Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob die Ruhegehaltskasse der Evangelischen Landeskirche Augsburger Bekenntnisses in Rumänien bis 1948 ein nichtdeutscher Träger einer gesetzlichen Rentenversicherung war (Anschluß BSG 1967-03-17 11 RA 164/66 = BSGE 26, 181).
Normenkette
FRG § 15 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1960-02-25, S. 2 Fassung: 1960-02-25, S. 3 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 3. Oktober 1967 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Berechnung der Witwenrente der Klägerin die Beitragszeiten, die ihr verstorbener Ehemann bis 1948 bei der Ruhegehaltskasse der Evangelischen Landeskirche A Bekenntnisses (Ev. Landeskirche A. B.) in Ungarn und in Rumänien zurückgelegt hat, nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichstehen (§ 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93).
Der 1883 geborene Ehemann F S war von 1907 bis 1960 Pfarrer der Ev. Landeskirche A. B. in Siebenbürgen, und zwar zunächst in Ungarn und dann in Rumänien gewesen. Er hatte nach den bisherigen Feststellungen vom 15. September 1907 bis 31. Dezember 1948 Beiträge zur Ruhegehaltskasse der Landeskirche geleistet, bis 1919 als Mitglied der Ev. Landeskirche A. B. in Ungarn und seitdem als Mitglied der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien. Zum 1. Januar 1949 wurde die Ruhegehaltskasse in die staatliche rumänische Sozialversicherung überführt. Seitdem hat der Ehemann der Klägerin bis 31. Januar 1955 Beiträge an den zuständigen rumänischen Sozialversicherungsträger geleistet. Ab 1. Februar 1955 bezog er Altersruhegeld aus der rumänischen Sozialversicherung. Im Juni 1963 siedelte er in die Bundesrepublik über. Am 3. Dezember 1963 ist er hier gestorben. Darauf gewährte die ev.-luth. Kirche in Bayern auf Veranlassung der Kirchenkanzlei der Ev. Kirche Deutschlands der Klägerin ab 1. November 1963 laufend Bezüge, und zwar in Höhe von 615,- DM bis 31. Dezember 1963 und von 410,- DM ab 1. Januar 1964.
Den im Januar 1964 gestellten Antrag auf Gewährung von Witwenrente lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 7. April 1964 mit der Begründung ab, die Wartezeit sei nicht erfüllt; die Zeit von 1907 bis 1948 könne ebenso wie die anschließende Zeit wegen der Vorschrift des § 18 Abs. 3 FRG aF weder als Beitragszeit nach § 15 FRG noch als Beschäftigungszeit nach § 16 FRG angerechnet werden.
Das Sozialgericht (SG) München hob diesen Bescheid auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab 1. Januar 1964 die gesetzliche Witwenrente zu gewähren. Die Wartezeit für eine Leistung aus der Angestelltenversicherung sei mit nach den §§ 1, 15 FRG anrechenbaren Zeiten erfüllt. Der frühere Ehemann habe insbesondere Beiträge zu der genannten Ruhegehaltskasse in Rumänien entrichtet. Da diese ab 1. Januar 1949 in die gesetzliche rumänische Sozialversicherung überführt worden sei, müßten die zur Ruhegehaltskasse entrichteten Beiträge als Beiträge nach § 15 FRG angesehen werden. § 18 Abs. 3 Satz 1 FRG bisheriger Fassung schließe die Anwendung des § 15 FRG nicht aus; die der Klägerin von der Ev. Kirche gewährten Leistungen seien freiwillig und jederzeit widerruflich und hätten caritativen Charakter.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Hinblick auf die beiden Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. März 1967 11 RA 164/66 (BSG 26, 181) und 11 RA 292/65 wendet sie sich nicht mehr dagegen, daß sie der Klägerin überhaupt Witwenrente zahlen muß, wohl aber dagegen, daß sie die Zeit vom 15. September 1907 bis 31. Dezember 1948 statt als Beschäftigungszeit nach § 16 FRG als Beitragszeit nach § 15 FRG anrechnen soll. Sie hat deshalb beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Dezember 1965 insoweit aufzuheben, als es um die Anrechnung von Beitragszeiten nach § 15 FRG statt um die Anrechnung von Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG geht.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat diese Berufung zurückgewiesen. Es ist der Auffassung, es könne dahingestellt bleiben, ob die Ruhegehaltskasse früher ein Träger einer gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne des § 15 Abs. 1 und 2 FRG gewesen sei. Jedenfalls hätten mit dem Übergang ihres Vermögens auf die rumänische Sozialversicherung die bis dahin entrichteten Beiträge den Charakter von Beiträgen zu einer nichtdeutschen Sozialversicherung erlangt. Auf Grund der vorgelegten Übersetzung des rumänischen Gesetzes Nr. 10 betreffend die Organisation der staatlichen Sozialversicherungen stehe fest, daß die Ruhegehaltskasse mit dem gesamten Mitgliederbestand und den vorhandenen Prämienreserven zum 1. Januar 1949 in die gesetzliche rumänische Sozialversicherung überführt worden sei. Nach Art. 29 Abs. 2 des genannten Gesetzes seien Einrichtungen jeder Art mit dem Zweck, diesem Gesetz unterliegende Arbeitnehmer zu versichern oder ihnen Renten oder ärztliche Betreuung zu gewähren, aufgelöst. Das Vermögen der öffentlichen oder privaten Pensionskassen oder Stiftungen sei auf das rumänische Ministerium für Arbeit und soziale Fürsorge übergegangen. Damit seien nunmehr bei einer sinngemäßen Auslegung des § 15 FRG die bis zum 31. Dezember 1948 bei der Ruhegehaltskasse zurückgelegten Beitragszeiten als Beitragszeiten in der Sozialversicherung zu werten. Dabei komme es nicht darauf an, ob überhaupt und in welcher Höhe eine Prämienreserve vorhanden gewesen sei, ausschlaggebend sei vielmehr der Vermögensübergang und die uneingeschränkte Übertragung der Aufgaben der bisherigen Ruhegehaltskasse auf die Sozialversicherung. Auch der Umstand, daß inzwischen die Ruhegehalts- und Unterstützungskasse der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien wieder oder neu errichtet worden ist, habe nichts daran geändert, daß der verstorbene Ehemann der Klägerin Ruhegeldempfänger der staatlichen Sozialversicherung geblieben sei. Somit seien jedenfalls auf Grund der seit dem 1. September 1908 zur Ruhegehaltskasse entrichteten Beiträge die bei dieser Kasse seitdem zurückgelegten Versicherungszeiten nach § 15 FRG anzurechnen. Zweifelhaft könne lediglich die vorangegangene Zeit vom 15. September 1907 bis 31. August 1908 sein. Damals sei der Ehemann der Klägerin in Neusatz tätig gewesen, das nach dem Ersten Weltkrieg an Jugoslawien gefallen sei. Feststehe indes, daß diese Zeit jedenfalls Beschäftigungszeit im Sinne des § 16 FRG sei. Da somit wenigstens für die Zeit vom 1. September 1908 bis 31. Januar 1955 die Entrichtung von Beiträgen an einen nichtdeutschen Versicherungsträger glaubhaft gemacht sei, stehe der Klägerin vom 1. Januar 1964 an Witwenrente zu, wie das SG bereits ausgesprochen habe.
Hiergegen hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt mit dem Antrage,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts München vom 17. Dezember 1965 die Klage abzuweisen, soweit mit ihr die Anrechnung von Beitragszeiten nach § 15 FRG anstelle von Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG begehrt wird.
Sie hält die vom LSG vertretene Auffassung für unrichtig. Im übrigen habe das LSG auch § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt. Daß der Ehemann der Klägerin bereits seit dem 1. September 1908 Beiträge gezahlt habe, hätte das LSG nicht ohne weiteres annehmen dürfen, sondern noch weiter aufklären müssen. Die Satzung der Ruhegehaltskasse sei zwar im Berufungsverfahren mehrfach zur Sprache gekommen, sie habe dem Gericht aber nicht im vollen Wortlaut vorgelegen. Die Klägerin habe aus einer aus dem Jahre 1930 stammenden Satzung auszugsweise zitiert. Es sei nun zwar anzunehmen, daß vorher schon entsprechende Bestimmungen gegolten hätten. Ob das aber schon im Jahre 1908 der Fall gewesen sei, erscheine zweifelhaft und hätte vom LSG von seinem Standpunkt aus aufgeklärt werden müssen.
Die Klägerin und die Beigeladene bitten um Zurückweisung der Revision. Sie halten das angefochtene Urteil für richtig.
II.
Die Revision der Beklagten ist zulässig und insofern auch begründet, als die Feststellungen des LSG nicht ausreichen, um die bei der Ruhegehaltskasse der Ev. Landeskirche A. B. von 1908 bis 1948 erworbenen Zeiten den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichzustellen (§ 15 FRG) und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Das LSG hat zu Unrecht angenommen, die Beiträge des verstorbenen Ehemannes der Klägerin zur Ruhegehaltskasse der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien von 1908 bis 1948 seien schon deswegen den Beiträgen zu einer gesetzlichen Rentenversicherung gleichzustellen, weil die Ruhegehaltskasse durch ein rumänisches Gesetz aufgelöst und mit dem gesamten Mitgliederbestand und den vorhandenen Prämienreserven zum 1. Januar 1949 in die gesetzliche Rentenversicherung überführt worden sei. Das LSG hat zwar festgestellt, daß die Vermögen aller öffentlichen und privaten Pensionskassen und Stiftungen ähnlicher Zweckbestimmung auf das rumänische Ministerium für Arbeit und soziale Fürsorge überführt worden seien; es hat aber nicht festgestellt, wieweit die Beiträge zu den aufgelösten Einrichtungen etwa nachträglich als solche zu der gesetzlichen Versicherung anerkannt worden sind, besonders wieweit die hierzu entrichteten Beiträge oder die zurückgelegten Dienstzeiten als Maßstab für die Leistungen der gesetzlichen Versicherung gelten oder nach welchen Maßstäben sonst die Verpflichtungen der aufgelösten Einrichtungen in solche der gesetzlichen Versicherung umgewandelt worden sind. Hierzu bestand um so mehr Anlaß, als das LSG in den Urteilsgründen angibt, daß 1959 wieder eine "Ruhegehalts- und Unterstützungskasse der Evangelischen Kirche in der Rumänischen Volksrepublik" eingeführt worden ist, die dem verstorbenen Ehemann der Klägerin einen "Unterschiedsbetrag" zu dem von der gesetzlichen Sozialversicherung gezahlten Altersruhegeld gewährt hat. Daraus könnte geschlossen werden, daß die gesetzliche Versicherung die Verpflichtungen der aufgelösten Ruhegehaltskasse nicht in vollem Umfang übernommen hatte, sei es, was die zurückgelegte Zeit, sei es, was die Höhe der für die Versorgung anrechenbaren Bezüge angeht.
Das LSG wird zunächst prüfen müssen, welchen Charakter die Ruhegehaltskasse vor der Auflösung zum 1. Januar 1949 hatte. Dabei wird es sowohl die Satzungen der Ruhegehaltskasse als auch die rumänischen Gesetze daraufhin prüfen müssen, ob einmal die Ruhegehaltskasse etwa ein System war, das vorwiegend zur Sicherung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst geschaffen war (§ 15 Abs. 2 Satz 3 FRG), und sodann, durch welche gesetzliche Vorschriften eine gesetzliche Rentenversicherung eingeführt worden ist (vgl. hierzu Heft 15 der Schriftenreihe der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte "Das Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25.2.1960 in der praktischen Anwendung", S. 22 ff. unter e). Diese Gesetze können ergeben, ob die Geistlichen der Ev. Landeskirche A. B. überhaupt von ihnen erfaßt wurden, ob sie danach insbesondere etwa Geistliche einer als öffentlich-rechtliche Korporation anerkannten Religionsgesellschaft und deshalb versicherungsfrei waren (vgl. z. B. § 9 Abs. 2 des Versicherungsgesetzes für Angestellte, RGBl 1911, 989), oder ob die Ruhegehaltskasse etwa eine Ersatzkasse der gesetzlichen Versicherung war (vgl. §§ 372 ff. des Versicherungsgesetzes für Angestellte, RGBl 1911, 989 und §§ 363 ff. des Angestelltenversicherungsgesetzes i. d. F. vom 28. Mai 1924, RGBl I, 563, § 15 Abs. 2 Satz 2 FRG, dazu auch Elsholz-Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung S. 81 Anm. 12 zu § 15 FRG, S. 118 Anm. 31 Abs. 2 zu § 24 FRG). Das LSG wird ferner feststellen müssen, ob zum 1. Januar 1949 die Geistlichen der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien der Versicherungspflicht unterworfen wurden, ob und wieweit - der Zeit und der Höhe nach - ihre bisher erworbenen Ansprüche auf Versorgung aus ihrem Dienstverhältnis von der gesetzlichen Sozialversicherung übernommen wurden, besonders ob dabei die ganze Dienstzeit berücksichtigt wurde und nach welchen Maßstäben. Dabei wird zu prüfen sein, ob der Übergang der Verpflichtung dem Aufgehen einer Ersatzkasse in die gesetzliche Versicherung entsprach wie etwa derjenige der Ersatzkassen der reichsgesetzlichen Angestelltenversicherung (Art. 4 des Gesetzes über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5.7.1934, RGBl I 577 und 9. VO zum Aufbau der Sozialversicherung vom 9.8.1935, RGBl I 1087) oder ob es sich um den Übertritt (die Nachversicherung) aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis in ein nicht mehr privilegiertes Beschäftigungsverhältnis handelt wie etwa in manchen Staaten die Überführung der öffentlich-rechtlichen Beamten aus ihrem versorgungsrechtlichen Status in den Status eines Versicherten.
Erst nach eingehenden Feststellungen solcher Art wird das LSG entscheiden können, ob und für welche Zeiträume die Mitgliedschaft des verstorbenen Ehemannes der Klägerin bei der Ruhegehaltskasse der Ev. Landeskirche A. B. in Rumänien nach § 15 FRG den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragzeiten oder nur einer unter § 16 FRG fallenden Beschäftigungszeit gleichsteht.
Auf die Revision der Beklagten muß daher das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückverwiesen werden, damit dieses die fehlenden Feststellungen nachholt.
Die Beklagte bezweifelt nicht mehr, daß sie der Klägerin vom 1. Januar 1964 an Witwenrente zahlen muß, wenn auch unter Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten statt von Beitragszeiten. Es dürfte sich daher empfehlen, die Beklagte zu veranlassen, über die ihrer Auffassung nach der Klägerin zustehende Rente einen Bescheid zu erlassen, der alsdann nach den §§ 96, 153 SGG Gegenstand des Verfahrens wird. Dann erst wird die Klägerin angeben können, was sie an diesem Bescheid noch im einzelnen bemängelt, und die entsprechenden Anträge stellen können, über die das LSG sodann zu entscheiden hat. Dabei hätte es schließlich noch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.
Fundstellen