Leitsatz (amtlich)
Bei einem bindend anerkannten besonderen beruflichen Betroffensein kann die Vollendung eines bestimmten Lebensalters (Altersgrenze) für sich allein nicht als wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des BVG § 62 Abs 1 angesehen werden. Das gilt für alle Fälle des BVG § 30 Abs 2, unabhängig davon, nach welchen besonderen Merkmalen (zB Buchst a, b oder c) die Anerkennung der besonderen Berufsbetroffenheit erfolgt war (Fortführung von BSG 1973-05-24 10 RV 294/72 = BSGE 36, 21).
Normenkette
BVG § 30 Abs. 2 S. 2 Buchst. a Fassung: 1966-12-28, Buchst. b Fassung: 1966-12-28, Buchst. c Fassung: 1966-12-28, § 62 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1966-12-28
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. März 1976 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der am 21. Oktober 1906 geborene Kläger erkrankte als Soldat im Jahre 1941 nach einer Pockenschutzimpfung an einer Encephalitis. Laut Umanerkennungsbescheid vom 17. Juli 1951 wurden "Krampfanfälle, Kopfschmerzen und Gedächtnisschwäche nach Gehirnentzündung" als Schädigungsfolgen anerkannt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde auf 60% festgesetzt; sie wurde im Jahre 1953 auf 50 v.H. ermäßigt und ab Dezember 1963 (Bescheid vom 9. September 1964) wegen hirnorganischer Veränderungen auf 70 v.H. erhöht. Durch zwei Zugunstenbescheide vom 24. April 1967 und vom 13. März 1968 wurde ein besonderes berufliches Betroffensein des Klägers anerkannt, weil er seine derzeitige berufliche Tätigkeit als Verwaltungsangestellter "nur unter Aufbietung aller Kräfte" ausüben könne. Die MdE wurde rückwirkend vom 1. Oktober 1962 an um 10 v.H. erhöht; sie betrug ab Dezember 1963 80 v.H.
Der Kläger hat einige Klassen das Gymnasium besucht und anschließend eine landwirtschaftliche Lehre absolviert. Seit 1932 war er zunächst bei der Ostpreußischen Landgesellschaft und anschließend hauptamtlich als SA-Führer tätig. Im Januar 1953 wurde er von dem Kreis N zum Kreisbeauftragten für das Vertriebenenwesen berufen. Seine Vergütung erfolgte zunächst nach TOA-Gruppe VII, dann VI b und ab 1. Oktober 1960 nach Gruppe V b. Daneben hat der Kläger seit 1946 Ruhegeld aus der Angestelltenversicherung bezogen.
Mit Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze (Vollendung des 65. Lebensjahres) schied der Kläger am 31. Oktober 1971 aus seiner Berufstätigkeit aus. Durch Bescheid der Versorgungsverwaltung vom 5. Oktober 1971 wurde die MdE wegen einer Änderung im Sinne des § 62 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) - Ausscheiden aus dem Erwerbsleben - mit Wirkung vom 1. November 1971 auf 70 v.H. herabgesetzt. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1973).
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 20. März 1975 den Beklagten für verpflichtet erklärt, dem Kläger über Oktober 1971 hinaus eine Rente nach einer MdE von 80 % zu gewähren. Das SG hat die Berufung zugelassen. das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 25. März 1976 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen: Da der Kläger aufgrund der rechtsverbindlichen Bescheide des Versorgungsamtes Heide vom 24. April 1967 und 13. März 1968 eine Beschädigtenrente nach einer MdE um 80 v.H. erhalte, sei die Herabsetzung der Versorgungsbezüge - abgesehen von den hier nicht in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 41 und 42 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VwVfG-KOV) - rechtlich nur möglich, wenn die Voraussetzungen des § 62 Abs 1 BVG vorlägen. Das sei hier nicht der Fall. Die Versorgungsverwaltung habe bei den Zugunstenregelungen von 1967 und 1968 angenommen, daß der Kläger in seinem Beruf als Verwaltungsangestellter deshalb gemäß § 30 Abs 2 BVG beruflich besonders betroffen sei, weil er diesen Beruf nur unter Aufbietung besonderer Willenskraft und außergewöhnlicher Anstrengungen ausüben könne. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei diese besondere berufliche Betroffenheit nicht dadurch entfallen, daß der Kläger mit Erreichen der Altersgrenze zum 31. Oktober 1971 aus dem Berufsleben ausgeschieden sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 20. April 1976 zugestellt, der dagegen am 27. April Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 21. Juli 1976 mit Schriftsatz vom 19. Juli, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 20. Juli, begründet hat.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des 2. Senats des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25.3.1976 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, die vom LSG vertretene Auffassung verletze § 62 Abs 1 BVG und stehe im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des BSG. Dieses habe in den Urteilen vom 28. Juli 1972 und 24. Mai 1973 zum Ausdruck gebracht, daß bei einer anerkannten besonderen Berufsbetroffenheit nach § 30 Abs 2 Satz 2 Buchst b BVG die Aufgabe des Berufs den Anlaß für eine andere Bewertung der MdE bilden könne. Das LSG habe offenbar verkannt, daß das BSG durch diese späteren Urteile die Entscheidung des 11. Senats vom 25. April 1961 eingeschränkt habe. § 30 Abs 2 BVG enthalte als Teilfaktor des Rentenanspruchs Tatbestandsmerkmale, die einer eigenständigen Bewertung unterlägen. Das LSG habe daher in eine weitere Sachaufklärung und rechtliche Würdigung eintreten müssen, um das Vorliegen der Berufsbetroffenheit auch nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsleben zu prüfen. Dabei hätte sich ergeben, daß eine wesentliche Änderung im Sinne des § 62 BVG insoweit eingetreten sei, als der Kläger beruflich nicht mehr betroffen sei. Nach seinem Ausscheiden aus dem Angestelltenberuf sei zwangsläufig die außergewöhnliche Anspannung seiner Kräfte für Berufsaufgaben entfallen. Eine geringere Altersversorgung sei im Rahmen des § 30 Abs 2 BVG nur zu berücksichtigen, wenn sie aus einem schädigungsbedingten Minderverdienst abzuleiten sei; das sei bei dem Kläger nicht der Fall. Der satzungsbedingte Ausschluß von der Zusatzrente der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) begründe keine berufliche Betroffenheit.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen und dem Beklagten auch die im Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Der Kläger bezieht sich auf das Urteil des LSG und führt weiter aus, da die auf § 30 Abs 2 Buchst b BVG beruhende Erhöhung der MdE nicht von vornherein zeitlich befristet gewesen und eine wesentliche Besserung in den gesundheitlichen und beruflichen Verhältnissen des Klägers nicht eingetreten sei, sei die Anwendung des § 62 BVG mit der Folge einer Herabsetzung der MdE nicht möglich.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die vom LSG gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassene Revision ist von dem Beklagten frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig (§ 169 SGG). Die Revision ist jedoch unbegründet; die vom Beklagten zum 1. November 1971 vorgenommene Rentenherabsetzung ist nicht rechtens.
Maßgebend für das Versorgungsrechtsverhältnis zwischen den Beteiligten in dem hier interessierenden Streitpunkt sind die Zugunstenbescheide (§ 40 Abs 1 VwVfG-KOV) vom 24. April 1967 und 13. März 1968. Durch diese Bescheide ist ein besonderes berufliches Betroffensein des Klägers in seinem Beruf als Verwaltungsangestellter anerkannt und die schädigungsbedingte MdE deswegen rückwirkend vom Oktober 1962 an um 10 v.H. erhöht worden. Den Aktenunterlagen und den versorgungsärztlichen Gutachten und Stellungnahmen ist - wie das LSG festgestellt hat - zu entnehmen, daß die Höherbewertung der MdE gemäß § 30 Abs 2 Satz 2 Buchst b BVG erfolgt ist, weil der Kläger seinen Beruf "nur unter Aufbietung besonderer Willenskraft und unter außergewöhnlichen Anstrengungen" ausüben konnte. Eine wirtschaftliche Einbuße im Erwerbseinkommen ist vom Beklagten ausdrücklich verneint worden (vgl Bescheid vom 25. April 1967). Die genannten Zugunstenbescheide sind bindend geworden (§ 24 VwVfG-KOV, § 77 SGG). Eine Änderung (Herabsetzung) der darin getroffenen Regelung käme daher nur unter Anwendung der §§ 41, 42 VwVfG-KOV oder des § 62 BVG in Betracht. Die Voraussetzungen der §§ 41, 42 VwVfG-KOV sind nicht gegeben; der Beklagte hat insoweit nichts vorgetragen. Das LSG hat zutreffend auch eine Anwendung des § 62 Abs 1 BVG verneint.
Nach dieser Vorschrift ist der (Versorgungs-)Anspruch neu festzustellen, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Anspruchs auf Versorgung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt. Entgegen der Auffassung des Beklagten läßt sich aus § 62 Abs 1 BVG nicht begründen, daß bei einem bindend festgestellten besonderen beruflichen Betroffensein die Vollendung eines bestimmten Lebensalters allein schon als wesentliche Änderung im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann. Die Rechtslage ist allerdings anders zu beurteilen, wenn der Antrag auf Rentenerhöhung wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins erst nach Eintritt in den Ruhestand gestellt wird (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 24.3.1977 - 10 RV 41/76 -), weil es sich in den letztgenannten Fällen nicht um die Anwendung des § 62 Abs 1 BVG, sondern um eine Erstanerkennung handelt. Insoweit können die nachstehend zu § 62 Abs 1 BVG entwickelten Grundsätze nicht angewendet werden.
Der 11. Senat des BSG hat bereits in seiner Entscheidung vom 25. April 1961 (BSGE 14, 172) ausgesprochen, daß - nach bindender Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins - eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen jedenfalls nicht darin erblickt werden darf, daß der Beschädigte in einem späteren Zeitpunkt seinen Beruf wegen fortschreitenden Alters oder nicht wehrdienstbedingter Gesundheitsstörungen ohnehin nicht mehr ausüben kann. Die Ansicht des Beklagten, diese Entscheidung sei durch die spätere Rechtsprechung des BSG überholt, trifft nicht zu. Sowohl der 9. Senat (vgl Urteil vom 16. Juli 1968, KOV 1969 S. 124) als auch der 8. Senat (vgl Urteil vom 28. Juli 1972, SozR BVG § 30 Nr 60) haben sich der Auffassung des 11. Senats angeschlossen. Dabei hat der 9. Senat ausgesprochen, als eine wesentliche Änderung im Sinne des § 62 Abs 1 BVG komme nur eine Besserung in den gesundheitlichen und beruflichen Verhältnissen des Beschädigten, nicht jedoch die Vollendung eines bestimmten Lebensalters - dort: 68. Lebensjahr - in Betracht. Der 8. Senat hat für den Fall eines Berufswechsels entschieden, daß das besondere berufliche Betroffensein nicht durch die Aufgabe eines dem Beschädigten ohnehin nicht zumutbaren Berufes entfalle. In Übereinstimmung damit hat der erkennende Senat am 24. Mai 1973 entschieden (vgl BSGE 36, 21), daß das Erreichen einer gesetzlich vorgesehenen Altersgrenze für sich allein grundsätzlich keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 62 Abs 1 BVG darstellt, welche für die Höherbewertung der MdE nach § 30 Abs 2 Buchst b BVG maßgebend waren. Eine besondere Berufsbetroffenheit entfalle nicht stets und sogleich deshalb, weil mit der Aufgabe der Berufstätigkeit auch jener besondere Kraft- und Energieaufwand von dem Beschädigten nicht mehr verlangt werde. Sollte aus den vom Senat in dieser Entscheidung gebrauchten weiteren Formulierungen - daß die aus der jahre- und jahrzehntelangen Überlastung resultierenden Verschleißfolgen nicht schlagartig mit der Aufgabe des Berufes verlorengingen, sondern blieben oder jedenfalls auch über das Tätigkeitsende hinaus fortwirkten, und daß sie deshalb ebenfalls eine Form der besonderen Berufsbeeinträchtigung darstellten - zu entnehmen sein, daß nur eine konkret nachweisbare berufliche Beeinträchtigung nach Eintritt in den Ruhestand die Beibehaltung der Rentenerhöhung rechtfertigt, so hält der Senat an dieser Auffassung nicht fest. Vielmehr bestätigt der Senat die bisherige Rechtsprechung und führt sie dahin fort, daß die Vollendung eines bestimmten Lebensalters (Altersgrenze) es nicht rechtfertigt, ein bindend anerkanntes besonderes berufliches Betroffensein zum Wegfall zu bringen und die MdE allein aus diesem Grunde unter Anwendung des § 62 Abs 1 BVG herabzusetzen oder zu entziehen. Diese Rechtsfolge gilt für alle Fälle des § 30 Abs 2 BVG, unabhängig davon, nach welchen besonderen Merkmalen (Buchstabe a, b oder c) die Anerkennung des besonderen beruflichen Betroffenseins erfolgt ist.
Für die Entscheidung des Senats sind insbesondere folgende Erwägungen maßgebend:
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1.) |
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Der Wortlaut des Gesetzes spricht nicht so eindeutig für die vom Beklagten vertretene Auffassung, wie dieser annehmen will. Nach § 30 Abs 1 BVG ist die MdE grundsätzlich nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Wenn Abs 2 eine Höherbewertung der MdE auch für den Fall vorschreibt, daß der Beschädigte in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung "ausgeübt hat", so kommt bereits im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck, daß die Aufgabe des Berufes bzw das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben für sich allein kein entscheidendes Kriterium für die Anerkennung- und damit auch für die Aberkennung - eines besonderen beruflichen Betroffenseins sein kann. |
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2.) |
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Nach allgemeiner Rechtsüberzeugung rechtfertigt es der Eintritt eines bestimmten Lebensalters nicht, die MdE unter Anwendung des § 62 Abs 1 BVG herabzusetzen, wenn nach Eintritt in den Ruhestand eine Erwerbstätigkeit nicht mehr ausgeübt wird und demnach eine "Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben" nicht mehr vorliegt. Entscheidend ist dabei die Erwägung, daß die einmal festgestellte MdE dem Prinzip der Statik unterliegt (vgl BSGE 36, 21, 24) und daß dem Beschädigten gerade im höheren Lebensalter eine Besitzstandswahrung garantiert werden soll. |
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3.) |
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Die Gesamt-MdE eines Beschädigten setzt sich zwar aus verschiedenen Faktoren zusammen ("Teil-MdE", vgl BSGE 19, 15), die jeweils gesondert zu prüfen sind und u.U. auch ein besonderes rechtliches Schicksal haben können. Der erkennende Senat hat jedoch bereits in seiner Entscheidung vom 5. November 1964 (BSGE 22, 82; s. auch 23, 188) unter eingehender Begründung dargelegt, daß § 30 BVG nicht zwei oder mehrere unterschiedliche Minderungen der Erwerbsfähigkeit, sondern nur eine einheitliche MdE kennt. Diese Einheit des Rentenanspruchs führt dazu, daß allgemeine Rechtsgrundsätze, die für § 30 Abs 1 BVG maßgebend sind, auch bei Anwendung des § 30 Abs 2 BVG nicht außer acht gelassen werden dürfen. |
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4.) |
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Eine besondere berufliche Beeinträchtigung nach § 30 Abs 2 Buchst a und c BVG wird regelmäßig auch nach Eintritt in den Ruhestand fortbestehen, weil ein Beschädigter, der infolge der Schädigung seinen Beruf nicht mehr ausüben kann oder am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist, bleibende wirtschaftliche Nachteile in seinem Renten- oder Pensionseinkommen erleiden wird. Unabhängig davon schreibt Buchst b vor, daß die MdE auch dann höher zu bewerten ist, wenn der Beschädigte zwar seinen Beruf weiter ausüben kann oder den nachweisbar angestrebten Beruf erreicht hat, aber in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert ist. Diese Regelung stellt insofern einen "Fremdkörper" dar, als eine wirtschaftliche Einbuße nicht verlangt wird. Damit sollen gerade die besondere Tatkraft und Energie von Beschädigten honoriert werden, die trotz ihrer Beeinträchtigungen und Beschwerden und möglicherweise unter Gefährdung ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit an dem einmal erreichten Beruf oder angestrebten Berufsziel festhalten (vgl BSG SozR BVG § 30 Nr 60). Sie sollen nicht schlechter gestellt werden als vergleichbare Beschädigte die sich gehen lassen oder denen als sonstigen Gründen ein außergewöhnlicher Energieaufwand nicht zur Verfügung steht und die deshalb die Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach Buchst a oder c verlangen können. Bleibt aber diesen Beschädigten die Erhöhung der MdE auch nach Eintritt in den Ruhestand regelmäßig erhalten, dann erfordert es schon der Grundsatz der Gleichbehandlung, daß Fälle wie der des Klägers, in denen die MdE nach Buchst. b erhöht worden ist, gegenüber den sonstigen Fällen des § 30 Abs 2 BVG auch nach Erreichen der Altersgrenze nicht benachteiligt werden. |
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5.) |
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Dem BVG ist der Grundsatz zu entnehmen, daß Beschädigte in höherem Lebensalter einen besonderen Schutz genießen und tunlichst vor Beunruhigungen und Rentenminderungen bewahrt bleiben sollen (vgl BSG SozR BVG § 62 Nr 25; Urteil BSG vom 2. Februar 1977 - 9 RV 6/76 -). Gemäß § 62 Abs 3 Satz 1 BVG ist bei Versorgungsberechtigten, die das fünfundfünfzigste Lebensjahr (früher: 60. Lebensjahr, vgl § 62 Abs 4 BVG idF des 1. NOG) vollendet haben, die MdE wegen Besserung des Gesundheitszustandes nicht niedriger festzusetzen, wenn sie in den letzten 10 Jahren seit Feststellung nach dem BVG unverändert geblieben ist. Der Senat verkennt nicht, daß sich diese Schutznorm nur auf die Besserung des Gesundheitszustandes und damit auf die Bewertung der MdE nach § 30 Abs 1 BVG bezieht. Daraus kann jedoch nicht - wie der Beklagte meint - gefolgert werden, daß Änderungen anderer Art unbeschränkt zulässig sein müssen. Wird nämlich in den Fällen des § 62 Abs 3 BVG die MdE bereits vom 55. Lebensjahr des Beschädigten an "festgeschrieben", dann muß daraus gefolgert werden, daß Beschädigte, die - wie der Kläger - die gesetzliche Altersgrenze von 65 Jahren überschritten haben, mindestens im gleichen Maße schutzbedürftig sind und mit der Beibehaltung ihrer MdE rechnen können. Auch ihre Rente hat den Charakter der Endgültigkeit angenommen (vgl Urteil BSG vom 2. Februar 1977 aaO). Gerade in den Fällen des § 30 Abs 2 Buchst b BVG würde sonst der unwürdige Zustand eintreten, daß sich Beschädigte nach Vollendung des 65. Lebensjahres weiteren medizinischen Untersuchungen und Begutachtungen unterziehen müßten, um die Frage zu klären, ob der nur unter Aufbietung aller Kräfte und mit besonderem Energieaufwand durchgehaltene Arbeitseinsatz spurlos an ihnen vorübergegangen ist oder bleibende physische oder psychische Auswirkungen hinterlassen hat (vgl Urteil vom 24. März 1977 - 10 RV 41/76 -). |
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Eine weitere Bestätigung enthält § 31 Abs 1 Satz 2 BVG. Wenn Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, einen besonderen Alterszuschlag erhalten, dann erscheint es wenig sinnvoll, zum gleichen Zeitpunkt eine Herabsetzung der MdE vorzunehmen, die durch den Alterszuschlag nicht einmal ausgeglichen wird. Die Folgen wären noch einschneidender und nach Auffassung des Senats unbilliger, wenn die Schwerbeschädigteneigenschaft (MdE um 50 v.H.) erst unter Einschluß eines besonderen beruflichen Betroffenseins erreicht worden war und wenn mit dem Eintritt in den Ruhestand zugleich auch die besonderen Leistungen, die an die Schwerbeschädigteneigenschaft geknüpft sind, verloren gingen (vgl zB § 10 Abs 2 und 4, § 30 Abs 3 und 4, § 31 Abs 1 Satz 2, aber auch § 48 BVG). |
Bei dieser Rechtslage kommt es nicht darauf an, ob der Beschädigte "über Jahre und Jahrzehnte hinaus" beruflich besonders betroffen war. Unabhängig davon war bei dem Kläger ein besonderes berufliches Betroffensein rückwirkend ab 1. Oktober 1962 - also mehr als 9 Jahre vor Eintritt in den Ruhestand - anerkannt, wobei sich die Begrenzung auf diesen Zeitpunkt allein aus der "üblichen" Rückwirkung von 4 Jahren ab Antragstellung ergab (vgl Bescheid vom 13. März 1968). Die Berechnungen des Beklagten - 7 Jahre und 10 Monate - sind insoweit unrichtig, da er den Bescheid vom 13. März 1968 außer acht gelassen hat. Im übrigen laufen die Ausführungen des Beklagten - der Kläger habe als Angehöriger des öffentlichen Dienstes einen durchaus positiven Berufsweg genommen und wegen der Art der anerkannten Schädigungsfolgen niemals ein soziales Absinken zu befürchten brauchen - im Ergebnis darauf hinaus, daß ein besonderes berufliches Betroffensein bei dem Kläger zu Unrecht anerkannt worden ist. Der Beklagte verkennt dabei den Sinn und die Bedeutung des § 30 Abs 2 Buchst b BVG. Das besondere berufliche Betroffensein im Sinne dieser Vorschrift erfordert gerade nicht eine wirtschaftliche oder soziale Einbuße, sondern manifestiert sich, wie oben dargelegt, in dem außergewöhnlichen Energieaufwand und der dadurch bedingten Überlastung, die dem Beschädigten weder aus versorgungs- noch arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten zumutbar sind (vgl BSG SozR BVG § 30 Nr 60).
Ebensowenig kommt es darauf an, ob der Kläger, der aufgrund seines Ruhegeldes bzw seiner Erwerbsunfähigkeitsrente versicherungsfrei in der Rentenversicherung und gegenüber der VBL gewesen ist, seine Alterssicherung durch eine freiwillige Renten- oder Kapitalversicherung hätte aufstocken können. Abgesehen davon, daß die frühzeitige Rentengewährung den Schweregrad der Schädigung des Klägers erkennen läßt, findet im Rahmen der Grundrente keine "Vorteilsausgleichung" oder Anrechnung (vgl § 33 BVG) statt, sondern der Kläger behält auch nach Eintritt in den Ruhestand die Rente in der Höhe, wie sie ihm durch die Bescheide von 1967 und 1968 bindend zuerkannt worden ist. Daher sind auch die vom Beklagten angesprochenen Entscheidungen des Senats vom 29. November 1973 (BSGE 36, 285) und 25. Januar 1974 (BSGE 37, 80) nicht einschlägig. Diesen Entscheidungen lagen nicht nur andere Sachverhalte zugrunde, sondern sie behandeln auch ein völlig anders gelagertes Problem, nämlich die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs 2 BVG bzw die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs 3 und 4 BVG beim Zusammenwirken von Schädigungsfolgen mit später auftretenden schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen (s. auch § 30 Abs 5 BVG idF des 8. AnpG).
Die Revision des Beklagten erweist sich daher als unbegründet; sie ist zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen