Leitsatz (amtlich)

Ist ein "Umanerkennungsbescheid" nach dem BVG ohne ärztliche Nachuntersuchung unter Übernahme des bisher anerkannten Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (BVG § 86 Abs 3) ergangen und wird die Rente später wegen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen, die für die frühere Feststellung maßgebend gewesen sind, neu festgestellt (BVG § 62 Abs 1), so kommt es für die Feststellung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, auf die Verhältnisse an, die bei Erlaß des Bescheids nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften vorgelegen haben; es ist unerheblich, ob die Änderung vor oder nach dem Erlaß des "Umanerkennungsbescheids" eingetreten ist und ob die Neufeststellung vor oder nach dem 1954-09-30 erfolgt; an der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl BSG 1958-02-12 11/9 RV 948/55 = BSGE 7, 8; 1959-04-22 11/8 RV 295/57; 1963-03-22 11 RV 664/60 = KOV 1963, 154; 1960-01-21 8 RV 549/58 = BSGE 11, 236; 1961-08-17 8 RV 269/60 = BSGE 15, 26; 1962-02-22 8 RV 701/60; 1960-06-08 10 RV 1159/59; BSG 1963-01-10 10 RV 763/60 = SozR Nr 20 zu § 62 BVG)wird festgehalten.

 

Normenkette

BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, § 86 Abs. 3 Fassung: 1956-06-06

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. August 1962 abgeändert.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. August 1960 wird in vollem umfange zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind dem Kläger nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 1946 stellte die Landesversicherungsanstalt Hannover, Außenstelle Hannover, bei dem Kläger als Folge einer Schädigung durch den Wehrdienst im zweiten Weltkrieg "Chronischen Gelenkrheumatismus der großen und kleinen Gelenke" fest, den Antrag auf Rente lehnte sie ab, weil Kriegsrenten auf Anordnung der Militärregierung damals nicht gezahlt werden durften und der Kläger nicht invalide im Sinne von § 1253 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei; diesem Bescheid lagen eine Untersuchung und ein Gutachten des Facharztes für innere Krankheiten Dr. N… vom 29. November 1946 zugrunde. Durch Bescheid vom 24. Juli 1948 wurde dem Kläger wegen des Gelenkrheumatismus vom 1. August 1947 an Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. bewilligt. Mit Bescheid vom 15. Oktober 1951 ("Umanerkennungsbescheid") wurde wegen des gleichen Leidens nach dem gleichen Grad der MdE Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährt. Nach einer Nachuntersuchung des Klägers am 3. Mai 1957 kam der Facharzt für innere Krankheiten Dr. H… in seinem Gutachten vom 15. Mai 1957 zu dem Ergebnis, ein Gelenkrheumatismus liege nicht mehr vor, die beginnenden Abnutzungserscheinungen der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie die beginnende Schlagaderverhärtung seien keine Versorgungsschäden. Der Prüfarzt des Beklagten kam zu dem gleichen Ergebnis. Durch Bescheid vom 4. Juli 1957 stellte das Versorgungsamt (VersorgA) I Hannover unter Bezug auf § 62 Abs. 1 BVG fest, ein Versorgungsleiden liege nicht mehr vor, es entzog die Rente vom 1. September 1957 an. Den Widerspruch des Klägers wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Niedersachsen nach einer weiteren Untersuchung des Klägers durch Bescheid vom 25. Juni 1958 zurück. Mit der Klage begehrte der Kläger, den Bescheid vom 4. Juli 1957 und den Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1958 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger wegen Rheumatismus und Folgen einer Kopfverletzung Versorgungsrente seit 1. September 1957 nach einer MdE um 50 v.H. zu zahlen. Das Sozialgericht Hannover (SG) wies die Klage nach weiterer Beweisaufnahme durch Urteil vom 19. August 1960 ab. Auf die Berufung des Klägers änderte das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen durch Urteil vom 9. August 1962 das Urteil des SG ab, es hob die angefochtenen Bescheide auf und wies im übrigen die Berufung zurück. Es führte im wesentlichen aus: Der Beklagte habe den "Umanerkennungsbescheid" vom 15. Oktober 1951 mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. Juli 1957 (Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1958) nur dann nach § 62 Abs. 1 BVG rechtswirksam zurücknehmen können, wenn die wesentliche Änderung der Verhältnisse nach Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" eingetreten sei und wenn sich die Verhältnisse nicht nur subjektiv vom Standpunkt der Versorgungsbehörde aus, sondern objektiv geändert hätten. Im vorliegenden Fall habe der "Chronische Gelenkrheumatismus der großen und kleinen Gelenke" bei Erlaß der angefochtenen Bescheide zwar nicht mehr vorgelegen, es habe aber auf Grund der medizinischen Unterlagen nicht festgestellt werden können, daß er erst nach dem Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" ausgeheilt sei, diese Ungewißheit gehe zu Lasten des Beklagten. Es sei zwar zulässig und notwendig, in derartigen Fällen zur Feststellung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse von den Befunden und Krankheitsäußerungen auszugehen, die für den Erlaß des Bescheides nach früherem Versorgungsrecht maßgebend gewesen seien, weil es sonst an einer Vergleichsmöglichkeit hinsichtlich des Leidenszustands des Klägers überhaupt fehle; es treffe aber nicht zu, daß der frühere Bescheid und der "Umanerkennungsbescheid" in solchen Fällen als eine Einheit zu betrachten seien; es bedürfe immer der Feststellung, ob die früheren Befunde und Krankheitsäußerungen noch zur Zeit des Erlasses des "Umanerkennungsbescheides" bestanden haben. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne das LSG insoweit nicht folgen; das BSG habe sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts berufen, für die Rechtslage nach dem BVG treffe diese Rechtsprechung nicht mehr zu. Die Ermächtigung zu einer Neufeststellung ohne wesentliche Änderung der Verhältnisse in § 86 Abs. 3 BVG sei im Interesse der Rechtssicherheit und im Hinblick auf den Vertrauensschutz des Beschädigten bis 30. September 1954 befristet gewesen, nach Ablauf dieser Frist dürfe daher die Versorgungsverwaltung Bescheide nur zurücknehmen, wenn sie entweder von Anfang an rechtswidrig seien (§ 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VerwVG -) oder wenn nach Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Habe die Versorgungsverwaltung vor Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" keine Nachuntersuchung durchgeführt, sei sie ein Risiko eingegangen, sofern sie diese Untersuchung nicht bis 30. September 1954 nachgeholt habe; der Gesetzgeber habe offenkundig gewollt, daß sie, wenn sie nach dem 30. September 1954 eine Neufeststellung der Rente auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse stütze (§ 62 Abs. 1 BVG), die Beweislast dafür trage, daß seit dem Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" eine Änderung eingetreten sei. Die Berufung des Klägers sei demnach begründet, soweit er die Aufhebung des Bescheides vom 4. Juli 1957 (Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1958) begehre; sie sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aus medizinischen Gründen nicht begründet, soweit er die Feststellung einer weiteren Schädigungsfolge (Kopfschmerzen) begehre. Die Revision ließ das LSG zu (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, 2. Halbsatz). Das Urteil wurde dem Beklagten am 3. September 1962 zugestellt.

Am 12. September 1962 legte der Beklagte Revision ein, er beantragte,

die Entscheidung des LSG Niedersachsen in Celle vom 9. August 1962 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist begründete er die Revision am 14. November 1962: Durch § 86 Abs. 3 BVG habe die "Umanerkennung" erleichtert, nicht aber der Versorgungsverwaltung ein "Risiko" auferlegt werden sollen; nach dieser Vorschrift sei es der Versorgungsverwaltung bis 30. September 1954 erlaubt gewesen, auch ohne den Nachweis einer Änderung der Verhältnisse die Rente neu festzustellen, sie sei aber nicht verpflichtet gewesen, eine solche Neufeststellung bis 30. September 1954 durchzuführen, sie habe sowohl vor als auch nach dem 30. September 1954 die Rente nach § 62 Abs. 1 BVG neu feststellen dürfen, wenn eine wesentliche Änderung vorgelegen habe, es komme in derartigen Fällen nicht darauf an, ob die Änderung vor oder nach dem Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" eingetreten sei. Aus § 85 BVG ergebe sich für die Auslegung des § 86 Abs. 3 BVG nichts anderes. Von dieser Auffassung gehe auch die Rechtsprechung des BSG aus.

Der Kläger beantragte,

die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Er führte aus, der "Umanerkennungsbescheid" habe zwar als Bestätigung des früheren Bescheides "novierende Kraft", maßgeblicher Vergleichszeitpunkt sei - entgegen der Rechtsprechung des BSG - deshalb nicht der auf ein ärztliches Gutachten gestützte frühere Bescheid, sondern der "Umanerkennungsbescheid", auch wenn der "Umanerkennungsbescheid" ohne ärztliche Nachuntersuchung ergangen sei; der Beklagte bleibe aber im Beweisnotstand, wenn er den Zeitpunkt für den Beginn einer wesentlichen Änderung nicht nachweisen könne, aus diesem Grunde sei das angefochtene Urteil richtig.

II.

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG). Sie ist auch begründet.

Das LSG hat festgestellt, daß der "Chronische Gelenkrheumatismus der großen und kleinen Gelenke", der auf Grund der Untersuchung durch Dr. N… vom 29. November 1946 in dem Bescheid vom 24. Juli 1948 nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 und ohne ärztliche Nachuntersuchung in dem Bescheid vom 15. Oktober 1951 (Umanerkennungsbescheid) nach dem BVG als Schädigungsfolge festgestellt und in beiden Bescheiden nach einer MdE um 50 v.H. bereutet worden ist, bei der Untersuchung durch Dr. H… am 3. Mai 1957 nicht mehr bestanden hat, sondern ausgeheilt gewesen ist. Diese Feststellung ist für das BSG bindend (§ 163 SGG). Der Bescheid vom 4. Juli 1957 (Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1958), mit dem der Beklagte die Rente mit Ablauf des Monats August 1957 entzogen hat, ist damit nach § 62 Abs. 1 BVG rechtmäßig. Diese Rechtsauffassung entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. das Urteil des 11. Senats, BSG 7, 8 ff. und die Urteile dieses Senats vom 22. April 1959 - 11/8 RV 295/57 - und vom 22. März 1963 - 11 RV 664/60-; Urteile des 8. Senats, BSG 11, 236 ff.; 15, 26 ff. und Urteil vom 22. Februar 1962 - 8 RV 701/60 -; Beschluß des 10. Senats vom 8. Juni 1960 - 10 RV 1159/59 - und Urteil dieses Senats vom 10. Januar 1963 - 10 RV 763/60 -). Die Erwägungen, die das LSG veranlaßt haben, in dem angefochtenen Urteil von der Rechtsprechung des BSG abzuweichen, sind nicht stichhaltig.

Die Bindungswirkung des "Umanerkennungsbescheides" vom 15. Oktober 1951 hat die "Neufeststellung" der Rente nach § 62 Abs. 1 BVG durch den Bescheid vom 4. Juli 1957/25. Juni 1958 nicht ausgeschlossen. Nach den §§ 77 SGG, 24 Abs. 1 VerwVG ist, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird; die Bindung der Verwaltungsbehörde tritt mit der Zustellung oder dem Zugang des Bescheides ein (§ 24 Abs. 2 VerwVG). Abgesehen von dem Fall der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ist damit jeder Verwaltungsakt von der Bekanntgabe an zunächst einmal wirksam, d.h. die "Regelung", die er für ein bestimmtes öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis trifft, "gilt", sie ist zwischen den Beteiligten "maßgebend", es kommt nicht darauf an, ob der Sachverhalt, von dem die Verwaltung ausgegangen ist, der Wirklichkeit entspricht und ob die rechtlichen Schlußfolgerungen, die sie in dem Verwaltungsakt daraus gezogen hat, zutreffen. Diese materielle Bindung ist - wie auch das LSG angenommen hat - nicht gleichzusetzen mit der Rechtskraft eines Urteils; die Verwaltung ist nicht - wie dies für die Partei gilt, die ein materiell unrichtiges Urteil, das rechtskräftig geworden ist, beseitigen will - darauf angewiesen, daß die unrichtige Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren durch ein gerichtliches Urteil aufgehoben wird, sie darf den materiell unrichtigen Verwaltungsakt selbst aufheben, d.h. zurücknehmen oder widerrufen, soweit sie durch "Gesetz" dazu ermächtigt ist. Die materielle Bindung des Verwaltungsakts beruht auch nicht auf einer "Vermutung der Richtigkeit und Rechtmäßigkeit" des Verwaltungsakts (vgl. dazu Bachof, Juristenzeitung 1957, 437, Abschnitt C II 4, 5; Reissmüller, Juristenzeitung 1959, 646), sie dient vielmehr dem Interesse der Beteiligten an der Rechtssicherheit (vgl. auch Urteil des BSG vom 21. September 1962, MDR 1963, 254 = DÖV 1963, 182). Der erkennende Senat hat in dem Urteil BSG 7, 8 ff., 12 nicht - wie das LSG offenbar meint - gesagt, daß eine "Vermutung der Richtigkeit oder Rechtmäßigkeit" eines bindend gewordenen Verwaltungsakts bestehe; in dem Urteil ist vielmehr gesagt, die Ermächtigung zu einer "Neufeststellung" der Rente in § 62 Abs. 1 BVG sei nur für den Fall erteilt, daß die Verhältnisse, die bei Erlaß des früheren Bescheides in Wirklichkeit vorgelegen haben, sich nachweislich und wesentlich geändert haben; der Gesetzgeber sei dabei von dem Regelfall ausgegangen, daß die Versorgungsverwaltung nach dem Grundsatz der Amtsermittlung (§ 12 VerwVG) die Verhältnisse vor der Feststellung prüfe, ihr Verwaltungsakt deshalb in Regelfall bei seinem Erlaß rechtmäßig sei. Wenn die Verwaltung dies ausnahmsweise nicht oder nur unvollständig getan hat, wenn also subjektiv für sie andere als die tatsächlich gegebenen Verhältnisse bei der Feststellung maßgebend gewesen sind, so ist der Bescheid objektiv unrichtig, es spricht keine "Vermutung" für seine Richtigkeit, er ist aber, wenn er bindend geworden ist, trotzdem zwischen den Beteiligten "in der Sache" maßgebend. Die Verwaltung kann einen solchen Bescheid nicht nach § 62 Abs. 1 BVG rechtswirksam zurücknehmen, sie kann ihn nur zurücknehmen, wenn die Voraussetzungen des § 41 VerwVG vorliegen.

Auf die Verhältnisse, die bei Erlaß eines Bescheides in Wirklichkeit vorgelegen haben, kommt es aber für die Entscheidung darüber, ob später die Voraussetzungen für eine Neufeststellung nach § 62 Abs. 1 BVG eingetreten sind, dann nicht an, wenn - in Abweichung vom Regelfall - die Verwaltung ausnahmsweise durch Gesetz ermächtigt gewesen ist, in einem Bescheid eine "Regelung" zu treffen ohne Rücksicht darauf, wie die Verhältnisse zur Zeit des Erlasses dieses Bescheids tatsächlich sind. Eine solche Ermächtigung ergibt sich aus § 86 Abs. 3 BVG. Wie sich aus den Verhandlungen des 26. Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen des Deutschen Bundestags ergibt (vgl. Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, Protokoll der 35. Sitzung vom 4. Oktober 1950 S. 97 1), ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß zur Feststellung des Versorgungsanspruchs nach dem BVG in aller Regel eine ärztliche Nachuntersuchung erforderlich sei; weil dies aber bei der großen Zahl der Versorgungsfälle zeitlich nicht in allen Fällen durchführbar gewesen ist, hat er, um eine Unterbrechung in der Zahlung der laufenden Bezüge zu vermeiden, die Versorgungsverwaltung ermächtigt, von einer ärztlichen Untersuchung vor dem Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" abzusehen; sie hat bei der Feststellung der Rente nach dem BVG ausnahmsweise die Verhältnisse zugrunde legen dürfen, die bei Erlaß der Entscheidung nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften bestanden haben, sie hat die damaligen Verhältnisse als maßgebend für die Feststellung der Rente nach dem BVG ansehen dürfen. Wenn eine spätere Untersuchung ergeben hat, daß diese Verhältnisse nicht mehr vorliegen, so hat die Versorgungsverwaltung bis 30. September 1954, wenn sie den "Umanerkennungsbescheid" als rechtswidrig hat zurücknehmen wollen, ausnahmsweise nicht nachweisen müssen, daß - vor oder nach dem Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" - eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten ist, von denen bei der Entscheidung nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften ausgegangen worden ist; bis zu diesem Zeitpunkt ist die Versorgungsverwaltung nach § 86 Abs. 3 BVG ermächtigt gewesen, den "Umanerkennungsbescheid" schon dann zurückzunehmen, wenn sie nach seinem Erlaß die Überzeugung erlangt hat, dieser Bescheid entspreche nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Die Vorschrift des § 86 Abs. 3 BVG, die eine klare Ausnahme zu dem Regelfall des § 62 Abs. 1 BVG ist, besagt nicht, daß die Versorgungsverwaltung den "Umanerkennungsbescheid", den sie ohne vorhergehende "Nachuntersuchung" erlassen, hat, nach dem 30. September 1954 nur dann zurücknehmen darf, wenn nach dem Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse eingetreten ist. Soweit das LSG meint, die Versorgungsverwaltung habe ein "Risiko" eingegangen, wenn sie nicht bis spätestens 30. September 1954 eine Nachuntersuchung durchgeführt habe, der Gesetzgeber habe "offenkundig gewollt", daß sie eine Neufeststellung nach dem 30. September 1954 nur dann rechtswirksam vornehmen können, wenn die Änderung in den Verhältnissen nach dem Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" eingetreten sei, kann dieser Auffassung nicht zugestimmt werden. Sinn und Zweck des § 86 Abs. 3 BVG haben nicht darin bestanden, den Beschädigten auch über den 30. September 1954 hinaus Versorgungsbezüge zu gewährleisten, die ihnen wegen einer Änderung der Verhältnisse nicht mehr zustehen, es ist auch nicht beabsichtigt gewesen, der Versorgungsverwaltung ein "Risiko" aufzuerlegen, die Funktion dieser Vorschrift hat allein darin bestanden, eine rasche "Überleitung" der Versorgungsbezüge zu ermöglichen und die "Umstellung" der Bescheide auf das Recht des BVG zunächst einmal so einfach wie möglich zu gestalten. Es hat deshalb auch nicht die Absicht bestanden, auszuschließen, daß die Versorgungsverwaltung auch nach dem 30. September 1954 den "Umanerkennungsbescheid" nach § 62 Abs. 1 BVG jedenfalls für die Zukunft dann zurücknehmen darf, wenn sie den Nachweis erbringen kann, daß die in dem "Umanerkennungsbescheid" festgestellte Rente den tatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht, weil eine Änderung in den Verhältnissen eingetreten ist, die für die Feststellung in diesem Bescheid maßgebend gewesen sind. Der "Umanerkennungsbescheid" ist "in der Sache" insoweit nicht bindend, weil auch er die Verhältnisse zugrunde legt, die für die Feststellung in dem Bescheid nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften maßgebend gewesen sind und nicht die Verhältnisse, die bei seinem Erlaß bestanden haben, diese Verhältnisse sind für den "Umanerkennungsbescheid" nicht maßgebende. Es ist deshalb daran festzuhalten (vgl. BSG 11, 236 ff., 242; 15, 26 ff., 28), daß insoweit die "Regelung", die in der Entscheidung nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften getroffen worden ist, mit dem "Umanerkennungsbescheid" zu einer Einheit verschmolzen ist. Zwar ist der - Bescheid nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften vom Inkrafttreten des BVG an zwischen den Beteiligten nicht mehr "maßgebend" (vgl. BSG 4, 21, 23); ebenso wie nach der Übergangsvorschrift des § 85 BVG ein "Bestandteil" der Entscheidung nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften, nämlich die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung "Bindungswirkung" hat (vgl. hierzu Urteil des BSG in SozR Nr. 17 zu § 85 BVG) und deshalb in die Entscheidung nach dem BVG übernommen werden muß, darf aber die Versorgungsverwaltung wenn sie einen "Umanerkennungsbescheid" ohne ärztliche Nachuntersuchung erlassen hat, eine andere "Regelung" der früheren Entscheidung, nämlich die Bewertung des Grades der MdE, nach § 86 Abs. 3 BVG in den "Umanerkennungsbescheid" übernehmen. In beiden Fällen wird damit eine "Regelung" des früheren Bescheides "Bestandteil" des "Umanerkennungsbescheides", wenngleich die "Maßgeblichkeit" dieser "übernommenen" Regelung vom Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" an nur noch auf diesem Bescheid beruht. Haben die Verhältnisse, die bei Erlaß der Entscheidung nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen gewesen sind, schon bei Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" nicht mehr bestanden, so ist die Rechtswidrigkeit des "Umanerkennungsbescheides" eine Folge davon, daß der frühere Bescheid im Zeitpunkt der Umanerkennung rechtswidrig gewesen ist. Der "Umanerkennungsbescheid" hat keine "novierende Kraft" in dem Sinn, daß es - wie der Kläger meint - nach dem 30. September 1954 für eine Neufeststellung nur noch darauf ankommt, wie die Verhältnisse tatsächlich bei Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" gewesen sind. Beide Beteiligten verkennen insoweit, daß in derartigen Fällen für die Verwaltung die tatsächlichen Verhältnisse bei Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" überhaupt nicht maßgebend gewesen sind; deshalb kann der Zeitpunkt, in dem der "Umanerkennungsbescheid" erlassen ist, nicht herangezogen werden zum Vergleich dafür, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Es kommt daher in diesen Fällen für die Anwendung des § 62 Abs. 1 BVG nicht darauf an, ob die wesentliche Änderung in den Verhältnissen vor oder nach dem Erlaß des "Umanerkennungsbescheides" eingetreten ist.

Da sich dies unmittelbar aus den Vorschriften des BVG ergibt, besteht für den erkennenden Senat kein Anlaß zu prüfen, ob und inwieweit die Rechtslage, die nach der Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts zu § 57 des Reichsversorgungsgesetzes hinsichtlich der nach § 2 des Altrentnergesetzes ohne Nachuntersuchung erlassenen "Umanerkennungsbescheide" bestanden hat, dieselbe gewesen ist, wie die Rechtslage, die nach § 62 Abs. 1 BVG hinsichtlich der nach § 86 Abs. 3 BVG ohne ärztliche Nachuntersuchung ergangenen Bescheide besteht (vgl. insoweit BSG 11, 236 ff.).

Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus folgendes: Da die Rente des Klägers in dem "Umanerkennungsbescheid" von 15. Oktober 1951 ohne ärztliche Nachuntersuchung unter Übernahme des bisher anerkannten Grades der MdE festgestellt worden ist, sind auch für die Feststellung in dem "Umanerkennungsbescheid" die Verhältnisse maßgebend gewesen, die dem Bescheid von 24. Juli 1948 nach der SVD Nr. 27 zugrunde gelegen haben, damit also die Verhältnisse bei der Untersuchung des Klägers im November 1946. Diese Verhältnisse haben bei der Nachuntersuchung am 3. Mai 1957 nicht mehr bestanden, der als Schädigungsfolge in dem Bescheid vom 15. Oktober 1951 festgestellte Gelenkrheumatismus ist ausgeheilt gewesen. Der Bescheid vom 15. Oktober 1951, der ein begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist, ist damit bei Erlaß des angefochtenen Bescheides unrichtig gewesen, der Beklagte hat den "Umanerkennungsbescheid" mit Recht durch den angefochtenen Bescheid vom 4. Juli 1957 (Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1958) mit Wirkung vom 1. September 1957 an zurückgenommen. Das LSG hat zu Unrecht auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG abgeändert und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Die Revision des Beklagten ist damit begründet, das Urteil des LSG ist insoweit aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da die tatsächlichen Verhältnisse geklärt sind (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG ist in vollem Umfange zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2253227

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