Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des SozSichAbk ISR. Gleichstellung israelischer Pflichtbeiträge
Orientierungssatz
1. Die Anwendung des SozSichAbk ISR Art 22 Nr 3 bei der Feststellung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland setzt nicht voraus, daß mindestens ein Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland entrichtet worden ist.
2. Bei der Berechnung der Halbbelegung gemäß RVO § 1259 Abs 3 als Voraussetzung der Anrechnung von Ausfallzeiten sind daher die in Israel zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten auch dann zu berücksichtigen, wenn deutsche Pflichtbeiträge nicht vorhanden sind.
Normenkette
AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b Fassung: 1972-10-16; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b Fassung: 1972-10-16; AVG § 36 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1259 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1965-06-09; SozSichAbk ISR Art. 22 Nr. 3 Fassung: 1973-12-17, Art. 20 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger bewilligten Altersruhegeldes und speziell darum, ob die für die Anrechnung einer Ausfallzeit erforderliche Halbbelegung ausschließlich mit israelischen Pflichtbeiträgen hergestellt werden kann.
Der am 16. November 1911 geborene Kläger ist rassisch Verfolgter iS des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Er besuchte bis zum Bestehen der Reifeprüfung am 4. März 1931 das Gymnasium T. Heute lebt er als israelischer Staatsangehöriger in I Dort entrichtete er in der Zeit vom 1. April 1954 bis zum 31. August 1976 aufgrund abhängiger Beschäftigung für 269 Monate Pflichtbeiträge zur Israelischen Nationalversicherung.
Aufgrund des § 10a Abs 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) idF des Achtzehnten Rentenanpassungsgesetzes (18. RAG) vom 28. April 1975 (BGBl I S 1018) sowie aufgrund des Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S 1965) entrichtete er für die Zeiträume vom 1. April 1933 bis 31. Mai 1945 und vom 1. Januar 1969 bis 31. Dezember 1973 Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nach.
Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 22. Dezember 1976 für die Zeit ab 1. Dezember 1976 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Der Berechnung der Leistung legte sie lediglich die mit nachentrichteten Beiträgen belegten Zeiten zugrunde. Den Widerspruch, mit welchem der Kläger die Anrechnung seiner Schulausbildung nach Vollendung des 16. Lebensjahres als Ausfallzeit begehrte, leitete sie gemäß § 85 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dem Sozialgericht (SG) Berlin als Klage zu.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. November 1978). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22. Dezember 1976 verurteilt, die Zeit vom 16. November 1927 bis 4. März 1931 bei der Rentenberechnung als anrechenbare Ausfallzeit zu berücksichtigen (Urteil vom 31. Mai 1979). Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Halbbelegung als Voraussetzung für die Anrechnung von Ausfallzeiten gemäß § 36 Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) sei gegeben. Der maßgebliche Gesamtzeitraum von Mai 1933 bis Oktober 1976 (522 Monate) sei zur Hälfte mit Pflichtbeiträgen belegt. Zwar seien Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung nicht entrichtet worden. Die Beiträge zur Israelischen Nationalversicherung seien jedoch nach Art 22 Nr 3 des am 1. Mai 1975 in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975, 246) (im folgenden: DISVA) deutschen Pflichtbeiträgen für die Anrechnung von Ausfallzeiten gleichgestellt. Dem Wortlaut der Vorschrift sei nicht zu entnehmen, daß entsprechend der Auffassung der Beklagten Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung tatsächlich entrichtet sein müßten. Insoweit fehle es auch an übereinstimmenden Vorstellungen beider Vertragsteile. Vielmehr besteht zwischen ihnen die gleiche Meinungsverschiedenheit, wie sie Gegenstand des Rechtsstreits sei. Dagegen, daß das Vorhandensein wenigstens eines Pflichtbeitrages zur deutschen Rentenversicherung Voraussetzung für die Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten sei, spreche gerade auch die innerstaatliche Rechtslage. Schon durch das RRG und nicht erst durch das Inkrafttreten des DISVA sei der Grundsatz durchbrochen worden, daß die Anrechnung von Ausfallzeiten im innerstaatlichen Bereich eine Bindung zur deutschen Rentenversicherung von gewisser Dauer durch Pflichtbeitragsentrichtung stets voraussetze. So stünden nach Art 2 § 54a Abs 1 AnVNG idF des RRG bei Versicherten, die wegen ihres Einkommens versicherungsfrei gewesen oder von der Versicherungspflicht befreit worden seien, bei Anwendung des § 36 Abs 3 AVG die nach Eintritt der Versicherungsfreiheit für die Zeit bis zum 31. Dezember 1967 entrichteten freiwilligen Beiträge den Pflichtbeiträgen gleich. Entsprechendes gelte bei Anwendung des § 28 Abs 2 Satz 2 Buchst c) AVG in bezug auf Ersatzzeiten, allerdings mit dem Unterschied, daß nach dieser Vorschrift das Erfordernis des späteren Pflichtbeitrages weitere alternative Anrechnungsvoraussetzung für Ersatzzeiten sei, wohingegen das RRG bei den Ausfallzeiten gemäß § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG nicht nur die Voraussetzung des Pflichtanschlußbeitrages, sondern das Erfordernis des späteren Pflichtbeitrages überhaupt gestrichen habe. Durch das RRG sei klargestellt worden, daß die tatsächliche Entrichtung deutscher Pflichtbeiträge weder in bezug auf Ersatzzeiten noch auf Ausfallzeiten ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal sei. Anderenfalls wäre in § 28 Abs 2 Satz 2 Buchst c) AVG nicht ausdrücklich bestimmt worden, daß eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden sein müsse. Im übrigen habe der - insoweit nicht Gesetz gewordene - Regierungsentwurf eines RRG von 1971 über die Streichung des Erfordernisses des späteren Pflichtbeitrages als Tatbestandsmerkmal der Ausfallzeit iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG hinaus vorgesehen, die Anrechnungsvoraussetzung der Halbbelegung mit Pflichtbeiträgen durch eine Dreivierteldeckung zu ersetzen, die gleichermaßen durch Pflichtbeiträge wie durch freiwillige Beiträge habe erfüllt werden können. Somit seien schon vor Unterzeichnung und erst recht vor Inkrafttreten des DISVA durch den sowohl hierfür als auch für das RRG federführenden Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMAuS) Vorbereitungen mit dem Ziel getroffen worden, selbst im innerstaatlichen Bereich die Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG von der Voraussetzung einer Pflichtbeitragszeit allgemein zu lösen. Auch deshalb spreche die Formulierung des Art 22 Nr 3 DISVA dafür, daß für die Halbbelegung ausschließlich israelische Pflichtbeiträge genügten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des Art 22 Nr 3 DISVA. Die vom LSG vertretene Interpretation der Vorschrift sei weder mit ihrem Wortlaut noch mit dem Willen des auf deutscher Seite am Zustandekommen des Abkommens beteiligten Fachministers vereinbar. Nicht nur die grammatikalische, sondern auch die an Sinn, Ziel und Entstehungsgeschichte der Regelung orientierte Auslegung führe zu dem übereinstimmenden Ergebnis, daß für die Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten nach innerstaatlichem deutschen Recht zumindest ein zu berücksichtigender deutscher Pflichtbeitrag vorhanden sein müsse. Damit sei für eine über den Wortlaut der Regelung hinausreichende Interpretation kein Raum. Das müsse umso mehr gelten, als bei der Auslegung von Abkommen dem Vertragstext im allgemeinen eine größere Bedeutung beizumessen sei als bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts dem Gesetzestext. Das LSG habe auch die Auffassung des am Zustandekommen des Abkommens beteiligten Fachministers nicht beachtet und die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gebilligten und in Art 31 Nr 1 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 enthaltenen Maximen zur Auslegung völkerrechtlicher Verträge verkannt. Gerade eine am Sinn und Zweck der Norm orientierte Betrachtungsweise könne nicht zu der von der Vorinstanz angestrebten Rechtsfolge führen. Andere Sozialversicherungsabkommen sähen entweder eine Anrechnung deutscher Ausfallzeiten mit Hilfe vertragsstaatlicher Zeiten überhaupt nicht vor oder forderten mit Rücksicht auf die durch das RRG eingetretenen Erleichterungen des innerstaatlichen Rechts (§ 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG) die Anrechenbarkeit mindestens eines deutschen Pflichtbeitrages. Diese Tendenz sei als zusätzliches Indiz für die vom deutschen Vertragspartner bei Abschluß des DISVA vertretene Rechtsauffassung anzusehen. Bei völkerrechtlichen Verträgen sei neben dem Wortlaut auch immer der Wille der Vertragsparteien zu berücksichtigen. Selbst wenn aber schließlich weder der Wortsinn noch der Wille des Gesetzgebers eine eindeutige Auslegung des Normtextes erlaubten, könne nicht durch die Gerichte eine lückenfüllende Interpretation im Gegensatz zum innerstaatlichen Recht erfolgen. Vielmehr seien dann die Vertragspartner aufgerufen, eine unaufklärbare bzw nicht betroffene Regelung durch eindeutige Vereinbarungen zu revidieren.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 31. Mai 1979 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 1978 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sowohl die wörtliche als auch eine an Sinn, Ziel und Entstehungsgeschichte des Abkommens orientierte Auslegung des Art 22 Nr 3 DISVA müsse zu dem vom Berufungsgericht gefundenen Ergebnis führen. Das LSG habe sich auch nicht über die Stellungnahme des BMAuS hinweggesetzt. Der Hinweis der Beklagten auf andere Abkommen sei verfehlt. Ein völkerrechtlicher Vertrag könne nur aus sich selbst heraus ausgelegt werden.
Entscheidungsgründe
II
Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Berücksichtigung seiner nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden Schulausbildung als Ausfallzeit bei der Feststellung des ihm bewilligten Altersruhegeldes.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b) AVG idF des RRG. Danach sind Ausfallzeiten bis zu einer bestimmten Höchstdauer ua Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung. Die Zeit der Schulausbildung des Klägers vom 16. November 1927 bis 4. März 1931 ist eine solche Ausfallzeit. Das ist unter den Beteiligten nicht streitig. Umstritten ist allein, ob die Voraussetzungen des § 36 Abs 3 Satz 1 AVG für die rentensteigernde Berücksichtigung der Ausfallzeit erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift werden die Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 AVG nur dann angerechnet, wenn die Zeit vom Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung bis zum Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, mindestens zur Hälfte, jedoch nicht unter sechzig Monaten, mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt ist; hierbei werden der Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung und der Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, nicht mitgezählt, jedoch die hierfür entrichteten Pflichtbeiträge.
Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland hat der Kläger nicht entrichtet. Die gemäß Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG nachentrichteten Beiträge sind freiwillige Beiträge. Für die nach § 10a Abs 2 WGSVG nachentrichteten Beiträge gilt dasselbe. Die Fiktion des § 10 Abs 1 Satz 3 WGSVG, wonach bestimmte nachentrichtete Beiträge als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge gelten, ist für die gemäß § 10a WGSVG nachentrichteten Beiträge nicht anwendbar (§ 10a Abs 4 WGSVG; vgl auch BSG SozR 2200 § 1251 Nr 62 S 159).
Der Kläger hat jedoch Pflichtbeiträge zur Israelischen Nationalversicherung entrichtet. Diese sind bei der Feststellung des Altersruhegeldes im Rahmen des § 36 Abs 3 Satz 1 AVG zu berücksichtigen. Dies ergibt sich aus Art 22 Nr 3 DISVA. Er bestimmt:
"Für die Anrechnung von Ausfallzeiten, die nicht pauschal gewährt werden, und für die Hinzurechnung einer Zurechnungszeit stehen den nach deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträgen die nach den israelischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge gleich".
Die Anwendung des Art 22 Nr 3 DISVA bei der Feststellung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland setzt entgegen der Ansicht der Beklagten (ebenso Klitscher/Säuberlich/Költzsch, Sozialversicherungsabkommen Deutschland-Israel, herausgegeben im Auftrag der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, 1976, S 49 f und 150 f; Säuberlich/Költzsch DAngVers 1976, 181, 187; Baumeister/Schroeter in RVO-Gesamtkommentar, Internationales Sozialversicherungsrecht, Deutschland-Israel, Stand Juni 1978, Art 22 DISVA, Anm 6, S 44) nicht voraus, daß mindestens ein Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland entrichtet worden ist (dies wird ebenfalls nicht gefordert vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger -VDR-, Rundschreiben vom 7. Mai 1975 in Mitt der LVA Berlin 1975, 211, 214, Ziffer 3.10.4; Schieffer/Martin, Amtl Mitt der LVA Rheinprovinz 1975, 279, 287, Ziffer 8.2.2 a); Übersicht in Amtl Mitt der LVA Rheinprovinz 1075, 336, 338, Ziffer 4 c); Kania DRV 1975, 358,362, Ziffer 2.7; Schwarz RzW 1976, 161, 163; Zielke/Reinhard DAngVers 1977, 193, 199 f, Ziffer 3.1.1).
Das hat im Ergebnis zutreffend auch das LSG erkannt. Die hierfür gegebene Begründung begegnet allerdings teilweise Bedenken. Das gilt insbesondere insoweit, als das Berufungsgericht seine Auslegung des Art 22 Nr 3 DISVA maßgebend auf die "innerstaatliche Rechtslage" gestützt hat. Es hat hierbei außer Betracht gelassen, daß Bestimmungen eines zwischenstaatlichen Abkommens als Sonderrecht den innerstaatlichen Rechtsvorschriften im Range vorgehen (vgl BSGE 23, 74, 75; Schieffer/Martin aaO, S 283, Ziffer 4; Säuberlich/Költzsch, aaO S 182, Ziffer 2.1) und somit ihren sachlichen Gehalt nicht oder nur unter eingeschränkten Voraussetzungen aus dem innerstaatlichen Recht beziehen können. Demzufolge ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge, insbesondere zwischenstaatlicher Sozialversicherungsabkommen, in erster Linie von dem Wortlaut des Vertragstextes auszugehen. Diesem kommt bei der Auslegung im allgemeinen größere Bedeutung zu als dem Wortlaut des Gesetzes bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts. Damit sind die Grenzen der Auslegung eng gezogen. Das schließt allerdings die Heranziehung anderer Auslegungskriterien neben dem Vertragstext nicht aus. Mit der gebotenen Zurückhaltung können vielmehr auch andere Auslegungsmethoden als eine reine Wortinterpretation angewendet werden. So ist für die Auslegung neben dem Wortlaut des Abkommens auch der Wille der Vertragsparteien zu berücksichtigen, wie er sich aus Entstehung, Inhalt und Zweck des Vertrages und der auszulegenden Einzelbestimmung ergibt. Auch ist die Auffassung des beim Zustandekommen eines Abkommens beteiligten Fachministers wegen dessen Kenntnis der Zusammenhänge und der mit dem Abkommen verbundenen Vorstellungen beider Vertragsteile von nicht geringer Bedeutung (vgl zu alledem BSGE 36, 125, 126 = SozR Nr 16 zu § 1303 RVO; BSGE 39, 284, 287 = SozR 2200 § 1303 Nr 3 S 8; BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 S 14; 2200 § 1233 Nr 7 S 4; 6805 Art 22 Nr 3 S 4; 6580 Art 5 Nr 1 S 3).
Durch Art 22 Nr 3 DISVA werden den nach deutschen Rechtsvorschriften "zu berücksichtigenden" Pflichtbeiträgen die nach den israelischen Rechtsvorschriften "zu berücksichtigenden" Pflichtbeiträge gleichgestellt. Schon dieser Wortlaut der Vorschrift spricht gegen die Auffassung der Beklagten. Nach deutschen bzw nach israelischen Rechtsvorschriften "zu berücksichtigende" Beiträge sind nach natürlichem Sprachgebrauch Beiträge, die im Falle ihrer Entrichtung "zu berücksichtigen sind" oder "berücksichtigt werden müssen". Daß sie darüber hinaus tatsächlich entrichtet worden sein müssen, ist der Formulierung "zu berücksichtigende Pflichtbeiträge" nicht zu entnehmen. Zwar ist dies bezüglich der nach israelischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge Voraussetzung für die Anwendung des Art 22 Nr 3 DISVA überhaupt. Andernfalls ist für eine Gleichstellung mit den nach deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträgen von vornherein kein Raum. Daraus allein kann jedoch nicht hergeleitet werden, daß auch von letzteren Beiträgen mindestens einer tatsächlich entrichtet worden sein muß. Hätte dies der Absicht der Vertragsparteien entsprochen, so wäre es möglich und naheliegend gewesen, dies auch im Wortlaut des Vertragstextes zum Ausdruck zu bringen. Es hätte dann etwa statt von nach deutschen Rechtsvorschriften "zu berücksichtigenden" von nach diesen Vorschriften "berücksichtigten" Pflichtbeiträgen gesprochen werden können (vgl Art 20 Abs 1 DISVA). Wenn trotz dieser Möglichkeit der sprachlichen Ausdrückbarkeit der von der Beklagten vertretenen Rechtsansicht gleichwohl lediglich von "zu berücksichtigenden" Pflichtbeiträgen die Rede ist, so läßt dies nicht den Schluß zu, daß zumindest einer dieser Beiträge nach deutschem Recht tatsächlich entrichtet worden sein muß.
Einer solchen Auslegung steht auch entgegen, daß die nach israelischen und nach deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge "gleichstehen". Die Bedeutung dieses Begriffs erschließt sich allerdings erst aus dem Gesamtzusammenhang des Abkommens. Von besonderer Bedeutung ist insofern Art 20 Abs 1 Satz 1 DISVA. Hiernach werden, wenn nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden sind, für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Zusammenrechnungsvorschrift. Ihre Anwendung setzt ua voraus, daß im eigenen Rechtsbereich anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden sind (so Rundschreiben des VDR vom 7. Mai 1975, aaO, S 213, Ziffer 3.9.1). Nur unter dieser Voraussetzung ist eine Zusammenrechnung begrifflich überhaupt möglich. Auch Art 22 Nr 3 DISVA ermöglicht eine Zusammenrechnung israelischer und deutscher Pflichtbeitragszeiten, sofern Pflichtbeiträge nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten tatsächlich entrichtet worden sind. In der Funktion einer bloßen Zusammenrechnungsvorschrift erschöpft sich der Regelungsgehalt des Art 22 Nr 3 DISVA jedoch nicht. Vielmehr werden hierdurch die nach israelischen und nach deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Pflichtbeiträge ausdrücklich einander gleichgestellt und somit im Wege der Fiktion wie nach den Vorschriften des jeweils anderen Vertragsstaates zu berücksichtigende Pflichtbeiträge behandelt. Diese Gleichstellung setzt nicht notwendigerweise voraus, daß nach den Vorschriften des anderen Vertragsstaates zu berücksichtigende Beiträge tatsächlich entrichtet worden sind.
Ob diese am Wortlaut des Art 22 Nr 3 DISVA und an seinem Gesamtzusammenhang innerhalb des Abkommens ausgerichtete Auslegung dem Willen der Vertragsparteien im Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen und des Abschlusses des Abkommens entspricht, ist nicht zu ermitteln. Nach der vom SG in dem Verfahren S 13 An 2722/76 (vgl Revisionsverfahren 1 RA 55/79) eingeholten und zum vorliegenden Verfahren beigezogenen Auskunft des BMAuS vom 24. November 1977 sind Verhandlungsprotokolle nicht vorhanden. Auch den Motiven zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel (BT-Drucks 7/2783; vgl ferner Protokoll über die 63. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages, 7. Wahlperiode, 15. Januar 1975, S 45; Bericht und Antrag dieses Ausschusses in BT-Drucks 7/3101; Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 7. Wahlperiode, 147. Sitzung am 31. Januar 1975, Niederschrift S 10220 (A); Verhandlungen des Bundesrates, 416. Sitzung am 21. Februar 1975, Stenografischer Bericht S 27 (B) ) ist hierüber nichts zu entnehmen. Allerdings ergibt sich aus der Auskunft des BMAuS vom 24. November 1977, daß dieser die Auffassung des Berufungsgerichts über die Auslegung des Art 22 Nr 3 DISVA nicht teilt und wie die Beklagte die Entrichtung wenigstens eines Pflichtbeitrages zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung für erforderlich hält. Dieser Auffassung kann jedoch gegenüber der Auslegung aufgrund des Wortlautes und des Gesamtzusammenhangs des Abkommens aus zwei Gründen keine maßgebliche Bedeutung beigemessen werden. Einmal gibt die Auskunft des BMAuS nicht die übereinstimmende Ansicht der Vertragsparteien wieder. Vielmehr besteht zwischen ihnen bezüglich der Auslegung des Art 22 Nr 3 DISVA ein Dissens. Die deutsche Seite hat deswegen - bisher allerdings ohne Erfolg - eine Revision des Abkommens angestrebt (vgl S 2 f der dem LSG im Parallelverfahren vorgelegten "Niederschrift über deutschisraelische Regierungsverhandlungen über Soziale Sicherheit" vom 31. Oktober bis 6. November 1977). Dessen hätte es nicht bedurft, wenn eine Auslegung des Art 22 Nr 3 DISVA in der nach Ansicht des Senats gebotenen Weise nicht auch auf deutscher Seite jedenfalls für vertretbar angesehen worden wäre. Zum anderen ist der BMAuS bei dem Abschluß des DISVA von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG in seiner vor der Änderung durch das RRG geltenden Fassung ausgegangen. Hiernach ist Voraussetzung für die Anrechnung der darin genannten Ausfallzeiten gewesen, daß innerhalb von fünf Jahren nach ihrer Beendigung oder einer anschließenden Ersatzzeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden ist. Diese Voraussetzung ist durch das RRG und somit bereits vor dem Abschluß des DISVA vom 17. Dezember 1973 aufgehoben worden. Es mag zutreffen, daß der Wortlaut des Abkommens schon vor dem Erlaß des RRG abschließend festgelegt, kurz darauf paraphiert worden und damit nicht mehr einseitig abänderbar gewesen ist. Andererseits kann aber nicht außer Betracht bleiben, daß die Neufassung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG durch das RRG auf den unter Federführung des BMAuS erarbeiteten Regierungsentwurf "Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz -RRG-)" zurückgeht und dieser Entwurf bereits am 22. Oktober 1971 dem Bundesrat zugeleitet worden ist (BR-Drucks 566/71). Der auf deutscher Seite für den Abschluß des DISVA ebenfalls zuständige BMAuS hätte daher die Möglichkeit gehabt, bei den Vertragsverhandlungen der beabsichtigten Neufassung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG Rechnung zu tragen. Seine auf die alte Fassung der Vorschrift gestützte Ansicht vermag eine Auslegung des Art 22 Nr 3 DISVA dahingehend, daß als Voraussetzung für die Anrechnung von Ausfallzeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland entrichtet worden sein muß, nicht zu stützen.
Der Kläger hat somit einen Anspruch auf Feststellung seines Altersruhegeldes unter Anrechnung des Zeitraums vom 16. November 1927 bis 4. März 1931 aus Ausfallzeit. Mit den aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zur Israelischen Nationalversicherung entrichteten Beiträgen ist die Zeit vom Monat des Eintritts in die Versicherung bis zum Monat des Eintritts des Versicherungsfalls zu mehr als der Hälfte mit Pflichtbeiträgen belegt. Dies muß zur Zurückweisung der Revision der Beklagten führen.
Darüber, ob der Kläger unter Berücksichtigung der Nr 3 des Schlußprotokolls zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975, 252) und der hiernach auch im Rahmen des Abkommens anzuwendenden deutschen Auslandszahlungsvorschriften (§§ 96 ff AVG; vgl Klitscher/Säuberlich/Költzsch, aaO, S 14 f und 102 f; Säuberlich/Költzsch, aaO, S 183) eine Auszahlung des auf die Ausfallzeit entfallenden Teiles seines Altersruhegeldes nach Israel verlangen kann, hat der Senat nicht zu befinden. Einmal hat die Beklagte hierüber auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung, daß die Ausfallzeit nicht zu berücksichtigen sei, noch gar nicht entschieden. Zum anderen hat sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt, daß sie sich im Falle der Anrechenbarkeit der Ausfallzeit nicht an einer Auszahlung des darauf entfallenden Teils des Altersruhegeldes an den Kläger gehindert sehe.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen