Leitsatz (amtlich)
Hat ein Versicherter einen Arbeitsunfall vor dem 1942-05-01 erlitten und ist er infolgedessen invalide geworden oder gestorben, so gilt seine Wartezeit jedenfalls dann als erfüllt, wenn über den Versicherungsfall vor dem 1945-04-01 noch nicht rechtskräftig entschieden war und soweit Leistungen erst für eine Zeit nach dem 1949-05-31 zu gewähren sind.
Normenkette
RVO § 1263a Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1945-03-17; SVAnpG § 4 Abs. 1; RVLeistungsVerbV 1942 § 4; RVO § 1262 Abs. 5 Fassung: 1942-06-22; SVVereinfV 1 Art. 17, 26
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Juli 1956 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der am 30. August 1900 geborene Kläger war als Rottenarbeiter bei der Reichsbahn vom 3. Mai 1920 bis zum 13. August 1922 - insgesamt 27 Monate = 119 Beitragswochen - invalidenpflichtversichert. Anschließend arbeitete er in versicherungspflichtiger Beschäftigung als landwirtschaftlicher Gehilfe in dem seiner Mutter gehörenden Landwirtschaftsbetrieb, in dem er am 26. Mai 1925 einen Unfall (sehr ungünstig verheilte Brüche des linken Armes und Beines) erlitt; der Kläger ist seit diesem Unfall dauernd invalide im Sinne der Reichsversicherungsordnung (RVO). Für die Zeit der versicherungspflichtigen Tätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft sind urkundliche Unterlagen (Quittungskarten, Aufrechnungsbescheinigungen o.ä.) über tatsächlich geleistete Beiträge nicht vorhanden.
Die Beklagte lehnte die am 16. März 1952 beantragte Gewährung einer Invalidenrente an den Kläger ab, da sie die Mindestwartezeit nicht als erfüllt ansah und die Anwartschaft mangels Beitragszahlung nach dem Jahre 1922 für erloschen hielt; Halbdeckung ist unstreitig nicht vorhanden. Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht in Detmold hatte der Kläger keinen Erfolg, da auch dieses die Erfüllung der Wartezeit verneinte.
Dagegen verurteilte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen am 13. Juli 1956 auf die Berufung des Klägers unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts in Detmold die Beklagte, unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Februar 1953 dem Kläger die Rente in gesetzlicher Höhe seit dem 1. April 1952 zu zahlen und ihm seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Unter Zugrundlegung der im Zeitpunkt des Versicherungsfalles gültigen Bestimmungen waren nach Ansicht des Landessozialgerichts nach § 1278 RVO a.F. für die "normale" Erfüllung der Wartezeit 200 Beitragswochen erforderlich, so daß diese davon abhänge, ob der Kläger während seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit weitere 83 Wochenbeiträge entrichtet habe. Auf diese Feststellung kommt es jedoch nach der Auffassung des Landessozialgerichts nicht an, da im vorliegenden Fall die Wartezeit vielmehr nach § 1263 a Abs. 1 Nr. 1 RVO a.F. als erfüllt gelte. Zwar sei diese Vorschrift, nach der für Infolge eines Unfalls invalide gewordene Versicherte die Wartezeit als erfüllt gelte, erst durch Art. 17 der Vereinfachungsverordnung (VVO) vom 17. März 1945 in die RVO eingefügt worden; Art. 26 a.a.O. schreibe jedoch vor, daß Art. 17 auf alle Versicherungsfälle anzuwenden sei, für die am 31. März 1945 ein das Versicherungsverhältnis abschließender rechtskräftiger Bescheid noch nicht ergangen sei; das Landessozialgericht will aus dieser Bestimmung die unbegrenzte zeitliche Rückwirkung des Art. 17 VVO und damit des § 1263 a Abs. 1 Nr. 1 RVO a.F. folgern. Zwar habe das Zweite Leistungsverbesserungsgesetz vom 19. Juni 1942 bereits eine entsprechende Vorschrift enthalten, die unzweifelhaft erst seit dem Inkrafttreten des genannten Gesetzes anwendbar gewesen sei (§§ 4 und 7 a.a.O., § 1262 Abs. 5 RVO a.F.), doch hindere sie die weitere Rückwirkung des neueren § 1263 a Abs. 1 Nr. 1 RVO a.F. nicht, da jene durch diese auch ohne ausdrücklichen Gesetzesausspruch aufgehoben sei.
Für diese Auslegung, die die uneingeschränkte Rückwirkung annehme, spreche auch der Umstand, daß die Rückwirkung bei § 1263 a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 RVO a.F. von der Rechtsprechung übereinstimmend bejaht werde und für Nr. 1 die gleichen Erwägungen gelten müßten.
Die Anwendung des § 1263 a Abs. 1 Nr. 1 auf den Kläger hinge demnach einzig davon ab, ob er im Zeitpunkt des Unfalls ein "Versicherter" gewesen sei, ob demnach seine Anwartschaft damals noch erhalten war. Dazu müßten nach den damaligen Vorschriften (§ 1265 Abs. 1 RVO a.F.) während zweier Jahre nach dem auf der Quittungskarte verzeichneten Ausstellungstag mindestens 20 Pflichtbeitragswochen zurückgelegt worden sein. Das Landessozialgericht stellt alsdann auf Grund der von ihm als glaubwürdig angesehenen Aussagen der vernommenen Zeugen (der Mutter und des Bruders des Klägers und eines früheren Nachbarn) fest, daß "etwa im Zeitpunkt des Eintritts des Klägers in den Dienst bei seiner Mutter - also am 14. August 1922 - eine Quittungskarte für den Kläger ausgestellt worden ist". Zur Erhaltung seiner Anwartschaft aus den früheren Beiträgen genüge also der Nachweis, daß der Kläger vom 14. August 1922 bis zum Unfall die nach § 1265 Abs. 1 RVO a.F. zur Aufrechterhaltung seiner Anwartschaft erforderliche Zahl von mindestens 20 Wochenbeiträgen entrichtet habe. Auch dieser Nachweis sei als durch die Aussagen der Zeugen erbracht anzusehen. Zwar hätten die von der fortschreitenden Geldentwertung verursachten Schwierigkeiten in der Markenbeschaffung und der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Verpflichtungen erfahrungsgemäß viele Versicherte an der regelmäßigen Beitragsentrichtung verhindert. Aber selbst wenn unterstellt werde, daß der Kläger vom 14. August 1922 bis zum Dezember 1923 keinerlei Beiträge entrichtet hätte, so würde doch zwischen der Wiedereinführung einer festen Währung im Dezember 1923 und dem Unfall noch ein so großer Zeitraum - nämlich ca. 1 1/2 Jahre, also etwa 78 Wochen - gelegen haben, daß die Leistung von wenigstens 20 Wochenbeiträgen als nachgewiesen angesehen werden müsse. Damit sei die Anwartschaft des Klägers aus allen in der früheren Zeit entrichteten Beiträgen erhalten. Der Kläger sei daher im Zeitpunkt seines Unfalls am 26. Mai 1925 noch ein "Versicherter" gewesen. Damit finde § 1263 a RVO auf ihn Anwendung, so daß die Wartezeit als erfüllt gelte.
Das Landessozialgericht hat wegen seiner Abweichung von dem Urteil des Bayerischen Landesversicherungsamts und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der hier maßgeblichen Rechtsfrage die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 18. August 1956 zugestellte Urteil am 15. September 1956 unter Stellung eines Antrags Revision eingelegt und diese am 10. Oktober 1956 begründet.
Die Beklagte rügt die dem § 1263 a Abs. 1 Nr. 1 RVO a.F. vom Landessozialgericht beigelegte Rückwirkung als unrichtige Rechtsanwendung. Aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift ergebe sich vielmehr, daß sie nur auf Versicherungsfälle nach dem 30. April 1942 anzuwenden sei.
Die darüber hinausgehende rückwirkende Anwendung von Nr. 2 und Nr. 3 a.a.O. beruhe darauf, daß durch diese Vorschriften ganz neues Recht geschaffen worden sei, das bewußt die Teilnehmer des ersten Weltkrieges habe begünstigen wollen, während mit Nr. 1 keine Änderung des bisherigen Rechtszustands beabsichtigt sei.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt demgegenüber
die kostenpflichtige Zurückweisung der Revision, hilfsweise jedoch die Zurückverweisung an das Landessozialgericht.
Er hält die Gründe des angefochtenen Urteils für zutreffend und überzeugend und will darüber hinaus einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) in einer nur auf die nach dem 1. Mai 1942 eingetretenen Invaliditätsfälle beschränkten Anwendung des § 1263 a RVO a.F. erblicken.
Vorsorglich weist er darauf hin, daß das Landessozialgericht davon abgesehen habe, eine Feststellung zu treffen, ob seine Wartezeit nicht auch im Wege normaler Beitragszahlung erfüllt sei. Wenn das Bundessozialgericht die Auffassung des Landessozialgerichts hinsichtlich der rückwirkenden Anwendbarkeit des § 1263 a RVO a.F. nicht billige, müßten daher weitere Feststellungen Über die Erfüllung der Wartezeit durch Beitragszahlung während der landwirtschaftlichen Tätigkeit durch das Landessozialgericht getroffen werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist vom Landessozialgericht zugelassen und daher statthaft.
I Der Kläger ist nach der nicht angegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts seit seinem Unfall (26.5.1925) invalide im Sinne des § 1255 RVO der zur Zeit des Unfalls geltenden Fassung.
Der von dem Kläger erhobene Anspruch auf Invalidenrente, den ihm das Landessozialgericht vom 1. April 1952, dem Monatsbeginn nach der Antragstellung, zugesprochen hat, hängt daher nur noch davon ab, ob die Ansicht des Landessozialgerichts, für den Kläger sei in jenem Zeitpunkt die Wartezeit als erfüllt anzusehen und die Anwartschaft erhalten gewesen, rechtlich zu keinen Anstanden Anlaß gibt.
Die Revisionsangriffe der Beklagten richten sich allein gegen die Annahme des Landessozialgerichts, die Wartezeit gelte als erfüllt. Das Landessozialgericht hat bewußt davon abgesehen, eindeutige Feststellungen in der Richtung zu treffen, ob es die nach § 1278 RVO der damals gültigen Fassung für die Erfüllung der Wartezeit vorgeschriebene Leistung von 200 Beitragswochen als gegeben ansieht; es hat die Frage, ob für den Kläger außer den unzweifelhaft nachgewiesenen 119 Beitragswochen bei der Reichsbahn noch weitere mindestens 81 Wochen (das Landessozialgericht bezeichnet allerdings - rechnerisch falsch - 83 Wochen als fehlend) als geleistet festgestellt werden können, im Rahmen der Betrachtung der Wartezeiterfüllung ausdrücklich dahingestellt gelassen, da es die Wartezeit über die gesetzliche Fiktion des § 1263 a RVO in der Fassung des Art. 17 der VVO vom 17. März 1945 als erfüllt betrachtet.
Es bedarf im vorliegenden Fall, in dem der Rentenantrag erst im März 1952 gestellt worden ist, keiner besonderen Prüfung, ob Art. 17 der VVO schon damals wirksam gültiges Recht gesetzt hat (vgl. die entsprechenden, die Frage für den Art. 19 VVO bejahenden Ausführungen in BSG. 3 S. 161), denn jedenfalls ist jener Artikel und damit § 1263 a RVO in jener Fassung nach § 4 Abs. 1. des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (SVAG) spätestens am 1. Juni 1949 in Kraft getreten.
Zur Zeit des Unfalls als des Eintritts des Versicherungsfalls gab es eine Anrechnung von Ersatzzeiten auf die Wartezeit nur in verschwindendem Umfange (§§ 1279, 1271 a RVO damaliger Fassung); eine Fiktion der Wartezeiterfüllung gab es überhaupt noch nicht.
Erst § 17 Abs. 1 des Gesetzes über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 (RGBl. I S. 543) brachte für gefallene oder durch Kriegsbeschädigung invalide bzw. berufsunfähig gewordene Soldaten eine derartige Fiktion, eine Vorschrift, die nach § 29 a.a.O. mit dem tatsächlichen Kriegsausbruch (26.8.1939) rückwirkend in Kraft gesetzt und "insoweit auch für anhängige Fälle" für anwendbar erklärt wurde. Durch das Zweite Gesetz über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 19. Juni 1942 (RGBl. I S. 407) wurde dann mit Wirkung vom 1. Mai 1942 eine entsprechende Fiktion der Wartezeiterfüllung auch für Versicherte geschaffen, die "nach Inkrafttreten des Gesetzes infolge eines Arbeitsunfalls invalide (berufsunfähig)" wurden oder starben. Diese Vorschrift wurde alsdann, ohne ausdrückliche Angabe ihres Geltungsbeginns, durch den Reichsarbeitsminister auf Grund einer ihm im § 7 Abs. 2 des Gesetzes erteilten Ermächtigung über § 3 der Verordnung vom 22. Juni 1942 (RGBl. I S. 411) dem damaligen § 1262 RVO als Abs. 5 angefügt, während der oben erwähnte § 17 des Gesetzes vom 15. Januar 1941 zunächst in die RVO nicht eingearbeitet wurde, sondern daneben selbständig fortbestand. Erst die Erste VO zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 (RGBl. I S. 41) beseitigte dieses Nebeneinander der Rechtsquellen durch die Schaffung des § 1263 a, wobei die stark erweiterte und insbesondere entsprechend auch auf Zivilpersonen ausgedehnte Wartezeitfiktion bei Kriegsschäden (entsprechend dem bisherigen § 17 des Gesetzes vom 15.1.1942) als Nr. 2 (während der Ableistung von Kriegs- usw. -diensten ...) und Nr. 3 (infolge Feindeinwirkung) und die bisher an andere Wartezeitbestimmungen angefügte Fiktion der erfüllten Wartezeit infolge Arbeitsunfall als Nr. 1 in dieselbe Vorschrift aufgenommen wurden, während gleichzeitig die Ersatzzeiten einheitlich im § 1263 zusammengefaßt wurden (die Fälle des bisherigen § 1263 RVO und des § 17 Abs. 2 des Gesetzes vom 15.1.1941). Art. 26 der VVO bestimmte weiter, daß Art. 17 VVO auf alle Fälle anzuwenden sei, für die am 31. März 1945 ein das Versicherungsverhältnis abschließender rechtskräftiger Bescheid noch nicht ergangen war.
Bei der für den vorliegenden Fall entscheidenden Frage, wieweit rückwirkend auf Versicherungsfälle, bei denen der Tod oder die Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit durch Arbeitsunfall verursacht ist, die erleichternde Wartezeitfiktion des § 1263 a RVO anzuwenden ist, stehen sich zwei Auffassungen gegenüber.
Die eine Auffassung (Bayer. LVA., Urteil vom 9.11.1951, Bayer. Amtsbl. Nr. 52 S. B 17 = Breith. 1952 S. 172) folgert daraus, daß Art. 25 VVO den § 4 des Gesetzes vom 19. Juni 1942 nicht ausdrücklich aufgehoben hat, daß diese Bestimmung neben § 1263 a Nr. 1 noch weiter gelte, somit auch jetzt noch die Anwendung jener Vorschrift zeitlich auf Versicherungsfälle nach dem 1. Mai 1942 (§§ 4, 7 Abs. 1 a.a.O.) beschränkt sei. Nr. 1 des § 1263 a RVO habe die bisher gültige, auf jenem § 4 beruhende Vorschrift wörtlich übernommen; daher sei damit nicht beabsichtigt gewesen, irgendwie abweichend neues Recht zu setzen (so auch, insbesondere auf die Entstehungsgeschichte verweisend, der Verb. Komm. in Anm. 4 zu § 1263 a RVO).
Die andere Auffassung, besonders ausführlich dargelegt In dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Mai 1955 (Breith. 1955 S. 1070; ebenso Brackmann Handbuch S. 670), der sich das angefochtene Urteil angeschlossen hat, nimmt an, daß durch den neuen § 1263 a RVO für alle darin geregelten Tatbestände die früheren Regelungen außer Kraft gesetzt seien, ohne daß es insoweit noch einer ausdrücklichen Bestimmung bedurft habe. Dies gelte nicht nur für die Fälle der Nrn. 2 und 3, bei denen allgemein angenommen werde, daß diese über die frühere Regelung hinausgehend nun auch auf den ersten Weltkrieg anzuwenden seien (vgl. Bayer. LVA., Urteile vom 4.11.1951 und 4.9.1952, Bayer. Amtsbl. 1952 B S. 25 und S. 185), sondern ebenso für Nr. 1. Art. 26 der VVO bestimme ausdrücklich auch für Nr. 1 einen von dem bisherigen abweichenden zeitlichen Gültigkeitsbereich.
Dieser zweiten Auffassung ist im Ergebnis zuzustimmen. Es mag sein, daß § 1262 Abs. 5 RVO der älteren Fassung nur auf Unfälle anwendbar war, die sich nach dem 1. Mai 1942 ereignet hatten; denn obwohl diese Bestimmung eine entsprechende Terminsangabe nicht enthält, ist davon auszugehen, daß sie allein auf der gesetzlichen Vorschrift des § 4 des Gesetzes vom 18. Juni 1942 beruht und die Anpassungsermächtigung dem Reichsarbeitsminister keine Befugnis zu einer inhaltlichen Abänderung jener Bestimmungen bei der Anpassung der RVO gegeben hatte, so daß zur Auslegung dieser angepaßten RVO-Vorschriften stets auf die ihr zugrunde liegende gesetzliche Vorschrift zurückgegriffen werden muß.
Dieser Sachverhalt änderte sich jedoch grundlegend, als durch den Gesetzgeber - spätestens im § 4 SVAG - die in Frage kommende Materie neu geregelt wurde. § 1263 a RVO ersetzte nunmehr die bisherigen Bestimmungen (und zwar sowohl § 4 des Gesetzes vom 19.6.1942 in der Fassung des § 1262 Abs. 5 RVO wie auch § 17 Abs. 1 des Gesetzes vom 15.1.1941) vollständig. Ein Zurückgreifen auf die bisherigen Vorschriften auch nur zum Zwecke einer zeitlichen Gültigkeitseinschränkung kam um so weniger in Frage, als Art. 26 WO insoweit ausdrücklich eigene, von den früheren Vorschriften abweichende Bestimmungen trifft. Abgesehen von der für diese Vorschrift vorgenommenen Beschränkung auf noch nicht rechtskräftig entschiedene Fälle entfiel nunmehr, und zwar gleichermaßen für alle im § 1263 a geregelten Tatbestände, mögen sie den früheren Regelungen sonst mehr oder weniger gleichen oder ganz neu geschaffen sein, jede zeitliche Beschränkung hinsichtlich des Eintritts des Versicherungsfalles. Auch § 6 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zum SVAG wäre bei anderer Rechtsauffassung nicht mehr sinnvoll.
Der keine zeitliche Beschränkung enthaltende und insoweit durchaus klare Wortlaut des § 1263 a Nr. 1 RVO wäre daher nur dann nicht rückwirkend anzuwenden, wenn dies ausdrücklich bestimmt worden wäre, was nicht der Fall ist.
Im vorliegenden Fall, in dem irgendeine rechtskräftig gewordene Entscheidung noch nicht ergangen ist und in dem es sich um Leistungen handelt, die erst von einem späteren Zeitpunkt als dem 31. Mai 1949 zu gewähren sind, hat demnach das Landessozialgericht die Frage zu Recht bejaht, daß die Wartezeit für den Kläger als erfüllt gilt, so daß die mit der Revision erhobene Rüge unbegründet erscheint.
II Rechtlich bedenklich erscheint dagegen die Auffassung des Landessozialgerichts, die Anwartschaft habe im Zeitpunkt des Unfalls noch fortbestanden.
Da keine Verfahrensrügen gegen die tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts erhoben sind, muß bei der rechtlichen Würdigung davon ausgegangen werden, daß für den Kläger in der Zeit von dem Ende der Inflation (Dezember 1923) bis zum Unfall (Mai 1925) wenigstens 20 Pflichtwochenbeiträge nachgewiesen sind. Das Landessozialgericht sieht bereits damit die Anwartschaft des Klägers als erhalten an; diese Auffassung ist jedoch rechtsirrig. Wie das Landessozialgericht selbst betont, schrieb der damalige § 1265 Abs. 1 RVO vor, daß zur Erhaltung der Anwartschaft während zweier Jahre nach der auf der Quittungskarte verzeichneten Ausstellung mindestens 20 Pflichtbeitragswochen zurückgelegt sein mußten. Nach der insoweit nicht angefochtenen Feststellung des Landessozialgerichts ist die für jene Beitragsleistungen in Frage kommende Quittungskarte für den Kläger etwa "am 14.8.1922" ausgestellt worden. Die Anwartschaft würde daher nur erhalten sein, wenn bereits für die Zeit von dieser Ausstellung bis zum 14. August 1924 wenigstens 20 Wochenbeiträge nachgewiesen wären. Da das Landessozialgericht selbst davon ausgeht, daß während der Inflation eine Beitragszahlung nicht gesichert erscheint, besagt dies, daß die 20 erforderlichen Wochenbeiträge nicht innerhalb einer Zeit von rund 17 Monaten - wie das Landessozialgericht annimmt -, sondern bereits innerhalb von nur 8 Monaten entrichtet sein mußten. Für eine derartige Annahme reichen jedoch die vom Landessozialgericht getroffenen Feststellungen nicht aus, so daß eine ordnungsgemäße Erhaltung der Anwartschaft aus ihnen nicht gefolgert werden kann.
Ebensowenig reichen Jene Feststellungen aus, um die Anwartschaft über die damals vorgeschriebene Form der Dreivierteldeckung (§ 1280 Abs. 2 RVO) als erhalten zu betrachten, da dafür 198 Beitragswochen erforderlich wären, während bisher höchstens 119 + 20 = 139 Wochen als festgestellt angesehen werden können.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben, da die Ansicht des Landessozialgerichts, die Anwartschaft des Klägers sei zur Zeit des Unfalls erhalten gewesen, der Kläger daher als versichert im Sinne des § 1263 a Nr. 1 RVO anzusehen, sich mit den bisherigen Feststellungen rechtlich nicht halten läßt.
III Da das Landessozialgericht ausdrücklich mehrfach hervorgehoben hat, einer Feststellung, ob außer den von ihm als belegt angenommenen 20 Wochen dem Kläger noch weitere Beitragszeiten anzurechnen seien, bedürfe es unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung nicht und da es insoweit deshalb von weiteren Erhebungen abgesehen hat, kann andererseits nicht davon ausgegangen werden, daß keine anderen als die - nach der irrigen Rechtsauffassung des Landessozialgerichts ausreichenden - 21 Pflichtbeiträge in der Zeit zwischen Dezember 1923 und Mai 1925 geleistet sind. Eine abschließende Entscheidung des Bundessozialgerichts ist unter diesen Umständen nicht möglich.
Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen, das dabei gleichzeitig zu prüfen haben wird, ob und inwieweit nunmehr Vorschriften des Arbeiterversicherungs-Neuregelungsgesetzes anzuwenden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen