Leitsatz (amtlich)
Überträgt ein Unternehmer - Landwirt - eine besondere Fachkenntnisse erfordernde Arbeit - Dachstuhlarbeit - einem anderen Unternehmer, so kann jener bei diesem wie ein abhängig Beschäftigter tätig und nach § 539 Abs 2 RVO gegen Unfall versichert sein.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, § 777 Nr. 3, § 646 Abs. 1, § 658 Abs. 2 Nr. 1; BGB § 631
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 27.11.1984; Aktenzeichen L 3/8 U 312/82) |
SG Landshut (Entscheidung vom 10.08.1982; Aktenzeichen S 3 U 81/81) |
Tatbestand
1980 errichtete der Kläger, der damals in der Forstwirtschaft beschäftigt war, für seine nebenher betriebene Landwirtschaft von 4,58 ha ein neues Stallgebäude. Die Kosten wurden auf 38.480,-- DM veranschlagt. Die Bauarbeiten verrichtete der Kläger gemeinsam mit fünf Schwägern. Den Dachstuhl sollte die Zimmerei K. bauen. Nachdem die Balken abgebunden worden waren, wurde ein schwerer Binder unter der Leitung des Zimmereiinhabers gemeinschaftlich mit dessen fünf Mitarbeitern, dem Kläger sowie fünf vereinbarungsgemäß von ihm gestellten Helfern aufgerichtet. Als dies mißlang und unter dem Kommando des Zimmereiinhabers der Binder niedergelassen wurde, geriet der Kläger unter ihn. Dadurch erlitt er eine Querschnittslähmung. Die beklagte Landwirtschaftliche BG lehnte eine Entschädigung ab (Bescheid vom 7. April 1981). Das Sozialgericht (SG) hat die beigeladene Bau-BG verurteilt, den Unfall vom 25. November 1980 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen (Urteil vom 10. August 1982). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung dieser Beigeladenen die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. November 1984): Der Kläger sei nicht bei einer versicherten Bauarbeit für seine Landwirtschaft iS des § 777 Nr 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) verunglückt, weshalb die Beklagte nicht einzutreten habe. Das habe das SG zutreffend entschieden. Der Kläger habe auch nicht auf Grund einer freiwilligen Versicherung unter Versicherungsschutz gestanden. Entgegen der Ansicht des SG habe er sich beim Aufrichten des Dachstuhls nicht wie ein Arbeitnehmer gemäß § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO für die beauftragte Zimmerei betätigt. Er habe vielmehr als Unternehmer der nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten mitgewirkt; denn seine Arbeit habe nicht allein dem Interesse des durch Werkvertrag beauftragten Zimmerers gedient, sondern außerdem seinem eigenen. Durch die Art der Errichtung des Stallgebäudes sollten Kosten gespart werden.
Der Kläger und die beigeladene AOK, bei der er als Arbeitnehmer versichert ist, haben die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Sie halten § 539 Abs 2 RVO für anwendbar und beantragen, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der beigeladenen Bau-BG gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die beigeladene Bau-BG beantragt, die Revisionen des Klägers und der beigeladenen AOK zurückzuweisen.
Sie treten der Rechtsauffassung des LSG bei.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen des Klägers und der beigeladenen AOK sind erfolgreich. Das LSG hat zu Unrecht die Klage abgewiesen.
Das SG hat zutreffend den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall iS des § 548 RVO bei einer nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO versicherten Tätigkeit beurteilt und die Bau-BG zur Entschädigung nach § 547 RVO verpflichtet.
Bei der Arbeit, die zum Unfall geführt hat, war der Kläger "wie" ein nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO Beschäftigter für den beauftragten Zimmereibetrieb tätig und deshalb nach § 539 Abs 2 iVm §§ 646, 658 Abs 1 und 2 Nr 1 RVO bei der beigeladenen Bau-BG versichert. Dies hat das LSG im Gegensatz zum SG zu Unrecht verneint. Beim Aufrichten des Dachstuhls war der Kläger zwar nicht - wie die Arbeiter der Zimmerei K. - auf Grund eines Arbeitsverhältnisses als Beschäftigter dieses Unternehmens tätig mit der Folge, daß er nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO unfallversichert gewesen wäre. Aber er wurde im Einverständnis mit dem Unternehmer für diesen tätig; er versah eine Aufgabe, die von einem jener Arbeitnehmer hätte verrichtet werden können, und er mußte sich, ähnlich wie diese Beschäftigten, bei der gleichen Tätigkeit der Leitung des Zimmereibesitzers unterordnen, wenn auch nicht infolge einer arbeitsrechtlichen Weisungsgebundenheit. Damit waren die wesentlichen Voraussetzungen für eine gemäß § 539 Abs 2 RVO versicherte Tätigkeit "wie" die eines Beschäftigten gegeben (BSGE 42, 126, 129 = SozR 2200 § 539 Nr 24; BSGE 51, 213, 215 f = SozR 2200 § 539 Nr 78; SozR 2200 § 539 Nrn 66 und 93; BSG, USK 83194).
Das LSG hat außerdem angenommen, daß die Mitwirkung des Klägers dem Zimmereiunternehmen im Rahmen seines Geschäftsbereichs diente, wodurch bestätigt wird, daß der Kläger für die Zimmerei arbeitete. Dieser war der Bau des Dachstuhls im Rahmen ihres Geschäftsbereiches übertragen worden. Dieser Teil der Bauarbeit am Stallgebäude ging auf Rechnung der Zimmerei in der Weise, daß er dem Inhaber als Unternehmer gemäß § 658 Abs 2 RVO zuzurechnen war; dieser trug das Risiko (BSGE 35, 212, 214 = SozR Nr 3 zu § 541 RVO; BSGE 42, 126, 128).
Grundsätzlich kann auch ein Selbständiger, der der Kläger als Landwirt war, für einen anderen Unternehmer "wie" ein Beschäftigter iS des § 539 Abs 2 RVO, also in einer anderen als seiner üblichen Rolle tätig werden. Dies ist nur ausgeschlossen, wenn er eine Arbeit, die einem anderen dient, zugleich in seiner Stellung als Unternehmer verrichtet, dh wenn sie zum Aufgabenkreis seines eigenen Unternehmens gehört (BSGE 5, 168, 174 f; seither ständige Rechtsprechung; vgl BSG SozR 2200 § 539 Nr 100; BSG 30. August 1984 - 2 RU 60/83 - mwN); ebenso kann ein Arbeitnehmer nicht zugleich iS des § 539 Abs 2 RVO für einen anderen Unternehmer als seinen Arbeitgeber tätig werden (BSGE 43, 65, 67 f = SozR 2200 § 539 Nr 31).
Von diesem Grundsatz ist das LSG zutreffend ausgegangen. Aber entgegen seiner Auffassung war der Ausschlußtatbestand hier nach der maßgebenden Vertragsgestaltung nicht gegeben.
Der Kläger, der das Stallgebäude weitgehend in eigener Regie mit eigenen Kräften errichtete, hatte den Bau des Dachstuhls einschließlich des Aufrichtens als herzustellendes Werk (§§ 631, 651 BGB) auf die Zimmerei vollständig übertragen. Damit war dieser Teil der Bauarbeiten aus dem Bauvorhaben des Klägers rechtlich und wirtschaftlich ausgegliedert (vgl dazu BSGE 7, 195, 197 f). Durch diese Angliederung unterscheidet sich dieser Fall wesentlich von dem Fall, in dem ein selbständiger Landwirt in Ausübung seiner Unternehmereigenschaft ein an eine Metzgerei verkauftes Tier vertragsgemäß übergeben muß und dem Transportunternehmer beim Verladen hilft; er erfüllt dann eine Nebenpflicht, die ihm als Unternehmer nach landwirtschaftlicher Übung obliegt (BSG 30. August 1984 - 2 RU 57/83 -). An der hier festzustellenden Angliederung änderte sich weder etwas durch die Hilfe von Arbeitskräften, die nicht in der Zimmerei beschäftigt waren, noch durch eine Kostenersparnis zugunsten des Klägers.
