuldung in Betracht kommt (§ 63 Abs 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Das gilt im übrigen auch für Aktiengesellschaften (§ 207 Abs 1 KO), Kommanditgesellschaften auf Aktien (§ 209 Abs 1 Satz 2 KO) sowie für andere juristische Personen und nichtrechtsfähige Vereine (§ 213 KO). Aber selbst die Eröffnung des Konkursverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 102 KO) schließt nicht aus, daß Mittel zur Deckung der vorweg aus der Konkursmasse zu berichtigenden Massekosten und Masseschulden (vgl § 57 KO) bei Konkurseröffnung vorhanden sind oder der Konkursmasse nachträglich zufließen. Der Konkursverwalter hat zudem, wie bereits aufgezeigt, gemäß § 57 KO für die Berichtigung der Massekosten und Masseschulden vor der Befriedigung der Konkursgläubiger zu sorgen und, wenn sich herausstellt, daß die Masse zur vollständigen Befriedigung der Massegläubiger nicht ausreicht, deren Ansprüche nach der in § 60 KO vorgeschriebenen Rangfolge zu tilgen (BGH SGb 1987, 435, 437 f). Mit der Erhebung von Säumniszuschlägen kann der Konkursverwalter, der im übrigen bei schuldhafter Verletzung dieser Pflichten nach § 82 KO persönlich haftet (BGH aaO S 438), angehalten werden, das Verfahren zügig abzuwickeln und die Massegläubiger umgehend, ggf entsprechend der nach § 60 KO festgelegten Rangfolge und Quote, zu befriedigen oder wenigstens, wenn eine Mindestquote sicher ist, Abschlagszahlungen in Höhe der Mindestquote zu leisten.

Da im Konkursverfahren die Druckmittelfunktion der Säumniszuschläge durchaus realisierbar ist und - was der Senat dahinstehen lassen kann - auch ein ihnen zugrunde liegender weiterer Zweck, die dem Sozialversicherungsträger durch verspätete Beitragszahlungen entstandenen Nachteile auszugleichen, durch die Konkurseröffnung nicht in Frage gestellt ist, ist ihre Erhebung im Konkursverfahren nicht von vornherein wegen Verstoßes gegen den Zweck der gesetzlichen Ermächtigung ausgeschlossen (BSGE 56, 55, 60; so schon BSGE 52, 42, 44 zu Verzugszinsen für die Zeit vor Inkrafttreten des § 24 Abs 2 SGB IV).

Auch während des Konkursverfahrens steht es im Ermessen des Versicherungsträgers, ob er Säumniszuschläge erhebt (BSGE 56, 55, 60). Pflichtgemäße Ermessensausübung erfordert, daß die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat. Der Nichtgebrauch eingeräumten Ermessens stellt einen Ermessensfehler dar und begründet die Rechtswidrigkeit der getroffenen Entscheidung (s ua BSG SozR 1200 § 66 Nr 10; SozR 4100 § 186a Nr 18; BSGE 56, 55, 61; 59, 157, 170). Ob eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, ist dem Inhalt des Bescheides, insbesondere seiner Begründung zu entnehmen. Aus ihr muß sich nicht nur ergeben, daß die Beklagte eine Ermessensentscheidung treffen wollte und getroffen hat, sie muß auch gemäß § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X diejenigen Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen sie bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (vgl auch BSGE 59, 157, 170; BSG SozR § 35 Nr 3; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 231x).

Zwar enthält der Bescheid der Beklagten vom 3. März 1986, in welchem lediglich ausgeführt ist, daß nach § 24 SGB IV und § 29 ihrer Satzung ein Säumniszuschlag zu erheben ist, keine Darlegung von Ermessenserwägungen. Die Beklagte hat jedoch die in diesem Bescheid fehlende Begründung ihrer Ermessensentscheidung mit diesen Mangel heilender Wirkung in dem Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1986 nachgeholt. Nach § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X kann die erforderliche Begründung noch nachträglich gegeben werden, und zwar gemäß Abs 2 bis zum Abschluß des Vorverfahrens bzw bis zur Erhebung der Klage (vgl auch BSG SozR 1300 § 35 Nr 4).

Die in dem Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1986 angestellten Erwägungen erfüllen die Anforderungen, die gemäß § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X an die Begründung von Ermessensentscheidungen zu stellen sind. Nach § 54 Abs 2 Satz 2 SGG ist eine Ermessensentscheidung rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Die gerichtliche Nachprüfung von Ermessensentscheidungen beschränkt sich auf das Vorliegen von Ermessensfehlern (BSG SozR 4100 § 186a Nr 18). Das Gericht darf nicht eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Es hat lediglich zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden und ob gegen den Zweck der Ermächtigungsnorm verstoßen wurde.

Die von der Beklagten getroffene Entscheidung, Säumniszuschläge zu erheben, läßt keine Ermessensfehler erkennen. In dem Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1986 hat sie ihre Auffassung begründet, die Eröffnung des Konkursverfahrens und die damit regelmäßig einhergehende Zahlungsunfähigkeit stellten keinen besonderen Grund für einen Verzicht auf Säumniszuschläge dar; von ihrer Erhebung könne nur in Ausnahmefällen, etwa unter den Voraussetzungen des § 76 Abs 2 Nr 3 SGB IV abgesehen werden. Dazu hat sie zum einen auf die Schadensausgleichsfunktion der Säumniszuschläge hingewiesen und zum anderen die Besonderheiten des Systems der gesetzlichen Unfallversicherung aufgezeigt, in dem Beitragsausfälle unmittelbare Mehrbelastungen der übrigen Unternehmer bewirkten. Diese Erwägungen entsprechen dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung. In dem Urteil vom 5. Februar 1980 (BSGE 49, 276, 281) hat der erkennende Senat zur Begründung der Schutzwürdigkeit rückständiger Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung im Konkursverfahren ausgeführt, daß ein infolge des Konkurses erloschenes Unternehmen nicht mehr mit Beiträgen zu den Aufgaben der zuständigen Berufsgenossenschaft beitrage, daß jedoch die Unfallast dieses Unternehmens der Berufsgenossenschaft verbleibe, die fortan von den in derselben Berufsgenossenschaft zusammengeschlossenen Unternehmen, erforderlichenfalls auch von anderen Berufsgenossenschaften getragen werden müsse.

Es kann in dem vorliegenden Fall nicht als Ermessensfehler angesehen werden, daß die Beklagte keine Ausführungen zum konkreten Einzelfall gemacht hat (s BSG ZIP 1984, 1513, 1515). Die Erhebung von Säumniszuschlägen für die Zeit nach Konkurseröffnung stand im Verwaltungsverfahren aus grundsätzlichen Erwägungen im Streit. Besonderheiten oder Umstände des Einzelfalles, mit denen es im Rahmen der Ermessensausübung einer Auseinandersetzung und Abwägung bedurft hätte, wurden vom Kläger nicht vorgetragen und waren auch nicht erkennbar. Obwohl er von der Beklagten in dem Schreiben vom 3. März 1986 um Mitteilung gebeten wurde, ob noch Masseunzulänglichkeit bestehe bzw wann mit einem Zahlungseingang gerechnet werden könne, führte der Kläger in seinem Widerspruchsschreiben lediglich aus, eine Abwägung der Interessen des Sozialversicherungsträgers mit denen der Konkursgläubiger schließe die Erhebung von Säumniszuschlägen aus. Er hat auch im Verfahren vor dem SG weder besonders schutzwürdige Interessen der beteiligten Masse- oder Konkursgläubiger noch die Gründe dafür dargelegt, daß länger als drei Jahre nach Konkurseröffnung noch keine Berichtigung der Beitragsansprüche der Beklagten erfolgt bzw daß noch keine Rangfolge und Quote gemäß § 60 Abs 1 KO festgelegt worden ist.

Nicht zu folgen ist der Auffassung des SG, das den angefochtenen Bescheid deshalb für ermessensfehlerhaft hält, weil die Beklagte einen Säumniszuschlag von 0,6 vH je angefangenen Monat festgesetzt habe. Diese Höhe des Säumniszuschlages hält das SG nur für gerechtfertigt, wenn ein über den in der Rechtsordnung allgemein anerkannten Mindestschaden bei nicht rechtzeitiger Erbringung einer Geldleistung, der nach den allgemeinen Zinsregelungen des Zivilrechts und des Sozialversicherungsrechts 4 vH jährlich betrage, hinausgehender Schaden begründet wurde. Den Sozialversicherungsträgern ist nur bei der Entscheidung über die Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 Abs 1 SGB IV, nicht jedoch in den Fällen des Abs 2 der Norm, ein sogenanntes doppeltes, dh auf den Grund und auf die Höhe bezogenes, Ermessen eingeräumt (Schwerdtfeger/Schimpf aaO, § 24 Anm 21; Hauck/Haines/Gleitze, SGB IV/1, § 24 Rz 7, 12; v. Maydell in GK-SGB IV, § 24 Rz 27; vgl auch BSG SozR 4100 § 186a Nr 18). Die Auslegung, daß den Versicherungsträgern nach § 24 Abs 2 SGB IV hinsichtlich der Höhe der festzusetzenden Säumniszuschläge kein Ermessensspielraum zusteht, entspricht dem Willen des Gesetzgebers; denn in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum SGB IV (BT-Drucks 7/4122 S 34) heißt es wörtlich: "Um den Bedürfnissen des Einzelfalls besser gerecht werden zu können, wird es dem pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers überlassen, ob er einen Säumniszuschlag erheben will und im Falle des Abs 1 auch, ob er die vorgesehene Höchstgrenze für den Zuschlag ausschöpfen soll." In den unterschiedlichen Formulierungen des § 24 SGB IV "bis zur Höhe von 2 vH" (Abs 1) und "in Höhe von 1 vH" (Abs 2) hat der Wille des Gesetzgebers seinen deutlichen Ausdruck gefunden. Es kann dahinstehen, ob der Versicherungsträger in den Fällen des § 24 Abs 2 SGB IV einen geringeren als den gesetzlich vorgesehenen Säumniszuschlag festsetzen und damit auf einen Teil des Säumniszuschlages verzichten darf (bejahend Brackmann aaO S 196a, b). Eine Verpflichtung, hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen schon bei der Festsetzung der Säumniszuschläge zu entscheiden, besteht jedenfalls nicht. Da der Kläger durch die Festsetzung eines geringeren Vomhundertsatzes nicht beschwert ist, kommt eine Aufhebung des Säumniszuschlag-Bescheides aus diesem Grunde gemäß § 54 Abs 1 Satz 2 SGG nicht in Betracht.

Obwohl nicht festgestellt worden ist, ob die Masse zulänglich ist bzw ob und ggf mit welcher Quote der Anspruch der Beklagten auf die Säumniszuschläge zu berichtigen ist, bedarf es keiner gerichtlichen Änderung des angefochtenen Bescheides. Zwar hat das BSG wiederholt entschieden (BSGE 52, 42, 46; USK 81136; SozR 7910 § 59 Nr 12), ein Bescheid, der eine Masseforderung feststelle, dürfe nicht bestätigt werden, wenn die Masse nicht zur Befriedigung aller Masseforderungen ausreiche, da in diesem Fall die Forderungen entsprechend der Rangfolge und den Quoten des § 60 KO eingeschränkt würden und die Massegläubiger nur einen Anspruch entsprechend dem Rang ihrer Forderung, ggf entsprechend der Quote nach § 60 KO hätten. Deshalb sei, wenn sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht feststellen lasse, wie hoch der nach der Rangfolge und der Quote des § 60 KO zu befriedigende Anteil der geltend gemachten Forderung sei, mit Zwischenurteil festzustellen, ob und ggf in welcher Höhe der Versicherungsträger ohne Rücksicht auf den Rang und die Quote des § 60 KO eine Masseforderung iS des § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO habe. Nach der Rechtsprechung des BSG (USK 81136; SozR 7910 § 59 Nr 12; USK 8253) ist ein solches Urteil jedoch entbehrlich, wenn erklärt worden ist, daß der Anspruch nur mit dem sich aus § 60 KO ergebenden Rang und Anteil geltend gemacht werde und der Bescheid somit unter dem Vorbehalt zulänglicher Masse stehe. Zwar enthalten weder der Bescheid der Beklagten vom 3. März 1986 noch der Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1986 einen solchen Vorbehalt. Jedoch ist dem Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 3. März 1986, in welchem sie ihn um Mitteilung bat, ob die Masse noch unzulänglich sei bzw wann mit einem Zahlungseingang gerechnet werden könne, zu entnehmen, daß sie ihren Anspruch auf die Säumniszuschläge nur für den Fall der Massezulänglichkeit bzw nur mit dem sich aus § 60 KO ergebenden Anteil geltend machen wollte. Da dies auch in der Revisionsbegründung ausdrücklich klargestellt worden ist, bestehen keine Bedenken, den so ergänzten angefochtenen Bescheid zu bestätigen.

Da die Beklagte die der Höhe nach unbestrittenen Säumniszuschläge zu Recht erhoben und als Masseschuld gegen den Kläger geltend gemacht hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 67

ZIP 1988, 659

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