Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteilsgründe

 

Orientierungssatz

Hat das SG die Verschlimmerung eines Leidens festgestellt, die Anerkennung als Schädigung jedoch abgelehnt, weil der Bescheid der Versorgungsbehörde bereits bindend sei, so muß das LSG sich zur Rechtsansicht des SG und zum Berufungsantrag des Klägers äußern, wenn dieser beantragt, nach dem im ersten Rechtszug gestellten Antrag zu erkennen.

 

Normenkette

SGG § 128 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 18.02.1965)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 1965 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kläger erhielt für folgende Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG):

Reizlose Narbe an der rechten Schläfe,

Lähmung des 1., Schwäche des 2. und 3. Gesichtsnerven,

reizlose Narben in der Mitte des Bauches und zur linken Flanke hin,

Nierenverlust links, Verwachsungsbeschwerden,

zunächst Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. Ein 1953 gestellter Antrag auf Erhöhung der Rente wurde mit Bescheid vom 5. November 1954 abgelehnt. Auf den Widerspruch wurde die Rente unter Berücksichtigung des Berufs des Klägers ab 1. Mai 1953 auf 60 v. H. erhöht. Im Klageverfahren begehrte der Kläger unter zusätzlicher Anerkennung einer Magenschleimhautentzündung im Sinne der Verschlimmerung Rente nach einer MdE um 70 v. H. Das Sozialgericht (SG) holte Gutachten von Prof. Dr. H/Dr. H und von Prof. Dr. W/Dr. W ein und wies die Klage ab. Ein im Berufungsverfahren erneut gestellter Verschlimmerungsantrag wurde nach Anhörung von Dr. R/Dr. H mit Bescheid vom 5. April 1960 abgelehnt. Das Landessozialgericht (LSG) hörte Prof. Dr. Dr. N sowie gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Prof. Dr. H und wies mit Urteil vom 18. Februar 1965 die Berufung zurück und die Klage gegen den Bescheid vom 5. April 1960 ab. Dieser nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens gewordene Bescheid sei nach den übereinstimmenden Gutachten von Prof. Dr. Dr. N und Prof. Dr. H, die das Ergebnis der Gutachten des Prof. Dr. H und des Prof. Dr. W bestätigten, nicht zu beanstanden. Eine Verschlimmerung sei in den anerkannten Schädigungsfolgen, die eine MdE von nicht mehr als 50 v. H. bedingten, nicht eingetreten und eine Leberschädigung nicht nachgewiesen.

Mit der nichtzugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 103 und 128 SGG. Das LSG habe seine Entscheidung, daß eine Verschlimmerung nicht eingetreten und eine Leberschädigung nicht nachgewiesen sei, nur summarisch und nicht näher begründet. Aus allen Gutachten gehe hervor, daß beim Kläger eine Leberschädigung, und zwar Narben in der Leber (Kartoffelleber), wenn auch ohne besonderen Krankheitswert bestehe. Diese müßten daher in der Leidensbezeichnung mit anerkannt werden. Mit seiner Feststellung, daß eine Leberschädigung nicht nachgewiesen sei, habe daher das LSG gegen § 128 SGG verstoßen. Auch die Magenschleimhautentzündung sei im Gutachten festgestellt worden; Prof. Dr. Dr. N und Prof. Dr. W hätten einen ursächlichen Zusammenhang mit der Schädigung (Bauchschußverletzung) angenommen. Dabei sei zu beachten, daß der Magen nach polizeilicher Mitteilung mit verletzt worden sei. Auch insoweit habe das LSG gegen die Gutachten entschieden und § 128 SGG verletzt. Wenn auch alle Gutachten nur eine MdE von 50 v. H. angenommen hätten und der Kläger bereits Rente nach einer MdE von 60 v. H. erhalte, so sei doch beim Kläger ein berufliches Betroffensein rentensteigernd berücksichtigt worden. Die Leiden seien von den Gutachtern bezüglich der MdE unterschiedlich bzw. widersprüchlich bewertet worden. Durch eine neurologische Untersuchung hätte geklärt werden müssen, ob für die Facialislähmung nicht der Höchstsatz der Anhaltspunkte von 30 v. H. anzusetzen sei. Auch die Verwachsungs- und gastritischen Beschwerden hätten bei der MdE berücksichtigt werden müssen. Das LSG hätte hierzu ein weiteres Gutachten mit Zusatzbegutachtungen auf allen in Frage kommenden Fachgebieten einholen müssen, da nur durch die Gesamt-MdE eine Verschlimmerung feststellbar sei.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils sowie der diesem zugrundeliegenden Bescheide den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger unter zusätzlicher Anerkennung einer Magenschleimhautentzündung im Sinne einer einmaligen, nicht richtunggebenden Verschlimmerung ab 1. Mai 1953 Rente nach einer MdE um 70 v. H. zu zahlen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Die gerügten Verfahrensmängel lägen nicht vor.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch statthaft, da der Kläger einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt hat, der vorliegt (§§ 162 Abs. 1 Nr. 2, 164, 166 SGG).

Der Kläger rügt ua, die Magenschleimhautentzündung sei im Gutachten festgestellt worden, insoweit habe das LSG, das seine Entscheidung hinsichtlich der eingetretenen Verschlimmerung nur summarisch und nicht näher begründet habe, § 128 SGG verletzt. Damit kann noch in ausreichender Form als gerügt angesehen werden, daß das LSG zu Unrecht über die Magenschleimhautentzündung nicht entschieden habe. Diese Rüge trifft zu.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren beantragt, nach dem im ersten Rechtszug gestellten Klageantrag zu erkennen. Im Verfahren vor dem SG hat er beantragt, als zusätzliche Schädigungsfolge eine Magenschleimhautentzündung im Sinne der Verschlimmerung anzuerkennen. Zu diesem Begehren des Klägers hat sich das LSG in den Urteilsgründen nicht geäußert. Auch wenn das LSG etwa der Meinung gewesen sein sollte, eine Magenschleimhautentzündung liege nicht vor oder sie sei in den bereits anerkannten Leiden mit einbegriffen, so hätte es zumindest hierzu etwas sagen müssen. Dies umsomehr , als das Gutachten des Prof. Dr. W eine chronische Magenschleimhautentzündung im Sinne der einmaligen Verschlimmerung mit einer MdE um 20 v. H. als Versorgungsleiden angesehen hat.

Im SG-Urteil heißt es demnach auch, daß eine solche Verschlimmerung gegeben sei, auch habe der Beklagte insoweit eine Vergleichsbereitschaft zu erkennen gegeben. Die Klage wurde jedoch abgewiesen, weil keine Änderung der Verhältnisse eingetreten und es daher ausgeschlossen sei, ein bei Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides bereits vorhandenes Leiden als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen. Wenn das LSG sich weder dazu geäußert hat, ob es diese Rechtsansicht teilt, noch in den außerordentlich kurzen Urteilsgründen überhaupt auf diesen Antrag des Klägers eingegangen ist, so hat es einen wesentlichen Teil des Verfahrens übergangen und sich damit seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet. Der darin liegende Verstoß gegen § 128 Abs. 1 SGG stellt einen wesentlichen Mangel im Verfahren des LSG dar, der die Revision bereits statthaft macht (vgl. BSG in SozR Nr. 10 zu § 128 SGG), weshalb nicht mehr geprüft zu werden brauchte, ob auch noch weitere Verfahrensmängel vorliegen. Das LSG hätte umsomehr auf die Magenbeschwerden eingehen müssen, als es nicht nur die Berufung zurückgewiesen, sondern auch die Klage gegen den späteren Bescheid vom 5. April 1960, wo es heißt, die Verschlimmerung sei auf ein "nichtkriegsbedingtes Magenleiden" zurückzuführen, abgewiesen hat.

Das Urteil beruht auch auf diesem Verfahrensverstoß, da die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß das LSG bei seiner Vermeidung zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Daher war das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat konnte in der Sache nicht selbst entscheiden, da er die vom LSG unterlassenen tatsächlichen Feststellungen nicht nachholen kann. Daher war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Sollte das LSG bei seiner erneuten Entscheidung zum Ergebnis gelangen, daß die Magenschleimhautentzündung in den bereits anerkannten Leiden mit einbegriffen sei, so wird es im Interesse der Klarheit erforderlich sein, diese in die Leidensbezeichnung mit aufzunehmen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380680

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