Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Der Kläger hatte sich am 8. Juli 1975 durch einen Arbeitsunfall eine Steißbeinverletzung zugezogen. Der Facharzt für Orthopädie Dr. G… in M… ordnete zur Besserung der restlichen Steißbeinbeschwerden eine Massagebehandlung für die Zeit vom 27. Oktober bis 17. November 1975 an. Am 17. November 1975 fiel der Kläger im Kurmittelhaus M… nach der Massage mit einer Liege rücklings nach hinten. Nach Ansicht des Klägers seien dadurch die Folgen des Arbeitsunfalls vom 8. Juli 1975 verschlimmert worden.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom. 26. Mai 1976 die Gewährung einer Rente ab, weil der Arbeitsunfall eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade über die 13. Woche hinaus nicht hinterlassen habe. Wegen des Arbeitsunfalls habe Arbeitsunfähigkeit nur bis zum 24. August 1975 bestanden. Die geklagten Beschwerden im Bereich der Hals-, und Lendenwirbelsäule sowie der rechten Kreuzdarmbeinfuge und in der rechten Ellenbeuge seien keine Unfallfolgen. Die über den 24. August 1975 hinausgehenden Behandlungsmaßnahmen gingen allein zu Lasten der unfaIlunabhängigen Erkrankungen. Daher könne auch der Sturz von der Liege nach Massagebehandlung am 17. November 1975 nicht als Folgeunfall i.S. des § 555 Reichsversicherungsordnung (RVO) anerkannt werden.
Die dagegen erhobene Klage, die Beklagte zu verurteilen, vom 18. November 1975 bis 26. Januar 1976, vom 17; März bis 11. April 1977 und vom 15. April bis 9. Mai 1977 Übergangsgeld sowie ab 25. August 1975 Rente nach einer MdE von 35 v.H. zu zahlen, hat das Sozialgericht (SG) Osnabrück abgewiesen (Urteil vom 28. August 1979). Die Berufung des Klägers, die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, vom 18. November 1975 bis 28. Februar 1976 Übergangsgeld und ab 25. August 1975 Rente in Höhe von 35 v.H. der Vollrente zu zahlen, hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen zurückgewiesen (Urteil vom 10. Juni 1980). Zur Begründung hat es ausgeführt, daß der Kläger infolge der durch den Arbeitsunfall vom 8. Juli 1975 erlittenen Verletzungen nur bis zum 24. August 1975 arbeitsunfähig und danach nicht mehr in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert gewesen sei. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet, dem Kläger wegen der Folgen des Sturzes von der Liege am 17. November 1975 Leistungen gemäß § 555 RVO zu gewähren. Denn die Massagebehandlung im Kurmittelhaus M… sei nicht wegen des Unfalls vom 8. Juli 1975 erforderlich gewesen. Zwar habe Dr. C… bescheinigt, daß er die Massagebehandlung zur Besserung der restlichen Steißbeinbeschwerden angeordnet habe, und Dr. Sch… in B… habe in seinem ärztlichen Bericht vom 10. Oktober 1975 erklärt, daß die Folgen des Unfalls vom 8. Juli 1975 noch nicht abgeklungen gewesen seien, so daß noch eine weitere Behandlung, u.a. die Massagebehandlung, erforderlich gewesen sei. Demgegenüber habe jedoch der Facharzt für innere Krankheiten und Radiologie Dr. B… in O… im Gutachten vom 15. Mai 1977 und in der Gutachtenergänzung vom 28. Oktober 1977 überzeugend dargelegt, daß die Massagebehandlung am 17. November 1975 mit dem Unfall vom 8. Juli 1975 in keinem ursächlichen Zusammenhang mehr gestanden habe.
Durch Beschluß vom 29. Oktober 1980 (2 BU 119/80) hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Die Auffassung des LSG, daß die Massagebehandlung am 17. November 1975 mit dem Unfall vom 8. Juli 1975 in keinem ursächlichen Zusammenhang stehe, sei nicht richtig. Er habe sich auf die Anordnung des Dr. G…, der eine weitere Behandlung der Folgen des Arbeitsunfalls für angebracht gehalten habe, verlassen dürfen. Ohne diese Anordnung hätte er sich der Massagebehandlung nicht unterzogen. Das LSG habe den ursächlichen Zusammenhang rein naturwissenschaftlich betrachtet und nicht erwogen, daß Dr. G… und Dr. Sch… die Massagebehandlung wegen der Folgen des Arbeitsunfalls für erforderlich gehalten haben. Es müsse die subjektive Seite des behandelnden Arztes berücksichtigt werden. Das gelte auch für seinen Entschluß, den ärztlichen Erfahrungen und Anordnungen Folge zu leisten. Wenn aber der weitere Unfall vom 17. November 1975 im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom 8. Juli 1975 stehe, dann sei von seiner weiteren Arbeitsunfähigkeit auszugehen, wie Dr. Sch… und Dr. S… bescheinigt hätten, und auch von einer MdE von 35 v.H. Etwaige Unklarheiten in den ärztlichen Gutachten hätte das LSG durch Nachfrage bei den Sachverständigen oder durch eine mündliche Anhörung, die von ihm beantragt gewesen sei, ausräumen müssen.
Der Kläger beantragt,
1. |
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 10. Juni 1980, das Urteil des SG Osnabrück vom 28. August 1979 und den Bescheid vom 26. Mai 1976 aufzuheben, |
2. |
die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, ihm |
a) vom 18. November 1975 bis 28. Februar 1976 Übergangsgeld undb) ab 25. August 1975 Verletztenrente in Höhe von 35 v.H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, bei den Ausführungen des LSG im angefochtenen Urteil, daß die Massagebehandlung am 17. November 1975 mit dem Arbeitsunfall vom 8. Juli 1975 in keinem ursächlichen Zusammenhang gestanden habe, handele es sich um eine tatsächliche Feststellung, von der das Revisionsgericht mangels einer diesbezüglichen Rüge des Klägers auszugehen habe. Wegen des Nichtvorliegens des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den beiden Ereignissen vom 8. Juli und 17. November 1975 schon in naturwissenschaftlich-philophischem Sinne komme eine Anwendung des § 555 RVO nicht in Betracht, auch wenn Dr. G… die Massagebehandlung des Klägers angeordnet habe. Subjektive Gesichtspunkte seien bei der Anwendung der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsnorm nicht zu berücksichtigen. Die irrige Annahme eines Kausalzusammenhangs in tatsächlicher Hinsicht könne dessen Nichtvorliegen nicht ersetzen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
II
Die Revision des Klägers ist zum Teil unbegründet und zum Teil insofern begründet, als die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Der Anspruch des Klägers auf Rente ist für die Zeit vom 25. August bis 17. November 1975 unbegründet.
Nach § 580 Abs. 1 RVO erhält der Verletzte eine Rente, wenn die zu entschädigende MdE über die 13. Woche, nach dem Arbeitsunfall andauert. Die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall vom 8. Juli 1975 endete am 7. Oktober 1975. Ein Anspruch auf Rente war jedoch im vorliegenden Fall ausgeschlossen, weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Folgen des Arbeitsunfalls nicht um mindestens 20 v.H. gemindert war (§ 581 Abs. 1 und 2 RVO). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, von denen mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen auszugehen ist (§ 163 SGG), lagen bei dem Kläger schon nach Wegfall der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit am 24. August 1975 - bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte Übergangsgeld gezahlt - keine auf den Arbeitsunfall vom 8. Juli 1975 zurückzuführende MdE mehr vor.
Die Revision des Klägers war daher aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen insoweit zurückzuweisen, als der Kläger Rente ab 25. August 1975 (Tag nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit) bis zum 17. November 1975 (Tag des weiteren Unfalls) begehrt.
Für die Zeit ab 18. November 1975 können dem Kläger jedoch Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, z.B. Übergangsgeld, Rente) zustehen, denn der Unfall vom 17. November 1975 könnte als Folge des Arbeitsunfalls vom 8. Juli 1975 gelten. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG im angefochtenen Urteil reichen jedoch zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus.
Nach § 555 Abs. 1 RVO in der hier anzuwendenden Fassung des § 21 Nr. 39 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl. 1881) gilt als Folge eines Arbeitsunfalls auch ein Unfall, den der Verletzte u.a. bei der Durchführung der Heilbehandlung oder bei einer wegen des Arbeitsunfalls zur Aufklärung des Sachverhalts angeordneten Untersuchung oder auf einem dazu notwendigen Wege erleidet. Die insoweit hier anzuwendende Fassung unterscheidet sich von § 555 RVO i.d.F. des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl. I 241), die bis zum 30. September 1974 in Kraft war (§ 45 Abs. 1 RehaAnglG), Iediglich dadurch, daß jetzt zuerst die Maßnahmen genannt werden, bei deren Durchführung der Versicherte geschützt ist und dann der dazu notwendige Weg, während früher die Reihenfolge umgekehrt war. Inhaltlich stimmen die Vorschriften, soweit sie hier zu berücksichtigen sind, überein.
Zur Heilbehandlung i.S. des § 555 Abs. 1 RVO gehört die ärztliche Behandlung (§ 557 Abs. 1 Nr. 1 RVO); sie umfaßt auch die vom Arzt angeordneten und überwachten Maßnahmen, wie z.B. Massagen (§ 122 Abs. 1 RVO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die ärztliche Behandlungsmaßnahme in der Form eines berufsgenossenschaftlichen oder kassenärztlichen Heilverfahrens stattfindet (Vollmar BG 1968, 109, 110; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl. S. 488 e, Podzun, Der UnfalIsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 090 S. 2). Der Versicherungsschutz für die Heilbehandlung setzt anders als die Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhaltes auch nicht voraus, daß sie angeordnet worden ist (Vollmar a.a.O. S. 110; Brackmann a.a.O. S. 488 g; Ilgenfritz, BG 1963, 327, 329). Sie muß aber wegen des (ersten), Arbeitsunfalls durchgeführt werden; insofern ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem ersten Unfall und der Heilbehandlung, erforderlich (Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § , 555 Am 5a). Ferner muß auch ein ursächlicher Zusammenhang. zwischen der Heilbehandlung und dem zweiten Unfall bestehen. Es genügt nicht schon ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen der Heilbehandlung und dem zweiten Unfall, sondern es ist ein innerer ursächlicher Zusammenhang erforderlich (BSGE 41, 137, 139).
Die Rechtsfrage, wann ein ursächlicher Zusammenhang, zwischen dem ersten Unfall und der Heilbehandlung vorliegt, hat, das LSG dahin entschieden, daß die Heilbehandlung wegen der Folgen des ersten Unfalls - objektiv - erforderlich gewesen sein muß. Dieser Rechtsauffassung folgt der erkennende Senat nicht.
Zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und dem zur Durchführung der Heilbehandlung notwendigen Weg (er stand in § 555 RVO a.F. an erster Stelle) wird übereinstimmend die Ansicht vertreten, daß es hierbei auf die subjektive Auffassung des Verletzten ankommt. Maßgebend ist, ob der Verletzte von seinem Standpunkt aus den Weg als notwendig ansehen mußte oder konnte (RdschrHpvbd VB 98/63 S. 6; Ilgenfritz a.a.O. S. 330; Brackmann, a.a.O. S. 488 k). Stellt der Arzt zwar fest, daß die Notwendigkeit des Weges zu verneinen ist, konnte der Verletzte jedoch bei vernünftiger Überlegung von seinem Standpunkt aus den Weg für notwendig halten, so besteht Versicherungsschutz (Lauterbach a.a.O. § 555 Anm. 10).
Diese Rechtsauffassung entspricht derjenigen bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem Unfall und einer versicherten Tätigkeit (haftungsbegründende Kausalität). Ob die zum Unfall führende Tätigkeit einem bestimmten Unternehmen dienlich gewesen ist, entscheidet sich nicht danach, ob sie ihm objektiv dienen konnte, sondern, es genügt, daß der Versicherte von seinem Standpunkt aus der Meinung sein konnte, daß die Tätigkeit geeignet ist, den Interessen des Unternehmens zu dienen und diese subjektive Meinung in den objektiv gegebenen Verhältnissen eine ausreichende Stütze findet (BSGE 20, 215, 218; 30, 282, 283; SozR Nr. 23 und 30 zu § 548 RVO).
Nach Auffassung des Senats ist bei der Anwendung des § 555 Abs. 1 RVO die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem ersten Unfall und dem Unfall bei der Durchführung der Heilbehandlung rechtlich in gleicher Weise zu treffen wie, die Beurteilung der haftungsbegründenden Kausalität zwischen einem Unfall und einer versicherten Tätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 1976 - 5 RKnU 8/75) sowie zwischen einem Arbeitsunfall und dem Weg zum Arzt zur Behandlung. Auch hierbei genügt es sonach, daß der Verletzte, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, daß die Heilbehandlung, zu deren Durchführung er sich begeben hat, geeignet ist, der Beseitigung oder Besserung von durch den Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsstörungen zu dienen (§§ 556 Abs. 1 Nr. 1, 557 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Im vorliegenden Fall war der Kläger der Auffassung, daß die Massagebehandlung der Heilung der durch den Arbeitsunfall vom 8. Juli 1975 verursachten Gesundheitsstörungen zu dienen geeignet war; Dr. G… hatte ihm die Massage zur Behandlung der Unfallfolgen verordnet. Unerheblich ist, daß - wie das LSG ausführt - nach späterer Ansicht anderer Ärzte eine Behandlung von Folgen des Arbeitsunfalls vom 8. Juli 1975 nicht mehr erforderlich war oder die Beschwerden des Klägers möglicherweise auf unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen beruhten.
Ob auch der erforderliche innere ursächliche Zusammenhang zwischen der Heilbehandlung und dem zweiten Unfall am l7. November 1975 gegeben ist, kann wegen der dazu fehlenden tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Dem angefochtenen Urteil kann insoweit nur entnommen werden, daß der Kläger im Kurmittelhaus M… nach der Massage mit einer Liege rücklings nach hinten gefallen ist. Daraus allein läßt sich nicht beurteilen, ob der Kläger den zweiten Unfall "bei" der Durchführung der Heilbehandlung erlitten hat. Vom LSG wird vielmehr noch festzustellen sein, wie es im einzelnen zu dem Sturz mit der Liege gekommen ist.
Diese noch zu ermittelnden Umstände sowie die erst noch nachzuholenden Feststellungen darüber, ob und welche Gesundheitsstörungen ursächlich auf den zweiten Unfall des Klägers zurückzuführen sind, wovon die Beantwortung der Frage nach dem Anspruch auf Übergangsgeld und Rente ab 18. November 1975 abhängt, erlauben keine abschließende Entscheidung durch das Revisionsgericht. Das Urteil des LSG war vielmehr insoweit aufzuheben - auch über die noch offen gebliebenen Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.
Soweit die Revision des Klägers zurückgewiesen worden ist, folgt die Kostenentscheidung aus § 193 SGG.2 RU 87/80
Bundessozialgericht
Fundstellen
BSGE, 57 |
Breith. 1982, 28 |