Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung völkerrechtlicher Verträge. SozSichAbk ISR
Leitsatz (amtlich)
Die Gleichstellung israelischer mit deutschen Pflichtbeiträgen nach SozSichAbk ISR Art 22 Nr 3 setzt nicht voraus, daß wenigstens ein Pflichtbeitrag zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden ist.
Orientierungssatz
1. Bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge, insbesondere zwischenstaatlicher Sozialversicherungsabkommen, ist in erster Linie von dem Wortlaut des Vertragstextes auszugehen. Diesem kommt bei der Auslegung im allgemeinen größere Bedeutung zu als dem Wortlaut des Gesetzes bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts. Das schließt allerdings die Heranziehung anderer Auslegungskriterien neben dem Vertragstext nicht aus. Mit der gebotenen Zurückhaltung können vielmehr auch andere Auslegungsmethoden als eine reine Wortinterpretation angewendet werden. So ist für die Auslegung neben dem Wortlaut des Abkommens auch der Wille der Vertragsparteien zu berücksichtigen, wie er sich aus Entstehung, Inhalt und Zweck des Vertrages und der auszulegenden Einzelbestimmung ergibt. Auch ist die Auffassung des beim Zustandekommen eines Abkommens beteiligten Fachministers wegen dessen Kenntnis der Zusammenhänge und der mit dem Abkommen verbundenen Vorstellungen beider Vertragsteile von nicht geringer Bedeutung (vgl ua BSG vom 1973-08-16 4 RJ 115/72 = BSGE 36, 125 und BSG vom 1975-04-30 12 RJ 200/74 = BSGE 39, 284).
2. Die Gleichstellung israelischer mit deutschen Pflichtbeiträgen nach SozSichAbk ISR Art 22 Nr 3 setzt nicht notwendigerweise voraus, daß nach den Vorschriften des anderen Vertragsstaates zu berücksichtigende Beiträge tatsächlich entrichtet worden sind.
3. Bei der Berechnung der Halbbelegung gemäß RVO § 1259 Abs 3 (AVG § 36 Abs 3) als Voraussetzung der Anrechnung von Ausfallzeiten sind die in Israel zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten auch dann zu berücksichtigen, wenn deutsche Pflichtbeiträge nicht vorhanden sind.
Normenkette
AVG § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1972-10-16; RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1972-10-16; AVG § 36 Abs 3 S 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1259 Abs 3 S 1 Fassung: 1965-06-09; SozSichAbk ISR Art 22 Nr 3 Fassung: 1973-12-17
Verfahrensgang
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger bewilligten Altersruhegeldes und speziell darum, ob die für die Anrechnung von Ausfallzeiten erforderliche Halbbelegung ausschließlich mit israelischen Pflichtbeiträgen hergestellt werden kann.
Der am 28. März 1911 geborene Kläger ist rassisch Verfolgter iS des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Er besuchte bis zum Bestehen der Reifeprüfung am 10. April 1930 das Gymnasium. Am 1. Mai 1930 nahm er das Studium der Medizin auf. Dieses brach er im Sommersemester 1933 vorzeitig ab. Im Januar 1935 wanderte er verfolgungsbedingt nach P aus. Er hat seither dort seinen Wohnsitz und besitzt seit 1948 die israelische Staatsangehörigkeit. In der Zeit vom 1. April 1954 bis zum 30. Juni 1976 entrichtete er für 267 Monate Beiträge zur Israelischen Nationalversicherung, davon 231 Monate aufgrund einer abhängigen Beschäftigung.
Im Jahre 1976 entrichtete der Kläger aufgrund des § 10a Abs 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) idF des Achtzehnten Rentenanpassungsgesetzes (18.RAG) vom 28. April 1975 (BGBl I 1018) für die Zeit vom 1. Februar 1940 bis zum 31. Mai 1945 und aufgrund des Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs- Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) für die Zeit vom 1. Januar 1968 bis 31. Dezember 1972 freiwillige Beiträge nach.
Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 24. September 1976 für die Zeit ab 1. April 1976 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Der Berechnung der Leistung legte sie lediglich die mit nachentrichteten Beiträgen belegten Zeiten zugrunde. Den Widerspruch, mit welchem der Kläger die Anrechnung seiner Schulausbildung nach Vollendung des 16. Lebensjahres und seines Hochschulstudiums als Ausfallzeiten begehrte, leitete sie gemäß § 85 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem Sozialgericht (SG) Berlin als Klage zu.
Das SG (Urteil vom 7. Februar 1978) hat nach Einholung einer Auskunft des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMAuS) vom 24. November 1977 die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 24. September 1976 verurteilt, das Altersruhegeld des Klägers neu zu berechnen und dabei die Schulzeit vom 29. März 1927 bis zum 10. April 1930 und das anschließende Studium an der Universität M vom 1. Mai 1930 bis zum 28. Februar 1933 als Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b) des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu berücksichtigen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Die nach Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers liegende weitere Schulausbildung und die nach § 16 Abs 1 WGSVG als abgeschlossen geltende Hochschulausbildung seien als Ausfallzeiten anzurechnen. Die hierfür nach § 36 Abs 3 Satz 1 AVG erforderliche Voraussetzung, daß die Zeit vom Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung bis zum Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, mindestens zur Hälfte, jedoch nicht unter 60 Monaten, mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt ist, sei erfüllt. Während der Zeit von März 1940 bis Februar 1976 (432 Kalendermonate) habe der Kläger zwar keine Pflichtbeiträge in der deutschen Rentenversicherung, wohl aber für 264 Monate Pflichtbeiträge in der israelischen Sozialversicherung entrichtet. Diese stünden bei der Berechnung der Halbbelegung des § 36 Abs 3 Satz 1 AVG nach Art 22 Nr 3 des am 1. Mai 1975 in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975, 246) -im folgenden DISVA- den deutschen Pflichtbeiträgen gleich. Art 22 Nr 3 DISVA sei nach Wortlaut und Wortsinn eindeutig und könne sich allein auf § 36 Abs 3 AVG beziehen. Wenn durch die Vorschrift israelische den nach deutschen Rechtsvorschriften "zu berücksichtigenden" Pflichtbeiträgen gleichgestellt würden, so setze dies entgegen der Ansicht der Beklagten nicht voraus, daß auch tatsächlich deutsche Pflichtbeiträge oder mindestens ein solcher Beitrag vorhanden seien. Aus den vom BMAuS hervorgehobenen innerstaatlichen Motiven für die Anrechnung von Ausfallzeiten - Bindung des Versicherten zur deutschen Rentenversicherung von gewisser Dauer in der Form entrichteter Pflichtbeiträge - ergebe sich nichts anderes. Denn derartige Motive würden bei zwischenstaatlichem oder überstaatlichem Recht nicht selten bewußt aufgegeben. Schließlich vermöge der Einwand des BMAuS nicht zu überzeugen, daß bei der Formulierung des Art 22 DISVA noch von dem Wortlaut des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG in seiner vor der Änderung durch das RRG geltenden Fassung (Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit innerhalb von fünf Jahren im Anschluß an die Ausfallzeit) ausgegangen worden sei und bei rechtzeitigem Bekanntwerden der geänderten Fassung des § 36 AVG eine andere Abkommensfassung gewählt worden wäre. Die Neufassung des § 36 AVG sei bereits in dem dem Bundesrat im November 1971 zugeleiteten ersten Entwurf des RRG enthalten gewesen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt hätte daher die deutsche Seite die Gelegenheit gehabt, auf eine dementsprechende Änderung des Abkommenstextes hinzuwirken. Nach alledem beziehe sich die Gleichstellung in Art 22 Nr 3 DISVA nicht auf tatsächlich vorhandene deutsche Pflichtbeiträge, sondern auf die nach deutschen Vorschriften rechtliche Erheblichkeit solcher Beiträge.
Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin mit Urteil vom 16. März 1979 zurückgewiesen. Es hat sich der Begründung des erstinstanzlichen Urteils in vollem Umfange angeschlossen und ergänzend ausgeführt, es sei nicht erkennbar oder jedenfalls in dem Abkommen nicht zum Ausdruck gekommen, daß nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers die Anrechnung von Ausfallzeiten nur dann in Betracht kommen solle, wenn Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet worden seien. Zwar könnten die sich aus Art 22 Nr 3 DISVA in der Auslegung durch das SG ergebenden Folgen für die deutsche Seite finanziell unbefriedigend und vielleicht sogar nach dem AVG systemwidrig sein. Dies sei jedoch angesichts der insoweit eindeutigen und keiner Auslegung fähigen Regelung des Abkommens unvermeidbar.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des Art 22 Nr 3 DISVA. Das LSG habe die Vorschrift zu Unrecht als eindeutige und keiner Auslegung fähige Regelung iS der Rechtsauffassung des Klägers angesehen. Nach dem für die Auslegung in erster Linie und vor möglichen subjektiven oder teleologischen Auslegungsversuchen maßgebenden Wortsinn der Bestimmung unter Einbeziehung philologischer Kriterien sei das Vorhandensein deutscher Pflichtbeiträge als Voraussetzung für die Berücksichtigung israelischer Pflichtbeiträge dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen. Das ergebe sich aus der Verwendung der Gerundivform der "zu berücksichtigenden" Pflichtbeiträge sowie daraus, daß bei der von den Vorinstanzen für richtig befundenen Auslegung die sprachlich korrekte und eindeutige Formulierung hätte lauten müssen: "Für die Anrechnung von Ausfallzeiten ... stehen den deutschen Pflichtbeiträgen die nach den israelischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge gleich". Das LSG habe dementgegen bei der Auslegung des Normtextes einer teleologischen Interpretation den Vorrang vor der Wortinterpretation gegeben, obgleich bei der Auslegung völkerrechtlicher Bestimmungen dem Vertragstext größere Bedeutung beizumessen sei als bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts dem Wortlaut des Gesetzes. Im übrigen könne auch eine am Sinn und Zweck der Norm orientierte Betrachtungsweise nicht zu der von den Vorinstanzen angestrebten Rechtsfolge führen. Andere Sozialversicherungsabkommen sähen entweder eine Anrechnung deutscher Ausfallzeiten mit Hilfe vertragsstaatlicher Zeiten überhaupt nicht vor oder forderten mit Rücksicht auf die durch das RRG eingetretenen Erleichterungen des innerstaatlichen Rechts (§ 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG) die Anrechenbarkeit mindestens eines deutschen Pflichtbeitrages. Diese Tendenz sei als zusätzliches Indiz für die vom deutschen Vertragspartner bei Abschluß des DISVA vertretene Rechtsauffassung anzusehen. Bei völkerrechtlichen Verträgen sei neben dem Wortlaut auch immer der Wille der Vertragsparteien zu berücksichtigen. Selbst wenn aber schließlich weder der Wortsinn noch der Wille des Gesetzgebers eine eindeutige Auslegung des Normtextes erlaubten, könne nicht durch die Gerichte eine lückenfüllende Interpretation im Gegensatz zum innerstaatlichen Recht erfolgen. Vielmehr seien dann die Vertragspartner aufgerufen, eine unaufklärbare bzw nicht getroffene Regelung durch eindeutige Vereinbarungen zu revidieren.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 16. März 1979 und des Sozialgerichts Berlin vom 7. Februar 1978 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und den Wortlaut des Art 22 Nr 3 DISVA für eindeutig iS der Rechtsauffassung der Vorinstanzen. Vorstellungen der Vertragsparteien könnten zur Auslegung des Vertragstextes nicht herangezogen werden, weil es an übereinstimmenden Vorstellungen beider Vertragsparteien fehle. Im übrigen sei zu berücksichtigen, daß schon vor der Unterzeichnung und erst recht vor dem Inkrafttreten des DISVA erwogen worden sei, selbst im innerstaatlichen Bereich die Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG von der Voraussetzung einer Pflichtbeitragszeit allgemein zu lösen.
Entscheidungsgründe
II
Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Berücksichtigung seiner nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Schulausbildung und seines Hochschulstudiums als Ausfallzeiten bei der Feststellung des ihm bewilligten Altersruhegeldes.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG idF des RRG. Danach sind Ausfallzeiten bis zu einer bestimmten Höchstdauer Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung oder einer abgeschlossenen Fachschulausbildung oder Hochschulausbildung. Hat ein Verfolgter aus Verfolgungsgründen seine Hochschulausbildung nicht abschließen können, so gilt bei Anwendung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG die Ausbildung als abgeschlossen (§ 16 Abs 1 WGSVG).
Die Zeiten der Schulausbildung des Klägers vom 29. März 1927 bis 10. April 1930 und seines Studiums vom 1. Mai 1930 bis zum 28. Februar 1933 sind Ausfallzeiten iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG. Darin sind die Beteiligten einig (vgl Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem LSG am 16. März 1979). Umstritten ist allein, ob die Voraussetzungen des § 36 Abs 3 Satz 1 AVG für die rentensteigernde Anrechnung der Ausfallzeiten erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift werden die Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 AVG nur dann angerechnet, wenn die Zeit vom Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung bis zum Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, mindestens zur Hälfte, jedoch nicht unter sechzig Monaten, mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt ist; hierbei werden der Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung und der Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, nicht mitgezählt, jedoch die hierfür entrichteten Pflichtbeiträge.
Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland hat der Kläger nicht entrichtet. Die gem Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG nachentrichteten Beiträge sind freiwillige Beiträge. Für die nach § 10a Abs 2 WGSVG nachentrichteten Beiträge gilt dasselbe. Die Fiktion des § 10 Abs 1 Satz 3 WGSVG, wonach bestimmte nachentrichtete Beiträge als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge gelten, ist für die gem § 10a WGSVG nachentrichteten Beiträge nicht anwendbar (§ 10a Abs 4 WGSVG; vgl auch BSG SozR 2200 § 1251 Nr 62 S 159).
Der Kläger hat jedoch Pflichtbeiträge zur Israelischen Nationalversicherung entrichtet. Diese sind bei der Feststellung des Altersruhegeldes im Rahmen des § 36 Abs 3 Satz 1 AVG zu berücksichtigen. Dies ergibt sich aus Art 22 Nr 3 DISVA. Er bestimmt:
"Für die Anrechnung von Ausfallzeiten, die nicht pauschal gewährt werden, und für die Hinzurechnung einer Zurechnungszeit stehen den nach deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträgen die nach den israelischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge gleich".
Die Anwendung des Art 22 Nr 3 DISVA bei der Feststellung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland setzt entgegen der Ansicht der Beklagten (ebenso Klitscher/Säuberlich/Költzsch, Sozialversicherungsabkommen Deutschland-Israel, herausgegeben im Auftrage der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, 1976, S 49 f und 150 f; Säuberlich/Költzsch DAngVers 1976, 181, 187; Baumeister/Schroeter in RVO-Gesamtkommentar internationales Sozialversicherungsrecht, Deutschland-Israel, Stand Juni 1978, Art 22 DISVA, Anm 6, S 44) nicht voraus, daß mindestens ein Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland entrichtet worden ist (dies wird ebenfalls nicht gefordert vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger -VDR-, Rundschreiben vom 7. Mai 1975 in Mitt. der LVA Berlin 1975, 211, 214, Ziffer 3. 10.4; Schieffer/Martin, Amtl. Mitt. der LVA Rheinprovinz 1975, 279, 287, Ziffer 8.2.2 a); Übersicht in Amtl. Mitt. der LVA Rheinprovinz 1975, 336, 338 Ziffer 4 c); Kania DRV 1975, 358, 362, Ziffer 2.7; Schwarz RzW 1976, 161, 165; Zielke/Reinhard DAngVers 1977, 193, 199 f, Ziffer 3.1.1.).
Was die hierfür maßgeblichen Auslegungskriterien anbelangt, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge, insbesondere zwischenstaatlicher Sozialversicherungsabkommen, in erster Linie von dem Wortlaut des Vertragstextes auszugehen. Diesem kommt bei der Auslegung im allgemeinen größere Bedeutung zu als dem Wortlaut des Gesetzes bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts. Damit sind die Grenzen der Auslegung eng gezogen. Das schließt allerdings die Heranziehung anderer Auslegungskriterien neben dem Vertragstext nicht aus. Mit der gebotenen Zurückhaltung können vielmehr auch andere Auslegungsmethoden als eine reine Wortinterpretation angewendet werden. So ist für die Auslegung neben dem Wortlaut des Abkommens auch der Wille der Vertragsparteien zu berücksichtigen, wie er sich aus Entstehung, Inhalt und Zweck des Vertrages und der auszulegenden Einzelbestimmung ergibt. Auch ist die Auffassung des beim Zustandekommen eines Abkommens beteiligten Fachministers wegen dessen Kenntnis der Zusammenhänge und der mit dem Abkommen verbundenen Vorstellungen beider Vertragsteile von nicht geringer Bedeutung (vgl zu alledem BSGE 36, 125, 126 = SozR Nr 16 zu § 1303 RVO; BSGE 39, 284, 287 = SozR 2200 § 1303 Nr 3 S 8; BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 S 14; 2200 § 1233 Nr 7 S 4; 6805 Art 22 Nr 3 S 4; 6580 Art 5 Nr 1 S 3).
Durch Art 22 Nr 3 DISVA werden den nach deutschen Rechtsvorschriften "zu berücksichtigenden" Pflichtbeiträgen die nach den israelischen Rechtsvorschriften "zu berücksichtigenden" Pflichtbeiträge gleichgestellt. Schon dieser Wortlaut der Vorschrift spricht gegen die Auffassung der Beklagten. Nach deutschen bzw nach israelischen Rechtsvorschriften "zu berücksichtigende" Beiträge sind nach natürlichem Sprachgebrauch Beiträge, die im Falle ihrer Entrichtung "zu berücksichtigen sind" oder "berücksichtigt werden müssen". Daß sie darüber hinaus tatsächlich entrichtet worden sein müssen, ist der Formulierung "zu berücksichtigende Pflichtbeiträge" nicht zu entnehmen. Zwar ist dies bezüglich der nach israelischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge Voraussetzung für die Anwendung des Art 22 Nr 3 DISVA überhaupt. Andernfalls ist für eine Gleichstellung mit den nach deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträgen von vornherein kein Raum. Daraus allein kann jedoch nicht hergeleitet werden, daß auch von letzteren Beiträgen mindestens einer tatsächlich entrichtet worden sein muß. Hätte dies der Absicht der Vertragsparteien entsprochen, so wäre es möglich und naheliegend gewesen, dies auch im Wortlaut des Vertragstextes zum Ausdruck zu bringen. Es hätte dann etwa statt von nach deutschen Rechtsvorschriften "zu berücksichtigenden" von nach diesen Vorschriften "berücksichtigten" Pflichtbeiträgen gesprochen werden können (vgl Art 20 Abs 1 DISVA). Wenn trotz dieser Möglichkeit der sprachlichen Ausdrückbarkeit der von der Beklagten vertretenen Rechtsansicht gleichwohl lediglich von "zu berücksichtigenden" Pflichtbeiträgen die Rede ist, so läßt dies nicht den Schluß zu, daß zumindest einer dieser Beiträge nach deutschem Recht tatsächlich entrichtet worden sein muß.
Einer solchen Auslegung steht auch entgegen, daß die nach israelischen und nach deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge "gleichstehen". Die Bedeutung dieses Begriffs erschließt sich allerdings erst aus dem Gesamtzusammenhang des Abkommens. Von besonderer Bedeutung ist insofern Art 20 Abs 1 Satz 1 DISVA. Hiernach werden, wenn nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden sind, für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Zusammenrechnungsvorschrift. Ihre Anwendung setzt ua voraus, daß im eigenen Rechtsbereich anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden sind (so Rundschreiben des VDR vom 7. Mai 1975, aaO, S 213, Ziff 3.9.1). Nur unter dieser Voraussetzung ist eine Zusammenrechnung begrifflich überhaupt möglich. Auch Art 22 Nr 3 DISVA ermöglicht eine Zusammenrechnung israelischer und deutscher Pflichtbeitragszeiten, sofern Pflichtbeiträge nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten tatsächlich entrichtet worden sind. In der Funktion einer bloßen Zusammenrechnungsvorschrift erschöpft sich der Regelungsgehalt des Art 22 Nr 3 DISVA jedoch nicht. Vielmehr werden hierdurch die nach israelischen und nach deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge ausdrücklich einander gleichgestellt und somit im Wege der Fiktion wie nach den Vorschriften des jeweils anderen Vertragsstaates zu berücksichtigende Pflichtbeiträge behandelt. Diese Gleichstellung setzt nicht notwendigerweise voraus, daß nach den Vorschriften des anderen Vertragsstaates zu berücksichtigende Beiträge tatsächlich entrichtet worden sind.
Ob diese am Wortlaut des Art 22 Nr 3 DISVA und an seinem Gesamtzusammenhang innerhalb des Abkommens ausgerichtete Auslegung dem Willen der Vertragsparteien im Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen und des Abschlusses des Abkommens entspricht ist nicht zu ermitteln. Nach der vom SG eingeholten Auskunft des BMAuS vom 24. November 1977 sind Verhandlungsprotokolle nicht vorhanden. Auch den Motiven zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel (BT-Drucks 7/2783; vgl ferner Protokoll über die 63. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages, 7. Wahlperiode, 15. Januar 1979, S 45; Bericht und Antrag dieses Ausschusses in BT-Drucks 7/3101; Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 7. Wahlperiode, 147. Sitzung am 31. Januar 1975, Niederschrift S 10220 (A); Verhandlungen des Bundesrates, 416. Sitzung am 21. Februar 1975, Stenografischer Bericht S 27 (B) ) ist hierüber nichts zu entnehmen. Allerdings ergibt sich aus der Auskunft des BMAuS vom 24. November 1977, daß dieser die Auffassung der Vorinstanzen über die Auslegung des Art 22 Nr 3 DISVA nicht teilt und wie die Beklagte die Entrichtung wenigstens eines Pflichtbeitrages zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung für erforderlich hält. Dieser Auffassung kann jedoch gegenüber der Auslegung aufgrund des Wortlautes und des Gesamtzusammenhanges des Abkommens aus zwei Gründen keine maßgebliche Bedeutung beigemessen werden. Einmal gibt die Auskunft des BMAuS nicht die übereinstimmende Ansicht der Vertragsparteien wieder. Vielmehr besteht zwischen ihnen bzgl. der Auslegung des Art 22 Nr 3 DISVA ein Dissens. Die deutsche Seite hat deswegen - bisher allerdings ohne Erfolg - eine Revision des Abkommens angestrebt (vgl S 2 f der dem LSG vorgelegten "Niederschrift über deutsch-israelische Regierungsverhandlungen über Soziale Sicherheit" vom 31. Oktober bis 6. November 1977). Dessen hätte es nicht bedurft, wenn eine Auslegung des Art 22 Nr 3 DISVA in der nach Ansicht des Senats gebotenen Weise nicht auch auf deutscher Seite jedenfalls für vertretbar angesehen worden wäre. Zum anderen ist der BMAuS bei dem Abschluß des DISVA von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG in seiner vor der Änderung durch das RRG geltenden Fassung ausgegangen. Hiernach ist Voraussetzung für die Anrechnung der darin genannten Ausfallzeiten gewesen, daß innerhalb von fünf Jahren nach ihrer Beendigung oder einer anschließenden Ersatzzeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist. Diese Voraussetzung ist durch das RRG und somit bereits vor dem Abschluß des DISVA vom 17. Dezember 1973 aufgehoben worden. Es mag zutreffen, daß der Wortlaut des Abkommens schon vor dem Erlaß des RRG abschließend festgelegt, kurz danach paraphiert worden und damit nicht mehr einseitig abänderbar gewesen ist. Andererseits kann aber nicht außer Betracht bleiben, daß die Neufassung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG durch das RRG auf den unter Federführung des BMAuS erarbeiteten Regierungsentwurf "Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz -RRG-)" zurückgeht und dieser Entwurf bereits am 22. Oktober 1971 dem Bundesrat zugeleitet worden ist (BT-Drucks 566/71). Der auf deutscher Seite für den Abschluß des DISVA ebenfalls zuständige BMAuS hätte daher die Möglichkeit gehabt, bei den Vertragsverhandlungen der beabsichtigten Neufassung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG Rechnung zu tragen. Seine auf die alte Fassung der Vorschrift gestützte Ansicht vermag eine Auslegung des Art 22 Nr 3 DISVA dahingehend, daß als Voraussetzung für die Anrechnung von Ausfallzeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland entrichtet worden sein muß, nicht zu stützen.
Der Kläger hat somit einen Anspruch auf Feststellung seines Altersruhegeldes unter Anrechnung der Zeiträume vom 29. März 1927 bis 10. April 1930 und vom 1. Mai 1930 bis 28. Februar 1933 als Ausfallzeiten. Mit den aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zur Israelischen Nationalversicherung entrichteten Beiträgen ist die Zeit vom Monat des Eintritts in die Versicherung bis zum Monat des Eintritts des Versicherungsfalls zu mehr als der Hälfte mit Pflichtbeiträgen belegt. Dies muß zur Zurückweisung der Revision der Beklagten führen.
Darüber, ob der Kläger unter Berücksichtigung der Nr 3 des Schlußprotokolls zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975, 252) und der hiernach auch im Rahmen des Abkommens anzuwendenden deutschen Auslandszahlungsvorschriften (§§ 96 ff AVG; vgl Klitscher/Säuberlich/Költzsch, aaO, S 14 ff und 102 f; Säuberlich/Költzsch, aaO, S 183) eine Auszahlung des auf die Ausfallzeiten entfallenden Teiles seines Altersruhegeldes nach Israel verlangen kann, hat der Senat nicht zu befinden. Einmal hat die Beklagte hierüber auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung, daß die Ausfallzeiten nicht zu berücksichtigen seien, noch gar nicht entschieden. Zum anderen hat sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt, daß sie sich im Falle der Anrechenbarkeit der Ausfallzeiten nicht an einer Auszahlung des darauf entfallenden Teils des Altersruhegeldes an den Kläger gehindert sehe.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen