Beteiligte
… Klägerin und Revisionsklägerin |
… Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft aus der Unfallversicherung ihres Ehemannes eine Abfindungssumme von 83.158,70 DM.
Der 1940 geborene Versicherte arbeitete seit Mitte 1966 im westdeutschen Steinkohlenbergbau. 1974 erlitt er einen Arbeitsunfall (offener Trümmerbruch des linken Unterarms). Hierfür bezog er von der Beklagten Rente.
Mit Schreiben vom 19. März 1984 beantragte der Versicherte bei der Beklagten die Abfindung der Rente. Auf entsprechende Frage der Beklagten teilte der Versicherte der Beklagten mit Schreiben vom 4. April und 3. Mai 1984 mit, daß er die Abfindung für den Kauf eines Hauses in der Türkei verwenden wolle und daß er keine weitere Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung beziehe. Ferner übersandte er einen Lohnnachweis über die letzten drei Monate und gab Name und Anschrift seines Hausarztes bekannt. Mit Schreiben vom 17. Mai 1984 bat die Beklagte daraufhin diesen Arzt um die Erstellung eines Befundberichtes über den Versicherten und erhielt diesen nach einer Erinnerung schließlich am 25. Juni 1984. In diesem Bericht teilte der Hausarzt ua mit, daß der Versicherte nach seinem damaligen Gesundheitszustand eine normale Lebenserwartung habe. Nachdem der beratende Arzt gegenüber der Beklagten am 9. Juli 1984 keine Bedenken gegen eine Kapitalabfindung der Rente vorgetragen hatte und inzwischen auch noch eine Anpassung der Rente nach dem Rentenanpassungsgesetz 1984 zum 1. Juli 1984 vorgenommen worden war, fertigte die Beklagte unter dem Datum vom 10. August 1984 entsprechend der Beschlußfassung ihres Rentenausschusses einen Bescheid über die Rentenabfindung in Höhe von 83.573,30 DM. Der Bescheid wurde am selben Tage zur Post gegeben. Dieser Abfindungsbetrag gelangte nicht mehr zur Auszahlung, weil noch am gleichen Tag eine Unfallanzeige bei der Beklagten einging, wonach der Versicherte am 2. August 1984 einen weiteren Arbeitsunfall erlitten hatte, an dessen Folgen er bereits am 3. August 1984 verstorben war.
Mit Schreiben vom 10. Oktober 1984 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Auszahlung der Abfindungssumme mit der Begründung, daß dieser Anspruch zu Lebzeiten des Versicherten entstanden und daher auf sie als Gesamtrechtsnachfolgerin übergegangen sei. Dieses Begehren lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 17. Oktober 1984, Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 1984).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 1. August 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 15. Mai 1986 die Berufung zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Bei der Abfindung nach § 604 der Reichsversicherungsordnung (RVO) handele es sich um eine Ermessensleistung. Ein Anspruch auf Ermessensleistungen entstehe erst in dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung über die Leistung bekanntgegeben werde. Dem Versicherten habe die Entscheidung aber nicht mehr bekanntgegeben werden können, weil er vorher verstorben sei. Deshalb habe der Anspruch auf die Abfindung auch noch nicht auf die Klägerin als Erbin übergehen können. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe nicht. Die Beklagte habe das Abfindungsverfahren nicht verzögerlich durchgeführt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 604 RVO, der §§ 39, 40, 58 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) sowie der Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch durch das Berufungsgericht.
Die Klägerin beantragt,die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 1984 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Abfindungssumme in Höhe von 83.158,30 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG den Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Abfindung verneint.
Die Klägerin hat - auch wenn sie die Alleinerbin ihres versicherten Mannes sein sollte - einen Anspruch auf Abfindung der Unfallversicherungsrente ihres Mannes nicht erworben. Nach § 58 SGB I werden Ansprüche auf Geldleistungen, bei denen es sich - wie beim Abfindungsanspruch - nicht um laufende, der Sonderrechtsnachfolge iS der §§ 56, 57 SGB I unterliegende Leistungen handelt, nur vererbt, wenn sie bereits fällig geworden sind. Der Anspruch auf die Abfindung des Versicherten war zum Zeitpunkt seines Todes also zu dem Zeitpunkt, als der Erbfall eintrat und damit alle seine Rechte auf die Erben übergingen (§ 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-), noch nicht fällig geworden. Ansprüche auf Sozialleistungen werden grundsätzlich mit ihrem Entstehen fällig (§ 41 SGB I). Der Anspruch des Versicherten auf die Abfindung war zum Zeitpunkt seines Todes jedoch noch nicht entstanden.
Über die Abfindung eines Anspruchs auf Dauerrente wird gemäß § 604 RVO nach dem Ermessen des Unfallversicherungsträgers entschieden. Das ergibt sich daraus, daß nach dieser Vorschrift der Versicherungsträger den Versicherten abfinden "kann". Gemäß § 40 Abs 2 SGB I entsteht der Leistungsanspruch bei Ermessensleistungen erst in dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung über die Leistung bekanntgegeben wird, es sei denn, daß in der Entscheidung ein anderer Zeitpunkt bestimmt ist. Auch im letzteren Fall kann der andere Zeitpunkt jedoch nur wirksam werden, wenn die Entscheidung bekanntgegeben ist. Denn ein Verwaltungsakt bedarf gemäß § 39 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) zu seiner Wirksamkeit der Bekanntgabe an den Adressaten. Eine solche fehlt hier schon deshalb, weil die Entscheidung über die Abfindungsgewährung erst am 10. August 1984, also erst nach dem - am 3. August 1984 eingetretenen - Tod des Versicherten ergangen ist.
Entgegen der Auffassung der Klägerin entfällt die für das Entstehen des Ermessensanspruchs notwendige Bekanntgabe der Entscheidung auch nicht deshalb, weil bei der Entscheidung über die Abfindung "eine Ermessensreduzierung auf Null" eingetreten sei. Auch in einem solchen Falle hat nämlich der Versicherte nur einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB I). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist es zwar bei einem derart eingeschränkten Anspruch ausnahmsweise zulässig, zu einer Leistung zu verurteilen, anstatt lediglich die Verpflichtung zum Erlaß eines neuen Verwaltungsaktes auszusprechen, wenn die Ablehnung der Leistung unter jedem denkbaren Gesichtspunkt rechtswidrig ist (vgl BSGE 30, 155 mwN). Das bedeutet jedoch nicht, daß der Anspruch auf eine Ermessensentscheidung durch die Ermessensreduzierung seinen Charakter geändert hätte und zu einem Anspruch auf Leistung geworden wäre. Denn die Ermessensentscheidung muß auch in diesem Falle getroffen werden. Kommt man zu dem Ergebnis, daß es keine Ermessensgründe gibt, die die Ablehnung des Anspruches rechtfertigen, so bleibt es dennoch dabei, daß das Ermessen ausgeübt, also in bezug auf den Einzelfall geprüft worden ist. Der Gesetzgeber hat in § 40 Abs 2 SGB I bei Ermessensleistungen das Entstehen des Anspruchs von der Bekanntgabe der Entscheidung abhängig gemacht, weil "die Ausübung des Ermessens oft schwierige Ermittlungen und Bewertungen nötig macht, so daß vielfach nicht feststellbar ist, zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen vorgelegen haben" (BT-Drucks 7/868 S 29). Diese Gründe gelten auch, wenn das Ermessen der Verwaltung nur noch eine Entscheidung zu Gunsten des Versicherten zuläßt. Denn dieses Ergebnis kann erst nach Prüfung aller Umstände gewonnen werden, die für das Ermessen von Bedeutung sind und die - anders als bei den Voraussetzungen für Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht - nicht im einzelnen im Gesetz genannt sind.
Der Klägerin steht auch nicht - wie sie meint - ein Anspruch auf Zahlung der Abfindung nach den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 14. Januar 1986 in SozR 2200 § 1241d Nr 9 mwN). Gegen einen solchen Anspruch, der eine Verletzung der Betreuungspflicht des Leistungsträgers gegenüber dem Versicherten voraussetzt, bestehen bereits grundsätzliche Bedenken. Bei der Abfindung wird eine Rentenzahlung durch eine einmalige Zahlung abgelöst. Der Versicherte hatte bis zu seinem Tod seine Rente erhalten. Rente und Abfindung stehen in einem Verhältnis ungefährer Gleichwertigkeit. Solange die Beklagte dem Versicherten noch nicht die Abfindung gewährt hatte, bezog er deshalb weiter Rente. Ein Nachteil in seiner Person durch eine womöglich verzögerte Entscheidung der Beklagten über die Abfindung ist deshalb bereits zweifelhaft.
Selbst wenn man jedoch diese Bedenken außer acht läßt, so besteht kein Anspruch auf Zahlung der Abfindung an die Erben des Versicherten nach den Grundsätzen über den Herstellungsanspruch, weil die Beklagte ihre Betreuungspflicht gegenüber dem Versicherten nicht verletzt hat. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen und deshalb für den erkennenden Senat gemäß § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts waren der Beklagten aufgrund der durchgeführten notwendigen Ermittlungen erst am 9. Juli 1984 die Tatsachen bekannt, aufgrund deren sie sodann am 10. August 1984 die Entscheidung über die Abfindung traf. Die Beklagte hatte somit nicht pflichtwidrig lange mit der Entscheidung gezögert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen