Entscheidungsstichwort (Thema)
Dauer des Krankengeldanspruchs in Übergangsfällen, Erstattungsanspruch des Rentenversicherungsträgers gegen die KK
Leitsatz (redaktionell)
Mit dem Inkrafttreten des ArbKrankhGÄndG vom 1961-07-12 (BGBl 1 1961, 913) am 1961-08-01 lebte der Anspruch auf Krankengeld im Rahmen des RVO § 183 Abs 2 auch dann wieder auf, wenn zu diesem Zeitpunkt weder eine Mitgliedschaft noch ein Anspruch auf Krankenpflege (RVO § 182 Abs 1 Nr 1) bestand. Auf die Leistungsdauer sind jedoch Zeiten des Bezugs von Krankengeld vor dem 1961-08-01 anzurechnen (= ÄndG ArbKrankhG Art 6 Abs 3).
2*, Hat der Rentenversicherungsträger bei ambulanter Tuberkulosebehandlung Übergangsgeld gewährt, obwohl der Anspruch hierauf gemäß RVO § 1244a Abs 6 S 3 ruht, so entfällt dadurch nicht der Anspruch auf Krankengeld nach RVO § 183 Abs 6. Der Rentenversicherungsträger kann in diesem Fall nach den Grundsätzen des Öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs von der KK die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Übergangsgeldes aus dem Krankengeld verlangen.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 2 Fassung: 1961-07-12, Abs. 6 Fassung: 1961-07-12, § 1244a Abs. 6 S. 3 Fassung: 1959-07-23; ArbKrankhGÄndG Art. 6 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Februar 1971 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 7. September 1970 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die klagende Landesversicherungsanstalt (LVA) begehrt von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Ersatz des Übergangsgeldes, das sie der Hausangestellten K. in der Zeit vom 1. August 1961 bis 17. Januar 1962 gezahlt hat. Die Beklagte weigert sich zu leisten, weil K. am 16. September 1960 bereits ausgesteuert gewesen sei und bei Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (LeistungsverbesserungsG) am 1. August 1961 keinen Leistungsanspruch gegen die Beklagte mehr gehabt habe.
Die Klägerin gewährte der Versicherten K. in der Zeit vom 18. März bis 14. Dezember 1960 wegen Lungentuberkulose stationäre Heilbehandlung und zahlte ihr in dieser Zeit Übergangsgeld. Im Anschluß daran war diese noch arbeitsunfähig krank; sie erhielt von der Klägerin ambulante Behandlung und Übergangsgeld für die Zeit vom 15. Dezember 1960 bis 17. Januar 1962. Sie war zu Beginn der Erkrankung bei der Beklagten auf Grund versicherungspflichtiger Beschäftigung versichert; ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten endete am 16. September 1960 durch Aussteuerung.
Den Anspruch der Klägerin lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 11. Oktober 1962 ab; sie führte abschließend wörtlich aus: "Wir erklären uns bereit, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, falls unsere Auffassung höchstrichterlich nicht bestätigt werden sollte". In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) am 7. September 1970 hielt die Beklagte anfangs die Einrede der Verjährung aufrecht. Nach nochmaliger Eröffnung der mündlichen Verhandlung wurde die Einrede der Verjährung von der Beklagten fallengelassen.
Das SG hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Ersatz für das für die Zeit vom 1. August 1961 bis 17. Januar 1962 gezahlte Übergangsgeld zu leisten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 16. Februar 1971 das Urteil des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß zwar, wie das SG richtig entschieden habe, der Anspruch der K. auf das ihr gezahlte Übergangsgeld nach § 1244 a Abs. 6 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ab 1. August 1961 geruht habe, weil sie ab diesem Zeitpunkt wieder einen Anspruch auf Krankengeld gegen die Beklagte gehabt habe. Der Ersatzanspruch der Klägerin sei aber verjährt.
Die Klägerin rügt in ihrer Revision als wesentlichen Verfahrensmangel, daß das LSG zu Unrecht davon ausgegangen sei, daß die Ersatzforderung der Klägerin verjährt sei. Die Beklagte habe die Einrede der Verjährung zuletzt, in der mündlichen Verhandlung vom 7. September 1970, nicht mehr aufrechterhalten. Den Beteiligten sei an einer grundsätzlichen Klärung der materiell-rechtlichen Rechtslage gelegen; daher habe die Beklagte formelle Einwendungen gegen den Leistungsanspruch zurückgestellt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 16. Februar 1971 aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie räumt ein, daß sie im anhängigen Rechtsstreit ausdrücklich auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe. In materiell-rechtlicher Hinsicht hätten die Vordergerichte sich im wesentlichen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage der Einheit des Versicherungsfalles gestützt, die aber auf den vorliegenden Streitfall nicht passe. Ein Fall der vorliegenden Art, in dem am 1. August 1961 überhaupt keine Leistungsansprüche mehr bestanden hätten, sei dagegen bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Die im vorliegenden Fall noch bestehende Krankheit und Arbeitsunfähigkeit allein könnten keine weiteren Ansprüche ab 1. August 1961 auslösen. Der Versicherungsfall sei hier vor dem 1. August 1961 abgeschlossen gewesen. Im übrigen sei der Anspruch auf Krankengeld nach § 183 Abs. 6 RVO entfallen, weil die Klägerin Übergangsgeld geleistet habe.
II
Die Revision ist begründet. Die klagende LVA hat gegen die beklagte AOK einen Anspruch auf Ersatz des von ihr der Versicherten K. in der Zeit vom 1. August 1961 bis zum 17. Januar 1962 gezahlten Übergangsgeldes.
Zu Unrecht hat das LSG die Klageforderung als verjährt angesehen. Es hat übersehen, daß die Beklagte die Einrede der Verjährung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 7. September 1970 zwar anfänglich erhoben, im weiteren Verlauf der Verhandlung aber ausdrücklich fallengelassen hat. Auch die Beklagte erkennt an, daß sie auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat.
Wie der Senat in seinem Urteil vom 9. September 1971 - 3 RK 5/70; (SozR, § 183 RVO Nr. 64) - näher dargelegt hat, ist auch in dem Fall, daß der Rentenversicherungsträger dem Versicherten ein Übergangsgeld gewährt hat, obwohl der Versicherte einen Anspruch auf Krankengeld gegen einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung hatte, von dem allgemeinen Grundsatz des öffentlichen Rechts auszugehen, daß zu Unrecht geleistete Zahlungen der öffentlichen Hand zu erstatten sind. Dieser Erstattungsanspruch kann sich nicht nur gegen den Zahlungsempfänger richten, sondern auch gegen einen anderen Leistungsträger, an dessen Stelle der nicht verpflichtete gezahlt hat. Für diesen Ausgleichsanspruch ist es unerheblich, ob die von dem nicht verpflichteten Leistungsträger gewährte Leistung die gleiche Bezeichnung wie die Leistung trägt, die eigentlich hätte erbracht werden müssen.
Im vorliegenden Fall steht der klagenden LVA ein solcher Ausgleichsanspruch gegen die beklagte AOK zu. Grundlage einer Verpflichtung der LVA zur Gewährung von Übergangsgeld an die Versicherte K., die die Klägerin offenbar auch zunächst angenommen hat, könnte nur § 1244 a Abs. 6 Satz 1 Buchst. b RVO sein. Diese Verpflichtung ruht jedoch grundsätzlich nach Satz 3 aaO, solange Anspruch auf Krankengeld gegen einen Träger der sozialen Krankenversicherung besteht. Die Voraussetzungen für das Ruhen des Anspruchs auf Übergangsgeld sind für den hier maßgeblichen Zeitraum - 1. August 1961 bis 17. Januar 1962 - gegeben.
Als die Klägerin nach Beendigung der stationären Heilbehandlung der Versicherten K. - 14. Dezember 1960 - die unmittelbar anschließende ambulante Behandlung der K. übernahm, hatte K. noch Anspruch auf Krankenpflege gegen die beklagte Krankenkasse: Ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten hatte am 16. September 1960 geendet; ihr Anspruch auf Krankenpflege gegen die Beklagte war erst sechsundzwanzig Wochen nach dem Ausscheiden aus der Versicherung erloschen (§ 183 Abs. 1 Satz 2 RVO). Die Klägerin hatte somit die ambulante Heilbehandlung der K. bis Mitte März 1961 an Stelle der Beklagten übernommen (vgl. § 1239 Satz 1 RVO), und zwar mit den sich aus Satz 2 und Satz 3 aaO ergebenden Folgen, insbesondere zur Gewährung einer dem Krankengeld entsprechenden Barleistung. Für diesen Zeitraum galt deshalb - Ausnahme von der Ausnahme - auch nicht die vorerwähnte Ruhensvorschrift des § 1244 a Abs. 6 Satz 3 RVO (vgl. den Vorbehalt im letzten Satzteil aaO).
Seit dem Zeitpunkt der Beendigung des Anspruchs der Versicherten K. auf Krankenpflege gegen die Beklagte gewährte die Klägerin die ambulante Heilbehandlung jedoch nicht mehr an Stelle der Beklagten im Sinne des § 1239 Satz 1 RVO, sondern auf Grund ihrer Verpflichtung nach § 1244 a Abs. 3 RVO. Daß die Klägerin den Wechsel des Verpflichtungsgrunds Mitte März 1961 weder gegenüber der Versicherten K. noch gegenüber der Beklagten kundgetan hat, ist für die Beurteilung ihrer Verpflichtung zur Gewährung von Übergangsgeld unerheblich. Hierfür ist allein die objektive Rechtslage entscheidend.
Von diesem Zeitpunkt an war die eine Voraussetzung für das Ruhen des Anspruchs auf Übergangsgeld im Sinne des § 1244 a Abs. 6 Satz 3 RVO erfüllt. Bis zum 31. Juli 1961 fehlte es allerdings noch an der weiteren Voraussetzung, nämlich des Anspruchs auf Krankengeld gegen einen Träger der sozialen Krankenversicherung.
Entgegen der Meinung der Beklagten war sie aber vom 1. August 1961 an erfüllt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BSG 22, 115; zuletzt Urteil vom 9. September 1971 - 3 RK 5/70 - in SozR Nr. 64 zu § 183 RVO, jeweils mit weiteren Nachweisen) wirkte sich die Neugestaltung des § 183 Abs. 2 RVO durch das LeistungsverbesserungsG mit der Ausweitung des Krankengeldbezugs auch auf solche schwebenden Versicherungsfälle aus, in denen der Versicherte im Zeitpunkt des Inkrafttretens des LeistungsverbesserungsG - 1. August 1961 - mit der Leistung des Krankengelds bereits ausgesteuert war und keine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung mehr bestand. Der Anspruch der Versicherten K. auf Krankengeld lebte zu dem genannten Zeitpunkt mit der Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 des LeistungsverbesserungsG - Anrechnung der Zeiten des Bezugs von Krankengeld vor dem Inkrafttreten des Gesetzes - wieder auf.
Demnach ruhte der Anspruch auf Übergangsgeld gegen die Klägerin in der Zeit vom 1. August 1961 bis 17. Januar 1962. Ihr Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte ist begründet.
Dementsprechend war das erstinstanzliche Urteil, das im gleichen Sinn erkannt hatte, wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen