Leitsatz (amtlich)

Der Ersatzanspruch nach BVG § 81b verjährt in entsprechender Anwendung des SGB 1 § 45 Abs 4 auch dann in 4 Jahren, wenn die Verjährung durch eine vor Inkrafttreten des SGB 1 erhobene Klage unterbrochen war (Anschluß an BSG 1976-04-28 2 RU 119/75).

 

Leitsatz (redaktionell)

Verjährung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs - Anwendung der SGB 1 §§ 43, 45:

Vor dem Inkrafttreten des SGB 1 fällig gewordene und noch nicht verjährte öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche verjähren nach SGB 1 § 43 Abs 3 iVm § 45 Abs 1 und 4 in 4 Jahren; die Verjährungsfrist beginnt mit dem Inkrafttreten des SGB 1 nicht von neuem.

 

Normenkette

SGB 1 § 45 Abs. 4 Fassung: 1975-12-11; SGB 1 Art. 2 § 17 Fassung: 1975-12-11; BGB § 209 Abs. 1 Fassung: 1950-09-12, § 195 Fassung: 1896-08-18; BVG § 81b Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Juli 1975 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 10. April 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten den Ersatz von Leistungen, die er aufgrund von Kriegsopferversorgungs(KOV)-Vorschriften an die Versicherte Helene K (K.) aus Anlaß eines am 9. Oktober 1945 erlittenen Unfalls erbracht hat.

K. war bis zum Einmarsch russischer Truppen in Reichenbach/Schlesien in einem Haushalt als Hausangestellte beschäftigt gewesen. Danach mußte sie auf Weisung polnischer bzw. russischer Dienststellen als Arbeiterin in einer Wäscherei ihres Heimatortes arbeiten. Es handelte sich um einen freien polnischen Betrieb, der nicht zu einem Lager gehörte. K. war auch nicht in einem Lager untergebracht, sondern wohnte frei. Sie erhielt 14tägig rund 150 Zloty als Arbeitslohn ausgezahlt. Am 9. Oktober 1945 geriet sie mit der linken Hand in die Heißmangel und erlitt an den Fingern mit Ausnahme des Daumens Quetschungen und Verbrennungen dritten Grades.

Einen Antrag der K. auf Verletztenrente lehnte die Nordwestliche Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft mit Bescheid vom 2. Oktober 1947 mangels Zuständigkeit ab. Im anschließenden Berufungsverfahren gab diese Berufsgenossenschaft (BG) die Akten an die beklagte BG ab, die von K. weitere Angaben anforderte. Im November 1948 nahm K. ihren Antrag auf Bewilligung einer Unfallrente zurück. Ihr war zwischenzeitlich von der Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein, Außenstelle Heide, mit Bescheid vom 19. Oktober 1948 ab 1. Mai 1948 Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v. H. gewährt worden. Ab 1. September 1955 wurden die seit Juli 1951 wegen Auslandsaufenthalts eingestellten Versorgungsbezüge von dem inzwischen zuständig gewordenen Versorgungsamt (VA) Gießen wieder gezahlt. Nachdem eine mehrfache zwischenzeitliche Aktenüberprüfung der Versorgungsbehörde keine Veranlassung zu Zweifeln an den Voraussetzungen für die Leistung von Versorgungsbezügen gegeben hatte, kam das VA am 11. November 1963 zu der Auffassung, daß die Verletzungsfolgen der K. auf einem Arbeitsunfall beruhten. Auf den Antrag der K. vom 12. November 1963 gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Juli 1965 Verletztenrente nach einer MdE von 25 v. H. ab 13. November 1963. Eine Abschrift dieses Bescheides erhielt das VA Gießen, das mit Bescheid vom 22. Juli 1965 das Ruhen der Versorgungsbezüge anordnete. Zugleich erneuerte es bei der Beklagten einen bereits im März 1964 geltend gemachten Ersatzanspruch gem. § 81 b des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) für die an K. ab 1. Mai 1948 zu Unrecht gewährten Leistungen.

Nachdem die Beklagte am 18. Januar 1966 eine Zahlung abgelehnt hatte, hat der Kläger am 7. November 1969 bei dem Sozialgericht (SG) Frankfurt (Main) Klage erhoben und den Ersatz seiner vom 1. September 1955 bis 31. Oktober 1963 erbrachten Leistungen begehrt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. April 1970). Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat nach Beiladung der Bundesrepublik Deutschland das Urteil des SG geändert und die Beklagte - unter Zurückweisung der Berufung im übrigen - verurteilt, dem Kläger die an die K. in der Zeit vom 1. Januar 1959 bis 31. Oktober 1963 gewährten Leistungen bis zur Höhe der gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung zu erstatten (Urteil vom 16. Juli 1975). Zur Begründung hat das LSG u. a. ausgeführt: Die Beklagte sei für die Zeit ab 1. Januar 1959 zur Ersatzleistung verpflichtet, da nach dem zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Fremdrenten- und Auslandsrenten - Neuregelungsgesetz (FANG) Unfälle der von K. erlittenen Art eine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Unfallversicherung auslösten. Zwar habe das Bundessozialgericht(BSG) entschieden, daß der Ausgleichsanspruch dann nicht gegeben sei, wenn der Ersatzfordernde - hier der Träger der Kriegsopferversorgung - trotz eindeutiger Sach- und Rechtslage von Anfang an seine mangelnde Leistungsverpflichtung nicht erkannt habe. Dieses sei auch im hier zu entscheidenden Rechtsstreit der Fall gewesen, da das VA Gießen spätestens 6 Monate nach Verkündung des FANG (6. März 1960) habe erkennen müssen, daß es K. gegenüber nicht mehr leistungsverpflichtet sei. Dieser Rechtsprechung habe sich das LSG aber nicht anzuschließen vermocht, da dafür keine Rechtsgrundlage erkennbar sei. Der in § 81 b BVG normierte Ausgleichsanspruch gebe der Versorgungsverwaltung, sofern sich nachträglich die Leistungspflicht eines anderen herausstelle, ohne jede weitere Einschränkung einen Ersatzanspruch, wenn man von dem Fall absehe, in dem der Leistende gewußt habe, daß er zur Leistung nicht verpflichtet war (§ 814 BGB). Dem Ausgleichsanspruch stünden auch die von der Beklagten sonst erhobenen Einwände nicht entgegen. Ob die Beklagte der K. gegenüber die Leistung unter Anwendung des § 1546 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a. F. erst ab 13. November 1963 habe gewähren dürfen, könne dahinstehen. § 81 b BVG begründe einen selbständigen, unabhängig vom Verhalten der Versicherten bestehenden Ersatzanspruch. Dieser verjähre in 30 Jahren.

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie trägt u. a. vor, § 81 b BVG setze voraus, daß der zum Ersatz herangezogene Sozialversicherungsträger Leistungen zu gewähren habe. Das sei - anders als bei § 1504 RVO a. F. - wegen der fehlenden Antragstellung der K. für die hier streitige Zeit (§ 1546 RVO aF) nicht der Fall. Selbst wenn man jedoch dieser Auffassung nicht folgen wolle, stehe die Entscheidung des LSG jedenfalls im Gegensatz zur Rechtsprechung des BSG, wonach § 81 b BVG nicht dazu herangezogen werden könne, solche Leistungen abzuwälzen, die angesichts einer klaren Sach- und Rechtslage auf einem von Anfang an eindeutig dem Gesetz nicht entsprechenden Verwaltungshandeln beruhten. Im übrigen sei der Ausgleichsanspruch des Klägers nach § 29 Abs. 3 RVO (wie nach § 45 SGB) verjährt. Schließlich verstoße die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs für lange zurückliegende Zeit gegen Treu und Glauben.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Juli 1975 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 10. April 1970 zurückzuweisen;

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Dem eigenständigen Anspruch nach § 81 b BVG stehe der Ablauf der Anmeldefrist für die K. nicht entgegen. Ebenso liege keine frühere offensichtliche Fehlentscheidung vor, die nach der Rechtsprechung des BSG einen Anspruch auf § 81 b BVG ausschließen könnte. Die Verjährungsfrist betrage 30 Jahre. Die für Ersatzansprüche nach Art. I §§ 42 und 43 des am 1. Januar 1976 in Kraft getretenen Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches (SGB 1) geltende Verjährungsfrist von 4 Jahren sei nicht auf den Anspruch nach § 81 b BVG anzuwenden. Außerdem könne eine solche Verjährungsfrist - trotz Art. II § 17 SGB 1 - nicht rückwirkend gelten. Danach könne die Verjährungsfrist frühestens am 31. Dezember 1980 enden. Hinzu komme, daß die Verjährungsfrist durch die Klageerhebung unterbrochen sei. Diese Unterbrechung wirke bis auf den heutigen Tag fort, so daß auch deshalb hier die Anwendung einer kurzen Verjährungsfrist nicht möglich sei.

Die Beigeladene beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie gibt für die Rechtsauffassung des Klägers zur Bedeutung des § 81 b BVG eine eingehende Begründung und meint weiter, § 81 b BVG sei durch das SGB 1 weder abgeändert noch ersetzt worden. Demgemäß habe der 9. Senat des BSG erst kürzlich (am 24. März 1976 - 9 RV 440/74) entschieden, daß § 43 Abs. 3 SGB 1 nur für Erstattungsfälle ab 1. Januar 1976 gelte. Abgesehen davon beträfen die §§ 42, 43 andere Fälle. Im übrigen sei es zweifelhaft, ob Erstattungsansprüche, die im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht verjährt gewesen seien, in einem schwebenden Verfahren durch Inkrafttreten des SGB 1 als verjährt angesehen werden könnten. An einer entsprechenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung fehle es. Dem Urteil des 2. Senats des BSG vom 28. April 1976 - 2 RU 119/75 - könne daher nicht gefolgt werden, zumal andernfalls die Bedeutung des § 81 b BVG weitgehend eingeschränkt würde.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist in der Sache begründet.

Das LSG hat es dahingestellt sein lassen, ob die Beklagte die Leistungen der Unfallversicherung (UV) gemäß § 1546 RVO aF erst ab 13. November 1963 beginnen lassen durfte. Dagegen wendet sich die Revision nicht. Da das vorliegende Verfahren nicht die Ansprüche der K. betrifft, hat auch der erkennende Senat unerörtert gelassen, ob die Leistungen - entweder nach § 1547 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF oder deswegen, weil nach den Feststellungen des LSG die Bezirksverwaltung der Beklagten, die Textil- und Bekleidungs-BG in Mönchen-Gladbach, bereits 1948 mit der Unfallsache befaßt war (Urteil S. 3, 5) - hätten früher zugebilligt werden müssen. Es konnte ferner unentschieden bleiben, ob § 81 b BVG unabhängig davon, daß die Beklagte erst ab 13. November 1963 ihre Leistungspflicht anerkannt hat, der Versorgungsbehörde rückwirkend ab 1955 oder 1959 einen Ersatzanspruch einräumt und ob dies auch dann der Fall ist, wenn sie fahrlässig anstelle einer anderen Behörde oder eines Versicherungsträgers des öffentlichen Rechts (§ 81 b BVG) geleistet hat (vgl. dazu Urteil des 2. Senats des BSG vom 28. April 1976 - 2 RU 119/75 - mit weiteren Nachweisen, u. a. auch zur Bedeutung des § 47 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VerwVG -). Denn dem Kläger steht für die streitige Zeit schon deshalb kein Ersatzanspruch zu, weil dieser verjährt ist.

In der genannten Entscheidung des 2. Senats, die einen Parallelfall betraf, ist das BSG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des 8. und 9. Senats des BSG davon ausgegangen, daß seither für Ersatzansprüche nach § 81 b BVG in entsprechender Anwendung des § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine Verjährungsfrist von 30 Jahren angenommen wurde. Der 2. Senat hat entschieden, daß seit dem Inkrafttreten des SGB 1 gemäß Art. II § 17 insofern eine rückwirkende Änderung eingetreten sei, als nach § 45 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 SGB 1 Erstattungs- und Ersatzansprüche nach den §§ 42 und 43 SGB 1 in 4 Jahren verjähren. Auf Ersatzansprüche der hier streitigen Art (allgemeiner öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch, wie er in § 81 b BVG für den Bereich der Kriegsopferversorgung - KOV - positiv geregelt worden ist) sei die Verjährungsfrist des § 45 Abs. 4 SGB 1 entsprechend anzuwenden. Da die Vorschrift des § 45 SGB 1 nach Art. II § 17 SGB 1 auch für die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes fällig gewordenen, noch nicht verjährten Ansprüche gelte, sei der im dortigen Fall geltend gemachte Ersatzanspruch für die Zeit vom 1. September 1945 bis zum 27. Juli 1962 verjährt, nachdem erst am 22. August 1968 Klage erhoben worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Urteils des 2. Senats vom 28. April 1976 Bezug genommen.

Der erkennende Senat ist dieser Entscheidung - trotz gewisser Bedenken - im Ergebnis gefolgt.

Zunächst wendet die Revision bzw. die Beigeladene mit Recht ein, daß das SGB 1 zu Fällen der hier streitigen Art nichts bestimmt. Denn § 42 SGB 1 regelt die Rückerstattung von Vorschüssen und § 43 SGB 1 die Erstattung von vorläufigen Leistungen. Es ist schwer verständlich, weshalb es dem Gesetzgeber nicht möglich gewesen sein sollte, bei der Schaffung dieser gründlich vorbereiteten "Kodifikation des Sozialrechts" auch die Verjährung von Ansprüchen der hier streitigen Art klar zu regeln; dies um so weniger, als es das Leitbild dieser Kodifikation war, ein "in sich geschlossenes Sozialleistungssystem" zu schaffen, das bei aller erforderlichen Gliederung (sie umfaßt weiteste soziale Bereiche sowie das gesamte Kriegsopferrecht - vgl. Art. II § 1 Nr. 11 SGB 1 -) "den inneren Zusammenhang" wahren und insbesondere auch "Regelungen über die Zusammenarbeit der beteiligten Leistungsträger" treffen wollte (vgl. Amtliche Begründung zum Entwurf eines Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - Nr. A IV - Bundestags-Drucks. 7/868, S. 20). Wird bei einer derart umfassenden Kodifikation zu einer bestimmten Rechtsfrage, die seit vielen Jahren die Gerichte beschäftigt, eine Regelung nicht getroffen, so spricht dies dafür, daß der Gesetzgeber es bei der seitherigen Rechtsübung belassen wollte. Andererseits muß aber in Betracht gezogen werden, daß der Gesetzgeber zwar im allgemeinen die Rechte und Pflichten der Bürger möglichst umfassend zu regeln pflegt, daß er aber die Ausgleichs- und Abwälzungsansprüche zwischen den öffentlichen Rechtsträgern häufig nicht in gleichem Maße für regelungsbedürftig hält. Deshalb war es auch lange Zeit hindurch geboten, bei der Frage der Verjährung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs auf die bürgerlich-rechtlichen Verjährungsvorschriften - hier des § 195 BGB - zurückzugreifen (vgl. BSG in SozR Nr. 2 zu § 21 BVG und Nr. 5 zu § 14 BVG). Diese unverkennbare Zurückhaltung des Gesetzgebers zeigt sich auch darin, daß er zwar in der hier angesprochenen Vorschrift des § 81 b BVG für den Bereich der KOV eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs getroffen (vgl. BSG in SozR Nr. 5 zu § 14 BVG Ca 9 Rückseite/10), aber auch hier nichts zu der Frage gesagt hat, wann ein solcher Ersatzanspruch verjährt, obwohl sich die Frage der Verjährung geradezu aufdrängt, wenn sich - wie in § 81 b BVG - erst "nachträglich" herausstellt, daß ein anderer Leistungsträger zuständig gewesen wäre. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte billigt der erkennende Senat die Auffassung des 2. Senats, daß es nach Inkrafttreten des SGB 1 nicht mehr angängig ist, in der Frage der Verjährung auf die bürgerlich-rechtliche Vorschrift des § 195 BGB, die die längste Verjährungsfrist des BGB überhaupt darstellt und die ohnedies den im Sozialrecht gegebenen besonderen Erfordernissen nicht in ausreichendem Maße gerecht wird, zurückzugreifen. Der 2. Senat hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, daß eine Verjährungsfrist von 4 Jahren stärker der Finanzierung der gesetzlichen UV im Umlageverfahren durch Beiträge der Unternehmer entspricht; durch diese Frist solle nicht nur hinsichtlich der Ansprüche des Versicherten, sondern auch bei öffentlich-rechtlichen Ersatzansprüchen vermieden werden, daß Unternehmer, die ggf. vor mehr als 4 Jahren noch gar nicht Mitglied der nunmehr in Anspruch genommenen BG waren, durch Ausgaben des Versicherungsträgers für viele Jahre zurückliegende Ersatzansprüche belastet werden. - Ähnliche, d. h. haushaltsrechtlich bedeutsame Gesichtspunkte spielen auch für die Träger der Kriegsopferversorgung eine Rolle, wenn sie umgekehrt mit Ansprüchen der UV-Träger, die bis zu 30 Jahren zurückliegen, belastet werden sollen. Deshalb erscheint es dem erkennenden Senat vor allem auch aus praktischen Erwägungen sinnvoll und unter Würdigung der vom SGB 1 angestrebten oben angedeuteten Ziele sachlich gerechtfertigt, ab 1. Januar 1976 die Verjährungsvorschrift des § 45 Abs. 4 SGB 1 auf Ersatzansprüche nach § 81 b BVG entsprechend anzuwenden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die vom 2. Senat näher dargelegten Gründe, die sich auch mit der vom Beigeladenen zitierten Entscheidung des 9. Senats des BSG vom 24. März 1976 - 9 RV 440/74 - auseinandersetzen (Urteil S. 12), Bezug genommen.

Die weiteren Argumente des Klägers bzw. der Beigeladenen, die 4-jährige Verjährungsfrist des § 45 Abs. 1 SGB 1 könne zumindest nicht rückwirkend gelten, zumal die Verjährungsfrist hier durch die Klageerhebung unterbrochen worden sei und diese Unterbrechung bis heute fortdauere, sind zwar nicht von der Hand zu weisen. Der Senat ist jedoch auch insoweit dem Urteil des 2. Senats im Ergebnis gefolgt. Dieser hat dazu ausgeführt, eine andere als die von ihm vertretene Auslegung würde dem Sinn und Zweck des Art. II § 17 SGB 1 nicht entsprechen, da die neue Verjährungsregelung nach der Amtlichen Begründung im Hinblick auf die unklare Rechtslage vor dem 1. Januar 1976 auch für die vor Inkrafttreten des SGB 1 fällig gewordenen Ansprüche gelten solle. Würde die 4-jährige Verjährungsfrist erst mit dem 1. Januar 1976 zu laufen beginnen, bliebe für alle noch bestehenden Streitfälle weiterhin unklar, ob die Verjährungsfrist für Ersatzansprüche nach § 81 b BVG 4 Jahre oder, wie von der Rechtsprechung zum Teil angenommen, 30 Jahre betrage. Die gewollte Klarstellung habe den Gesetzgeber zu der - ggf. vorsorglichen - rückwirkenden Anwendung der neuen Verjährungsregelung veranlaßt. Für vor dem Inkrafttreten des SGB 1 fällig gewordene Ansprüche würde nach gegenteiliger Auffassung außerdem die 4-jährige Verjährungsfrist um die vor dem 1. Januar 1976 liegende Zeit verlängert, wodurch die Verjährung im Ergebnis sogar erst nach 33 Jahren eintreten würde.

Es ist dem Kläger und der Beigeladenen zuzugeben, daß der Wortlaut des Art. II § 17 SGB 1 nicht ohne weiteres zu der vom 2. Senat getroffenen Auslegung zwingt. Die Formulierung: "Artikel I § 45 gilt auch für die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes fällig gewordenen, noch nicht verjährten Ansprüche", ist sehr kurz und insofern unklar, als z. B. zweifelhaft sein kann, ob sie nur für das Verwaltungsverfahren - so die Schriftenreihe des Reichsbundes, Folge 34/1 SGB 1 Anm. Abs. 2 zu Art. II § 17 SGB 1, S. 84 - oder auch für das Gerichtsverfahren gilt, das dadurch gekennzeichnet ist, daß die Verjährung durch die Klageerhebung gemäß § 209 Abs. 1 BGB unterbrochen wird (vgl. auch BSG in SozR Nr. 3 zu § 21 BVG). In der Amtlichen Begründung - Bundestags-Drucks. 7/868 S. 37 - heißt es hierzu nur: "Im Hinblick auf die derzeit unklare Rechtslage soll die neue Verjährungsregelung auch für die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes fällig gewordenen Ansprüche gelten, soweit sie nicht nach bisherigem Recht bereits verjährt sind". Daraus kann zwar nicht geschlossen werden, daß diese Überleitungsvorschrift nur für nicht verjährte Ansprüche gelten soll, "über die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist" (Schriftenreihe des Reichsbundes aaO). Zweifelhaft kann es jedoch sein, ob Art. II § 17 SGB 1 auch für die Ansprüche gilt, deren Verjährung im Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB (1. Januar 1976) - wie hier - unterbrochen war.

Nach § 211 Abs. 1 BGB dauert die Unterbrechung durch Klageerhebung fort, bis der Prozeß rechtskräftig entschieden oder anderweitig erledigt ist. Wird die Verjährung unterbrochen, so kommt die bis zur Unterbrechung verstrichene Zeit nicht in Betracht; eine neue Verjährung kann erst nach der Beendigung der Unterbrechung beginnen (§ 217 BGB). Während der Dauer des Prozesses "läuft" somit die Verjährungsfrist grundsätzlich nicht, wenn man von den Sonderfällen der Klagerücknahme oder des Ergehens eines Prozeßurteils absieht (§ 212 Abs. 1 BGB).

Art. II § 17 SGB 1 stellt jedoch nicht auf eine "laufende" Verjährungsfrist ab, sondern setzt nur voraus, daß der Anspruch vor dem Inkrafttreten des SGB 1 fällig geworden und noch nicht verjährt ist. Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt, sofern man mit dem LSG, dem Kläger, der Beigeladenen und dem 2. Senat des BSG von einer bisherigen 30jährigen Verjährungsfrist ausgeht. Im übrigen ergibt sich sowohl aus der Vorschrift des Art. II § 17 SGB 1 als auch aus der zitierten Amtlichen Begründung, daß eine rückwirkende Änderung der seitherigen Verjährungsfristen gewollt war. Denn ersichtlich soll die kurze 4-jährige Frist des § 45 SGB 1 ab dem Inkrafttreten des SGB 1 auch dann gelten, wenn die davor fällig gewordenen Ansprüche nach altem Recht noch nicht verjährt waren. Dabei kann sinngemäß nur an länge als 4 Jahre dauernde Verjährungsfristen gedacht worden sein, d. h. insbesondere an die "regelmäßige", aber praktische zur Ausnahme gewordene 30-jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB (vgl. Palandt, Kommentar zum BGB, 34. Aufl., Anmerkung 1 zu § 195 BGB). Diese rückwirkende Änderung begegnet auch keinen grundsätzlichen rechtlichen Bedenken. Die Amtliche Begründung spricht von einer "derzeit unklaren Rechtslage". Danach wollte die Vorschrift offenbar nur eine Klarstellung bewirken. Aber auch wenn man davon ausgeht, daß in Wirklichkeit eine Rechtsänderung vorliegt, bestehen keine Bedenken. Dabei kann offenbleiben, ob Art. II § 17 SGB 1 eine echte Rückwirkung in dem Sinn beinhaltet, daß das Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift, oder ob eine unechte Rückwirkung vorliegt, bei der das Gesetz nur von seinem Inkrafttreten an auf noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt (vgl. dazu BSG 24, 285, 288 mit weiteren Nachweisen). Denn eine gesetzliche Vorschrift, daß Ersatzansprüche nach § 81 b BVG in 30 Jahren verjähren, hat - wie oben bereits dargetan - bisher nicht bestanden, wie auch der 2. Senat in seiner Entscheidung vom 28. April 1976 zu Recht betont hat. Somit liegt jedenfalls keine rückwirkende Gesetzesänderung vor.

Der Hinweis des 2. Senats, daß für das Land Hessen (den Kläger auch dieses Rechtsstreits) die Rechtslage nicht anders sei, als wenn der 8. und 9. Senat des BSG ihre Rechtsprechung zur Verjährungsfrist bei Ersatzansprüchen nach § 81 b BVG aufgegeben hätten oder der Große Senat im Sinne der Entscheidungen des 3. und des 2. Senats eine Verjährungsfrist von 4 Jahren auch bei diesen Ersatzansprüchen angenommen hätte, trifft zu. Dabei ist ferner zu beachten, daß durch die Verjährung Leistungen für die Zukunft und - bei Ersatzansprüchen - der Übergang der Leistungspflicht nicht berührt werden; überdies schließt die Verjährung Leistungen oder Ersatz für die mehr als 4 Jahre zurückliegende Zeit nur auf Einrede des Verpflichteten aus, wie der 2. Senat ebenfalls zutreffend hervorgehoben hat.

Allerdings mag es richtig sein, daß bei der nunmehr klargestellten Rechtslage die Bedeutung des § 81 b BVG eingeschränkt wird, wie die Beigeladene vorträgt. Doch verhindert diese "Einschränkung" einerseits erhebliche, nicht vorhersehbare und deshalb oft unbillige nachträgliche Belastungen der beteiligten Leistungsträger, wie oben bereits angedeutet worden ist. Andererseits kann die Einrede der Verjährung im Einzelfall wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässig sein (vgl. Palandt aaO Anm. 3 vor § 194 BGB), und überdies haben es die zuständigen Leistungsträger in der Hand -- ggf. in gegenseitigem Zusammenwirken --, in geeigneten Fällen auf die Einrede der Verjährung für eine begrenzte Zeit oder ganz zu verzichten. Im übrigen kommt die neue gesetzliche Regelung letztlich allen Leistungsträgern zugute, weil jeder von ihnen in die Lage geraten kann, nachträglich im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs in Anspruch genommen zu werden. Diese Einschränkung des § 81 b BVG, die andererseits in Einklang damit steht, daß sich die Versorgungsverwaltung für ihre Leistungen an Versorgungsberechtigte ebenfalls grundsätzlich auf die kurze Verjährungsfrist von 4 Jahren berufen darf (vgl. BSG 19, 88 und Allgemeine Verwaltungsvorschriften zum BVG in der Fassung vom 26. Juni 1969 zu § 66 Nr. 5), kann sonach dem gewonnenen Ergebnis nicht entgegenstehen.

Da im vorliegenden Fall - nur noch - Ersatzansprüche für die Zeit vom 1. Januar 1959 bis 31. Oktober 1963 streitig sind und der Kläger erst am 7. November 1969, d. h. nahezu 6 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die letzten Ansprüche entstanden sind, Klage erhoben hat, sind die streitigen Ansprüche nach alledem verjährt. Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob die Ansprüche des Klägers nicht auch verwirkt wären, nachdem er nach den Feststellungen des LSG zwar bereits am 18. März 1964 seinen Ersatzanspruch nach § 81 b BVG erhoben, diesen am 23. Dezember 1965 erneuert, jedoch erst am 7. November 1969 Klage erhoben hat. Wäre schon im März 1964 Klage erhoben worden, so würde der größte Teil der streitigen Ersatzforderungen auch nach neuem Recht nicht verjährt gewesen sein. Insofern mag die neue Regelung auch zu einer erwünschten Beschleunigung des die Ersatzstreitigkeiten betreffenden Verfahrens beitragen.

Nach alledem war, wie geschehen, zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647839

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