Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzzeittatbestände iVm Art 1 SVVtr YUG
Leitsatz (amtlich)
Art 1 Abs 1 Buchst a des SVVtr JUG vom 10.3.1956 schließt nicht nur die Berücksichtigung zur Zeit des Vertragsabschlusses anrechenbarer Ersatzzeiten aus, sondern auch Ersatzzeittatbestände, die – wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen – damals noch nicht berücksichtigungsfähig waren.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SVVtr YUG Art. 1 Abs. 1 Buchst. a; RVO § 1251 Abs. 2 S. 2; SGB VI § 250 Abs. 1; SozSichAbk JUG Art. 25 Abs. 2; SGB I § 30 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. März 1996 wird zurückgewiesen, soweit sie die Zeit von November 1944 bis Ende Mai 1946 betrifft; im übrigen wird sie als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist Altersruhegeld (ARG) wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nach der Reichsversicherungsordnung (RVO), hilfsweise ab 1. Januar 1992 Altersrente nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Der am 27. Juli 1926 geborene Kläger ist Staatsangehöriger der heutigen Bundesrepublik Jugoslawien. Er hat in der Bundesrepublik Deutschland vom 21. Juli 1971 bis zum 2. Dezember 1971 und in seiner Heimat vom 1. Januar 1986 bis zum 27. Juli 1991 Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt; weiterhin sind für ihn neun Jahre, fünf Monate und drei Tage Ersatzzeiten in der jugoslawischen Rentenversicherung anrechenbar. Der Kläger bezieht dort seit dem 28. Juli 1991 eine Alterspension.
Den Antrag des Klägers vom 4. Oktober 1991 auf Gewährung von ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 20. Juli 1992, Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 1992). Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Landshut vom 30. Juli 1993, Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 12. März 1996). Das LSG hat seine Entscheidung auf folgende Erwägungen gestützt:
Der Kläger habe keinen Anspruch auf ARG gemäß § 1248 Abs 5 RVO und auch nicht ab 1. Januar 1992 auf Altersrente gemäß § 35 SGB VI, da die Wartezeit von 60 Monaten nicht erfüllt sei. Selbst wenn alle vom Kläger geltend gemachten Zeiträume anerkannt würden, ergäbe dies nur eine Dauer von 46 Monaten rentenrechtlicher Zeiten bei einem bundesdeutschen Rentenversicherungsträger. Auch aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438) idF des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390; ≪Abk Jugoslawien SozSich≫) bestehe kein Anspruch auf ARG oder Altersrente. Zwar seien nach Art 25 Abs 1 des Abk für den Erwerb der Leistungsansprüche deutsche und jugoslawische Versicherungszeiten zusammenzurechnen. Gemäß Abs 2 Satz 1 dieser Vorschrift könne jedoch ein Rentenanspruch gegen einen deutschen Rentenversicherungsträger dann nicht geltend gemacht werden, wenn nach den deutschen Rechtsvorschriften eine Versicherungszeit von weniger als zwölf Monaten für die Berechnung der Rente anzurechnen sei. Das sei hier der Fall, da nur die Zeit von Juli 1971 bis Dezember 1971 vom deutschen Rentenversicherungsträger berücksichtigt werden könne.
Eine Beitragszeit vom 23. November 1941 bis 27. Oktober 1942 bei der Firma D. … … …, H. … … …, sei nicht nachgewiesen. Selbst wenn das der Fall sei, könne diese Zeit vom deutschen Rentenversicherungsträger nicht mehr angerechnet werden. Gemäß Art 1, 2 und 3 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über die Regelung gewisser Forderungen aus der Sozialversicherung vom 10. März 1956 (BGBl II 1958, 170; ≪Vtr Jugoslawien SozVers≫) seien nämlich alle Anwartschaften und Ansprüche aus Versicherungszeiten, die vom Kläger auf dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden seien, vom jugoslawischen Versicherungsträger zu entschädigen, weil er am 1. Januar 1956 seinen Wohnsitz auf dem Gebiet der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien gehabt habe und er deren Staatsangehöriger gewesen sei.
Die geltend gemachte Beitragszeit vom 10. Februar 1944 bis Ende November 1944 bei der Firma Z. … … … in W. … sei gemäß Art 34 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 19. November 1965 (BGBl – Österreich – Nr 289/1966) idF des Ersten Zusatzabkommens vom 19. März 1979 (BGBl – Österreich – Nr 81/1980; ≪Abk Jugoslawien-Österreich SozSich≫); ebenfalls auf den jugoslawischen Versicherungsträger übergegangen, weil der Kläger am Stichtag seinen Wohnsitz in Jugoslawien gehabt habe.
Hinsichtlich der geltend gemachten Ersatzzeit des militärischen Dienstes im „Serbischen Freiwilligen-Korps” in W. … sowie der anschließenden englischen Kriegsgefangenschaft von November 1944 bis zur Rückkehr in seine Heimat im Mai 1946 könne dahinstehen, ob es sich überhaupt um eine Ersatzzeit handele, da die Voraussetzungen des § 1251 Abs 2 RVO nicht vorlägen. Dies gelte auch für das ab 1. Januar 1992 geltende Recht. Zwar würde es hiernach gemäß §§ 51 Abs 4, 250 SGB VI genügen, daß der Kläger in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung versichert sei. Da eine Anrechnung dieser Zeit aber dem Sinn und Zweck der im Vtr Jugoslawien SozVers getroffenen Regelung widerspreche, sei eine restriktive Auslegung des § 250 SGB VI dahin geboten, daß solche Ersatzzeiten, die nach dem bis 31. Dezember 1991 geltenden Recht iVm mit dem og Vertrag nicht anrechenbar gewesen seien, auch nach dem ab 1. Januar 1992 geltenden Recht nicht berücksichtigt werden könnten. Da die fraglichen Zeiten bereits durch die Bundesrepublik Deutschland entschädigt seien, könne eine nochmalige Entschädigung bei der individuellen Rentenberechnung vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sein.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 51 iVm § 250 Abs 1 Ziff 1 SGB VI. Die allgemeinen Grundsätze für die Auslegung von Staatsverträgen ließen die vom LSG vorgenommene teleologische Reduktion nicht zu. Eine solche würde zu einer Ungleichbehandlung der jugoslawischen Staatsangehörigen führen. Eine derartige Einschränkung hätte der Aufnahme in das Abk Jugoslawien SozSich bedurft, zumal im Jahr 1968 der zeitlich frühere völkerrechtliche Vtr Jugoslawien SozVers aus dem Jahre 1956 bekannt war. Die Vertragsschließenden hätten im übrigen hinsichtlich einzelner Punkte auch solche völkerrechtlich geforderten Einschränkungen vorgenommen. Hätten die Vertragsparteien die Ausschließung anrechenbarer Ersatzzeiten gewollt, wäre dies jedenfalls im Schlußprotokoll des Abk aufzunehmen gewesen. Im übrigen nähmen die bilateralen Abkommen immer Bezug auf die gesetzlichen Bestimmungen in der jeweiligen Fassung, so daß es einer ausdrücklichen Vereinbarung im Abk bedurft hätte, wenn die Vertragsparteien den im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Rechtszustand hätten festschreiben wollen. Das Abk Jugoslawien SozSich bestimme die grundsätzliche Gleichstellung der Staatsangehörigen des jeweils anderen Staates. Nach Art 25 dieses Abk iVm §§ 51 Abs 4, 250 Abs 1 Ziff 1 SGB VI seien deshalb Ersatzzeiten auf die Wartezeit nach § 50 SGB VI anzurechnen. Denn § 250 SGB VI bestimme, daß militärischer Dienst und Kriegsgefangenschaft iS des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) anzurechnen seien. Beim Kläger lägen auch die Negativvoraussetzungen nach § 250 Abs 2 SGB VI nicht vor. Deshalb sei die Ersatzzeit für geleisteten Militärdienst einschließlich der erlittenen Kriegsgefangenschaft anzuerkennen. Hinsichtlich der (Nicht-)Anrechnung der Pflichtbeitragszeiten hat der Kläger keine Revisionsgründe vorgetragen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. März 1996 und das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30. Juli 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn, unter Berücksichtigung der Pflichtbeitragszeiten vom 23. November 1941 bis 27. Oktober 1942, vom 10. Februar 1944 bis Ende November 1944 und vom 21. Juli 1971 bis 2. Dezember 1971 sowie der Ersatzzeiten von Ende November 1944 bis Ende Mai 1946, ab 1. August 1991 Altersruhegeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die vom LSG zugelassene Revision des Klägers ist nur zum Teil zulässig. Soweit der Kläger die Berücksichtigung der Zeiten von November 1941 bis Oktober 1942 und Februar 1944 bis November 1944 als (Pflicht-)Beitragszeiten zur deutschen Rentenversicherung begehrt, ist sie unzulässig, weil sie insoweit nicht begründet worden ist. Zwar hat der Kläger mit der Revision auch die Berücksichtigung der og Zeiten beantragt. Die Revisionsbegründung hat er aber ausschließlich auf die außerdem begehrte Zugrundelegung einer Ersatzzeit von November 1944 bis Ende Mai 1946 gestützt. Dies genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Eine solche gesetzlich vorgeschriebene Begründung ist bei einer Mehrheit von mit dem Rechtsmittel verfolgten Ansprüchen für jeden von ihnen erforderlich. Unter einer derartigen Mehrheit sind dabei nicht notwendig nur Ansprüche im streng prozessualen Sinn zu verstehen. Deshalb muß sich bei einem „teilbaren Streitgegenstand”, soweit für jeden dieser Teile ein anderer Sachverhalt zugrunde zu legen ist, die Begründung auf alle Teile des angefochtenen Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt wird (vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫ in BSGE 7, 35; BSG SozR 1500 § 164 Nr 22). Die og Ersatz- und Beitragszeiten als Grundlage des ARG- hilfsweise Altersrentenanspruchs sind ohne weiteres aufteilbar und damit auch begrenzbar. Da der Kläger hinsichtlich dieser Zeiten nicht der gesetzlichen Pflicht nachgekommen ist, sein Rechtsmittel durch einen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten zu begründen, mußte die Revision insoweit ohne Prüfung in der Sache als unzulässig verworfen werden (§ 169 SGG).
Im übrigen ist die vom LSG zugelassene Revision zwar zulässig, aber unbegründet.
Der Anspruch des Klägers auf ARG richtet sich nach den Vorschriften des Vierten Buches der RVO, denn der Rentenantrag ist bis zum 31. März 1992 gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 SGB VI, vgl BSG SozR 3-2200 § 1259 Nr 14). Dem Vorbringen des Klägers ist allerdings sinngemäß auch zu entnehmen, daß er hilfsweise einen Anspruch auf Altersrente ab 1. Januar 1992 geltend machen will. Hinsichtlich dieses Antrags richtet sich der Anspruch nach den Vorschriften des SGB VI (§ 300 Abs 1, Abs 2 SGB VI).
Wie das LSG zutreffend erkannt hat, hat der Kläger keinen Anspruch auf ARG nach § 1248 Abs 5, 7 iVm § 1251 RVO, da die Wartezeit nicht erfüllt ist. Er hat keine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten bei einem deutschen Rentenversicherungsträger zurückgelegt; es sind – nachdem die Nichtberücksichtigung der Zeiten von November 1941 bis Oktober 1942 sowie von Februar 1944 bis November 1944 mit der Revision nicht wirksam angefochten worden ist – nur die Pflichtbeiträge vom 21. Juli bis 2. Dezember 1971 anrechenbar. Auch mit der weiter geltend gemachten Ersatzzeit für den 19monatigen Zeitraum von November 1944 bis Mai 1946 wäre die Wartezeit nicht zu erfüllen.
Ebensowenig verhilft eine Anwendung zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrechts dem Kläger zu einem Rentenanspruch gegen die Beklagte. Zugrunde zu legen sind der Vtr Jugoslawien SozVers und das Abk Jugoslawien SozSich, die bis zum Abschluß neuer Abkommen weitergelten, da die heutige Bundesrepublik Jugoslawien als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien anzusehen ist (vgl im übrigen auch BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 46 S 194). Nach Art 25 Abs 1 Satz 1 des Abk Jugoslawien SozSich werden für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen, wenn nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden sind. Allein aufgrund der Pflichtbeitragszeiten des Klägers in Jugoslawien von über fünf Jahren wäre damit die Wartezeit erfüllt. Daraus folgt aber noch nicht, daß der Kläger auch einen Anspruch auf Rente gegen die Beklagte hat, weil dazu außerdem eine Mindestzahl von Versicherungszeiten vorhanden sein muß, die nach innerstaatlichem Recht in der deutschen Rentenversicherung anrechenbar sind. Ist dies nicht der Fall, werden auch die an sich in der deutschen Rentenversicherung anzurechnenden Zeiten in der jugoslawischen Rentenversicherung berücksichtigt (Art 25 Abs 2 Satz 2 iVm Art 26 Abs 1 Abk Jugoslawien SozSich). Erforderlich wäre für Ansprüche gegen einen deutschen Versicherungsträger eine nach deutschen Rechtsvorschriften anrechenbare Versicherungszeit von mindestens zwölf Monaten. Der Kläger hat hier aber nur eine Versicherungszeit von weniger als zwölf Monaten zurückgelegt. Außer der vom LSG festgestellten Pflichtbeitragszeit vom 21. Juli 1971 bis 2. Dezember 1971 sind keine weiteren Versicherungszeiten im Sinne des Art 25 Abs 2 des Abk anrechenbar.
Die Zeit beim Serbischen Freiwilligen-Korps in W. … von Ende November 1944 bis zur Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im Mai 1946 ist nicht als Versicherungszeit im Sinne von Art 25 Abs 2 Abk Jugoslawien SozSich anzurechnen, selbst wenn man anerkennen würde, daß es sich dabei um Dienst in der deutschen Wehrmacht mit anschließender Kriegsgefangenschaft handelt, insoweit mithin gemäß § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO grundsätzlich ein Ersatzzeittatbestand in Betracht käme (vgl dazu BSG SozR 3100 § 7 Nr 6). Denn diese Zeit wäre jedenfalls nicht mehr in der deutschen, sondern in der jugoslawischen Sozialversicherung zu berücksichtigen.
Dabei ist unerheblich, daß der Kläger nach den Feststellungen des LSG keine Vorversicherungszeit aufzuweisen hat und damit die Anrechnung einer Ersatzzeit bereits nach dem bei Abschluß des Vertrages geltenden § 1263 RVO idF der Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 (RGBl I 41) – RVO aF – ausgeschlossen gewesen wäre, insbesondere da ausländische Beitragszeiten bei der erforderlichen Vorversicherung grundsätzlich nicht den deutschen Zeiten gleichstehen (BSGE 34, 283 = SozR Nr 62 zu § 1251 RVO). Auch kann dahingestellt bleiben, ob eine Ersatzzeit hier später gemäß § 1251 Abs 2 Satz 2 RVO ohne vorhergehende Versicherungszeiten anrechenbar geworden sein könnte. Denn im vorliegenden Fall greift bezüglich der geltend gemachten Ersatzzeit Art 1 des Vtr Jugoslawien SozVers ein. Derartige Sonderregelungen in zwischenstaatlichen Vereinbarungen gehen dem innerstaatlichen Recht vor (§ 30 Abs 2 des SGB – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫). Im Vtr Jugoslawien SozVers sind gerade für die in der Zeit vor 1956 entstandenen Rentenanwartschaften Vereinbarungen getroffen worden, welche eine Anwendung des § 1251 RVO zugunsten des Klägers ausschließen.
Nach Art 1 Abs 1 Buchst b des Vtr Jugoslawien SozVers werden aus den Versicherungen für den Fall der Invalidität alle Ansprüche und Anwartschaften von jugoslawischen Staatsangehörigen, die am 1. Januar 1956 ihren ständigen Wohnsitz im Gebiet der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien hatten, durch Zahlung von Pauschalbeträgen abgegolten, soweit diese Anwartschaften und Ansprüche aufgrund der bis 1. Januar 1956 in der deutschen Sozialversicherung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten (Beitrags- und Ersatzzeiten) erwachsen sind. Ersatzzeiten zählen somit nach der Legaldefinition des Vertrages zu den Versicherungszeiten. Zu diesen Zeiten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gehören nicht nur die nach Bundesrecht, sondern auch die nach früheren reichsrechtlichen Vorschriften in diesen Gebieten zurückgelegten Versicherungszeiten (Koch/Hartmann/Schmidt, Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch, Zwischenstaatliches Sozialrecht, Jugoslawien, B 59). Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger am Stichtag jugoslawischer Staatsangehöriger und hatte seinen ständigen Wohnsitz im Gebiet der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien.
Die genannten Bestimmungen des Vtr Jugoslawien SozVers verdrängen das innerstaatliche Recht der Bundesrepublik Deutschland, soweit dieses ihnen entgegensteht (Art 2 des Gesetzes vom 25. Juni 1958 zu dem og Vertrag, BGBl II 168). Dies hat das BSG bereits hinsichtlich Vorschriften über Beitragszeiten entschieden (BSG SozR 6560 Art 1 Nr 4); für Vorschriften über Ersatzzeiten gelten insoweit keine Besonderheiten.
Der Vertrag betrifft nach seinem Sinngehalt nicht nur die bis zum Stichtag 1. Januar 1956 bereits anrechenbaren Versicherungszeiten, sondern alle Sachverhalte, die den dort erfaßten Versicherungszeiten zugrunde liegen. Er macht deutlich, daß insoweit alle rentenrechtlichen Tatbestände aus der Zeit vor 1956 ein für allemal abgegolten werden sollten. Es sollte bezüglich dieser Versicherungssachverhalte ein „endgültiger Schlußstrich unter die Vergangenheit” gezogen werden (BSG SozR 6561 Art 5 Nr 4; vgl auch die Bestätigung dieser Auffassung durch das BVerfG in SozR 6561 Art 5 Nr 5). Denn gemäß Art 2 des Vertrages übernehmen mit Inkrafttreten des Vertrages die Träger der jugoslawischen Sozialversicherung gegenüber den betroffenen jugoslawischen Staatsangehörigen alle Verpflichtungen aus den genannten Anwartschaften und Ansprüchen. Damit korrespondiert Art 3 des Vertrages, wonach die Träger der deutschen Sozialversicherung, bei denen die nach Art 1 Abs 1 Ziff b des Vertrages bezeichneten Anwartschaften und Ansprüche erwachsen sind, mit der Zahlung des in Art 1 Abs 2 des Vertrages genannten Unterschiedsbetrages in Höhe von 26 Millionen DM von allen Verpflichtungen aus diesen Anwartschaften und Ansprüchen befreit werden.
Aus diesem Regelungswillen zur pauschalen Abgeltung der genannten, vor dem 1. Januar 1956 liegenden rentenrechtlichen Tatbestände wird deutlich, daß nicht nur damals real bestehende Ansprüche und Anwartschaften abgegolten worden sind, sondern daß die erfaßten rentenrechtlich relevanten Lebenssachverhalte ein für allemal insgesamt geregelt werden sollten, dh auch hinsichtlich damals abgelehnter, ruhender oder (noch) nicht bestehender Ansprüche und Anwartschaften.
Eine Differenzierung danach, ob bereits vor 1956 alle sonstigen Voraussetzungen des damaligen § 1263 RVO aF für die Berücksichtigung als Ersatzzeit gegeben waren, kommt nicht in Betracht. Dies wäre mit dem Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren. Eine solche Ansicht würde diejenigen, die bis zum 1. Januar 1956 nicht die sonstigen Voraussetzungen für die Anrechnung einer Ersatzzeit aufzuweisen hatten und damit ansich weniger schutzwürdig waren, gegenüber denjenigen, die damals bereits anrechenbare Ersatzzeiten vorweisen konnten, in sachwidriger Weise besserstellen.
Eine ähnliche Rechtslage bestand übrigens später hinsichtlich § 1251a Abs 1a RVO (idF durch Art 6 Nr 18 Buchst b des Rentenreformgesetzes 1992 ≪RRG 1992≫ vom 18. Dezember 1989, BGBl I 2261), wonach Kindererziehungszeiten, die wegen Erziehung und gewöhnlichen Aufenthalts im Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze grundsätzlich anzuerkennen wären, nach Satz 2 dieser Vorschrift aufgrund einer fiktiven Betrachtung nicht zu berücksichtigen sind, wenn zeitgleiche Beitragszeiten aufgrund eines entsprechenden Abkommens in die Versicherungslast eines ausländischen Versicherungsträgers fallen würden (vgl auch BSG SozR 3-5050 § 28b Nr 1; SozR 3-6675 Art 24 Nr 1).
Dementsprechend bewirkten die Erleichterungen, die sich für die Anrechnung von Ersatzzeiten aus § 1251 RVO idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) ab 1. Januar 1957 ergaben (ua Anrechenbarkeit bei anschließender rentenversicherungspflichtiger Beschäftigung) in Ansehung der deutsch-jugoslawischen Versicherungslastregelung keine Veränderung. Folglich konnten und können die vom Vtr Jugoslawien SozSich betroffenen zum Stichtag in Jugoslawien wohnenden Personen, deren Kriegsdienst nach altem innerstaatlichem Recht nicht als Ersatzzeit angerechnet werden konnte, auch nach Inkrafttreten des ArVNG keine Anrechnung beanspruchen.
Auch nach § 35 iVm § 250 SGB VI kann der Kläger – für die Zeit ab 1. Januar 1992 – keine Anrechnung dieser Ersatzzeit verlangen. Nach § 250 Abs 1 Nr 1 SGB VI (in der am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Fassung des RRG 1992) sind Ersatzzeiten Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr militärischen Dienst usw geleistet haben. Sofern der Kläger ab November 1944 Dienst beim „Serbischen Freiwilligen-Korps” geleistet hat, der als militärischer Dienst usw im Sinne dieser Norm anzusehen wäre, hätte er damit nach dem Wortlaut der Vorschrift die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Ersatzzeit erfüllt. Dennoch greift diese Regelung nicht ein, da ihrer Anwendung auch insoweit – wie bei § 1263 RVO aF und § 1251 RVO idF des ArVNG – das zwischenstaatliche Recht entgegensteht. Auch sie wird aus denselben Gründen, aus denen § 1263 RVO aF und § 1251 RVO ausgeschlossen werden, durch Art 1 des Vtr Jugoslawien SozVers verdrängt. Die Änderung der Ersatzzeittatbestände durch das RRG 1992 hat somit nur Bedeutung für das innerstaatliche Recht, soweit dieses nicht – wie hier – gegenüber zwischenstaatlichen Vereinbarungen zurücktritt.
Soweit im RRG 1992 aus abgeschlossenen, der jugoslawischen Sozialversicherung zugeordneten Sachverhalten neue Ansprüche gegen deutsche Rentenversicherungsträger hätten begründet werden sollen, hätte es eines ausdrücklichen Hinweises im Gesetz bzw in den Gesetzesmaterialien bedurft. Daran fehlt es hier. Versicherte, die bis zum 1. Januar 1956 einen Ersatzzeittatbestand erfüllt hatten, der nach dem Vtr Jugoslawien SozVers in die jugoslawische Versicherungslast gefallen ist, können deshalb insoweit keine Ersatzzeit nach § 250 SGB VI beanspruchen.
Nicht mehr streitig ist in der Revision, ob der Kläger Anspruch auf ARG oder Altersrente hat, soweit er auch Zeiten bei einem österreichischem Versicherungsträger zurückgelegt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1173185 |
SozR 3-2600 § 250, Nr.3 |
SozSi 1998, 239 |