Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegzug des Kassenarztes aus dem Bezirk des Kassenarztsitzes
Leitsatz (amtlich)
Der Wegzug eines Kassenarztes aus dem Bereich des ihm zugewiesenen Kassenarztsitzes (vgl RVO § 368a Abs 7) ist nicht mit der Aufgabe des Wohnsitzes iS des BGB § 7 gleichzusetzen. Vielmehr stellt jede tatsächliche, nicht nur vorübergehende Aufgabe der ärztlichen Niederlassung am Kassenarztsitz "Wegzug" iS der genannten Vorschrift dar.
Leitsatz (redaktionell)
Die Zulassung zur Kassenpraxis endet mit dem Wegzug des Kassenarztes aus dem Bezirk des Kassenarztsitzes, wobei unter Wegzug jede tatsächliche, nicht nur vorübergehende Aufgabe der ärztlichen Niederlassung am Kassenarztsitz zu verstehen ist, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob damit auch der Wohnsitz aufgegeben wird; unerheblich ist ferner, ob der Kassenarzt die Absicht hat, sich später am früheren Sitz erneut niederzulassen.
Normenkette
RVO § 368a Abs. 7 Fassung: 1955-08-17; BGB § 7 Fassung: 1896-08-18
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. November 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Zulassung des Klägers als Facharzt für Chirurgie für K am 4. Oktober 1967 wegen Wegzugs des Klägers nach § 368 a Abs. 7 der Reichsversicherungsordnung (RVO) geendet hat.
Der Zulassungsausschuß für Ärzte in Schleswig-Holstein ließ den am 28. Februar 1899 geborenen, seit dem Jahre 1931 als Arzt bestallten Kläger am 5. Mai 1965 als praktischen Arzt zur Kassenpraxis für K zu. Mit einem weiteren Beschluß vom 4. August 1965 wandelte er auf Antrag des Klägers die Zulassung in eine solche als Facharzt für Chirurgie um. Nachdem sich aus den Abrechnungsunterlagen ergeben hatte, daß der Kläger seine kassenärztliche Tätigkeit in K bereits im III. Quartal 1966 eingestellt hatte, wies der Vorsitzende des Zulassungsausschusses ihn auf das hieraus folgende Ende seiner Zulassung in Kiel hin. Der Kläger erwiderte, daß er zwar seit dem 1. April 1967 in Bad D mit Genehmigung der zuständigen Ärztekammer eine beschränkte Privatpraxis ausübe, als ersten Wohnsitz aber K beibehalten habe. Er habe einen wesentlichen Anteil an der Privatklinik "Parksanatorium" in K erworben, um dort die von ihm entwickelte Hüftkopf-Endoprothese und die Methode ihrer Verwendung vollenden zu können. Sobald er seine Vorbereitungen abgeschlossen habe, werde er auch mit der chirurgischen Arbeit in K wieder beginnen können. Mit Beschluß vom 4. Oktober 1967 stellte der Zulassungsausschuß dann gemäß § 28 Abs. 1 der Zulassungsordnung für Kassenärzte - ZOÄ - (BGBl I 1957, 572) fest, daß die Zulassung des Klägers als Facharzt für Chirurgie für K am 4. Oktober 1967 geendet habe. Der Zulassungsausschuß begründete seine Entscheidung damit, daß unter dem Begriff des die Zulassung beendenden Wegzuges des Berechtigten aus dem Bezirk des ihm zugewiesenen Kassenarztsitzes (§ 368 a Abs. 7 RVO) auch die hier gegebene Verlegung der hauptberuflichen Tätigkeit an einen anderen Ort außerhalb des bisherigen Praxisbereiches zu verstehen sei, da es dem Kassenarzt dann unmöglich sei, seiner Residenzpflicht nach § 14 Abs. 2 ZOÄ zu genügen. Der Widerspruch wurde vom beklagten Berufungsausschuß am 17. Januar 1968 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgerichts (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe ein Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Anfechtungsklage, auch wenn er bei einer Rückkehr nach K ohne weiteres wieder einen neuen Zulassungsantrag stellen könnte und keine Gründe ersichtlich seien, daß diesem Antrag nicht entsprochen werden würde. Der Kläger sei aufgrund seiner Zulassung zur Kassenpraxis nur bis Anfang Oktober 1966 in K tätig gewesen. Seitdem habe er dort nicht mehr gearbeitet und sei auch nicht zurückgekehrt, um die Kassenpraxis wieder aufzunehmen. Er sei vielmehr seit Oktober 1966 im wesentlichen als Arztvertreter außerhalb Kiels beschäftigt. Der Tatbestand des § 368 a Abs. 7 RVO sei deshalb verwirklicht; die Zulassung ende mit dem Wegzug des Berechtigten. Der die kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge aussprechende Beschluß des Zulassungsausschusses sei insoweit ein feststellender Verwaltungsakt. Bei Anwendung dieser Vorschrift sei nicht der Begriff des Wohnsitzes nach § 7 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) maßgebend. Denn aus der dem Kassenarzt auferlegten Verpflichtung, sich stets zur ärztlichen Versorgung an einem bestimmten Ort bereit zu halten, folge bereits, daß ein Wegzug in dem Fall vorliege, in dem der Kassenarzt nicht nur kurzfristig den Ort seiner ärztlichen Tätigkeit und damit regelmäßig seinen wirtschaftlichen Mittelpunkt vom Kassenarztsitz fort verlege. Deshalb erfülle die im Jahre 1967 für mehr als sechs Monate in Bad D ausgeübte Badearzttätigkeit die Voraussetzungen eines Wegzuges aus dem Kassenarztsitz Kiel. Auf die Motive des Klägers für seinen Wegzug kommt es nicht an. Die Regelung des § 368 a Abs. 7 RVO stelle auch keinen unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre oder in andere durch das Grundgesetz geschützten Rechte des Klägers dar. Es seien vielmehr umgekehrt rechtsschutzwürdige Interessen der Versicherten verletzt, wenn der Kassenarzt auf nicht absehbare Zeit die ihm zugewiesene kassenärztliche Tätigkeit ohne Folgen einstellen könnte. Denn die Versorgung der Versicherten dürfe grundsätzlich nicht geschmälert werden. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Er trägt vor: Der Kassenarzt sei zwar verpflichtet, am Kassensitz seine Sprechstunde zu halten und seine Wohnung so zu wählen, daß er für die ärztliche Versorgung der Versicherten an seinem Kassenarztsitz zur Verfügung stehe (§ 14 Abs. 2 ZOÄ). Bei Nichterfüllung dieser Pflicht könne dem Kassenarzt nur wegen Pflichtverletzung nach § 368 a Abs. 6 RVO, § 27 ZOÄ die Zulassung entzogen werden. Eine Pflichtverletzung habe nicht schon automatisch das Ende der Zulassung zur Folge. Außerdem könne von einem Wegzug im Sinne des § 368 a Abs. 7 RVO nur dann gesprochen werden, wenn der Kassenarzt seine Niederlassung aufgebe mit dem Willen, sie auch als Niederlassung aufzugeben. Das entspreche der Regelung, die das BGB in § 7 Abs. 3 für den Wohnsitz und dessen Verlegung gegeben habe. Es sei aber nicht festgestellt, daß der Kläger weggezogen sei mit dem Willen, die Niederlassung aufzugeben.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 28. November 1969 und des SG Kiel vom 29. Oktober 1968 sowie die Beschlüsse des Zulassungsausschusses vom 4. Oktober 1967 und des Berufungsausschusses vom 17. Januar 1968 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 368 a Abs. 7 RVO endet die Zulassung des Kassenarztes mit dem Tode, nach Verzicht oder mit dem Wegzug des Berechtigten aus dem Bezirk des ihm zugewiesenen Kassenarztsitzes. Wenn die Zulassung nach dieser Vorschrift endet, so ist der Zeitpunkt ihres Endes durch Beschluß des Zulassungsausschusses festzustellen (§ 28 Abs. 1 ZOÄ). Das LSG hat mit Recht den Bescheid des Zulassungsausschusses in der Fassung des Widerspruchsbescheides des beklagten Berufungsausschusses bestätigt, mit dem diese Verwaltungsinstanzen das Vorliegen der Voraussetzungen für das Ende der Zulassung des Klägers festgestellt haben. Bei der Frage, ob "ein Wegzug" aus dem Bezirk des zugewiesenen Kassenarztsitzes vorliegt, kommt es nicht auf den Wohnsitzbegriff des BGB an. Der "Wohnsitz" als Ort der ständigen Niederlassung eines Bürgers (§ 7 Abs. 1 BGB) wird von der Wegzugsregelung des § 368 Abs. 7 RVO nicht berührt. Diese Vorschrift handelt nicht vom Wohnsitz, sondern vom Bezirk des dem Kassenarzt zugewiesenen Kassenarztsitzes, der sich mit dem Wohnsitz ganz oder teilweise decken kann, aber nicht zu decken braucht (vgl. die Definition des "Kassenarztsitzes" - § 368 a Abs. 2 RVO - als eines ein oder mehrere Orte oder Ortsteile umfassenden Bereiches). Daß die letztgenannte Vorschrift, wonach die Zulassung immer für einen Kassenarztsitz erfolgt, auch nach Nichtigerklärung des § 368 a Abs. 1 Satz 1 RVO durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 1960 und 8. Februar 1961 weiterhin anzuwenden ist, hat der Senat in seinem Urteil vom 30. Oktober 1963 (BSG 20, 86) näher dargelegt. Zwar hat der Kassenarztsitz seine Bedeutung als Planungsinstrument der kassenärztlichen Versorgung weitgehend verloren. Weitere wichtige Funktionen - insbesondere die an den Kassenarztsitz gebundene Sprechstunden - und Residenzpflicht (§ 14 Abs. 2 ZOÄ) sowie die mitgliedschaftliche Zuordnung zu einer regional bestimmten Kassenärztlichen Vereinigung - sind jedoch erhalten geblieben. Es ist daher gerechtfertigt, auch die mit dem Wegzug aus dem Bezirk des zugewiesenen Kassenarztsitzes verbundene Rechtsfolge des Endens der Zulassung weiterhin uneingeschränkt als wirksam anzusehen (vgl. BSG 20, 89). Wenn aber mit § 368 Abs. 7 RVO, was den "Wegzug" betrifft, vor allem die kassenärztliche Versorgung im Bereich des Kassenarztsitzes gesichert werden soll, so bedeutet nach dem Zweck der Vorschrift jede tatsächliche, nicht nur vorübergehende Aufgabe der ärztlichen Niederlassung am Kassenarztsitz einen Wegzug im Sinne dieser Vorschrift, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob damit auch der Wohnsitz aufgegeben wird oder die Absicht der erneuten Niederlassung am früheren Kassenarztsitz besteht (ebenso Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 368 a RVO, Anm. X c dd; Heinemann-Liebold, Kassenarztrecht, § 368 a RVO, Anm. 12, Jantz-Prange, Das gesamte Kassenarztrecht, § 368 a RVO, Anm. IV 4 c; Hess-Venter, Das Gesetz über das Kassenarztrecht, § 368 a RVO, Anm. VI 2 b).
Das Ende der Zulassung tritt in einem solchen Falle kraft Gesetzes ein; es bedarf keiner Entziehung der Zulassung nach § 368 a Abs. 6 RVO, wie die Revision meint. Nach dieser Vorschrift kann die Zulassung entzogen werden, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, wenn der Kassenarzt die kassenärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder wenn der Kassenarzt seine kassenärztlichen Verpflichtungen gröblich verletzt. Wie der systematische Zusammenhang der Regelungen in Absatz 6 und Absatz 7 des § 368 a RVO zeigt, behandeln die genannten Vorschriften verschiedene Sachverhalte, die einander ausschließen. Der "Wegzug" im Sinne der Aufgabe der ärztlichen Niederlassung geht über den einfachen Sachverhalt, daß ein Kassenarzt die kassenärztliche Tätigkeit "nicht mehr ausübt", wesentlich hinaus.
Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger seit einer Reihe von Jahren, also nicht nur vorübergehend, seine ärztliche Niederlassung am Kassenarztsitz aufgegeben. Damit steht fest, daß die Zulassungsinstanzen zu Recht das Ende der Zulassung des Klägers festgestellt haben.
Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen