Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Verfügbarkeit. Erreichbarkeit. Umzug. Verfassungsmäßigkeit. Aufhebung. Mitteilungspflicht. grobe Fahrlässigkeit. Merkblatt. subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Ausländer
Orientierungssatz
1. Ein Arbeitsloser steht der Arbeitsvermittlung wegen mangelnder Erreichbarkeit nicht zur Verfügung, wenn er sich nicht mehr an dem Ort aufhält, den er dem zuständigen Arbeitsamt gegenüber als seine Wohnung bezeichnet hat. Unerheblich ist, daß er die Wohnung nur innerhalb des bisherigen Wohnortes gewechselt hat und in eine andere Straße umgezogen ist (vgl BSG vom 29.11.1989 - 7 RAr 138/88 = BSGE 66, 103 = SozR 4100 § 103 Nr 47).
2. Das Erfordernis der Erreichbarkeit verstößt nicht gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots (Art 20 Abs 3 GG).
3. Bei der Beurteilung der Frage, ob den Arbeitslosen in bezug auf die unterlassene Mitteilung der Anschriftenänderung zumindest der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit trifft, kann allein aus dem Erhalt des "Merkblatts für Arbeitslose" und der mit der Unterschrift unter den Leistungsantrag von dem Arbeitslosen bestätigten Kenntnisnahme noch nicht gefolgert werden, daß er auch seinen Inhalt verstanden hat, soweit darin auf die Pflicht zur Mitteilung der Anschriftenänderung hingewiesen wird. Die Tatsache, daß der Arbeitslose Merkblätter in seiner Muttersprache erhalten kann, ist nicht geeignet, den Einwand mangelnder Kenntnis vom Inhalt des Merkblatts zu entkräften. Das bloße Vorliegen entsprechender Merkblätter, ohne daß der Arbeitslose hiervon weiß, ist insoweit ohne Relevanz.
4. Ein Irrtum des Arbeitslosen dergestalt, daß er seiner Mitwirkungspflicht bereits durch einen Nachsendeauftrag genügt hat, kann ihn entschuldigen, wenn er selbst nicht grob fahrlässig ist (vgl BSG vom 25.4.1990 - 7 RAr 20/89 = DBlR 3674a, SGB X/§ 48).
Normenkette
AFG § 103 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; AufenthAnO § 2 S. 1; SGB X § 19 Abs. 1, § 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2, 4; GG Art. 20 Abs. 3; AufenthAnO § 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 1. Oktober 1993 bis 1. Januar 1994 und die damit verbundene Rückforderung.
Das Arbeitsamt (ArbA) bewilligte der Klägerin ab 30. März 1993 Alg (Bescheid vom 23. Juni 1993). In ihrem Leistungsantrag hatte die Klägerin die Anschrift "Friedrichstraße 32" in T. angegeben; bis zum Januar 1994 teilte sie auch keine neue Anschrift mit. In diesem Monat erfuhr das ArbA, daß die Klägerin am 1. Oktober 1993 in die "Ahrenloher Straße 29" umgezogen war. Daraufhin hob das ArbA die Bewilligung ab 1. Oktober 1993 bis 1. Januar 1994 auf, weil die Klägerin ihrer Pflicht zur unverzüglichen Anzeige von wesentlichen Änderungen nicht nachgekommen sei und deshalb in dieser Zeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe. Außerdem wurden von ihr 2.940,70 DM an Alg und 1.210,90 DM an Krankenversicherungsbeiträgen zurückgefordert (Bescheide vom 3. Mai 1994). Der Widerspruch der Klägerin, mit dem sie ua geltend machte, sie habe - als Ausländerin - die deutsche (Amts-)Sprache nur eingeschränkt verstanden, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheide vom 16. Juni und 18. August 1994).
Das Sozialgericht (SG) hat mit Gerichtsbescheid vom 20. Juni 1995 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien nicht zu beanstanden. Die Aufhebung des Alg ab 1. Oktober 1993 sei durch § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 2 und 4 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) gedeckt. Den Wechsel ihrer Anschrift habe die Klägerin nicht unverzüglich mitgeteilt, obwohl sie dazu verpflichtet und auf diese Verpflichtung ausweislich der Akten ausdrücklich hingewiesen worden sei, indem ihr das "Merkblatt für Arbeitslose" zur Kenntnis gegeben worden sei. Wenn sie die darin gegebenen Verhaltensmaßregeln nicht beachtet habe, habe sie zumindest grob fahrlässig gehandelt. Ebenfalls habe sie dem Merkblatt entnehmen müssen, daß ihr Anspruch auf Alg entfalle, sobald das ArbA sie nicht mehr unter der angegebenen Adresse erreichen könne. Dabei komme es nicht darauf an, ob sie einen Postnachsendeantrag gestellt habe oder unter derselben Telefonnummer wie in der alten Wohnung erreichbar sei. Soweit sie einwende, der deutschen (Amts-)Sprache nur bedingt mächtig zu sein, müsse sie sich entgegenhalten lassen, daß die Amtssprache grundsätzlich deutsch sei (§ 19 Abs 1 SGB X). Im übrigen könne sie bei der Beklagten Merkblätter auch in ihrer Muttersprache erhalten. Da keine Gesichtspunkte für eine atypische Fallgestaltung vorlägen, seien auch keine Ermessenserwägungen erforderlich gewesen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 18. April 1996 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Leistungsbewilligung und Rückforderung der Überzahlung auf den Gerichtsbescheid des SG verwiesen und im übrigen ausgeführt, die seit dem 1. Januar 1994 geltende Neufassung des § 152 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gelte für die angefochtenen Bescheide, da sie nach dem 31. Dezember 1993 ergangen seien. Aus Sinn und Zweck der getroffenen Regelung ergebe sich, daß sie sich nicht auf nach dem 31. Dezember 1993 entstandene Sachverhalte beschränke. Dies begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Grundsatz des Vertrauensschutzes werde durch die Neufassung des § 152 AFG weder eingeschränkt noch überhaupt tangiert. Der durch die Neuregelung bestimmte Wegfall einer Ermessensausübung könne mit dem Schutz des Vertrauens in die Rechtmäßigkeit eines Bescheides nicht gleichgesetzt werden.
Mit der Revision rügt die Klägerin (sinngemäß) eine Verletzung des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG, § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X, § 152 Abs 3 AFG sowie des Art 20 Abs 3 Grundgesetz (GG). Die Voraussetzungen einer Aufhebungsentscheidung nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X iVm § 152 Abs 3 AFG seien nicht erfüllt. Sie sei auch in der streitigen Zeit für das ArbA erreichbar gewesen und habe durch ihren Nachsendeantrag, ihre unveränderte Telefonnummer und regelmäßige Vorsprachen bei ihrem Arbeitsvermittler ihre Vermittelbarkeit sichergestellt. Soweit die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) höhere Anforderungen an das Merkmal der Verfügbarkeit gestellt habe, bedürfe sie einer Korrektur. Jedenfalls seien bei ihr die subjektiven Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und Nr 4 SGB X nicht gegeben; ihr könne nicht der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit gemacht werden. Das LSG habe insoweit lediglich auf den Gerichtsbescheid des SG verwiesen. Dieses sei auf die von ihr geltend gemachten Sprach- und Verständnisschwierigkeiten unzureichend eingegangen. Der lapidare Hinweis, sie habe Merkblätter auch in ihrer Muttersprache erhalten können, könne eine grobe Fahrlässigkeit ihrerseits nicht belegen. Das ArbA habe sie zumindest darauf hinweisen müssen, daß sie Merkblätter in ihrer Muttersprache erhalten könne; insoweit sei das ArbA auch seiner Beratungspflicht nach § 14 Abs 1 Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht nachgekommen. Keinesfalls sei in ihrem Fall § 152 Abs 3 AFG nF anwendbar; denn eine Anwendung der Regelung auf vor dem 1. Januar 1994 liegende Sachverhalte verstoße gegen das Rückwirkungsverbot und sei verfassungswidrig. Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie die Bescheide der Beklagten vom 3. Mai 1994 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Juni und 18. August 1994 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung von Alg ab 1. Oktober 1993 ist § 48 Abs 1 SGB X iVm §§ 100 ff AFG.
Nach § 48 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Satz 2 Nr 2) oder soweit er wußte oder nicht wußte, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Satz 2 Nr 4).
Bei der Bewilligung des Alg ab 30. März 1993 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl hierzu etwa BSGE 78, 109, 111 = SozR 3-1300 § 48 Nr 48 mwN). Die erforderliche wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei seinem Erlaß (Bescheid vom 23. Juni 1993) vorgelegen haben, liegt darin, daß die Klägerin der Arbeitsvermittlung ab 1. Oktober 1993 nicht mehr zur Verfügung gestanden hat. Anspruch auf Alg hat jedoch nur, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (§ 100 Abs 1 AFG). Nach § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG, eingefügt durch Art 1 Nr 31 des Fünften Gesetzes zur Änderung des AFG vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189), ist Voraussetzung für die Verfügbarkeit ua, daß der Arbeitslose das ArbA täglich aufsuchen kann und für das ArbA erreichbar ist. Hierzu bestimmt § 1 der Aufenthaltsanordnung (AufenthAnO) vom 3. Oktober 1979 (ANBA S 1388), daß das ArbA den Arbeitslosen während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost unter der von ihm benannten, für die Zuständigkeit des ArbA maßgeblichen Anschrift erreichen können muß. An dieser Voraussetzung mangelt es hier jedenfalls für die Zeit vom 1. Oktober 1993 bis 1. Januar 1994.
Nach den vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen, die für den Senat bindend sind, da zulässige und begründete Revisionsrügen hiergegen nicht vorgebracht worden sind (§ 163 SGG), war die Klägerin ab 1. Oktober 1993 für das zuständige ArbA unter der von ihr im Antragsformular angegebenen Wohnanschrift nicht mehr erreichbar; denn sie hielt sich, da sie am 1. Oktober 1993 von der Friedrichstraße in die Ahrenloher Straße umgezogen war, nicht mehr an dem Ort auf, den sie dem ArbA gegenüber als ihre Wohnung bezeichnet hatte. Dies hat zum Wegfall des Begriffsmerkmals der "Erreichbarkeit", wie er von § 1 Aufenthalts-AnO näher umschrieben wird, geführt; denn das ArbA konnte die Klägerin nicht mehr unter der von ihr benannten Wohnanschrift erreichen (st Rspr, vgl BSGE 66, 103, 104 f = SozR 4100 § 103 Nr 47; BSGE 71, 17, 21 = SozR 3-4100 § 103 Nr 8 mwN).
Unerheblich ist, daß die Klägerin die Wohnung nur innerhalb des bisherigen Wohnortes gewechselt hat und in eine andere Straße umgezogen war; denn ohne entsprechende Mitteilung gegenüber dem ArbA ist nicht gewährleistet, daß sie für dieses jederzeit unter der neuen, für die Zuständigkeit des ArbA maßgebenden Wohnanschrift erreichbar ist (vgl BSGE 66, 103, 105 f = SozR 4100 § 103 Nr 47). Dies ergibt sich auch aus § 2 der AufenthAnO, wonach der Arbeitslose sich an jedem anderen Ort im Nahbereich des ArbA aufhalten kann, wenn er dem ArbA rechtzeitig seine Anschrift für die Dauer seiner Abwesenheit mitgeteilt hat und wie bei Ortsabwesenheit (§ 1 Satz 1) erreichbar ist. Hier fehlt es schon an der Mitteilung der neuen Anschrift.
Unerheblich ist auch, wie das BSG bereits mehrfach entschieden hat, daß der Arbeitslose der Post einen Nachsendeauftrag erteilt oder auf sonstige Weise dafür gesorgt hat, daß ihn an seine frühere Anschrift gerichtete Post erreicht; denn es kommt nicht darauf an, daß der Arbeitslose irgendwie erreichbar ist, sondern er muß - so verlangt es § 1 Satz 1 der AufenthAnO - unter der von ihm dem ArbA benannten Anschrift täglich mindestens zur Zeit des Eingangs der Briefpost erreichbar sein (BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 16 mwN). Desgleichen ist es ohne Bedeutung, ob die Klägerin im erwähnten Zeitraum überhaupt in Arbeit hätte vermittelt werden können (vgl BSGE 58, 104, 106 = SozR 4100 § 103 Nr 36; BSGE 71, 17, 22 = SozR 3-4100 § 103 Nr 8). Denn die Berechtigung zum Leistungsbezug wegen Arbeitslosigkeit folgt nicht aus den Chancen von Vermittlungsbemühungen des ArbA iS einer Vermittlungsmöglichkeit nach den Umständen des Arbeitsmarktes - deren Fehlen ist ja gerade der Grund für eine Leistungsgewährung -, sondern aus der Fähigkeit des Arbeitslosen, solchen Bemühungen - falls sie erfolgen - zeitlich und örtlich sachgerecht entsprechen zu können (BSGE 58, 104, 106 f = SozR 4100 § 103 Nr 36).
Die von der Klägerin geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken führen zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere verstößt das Erfordernis der Erreichbarkeit nicht gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots (Art 20 Abs 3 GG), denn um die sofortige Vermittelbarkeit des Arbeitslosen sicherzustellen, ist das Erfordernis der Erreichbarkeit ein geeignetes und notwendiges Mittel. Im übrigen hat auch im vorliegenden Fall nicht diese Leistungsvoraussetzung zu Nachteilen geführt, sondern das eigene Verhalten der Klägerin, da sie tatsächliche Veränderungen nicht der Behörde mitgeteilt hat. Ein solches Verhalten ist aber jedem Arbeitslosen, der von der Beklagten neben der Gewährung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit auch eine möglichst sachgerechte und rasche Arbeitsvermittlung erwarten darf, zuzumuten (vgl BSGE 58, 104, 108 f = SozR 4100 § 103 Nr 36; SozR 3-4100 § 103 Nr 16).
Ist sonach in den tatsächlichen Verhältnissen wegen Wegfalls der Verfügbarkeit eine wesentliche Änderung eingetreten, ist für die vorgenommene rückwirkende Aufhebung der Alg-Bewilligung entscheidend, ob in der Person der Klägerin die zu § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 2 oder 4 SGB X genannten Voraussetzungen verwirklicht waren.
Wie in § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X gefordert, handelt es sich zwar bei dem Umzug der Klägerin um eine wesentliche, für sie nachteilige Änderung der Verhältnisse. Denn mit dem Umzug war die tägliche Erreichbarkeit der Klägerin unter der von ihr dem ArbA benannten Anschrift entfallen (§ 1 Satz 1 AufenthAnO) und damit ihre Verfügbarkeit (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG). Zur Mitteilung des Umzugs war sie verpflichtet. Dies ergibt sich aus § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB X, wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, ua Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistungen erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen hat. Dieser Verpflichtung ist die Klägerin nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG bzw SG nicht nachgekommen.
Zu der Frage, ob die Klägerin in bezug auf die unterlassene Mitteilung der Anschriftenänderung zumindest der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit trifft, mangelt es jedoch an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Betroffene die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl § 45 Abs 2 Satz 2 SGB X). Dabei ist, wie das BSG mehrfach klargestellt hat, nicht ein objektiver, sondern ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen (BSG SozR 1300 § 48 Nr 22; BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 16 mwN; BSG-Urteile vom 28. November 1996 - 7 RAr 30/95 - und 6. März 1997 - 7 RAr 40/96 -, beide zur Veröffentlichung vorgesehen; Hauck/Haines, SGB X 1, 2, Stand Januar 1997, § 48 Rz 18).
Das SG, auf dessen Ausführungen das LSG verwiesen hat, hat zwar ein zumindest grob fahrlässiges Verfahren auf seiten der Klägerin bejaht. Es hat dies daraus gefolgt, daß die Klägerin ausweislich der Akten auf ihre Verpflichtung zur Anzeige der Adressenänderung hingewiesen worden sei, indem ihr das "Merkblatt für Arbeitslose" zur Kenntnis gegeben worden sei. Ebenfalls habe sie aus diesem Merkblatt erkennen müssen, daß ihr Anspruch auf Alg entfallen würde, wenn die Beklagte sie nicht mehr unter der ihr angegebenen Adresse täglich erreichen könne. Diese Ausführungen lassen jedoch nicht erkennen, aus welchen konkreten Tatsachen, beispielsweise aus welchem Satz des "Merkblatts für Arbeitslose" oder des von der Klägerin unterschriebenen Leistungsantrags, entnommen werden kann, daß sie das "Merkblatt für Arbeitslose" nicht nur erhalten, sondern unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit auch verstanden hat, soweit darin auf die Pflicht zur Mitteilung der Anschriftenänderung hingewiesen wird (vgl BSG SozR 1300 § 48 Nr 22; BSGE 66, 103, 107 f = SozR 4100 § 103 Nr 47; SozR 3-4100 § 103 Nr 16 mwN). Das SG hat auch nicht beachtet, daß bei der Prüfung der groben Fahrlässigkeit zwischen den beiden Varianten Nr 2 und Nr 4 zu differenzieren ist. Denn nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X entfällt der Vertrauensschutz, wenn der Betroffene vorsätzlich oder grob fahrlässig seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen ist, es wird also an das Unterlassen einer Mitteilung angeknüpft. Demgegenüber setzt § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Wegfall des Anspruchs, also Rechtskenntnis, voraus (vgl BSGE 62, 103, 107 = SozR 1300 § 48 Nr 39; Hauck/Haines, aaO, § 48 Rz 21).
Nicht auszuschließen ist, daß die Klägerin vorliegend aufgrund individueller Gegebenheiten gerade nicht grob fahrlässig gehandelt hat. Allein aus dem Erhalt des "Merkblatts für Arbeitslose" und der mit der Unterschrift unter den Leistungsantrag von der Klägerin bestätigten Kenntnisnahme kann noch nicht gefolgert werden, daß sie auch seinen Inhalt verstanden hat, soweit darin auf die Pflicht zur Mitteilung der Anschriftenänderung hingewiesen wird. Hat die Behörde in beigefügten Merkblättern oder im Antragsformular deutlich und verständlich auf die Pflicht zur sofortigen Anzeige aller Veränderungen, die gegenüber dem in dem Antrag angegebenen Verhältnissen eingetreten sind, hingewiesen, so kann zwar dem Betroffenen im Regelfall Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorgeworfen werden (vgl BSG-Urteil vom 11. Januar 1990 - 7 RAr 54/88 -, nicht veröffentlicht; im gleichen Sinne BSGE 58, 104, 109 = SozR 4100 § 103 Nr 36; BSGE 66, 103 = SozR 4100 § 103 Nr 47). Doch entbindet dies nicht von der Prüfung der Verhältnisse im Einzelfall. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang einwendet, sie beherrsche die deutsche Sprache nicht hinreichend, hat das SG zwar zutreffend darauf hingewiesen, daß nach § 19 Abs 1 SGB X der Ausländer keinen Anspruch darauf hat, daß ein an ihn gerichtetes Schreiben in einer anderen als der deutschen Sprache abgefaßt ist. Er muß sich also, wenn er diese nicht hinreichend beherrscht, Klarheit über den Inhalt verschaffen, beispielsweise mit Hilfe eines Dolmetschers. Andererseits darf die Muttersprache des Ausländers, insbesondere bei der Aufklärung und Beratung (§§ 13, 14 SGB I), verwandt werden. So steht § 19 SGB I nicht der Abfassung von Merkblättern und ähnlichem in fremden Sprachen entgegen (vgl Hauck/Haines, aaO, § 19 Rz 9). Auch der Hinweis des SG, die Klägerin habe bei der Beklagten Merkblätter in ihrer Muttersprache erhalten können, ist nicht geeignet, ihren Einwand mangelhafter Kenntnis vom Inhalt des Merkblatts zu entkräften. Denn das bloße Vorliegen entsprechender Merkblätter, ohne daß die Klägerin hiervon weiß, ist insoweit ohne Relevanz.
Weiterhin hat das SG objektive und subjektive Gesichtspunkte vermischt. Es hat bei der Prüfung des subjektiven Sorgfaltsmaßstabs Aspekte herangezogen, die - wie oben dargestellt - im Rahmen der Prüfung der objektiven Tatbestandsvoraussetzung der Erreichbarkeit iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG ihren Platz haben; nämlich daß es nicht darauf ankommt, daß die Klägerin einen Nachsendeauftrag erteilt bzw auf sonstige Weise dafür gesorgt hat, daß ihre Erreichbarkeit für das ArbA irgendwie gesichert ist. Darüber hinaus kann ein Irrtum der Klägerin dergestalt, daß sie ihrer Mitteilungspflicht bereits durch den Nachsendeauftrag genügt hat, sie entschuldigen, wenn er selbst nicht grob fahrlässig ist (vgl nicht veröffentlichtes BSG-Urteil vom 25. April 1990 - 7 RAr 20/89 - zu § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X; ebenso Schroeder-Printzen ua, SGB X, 3. Aufl 1996, § 48 Rz 23 mwN). Auch aus dem Umstand, daß die Klägerin in ihrem Widerspruchsschreiben bzw ihrem Anhörungsschreiben ua ausgeführt hat, sie habe es bei ihren verschiedenen Vorsprachen "vergessen", dem ArbA den Umzug mitzuteilen, läßt sich nicht ohne weiteres schließen, daß sie ihre Mitteilungspflicht bzw den Wegfall ihres Alg-Anspruchs wegen fehlender Verfügbarkeit kannte bzw grob fahrlässig nicht kannte.
Ob die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 oder Nr 4 SGB X gegeben sind, ist für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich, nicht dagegen die vom LSG behandelte Frage, ob § 152 Abs 3 AFG in der ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung (nF) auch in Übergangsfällen zur Anwendung kommt (vgl dazu BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 13). Anders wäre dies nur, wenn die Aufhebung der Bewilligung für die Vergangenheit die Ausübung von Ermessen voraussetzte. Denn da die Beklagte eine Ermessensentscheidung nicht getroffen hat, wäre die Klage, fände § 152 Abs 3 AFG nF keine Anwendung, ungeachtet der Frage begründet, ob die Voraussetzungen von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 oder 4 SGB X gegeben sind. Die Aufhebung einer Bewilligung für die Vergangenheit erfordert nach der Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X nur ausnahmsweise die Ausübung von Ermessen, nämlich in atypischen Fällen (vgl für viele BSGE 59, 111, 114 ff = SozR 1300 § 48 Nr 19; SozR 1300 § 48 Nr 44). Von Atypik kann indes hier nach den bisher getroffenen Feststellungen keine Rede sein. Denn Atypik ist nur anzunehmen, wenn der Einzelfall aufgrund seiner besonderen Umstände vom Regelfall des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X, der die Aufhebung des Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigt, signifikant abweicht (BSG aaO). Hier ist es aber so, daß die wesentliche Ursache für den Wegfall der Leistungsvoraussetzungen ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Klägerin fällt. Nur sie hätte durch rechtzeitige Mitteilung ihrer neuen Anschrift diesen Erfolg vermeiden können (vgl auch BSG Urteil vom 25. April 1990 - 7 RAr 20/89 -, nicht veröffentlicht).
Die tatsächlichen Feststellungen zu § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X, die das LSG nicht getroffen hat, kann der erkennende Senat nicht nachholen. Das Urteil des LSG muß daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die im Revisionsverfahren entstandenen Kosten, an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Für den Fall, daß das LSG wiederum zu dem Ergebnis kommen sollte, daß die Aufhebung der Bewilligung rechtmäßig ist, wird darauf hingewiesen, daß in diesen Fällen auch zu prüfen ist, ob die verlangte Erstattung rechtmäßig ist, und zwar nicht nur dem Grunde, sondern auch der Höhe nach.
Fundstellen