Der Kläger wirkte gemeinsam mit fünf von ihm gestellten Männern vertragsgemäß beim Aufrichten des Dachbalkens nicht im Rahmen der von ihm selbst geleiteten und betriebenen Bauarbeiten mit. Vielmehr ergänzten diese Arbeitskräfte die Leistungsfähigkeit der Zimmerei innerhalb des ihr übertragenen Geschäftes (ebenso in dem Fall BSG SozR 2200 § 539 Nr 25). Sachlich gehörte diese Arbeit nicht zur Landwirtschaft des Klägers. Als Bauarbeiten für den landwirtschaftlichen Betrieb, die nach § 777 Nr 3 RVO als dessen Teil gelten, waren sie deshalb nicht zu bewerten, weil sie den Rahmen der regelmäßigen Arbeitsleistung des Kleinbetriebes überschritten (BSGE 35, 144 = SozR Nr 3 zu § 777 RVO; BSG 15. Mai 1974 - 8 RU 118/73 -; BSG 20. April 1978 - 2 RU 69/77 -). Das ist im Revisionsverfahren nicht mehr streitig, nachdem schon das SG den darauf gestützten Anspruch gegen die Beklagte für unbegründet erklärt hatte, allerdings ohne konsequenterweise insoweit ausdrücklich die Klage abzuweisen, und nachdem der Kläger dagegen keine Berufung eingelegt hatte.
Auch ungeachtet dessen kann allein das Richten des Dachstuhles nicht als gesonderte Betätigung dem Kläger als - nicht gewerbsmäßigem - Unternehmer zugerechnet werden (vgl dazu BSGE 34, 240, 243 = SozR Nr 32 zu § 539 RVO). Dieses Geschäft hatte er gerade deshalb in vollem Umfang der Zimmerei übertragen, weil deren Inhaber und Personal die notwendigen handwerklichen Fähigkeiten und Kenntnisse hatten.
Der Kläger hatte auch nicht etwa allein seine körperliche Tätigkeit beim Aufrichten der Binder und Balken aus dem Auftrag, den Dachstuhl zu bauen, ausgegliedert und sich selbst vorbehalten mit der Folge, daß sie seinem eigenen Unternehmen als Selbsthilfetätigkeit zugerechnet werden könnte. Das war hier aus technischen und arbeitsorganisatorischen Gründen nicht möglich. Das Aufstellen des Dachstuhles war ein einheitliches Geschäft, das den sachkundigen Zimmerern oblag. Da kein Autokran zur Verfügung stand, war das Richten von genügend Arbeitskräften abhängig, die die körperliche Arbeit leisten mußten. Dies war eine gemeinsame Sache aller beteiligten Helfer und als solche einheitlich der Zimmerei zuzuordnen. Diese hatte bloß nicht genügend eigene Arbeitnehmer und ließ als werkvertragliche Nebenpflicht die ergänzenden Mitarbeiter vom Kläger stellen, statt sie selbst zu besorgen. Der Zimmerermeister mußte diese Tätigkeit als Teil der gesamten übernommenen Dachstuhlarbeiten einheitlich leiten. Er hätte die Verantwortung für die schwierige und gefährliche Verrichtung nicht als Unternehmer tragen können, falls der Kläger und die von ihm gestellten Helfer sich nicht dem gemeinsamen Kommando untergeordnet hätten. Damit war kein Raum für eine - davon getrennte - Leitung durch den Kläger, die für seine Unternehmerstellung erforderlich gewesen wäre. Das LSG meint, aus der nach der "Natur der Sache" einheitlichen Leitung durch den Zimmereibesitzer, wovon es auch ausgeht, könne nicht gefolgert werden, der Kläger und "seine" Leute seien wie bei einem Arbeitsverhältnis den Weisungen des Zimmereiunternehmers unterworfen gewesen. Diese rechtliche Bewertung wird aber der Sachlage nicht gerecht. Die Anordnungsbefugnis für eine solche Gemeinschaftsleistung läßt sich nach den tatsächlichen Gegebenheiten und daher auch rechtlich nicht auf verschiedene Personen (Auftraggeber und Beauftragten) gegenüber verschiedenen ihnen jeweils zugeordneten Gruppen von Mitwirkenden aufspalten. Der Auftraggeber, der aus fachlichen Gründen keine Leitungsbefugnis beansprucht, hatte notwendige Helfer gerade für die Erledigung durch den Werkunternehmer zur Verfügung gestellt. Ein einheitlicher Betriebsablauf, bei dem mehrere unter derselben Leitung arbeiten, ist auch ein starkes Anzeichen für eine abhängige Arbeit aller Mitwirkenden (Söllner in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 3, 1. Halbband, 1980, § 611 Rz 132). Aus dem Werkvertrag hätte lediglich eine Teilleistung herausgenommen werden können, wenn sie der Kläger als Auftraggeber in eigener Regie hätte übernehmen wollen und können (Soergel in: Münchener Kommentar, § 631, Rz 167 unter Hinweis auf § 2 Nr 4 der Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen -VOB-/Teil B). Das war hier, wie dargelegt, nicht möglich und wurde auch vom Kläger nicht erkennbar vorgenommen. Bei der festgestellten Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob die Rechtslage für die Mitwirkenden einschließlich des Bestellers, des Klägers, anders wäre, falls jemand ein Bauwerk selbst errichtet, sich für einen Teil ausschließlich Material liefern läßt, dessen Verarbeitung in eigener Regie, eventuell mit Helfern, betreibt und dazu einen Fachmann des Lieferanten als "geliehenen" Berater hinzuzieht. Hier war die Sachlage anders.
Auch die Kostengestaltung stand der Tätigkeit nach der Art einer Beschäftigung (§ 539 Abs 2 RVO) nicht entgegen. Der wirtschaftliche Gesichtspunkt ist für die Zuordnung einer Tätigkeit insoweit bedeutsam, als ein Unternehmen auf Rechnung seines Inhabers geht (§ 658 Abs 2 Nr 1 RVO). Dies bezieht sich aber auf das gesamte wirtschaftliche Risiko eines bestimmten einzelnen Geschäftes. Das Risiko kann nicht anteilig dem Auftraggeber deshalb zugerechnet werden, weil dieser an einer Ermäßigung der Kosten und damit der von ihm zu zahlenden Vergütung (§ 631 Abs 1 BGB) interessiert ist, zu diesem Zweck eine Naturalleistung, zB durch Bereitstellen einer billigen Arbeitskraft, beisteuert und dann eine Vergütung nicht für diesen Arbeitsanteil, wohl für die Leitung dieser Mitarbeit zahlen muß. Das änderte ebensowenig etwas daran, daß die Arbeit einheitlich auf Rechnung des beauftragten Unternehmens ging, wie wenn ein Arbeitnehmer an der Herstellung eines Gegenstandes mitwirkt, den er vom Arbeitgeber erwerben will, und der Arbeitnehmer wegen seiner Stellung einen geringeren Preis als beim üblichen Geschäft zahlen muß.
Dieses Ergebnis belastet die Bau-BG nicht unzumutbar. Der Zimmereibesitzer, der ihr Mitglied ist, hat die Gefahr, die mit dem Errichten des Dachstuhles verbunden war, in vollem Umfang mit dem ihm uneingeschränkt übertragenen Auftrag im Rahmen seiner üblichen Geschäftstätigkeit übernommen. Das muß seine BG gegen sich wirken lassen. Die unterschiedliche Herkunft der Mitwirkenden ist dafür unerheblich. Falls die Mitarbeit des Klägers und der von ihm gestellten Hilfskräfte, mit der sich der Inhaber einverstanden erklärt hatte, die Gefahr gegenüber der Benutzung eines Autokranes oder der Hinzuziehung weiterer Fachkräfte durch die Zimmerei vergrößert hätte, wäre dies kein Grund, um die Bau-BG für unzuständig zu erklären.
Mithin hat der Kläger Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen